Hexen, Jäger und Exorzisten

Für die aktuelle Ausgabe der Jungen Freiheit habe ich einen Leitartikel über Eva Hermans neues Buch Die Wahrheit und ihr Preis geschrieben.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Dies geschah auf Anfra­ge der Redak­ti­on, und sonst hät­te ich mich mit dem Fall auch nicht wei­ter beschäf­tigt. Uner­war­te­ter­wei­se hat mich das Buch völ­lig umge­hau­en, und mein Respekt für Eva Her­man ist seit­her ins schier Uner­meß­li­che gewachsen.

Her­man blickt in dem Buch auf die Medi­en­kam­pa­gne von 2006/7 zurück und doku­men­tiert chro­no­lo­gisch deren Ablauf und Eska­la­ti­ons­tu­fen. Ich hat­te  noch in Erin­ne­rung, daß das Gan­ze eine ziem­lich wider­wär­ti­ge Sache war, aber wie übel wur­de mir nun erst so rich­tig durch die Lek­tü­re des Buches bewußt.  Dazu noch ein paar Bemer­kun­gen, die in dem Arti­kel kei­nen Platz mehr hatten.

Das Frap­pie­rends­te an der gan­zen Geschich­te ist wohl, daß der gan­ze Schmutz, der Her­man um die Ohren gewor­fen wur­de, auf einer ein­deu­tig nach­weis­ba­ren Ente beruh­te.  Die­se wur­de dann von nahe­zu sämt­li­chen Medi­en von taz bis FAZ abge­schrie­ben, und ist meta­sta­sen­ar­tig wei­ter­ge­wu­chert, bis das Zerr­bild von der geis­tig ver­wirr­ten Nazi­sch­rul­le, an der sich jeder Depp güt­lich tun konn­te, per­fekt war.

Man kann Her­man dabei nicht ein­mal, wie im Fal­le Mar­tin Hoh­mann, vor­wer­fen, sie hät­te sich frei­wil­lig auf unsi­che­res Ter­rain bege­ben. Im Gegen­teil ist sie von Anfang an von außen auf die­ses Schlacht­feld gezerrt wor­den. Bereits im Früh­jahr 2006, nach Erschei­nen eines Arti­kels für Cice­ro, sprach Ali­ce Schwar­zer (dazu auch ein lesens­wer­tes Por­trät von Ellen Kositza in der neu­en JF) von “Stein­zeit­keu­le und Mut­ter­kreuz”.  Je nach­hal­ti­ger die Nazi­kar­te ins Spiel gebracht wur­de, umso weni­ger muß­te man beque­mer­wei­se über den Inhalt ihrer Bücher sprechen.

Der Höhe­punkt war bekannt­lich das öffent­li­che “Sozialistische-Selbstkritik”-Tribunal in der Ker­ner-Show am 9. Okto­ber 2007.  Als “poli­di­sche Krampf­hen­na” wur­de die abge­half­ter­te Mar­ga­re­the Schrei­ner­ma­kers von der Lei­ne gelas­sen, flan­kiert von einer völ­lig ahnungs­lo­sen Sen­ta Ber­ger, die kei­ne müde Zei­le von Her­man gele­sen hat­te, und einem depla­zier­ten Komi­ker namens Mario Barth, der zwei, drei Sät­ze auf ber­li­ne­risch dazu­qua­cken dürf­te. Aus der Flan­ke der Publi­kums­rei­hen schoß uner­war­tet der His­to­ri­ker Wolf­gang Wip­per­mann in der Rol­le des bes­ser­wis­sen­den Onkels, der mal wie­der unter Beweis stell­te, daß er zu den nied­rigs­ten, scham­frei­es­ten Wir­bel­lo­sen die­ser gan­zen schö­nen Bun­des­re­pu­blik zählt.  Am schlimms­ten war wohl Kerners ran­schmei­ße­ri­scher Ikea-Duz-Faschis­mus, den er Her­man vor Beginn der Sen­dung noch schnell auf­ge­nö­tigt hat­te. Ange­sichts die­ser gezielt arran­gier­ten Sub­op­ti­mal­be­din­gun­gen hat sich Her­man wacker geschla­gen, und als sie nach einer knap­pen Stun­de noch immer nicht “Jeho­vah” gesagt hat­te (“Auto­bahn” war’s noch nicht so rich­tig), wur­de sie kur­zer­hand rausgeschmissen.

Ich jeden­falls kann mir die Auf­zeich­nung der Show kei­ne drei Minu­ten lang angu­cken, ohne mei­ne Tisch­kan­te auf­zu­es­sen. Ich habe auch kein Voka­bu­lar mehr zur Ver­fü­gung, um die­sen haar­sträu­ben­den Irr­sinn adäquat zu beschrei­ben. Da ist kein Wort zu stark. Eine der schöns­ten  Stel­len, die jeden Mon­ty Python-Sketch schlägt, ist wohl die, als Ker­ner auf eine Bemer­kung Eva Her­mans zurück­kommt, in der sie den Medi­en eine fak­ti­sche “Gleich­schal­tung” vor­warf (quod erat demonstrandum).

