Infelix Austria und Barbara Rosenkranz

Ich weiß, daß viele Bundesdeutsche Österreich als eine Art Insel der Seligen betrachten, was die politische Kultur betrifft.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nicht nur gibt es dort in Form der FPÖ eine star­ke, in brei­ten Schich­ten der Gesell­schaft eta­blier­te Rechts­par­tei, Öster­reich hat auch gene­rell den Ruf, daß man dort rechts von der Mit­te mehr sagen, den­ken und tun, pom­pö­ser, zünf­ti­ger und patrio­ti­scher sein darf als in Deutschland.

Die­ses Image hat eini­ges für sich. Der Fest­kom­mers der Bur­schen­schaf­ten fin­det mit­ten in der Wie­ner Hof­burg statt, der Tod Jörg Hai­ders führt bei­nah zu des­sen natio­na­ler Hei­lig­spre­chung, und ein Andre­as Möl­zer hat eine Kolum­ne in der rie­si­gen Kro­nen-Zei­tung, die ihm im Nach­bar­land sogar die win­zi­ge Jun­ge Frei­heit ver­wei­gert. In Öster­reich bezeich­nen sich alt-kom­mu­nis­ti­sche Bild­hau­er mit anti­fa­schis­ti­schen Staats­auf­trä­gen uniro­nisch als “groß­deutsch” und wün­schen gele­gent­lich auch mal die “Nürn­ber­ger Ras­sen­ge­set­ze” an “den Hals” von Gre­gor Gysi.

Ja, sogar den Sozi­al­de­mo­kra­ten wird nach­ge­sagt, daß sie vater­lands­lie­ben­de Gesel­len sein sol­len, und sei es nur, um das Rot-Weiß-Rot gegen die deutsch­na­tio­na­len Blau­en in Front zu brin­gen. Nach einem apo­kry­phen Krei­sky-Wort bestand ja die bedeu­tends­te poli­ti­sche Leis­tung des Lan­des nach 1945 dar­in, aus Beet­ho­ven einen Öster­rei­cher und aus Hit­ler einen Deut­schen gemacht zu haben.  Wobei unter Krei­sky, dem jüdisch­stäm­mi­gen Sozi­al­de­mo­kra­ten, Wie­sen­thal-Intim­feind und wohl popu­lärs­ten Staats­mann der zwei­ten Repu­blik mehr “Ehe­ma­li­ge” in der Regie­rung saßen als vor­her oder nach­her, von ihrem Kanz­ler unnach­gie­big verteidigt.

Öster­reich ist also so etwas wie das Ita­li­en Deutsch­lands. Wenn’s dann doch mal hart auf hart kom­men soll­te, hat man immer noch den Schmäh als Dau­er­aus­re­de parat, frei nach dem alt­be­währ­ten Mot­to: die Lage ist hoff­nungs­los, aber nicht ernst, also wird erst­mal los­ge­wal­zert statt bei­spiels­wei­se wie­der so garsch­tig zu Tode bewäl­tigt, wo man eh zu kei­nem Ende kom­men kann. Die Stock­wer­ke wer­den schön sepa­rat gehal­ten, Sprüch­lein und Taten sind zwei ver­schie­de­ne Din­ge, und statt deut­scher Gründ­lich­keit ist das mun­te­re Durch­wursch­teln ange­sagt, wel­ches sich schon im Grün­dungs­akt der Nati­on nach dem Krieg zeig­te, als man sich zum “ers­ten Opfer” der Hit­ler­schen Okku­pa­ti­ons­po­li­tik sti­li­siert hat.

Das emp­fin­den heu­te man­che Leu­te als grund­le­gen­des Defi­zit, Erb­sün­de und sonst­wie böse Ver­feh­lung, aber letz­ten Endes war das nix ande­res als die ret­ten­de Not­lü­ge, die uns vor der kom­plet­ten Neu­ro­ti­sie­rung und Erpreß­bar­keit im bun­des­deut­schen Stil eben­so bewahrt hat wie die Mit­tel­deut­schen die staat­li­chen Lebens­lü­gen der DDR, die immer­hin von außen auf­ok­troy­iert waren. Wir aber haben uns unse­re Lügen wenigs­tens sel­ber gemacht.  Und das ist gekonn­tes Durch­wursch­teln, kon­se­quen­tes Inkon­se­quent­sein. Und das war im gro­ßen und gan­zen gut.

