… wenn das Kirchenbashing mal wieder derart en vogue ist und lautstark auftritt, daß es verdächtig wird. Seit Wochen werde ich auf der Startseite meines E‑Mail-Accounts (GMX) täglich mit Papstbildchen und Mißbrauchsmeldungen versorgt (was ist bloß aus Paris Hilton geworden??), die einen Tonfall pflegen, als hätte man einen Mafia-Ring ausgehoben oder als würde der Vatikan kurz vor dem Zusammenbruch stehen.
Da der Gesprächsstoff auszugehen droht, wurde heute eine Meldung über Bischof Mixa nachgeschoben, der Heimkinder in Augsburg geschlagen haben soll, das Ganze eingebettet in den üblichen Celebrity-Quark (“Ricky Martin outet sich als schwul”, “Mariah Careys Mega-Geschenk von Nick Cannon”) und Infotainment-Fluff (“Warum Psychotests Spaß machen”).
Gott sei Dank, um es einmal zynisch zu sagen, hat sich inzwischen parallel die Odenwald-Affäre relativierend dazwischengeschaltet, und dem allgemeinen Bruhaha der Kirchenverächter einen Dämpfer gegeben. Hier (wie übrigens auch in Fällen, in denen sich die Täter aus dem jüdischen Klerus rekrutieren) wird allerdings von den meisten Medien nicht so doll auf die Tube gedrückt wie im Falle der katholischen Kirche – was verständlich ist, macht es doch mehr Spaß, das Feuer auf einen kapitaleren Bock zu eröffnen.
Der Papst, so heruntergekommen er vergleichsweise sein mag, ist eben immer noch der Papst, und in all den Attacken der letzten Wochen kann man leicht diesen gewissen hämischen Unterton wahrnehmen: eines Tages bekommen wir dich doch noch. Man will sozusagen den Papst endlich der Häresie überführen. Ein ähnliches Schauspiel konnte man während der Kampagne um den traditionalistischen Bischof Williamson beobachten. Die hochgeschaukelte Empörung über dessen zivilreligiöse Blasphemien wurde als Keil benutzt, um die Kirche als Institution selbst zum Wackeln zu bringen. Dergleichen läuft stets nach dem Muster der Dreyfus-Affäre ab: abgesehen davon ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist, bleibt seine Tat der Nagel, an dem die Streitparteien eine übergreifende Agenda aufzuhängen und durchzusetzen versuchen.
Doch der Papststuhl steht noch immer, trotz der immer frecher werdenden Anmaßung von seiten diverser kleinkarierter, berufsopportunistischer Kanaillen. Die offensichtliche Lust, mit der solche Angriffe durchgeführt werden, strotzt deutlich vor Ressentiment, Neid und Schadenfreude und ist zumindest ein untrügliches Zeichen dafür, daß allein die Existenz einer so “undemokratischen” Sache wie dem Papstamt ein Ärgernis bleibt. Und das ist allemal schon ein Grund, im Zweifelsfall die Partei der Kirche zu ergreifen. Dies ganz unabhängig davon, ob deren Mißstände ihre Ursache in zuviel oder zuwenig Liberalisierung haben.
Davon abgesehen, scheinen die kirchenfeindlichen Gemeinplätze, die zur Zeit in aller Munde sind, wenig faktische Grundlage zu haben. Dazu führte Cicero ein Interview mit dem Kriminalpsychologen Hans-Ludwig Kröber:
KRÖBER: Man wird (…) rein statistisch gesehen eher vom Küssen schwanger, als vom Zölibat pädophil. (…)
CICERO: Laut einer Zählung des SPIEGEL sind seit 1995 insgesamt mindestens 94 Verdachtsfälle von Mißbrauch durch Kleriker und Laien bekannt geworden …
KRÖBER: Also, wenn Der Spiegel mit 94 Tatverdächtigen in 15 Jahren kommt, dann ist das für jemanden, der sich kriminologisch ein bißchen auskennt, eine verblüffend geringe Zahl. Das hieße, daß das aktuelle Risiko des sexuellen Mißbrauchs in Einrichtungen der katholischen Kirche noch viel geringer ist, als ich das zuerst vermutet hätte. Im Jahr werden durchschnittlich etwa 15.000 Fälle von Kindesmißbrauch polizeilich gemeldet. Die Kirche selbst hat etwa 600.000 Bedienstete, das sind rund 1, 8 Prozent der Bevölkerung. Und darunter 94 Fälle seit 1995, das ist im Kontrast zu den alten Fällen eine dramatische Verbesserung der Situation.
Abgesehen davon findet weit mehr als die Hälfte des sexuellen Mißbrauchs in Familien statt. Noch mehr gilt das für die Gewalttaten. In der Debatte um die katholische Kirche wurde jetzt sexueller Mißbrauch und Prügelpädagogik, die es damals unstreitig an allen Schulen gab, so oft vermischt, daß man das Gefühl hatte, man will die Zahlen strecken.
CICERO: Um der Kirche gegen den Karren zu fahren?
KRÖBER: Also, ich neige sehr zu der These, die schon Manfred Lütz in der FAZ vertreten hat: Daß die Leute sich ein holzschnittartiges Bild der Kirche machen, auch wenn sie kaum je eine Kirche von innen gesehen haben, ein Bild, was sich ideal als Pappkamerad und Prügelknabe eignet, um die eigene Fortschrittlichkeit zu demonstrieren. (…)
CICERO: Sind sie selber eigentlich katholisch?
KRÖBER: Nein. Ich bin von Haus aus ein militanter Lutheraner, allerdings nicht gottgläubig. Wenn ich in einer katholischen Messe bin, was selten genug passiert, kommt mir das immer noch ein wenig wie Hokuspokus vor. Auf der anderen Seite haben mich meine Aufenthalte als Experte im Vatikan und in der Deutschen Bischofskonferenz schon sehr beeindruckt. Ich habe viele Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Institutionen, auch weil ich mich mit anderen Wissenschaftlern und Forschungsgruppen austausche, und die Bischöfe im Vatikan, die sich mit diesem Thema beschäftigten, waren die klügste und aufmerksamste Gruppe, vor der ich zum Thema sexueller Mißbrauch jemals gesprochen habe.