Das ist aber nur die eine Sei­te der Sacher­tor­te.  Die ande­re ist, daß alles, was in Deutsch­land an poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Übeln, Affek­ten und Kom­ple­xen kur­siert, eben auch in Öster­reich ali­ve and kicking sein Unwe­sen treibt. Dabei wer­den Gra­de an Grunz­dumm­heit, Nie­der­tracht und Gif­tig­keit erreicht, die man sich in der Bun­des­re­pu­blik, wo die Ver­ve schon längst in klap­pern­de, ritua­lis­ti­sche Rou­ti­ne ver­pufft ist, kaum vor­stel­len kann. (Von dem haar­sträu­ben­den Unfug, der in Öster­reich regel­mä­ßig ohne den gerings­ten Wider­stand durch­ge­setzt wird, will ich mal schweigen.)

Nir­gend­wo sind die Poli­ti­ker geschwät­zi­ger, unsäg­li­cher, pein­li­cher, anbie­dern­der als in der Alpen­re­pu­blik, nir­gend­wo die Bewäl­ti­ger bös­ar­ti­ger, het­ze­ri­scher und hem­mungs­lo­ser, nir­gend­wo der gemei­ne Mann auf der Stra­ße (der sog. “Neid­ge­nos­se”) dreis­ter, bes­ser­wis­se­ri­scher und anma­ßen­der in sei­nen Ansprüchen.

Das berühmt-berüch­tig­te “Mir-san-mir”-Feeling schmie­det hier ein zwei­schnei­di­ges Schwert:  einer­seits hält es sein Zen­tral­or­gan, die Kro­nen-Zei­tung, in erfolg­rei­cher Front- und Kat­echon­stel­lung gegen den Rest der mehr oder weni­ger gleich­ge­schal­te­ten Medi­en (News, Pro­fil, Die Pres­se, Der Stan­dard, Kurier, ORF…), ande­rer­seits hat es auch ein quer durch alle Lager gehen­des, illu­so­ri­sches Igel­be­wußt­sein erzeugt, das zur Fol­ge hat, daß mich auch intel­li­gen­te Men­schen oft fra­gen, was ich denn immer mit Deutsch­land hät­te, mir aber gleich­zei­tig stän­dig was von Euro­pa und der Glo­ba­li­sie­rung erzäh­len wol­len. Als ob Öster­reich irgend­ei­ne poli­ti­sche Rele­vanz in Euro­pa hät­te, trotz allem Neu­tra­li­täts-Iso­la­tio­nis­mus aus dem Jah­re Chruscht­schow.  Wer aber ja zu Euro­pa sagt, muß zuerst nein zur EU und dann ja zu Deutsch­land sagen.

Zumin­dest den Part mit der EU haben die Kro­ne und ihre Leser­brief­schrei­ber ver­stan­den und sie min­der zu ach­ten, ist das untrüg­li­che Kenn­zei­chen eines pro­vin­zi­el­len und unauf­ge­klär­ten Gemüts. Aber wie soll das auch anders sein? Es gibt schlecht­hin kei­ne Qua­li­täts­pres­se in Öster­reich, weit und breit kei­ne FAZ, kei­ne SZ, ja nicht mal eine Frank­fur­ter Rund­schau oder taz.  Wir spre­chen von einem Land, in dem man ein seich­tes Links­li­be­ra­len-Blätt­chen wie den Stan­dard für “intel­lek­tu­ell” hält, weil einem das die näseln­de Stim­me von Oscar Bron­ner zwölf­tau­send­mal in der Radio­wer­bung erzählt hat.

All das hat wohl damit zu, daß die Öster­rei­cher ein­ge­bun­kert sind in ihren natio­na­len Lebens­lü­gen, über­hol­ten Alpen­fes­tungs­wunsch­bil­dern und in ihrem grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Klein­heits­wahn. Öster­reich, das war im Grun­de Habs­burg, und der gan­ze gro­ße trans­leit­ha­ni­sche und cis­leit­ha­ni­sche Raum. Nach 1918 war der Anschluß an das Deut­sche Reich für den ver­blie­be­nen deutsch­spra­chi­gen Rest die schlüs­sigs­te und ver­nünf­tigs­te Opti­on. Aber zum Schick­sal soll­te eben die zunächst erzwun­ge­ne, dann frei­wil­li­ge Ver­schwei­ze­rung wer­den. In die­sem Sin­ne war Doll­fuß nicht weni­ger ein Schwei­zer als Schüs­sel oder Gus­en­bau­er, ja sogar Hai­der mit sei­nem Ultra-Schwei­zer­tum, der Liech­ten­stei­ni­sie­rung Kärn­tens.  Die Ein­ige­lung und Ent-Deut­schung ihrer Iden­ti­tät nach 1945 war Schutz­wall und Gefäng­nis der Öster­rei­cher zugleich. Heu­te sind sie dadurch zu klein­li­chen Krä­mer­see­len gewor­den, wie die Bän­ker und Käse­ma­cher jen­seits der Gren­ze, nur halt schlam­pi­ger und weni­ger effek­tiv (mei­ne Ent­schul­di­gung an alle mit­le­sen­den Schweizer.)

Oder sehe ich das alles nur sub­jek­tiv so nichts­wür­dig und pein­lich, weil  es mir noch­mal viel näher steht als irgend­ei­ne bun­des­deut­sche Kaprio­le und auf der eige­nen Haut klebt wie eine nas­se Leder­ho­se? Gegen­über dem eige­nen Stall ist man eben doch emp­find­li­cher und into­le­ran­ter als in Nach­bars Haus. “Right or wrong, my coun­try”, das ist wie “Drunk or not, my mother.” Wenn die Ver­blö­dung im hei­mi­schen Akzent spricht, dann klingt sie noch viel, viel blö­der als in der Hoch­spra­che. Bei jedem Besuch in der alten Hei­mat kommt mir immer ein Qual­tin­ger-Wort in den Sinn: “Dort, wo es einem schlecht geht, ist das Vaterland.”

Und hier noch der (wohl belie­bi­ge) Anlaß mei­nes Grund­satz-Aus­bruchs:  ich habe eben ein TV-Inter­view mit der FPÖ-Poli­ti­ke­rin und Bun­des­prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tin Bar­ba­ra Rosen­kranz gese­hen, die so etwas wie die Sarah Palin Öster­reichs ist, nur klü­ger.  Schön, den Fra­ge­stil kennt man auch aus dem deut­schen öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen, aber aus dem Mun­de der Zeit-im-Bild-Mode­ra­to­rin klingt das alles noch eine Spur ein­fäl­ti­ger, hin­ter­fot­zi­ger, wich­tig­tue­ri­scher.  Da hagelt es Fang- und Sug­ges­tiv­fra­gen, Sip­pen­haft­vor­wür­fe und Spring­rei­fen, offen­sicht­lich nur um Rosen­kranz dabei zu erwi­schen, wie sie à la Mon­ty Python’s “Jeho­vah” sagt, wäh­rend der Stein schon wurf­be­reit in der Hand liegt.

Habe denn Rosen­kranz gar kein Pro­blem mit ihrem “rechts­extre­men Umgang” und ihrem “ein­deu­tig dem Rechts­extre­mis­mus zuge­ord­ne­ten Mann”? Nein, sie sehe sich “in der Mit­te” sagt sie artig. Und dann natür­lich die Jeho­vah-Fra­ge aller Jeho­vah-Fra­gen, mit der kla­ren Absicht gestellt, sie aufs Kreuz zu legen: “Sie möch­ten ger­ne das Ver­bots­ge­setz abschaf­fen, weil sie es für ver­fas­sungs­wid­rig hal­ten. Wäre es für Sie in Ord­nung, wenn in Öster­reich jeder Mensch unge­straft Nazi­pa­ro­len rufen kann?”

Rosen­kranz ant­wor­tet dar­auf, einem auf­ge­klär­ten Men­schen, durch­aus nach­voll­zieh­bar, daß auch bestimm­te Mei­nun­gen, die etwa in Deutsch­land dem  §130 unter­lie­gen,  straf­frei aus­ge­hen soll­ten.  Das müs­se man von fak­ti­scher Volks­ver­het­zung unter­schei­den. Den Rosen­kranz­has­sern, ins­be­son­ders den Grü­nen, rinnt nun das Was­ser im Mund zusam­men, die Mes­ser wer­den enthu­si­as­tisch gewetzt, und flugs macht die Pres­se aus der Ant­wort die ver­fäl­schen­de, nach­zu­blö­ken­de Schlag­zei­le: “Rosen­kranz für Auf­he­bung von NS-Ver­bots­ge­setz.” Flugs hat Rosen­kranz “65.000 ermor­de­te öster­rei­chi­sche Juden ver­höhnt”, und  natür­lich sind sofort die Denun­zi­an­ten eilig zur Stel­le und rufen nach dem Büttel.

Tja, deut­sche Michels! Ver­klärt die Ösi­mark mal nicht zu sehr.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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