Ker­ner, besorg­ter Du-Du-Ton­fall, vor­wurfs­voll rau­nend: “Das ist kei­ne glück­li­che Wort­wahl… in die­sem Zusam­men­hang! Denn auch die­ser Begriff stammt aus dem Drit­ten Reich.”  Als nächs­tes wird Wip­per­mann her­ge­winkt: “Wie uns der His­to­ri­ker sagen kann.” Her­man wen­det ein, daß der Aus­druck ja durch­aus all­ge­mein gebräuch­lich sei, Wip­per­mann, hef­tig zei­ge­fin­gernd: “Nein, nein, nein, das stimmt ja nun nicht, daß Gleich­schal­tung kein natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Begriff ist. Natür­lich war Gleich­schal­tung ein natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Begriff, die Gleich­schal­tung der Par­tei­en, der Ver­bän­de und der Län­der. Und Sie haben hier einen natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Begriff gebraucht!” Bamm. Mun­te­res Wei­ter­ge­blub­ber und Her­um­ge­rei­te. Her­man, genervt: “Sie müs­sen nur Goog­le ein­ge­ben, und Sie kön­nen jede Zei­tung durch­ge­hen, die die­sen Begriff bereits benutzt hat.” Ker­ner: “Auch falsch! Auch falsch!”

Das zum Him­mel schrei­end, kon­kur­renz­los atem­be­rau­bend Hirn­ris­si­ge, das Dada­is­tisch-Sur­rea­le, das Kaf­ka­esk-Orwel­lisch-Hoch­i­ro­ni­sche an die­ser gan­zen real­sa­ti­ri­schen Sze­ne ist ja das: daß der Begriff  “Gleich­schal­tung” heu­te eben des­we­gen pole­misch, also als Vor­wurf ver­wen­det wird, eben weil die Nazis ihn geprägt haben. Für die Nazis war die­ser Begriff näm­lich posi­tiv besetzt, wes­we­gen er eben heu­te eine nega­ti­ve Kon­no­ta­ti­on hat. Und nicht anders hat Eva Her­man das gemeint. Sie hat qua­si gegen­über den Medi­en ihrer­seits ver­sucht, die Nazi­keu­le zu schwin­gen. Mit exakt dem­sel­ben Recht könn­te man auch Ali­ce Schwar­zer “natio­nal­so­zia­lis­ti­sches Voka­bu­lar” vor­wer­fen, weil sie den Begriff “Mut­ter­kreuz” benutzt hat. Und wenn ich dar­über nach­den­ke, wäh­rend ich all das dar­nie­der­tip­pe, dann kaue ich wie­der mal an der Tisch­kan­te, weil Kopf­klat­schen da schon lan­ge nicht mehr hilft…

In mei­nem Leit­ar­ti­kel habe ich aus einem alten Essay von Carl Ame­ry zitiert, abge­druckt in dem Band “Die Macht der Mei­nungs­ma­cher” (1976) in der legen­dä­ren, von Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner her­aus­ge­ge­be­nen Buch­rei­he “Initia­ti­ve”. Der blieb bei mir wegen des Titels hän­gen: “Der Publi­zist als Exor­zist”. Ame­ry bezog sich auf eine Bemer­kung von Edgar Mor­in über

… die leben­di­ge Exis­tenz der noo­lo­gi­schen Wesen­hei­ten, der Ideen, Sym­bo­le, Geis­ter, Göt­ter, die nicht nur eine sub­jek­ti­ve Rea­li­tät, son­dern auch eine gewis­se Auto­no­mie besit­zen. Von den Gehir­nen her­vor­ge­bracht, wer­den sie zu neu­ar­ti­gen Lebe­we­sen, denen gegen­über sich die Gehir­ne (als Sys­te­me, die nur in gerin­gem Maße kon­trol­liert sind) sich gewis­ser­ma­ßen wie Zau­ber­lehr­lin­ge ver­hal­ten; bes­ser, sie stel­len Nah­rung spen­den­de Öko­sys­te­me dar, von denen die­se Wesen leben und ohne die sie nicht leben können.

Dar­an anschlie­ßend sah Ame­ry die Medi­en von Schlag­wort­dä­mo­nen beherrscht, die nichts wei­ter als „Schein­kon­tro­ver­sen“ pro­du­zie­ren. Der Publi­zist habe die Pflicht, die­sen Begriffs­ge­spens­tern zum “Exor­zis­ten” zu wer­den. Lei­der neh­me die Publi­zis­tik in rea­li­ter „zu fünf­und­neun­zig Pro­zent kei­ne exor­zis­ti­sche, son­dern im Gegen­teil eine kul­tisch-ver­stär­ken­de Funk­ti­on“ wahr, pro­du­zie­re selbst den “ritu­el­len Lärm” des “Dämo­nen­kults”. Wür­de man die­se weit­ver­brei­te­te “Beses­sen­heit” nicht in Betracht zie­hen, “könn­te man nur schlie­ßen, daß die Mehr­zahl unse­rer Publi­zis­ten ent­we­der Dumm­köp­fe oder Kri­mi­nel­le sind.”

Die Ker­ner-Tri­bu­nal ging aller­dings, sofern es die öffent­li­che Wir­kung angeht, dicke nach hin­ten los. Wie immer, wenn eine Inqui­si­ti­on im Gan­ge ist, steck­ten die Teu­fel eher in den Ver­fol­gern als in den Beschul­dig­ten. Es ist jeden­falls immer wie­der ver­blüf­fend zu sehen, wie schnell jeg­li­ches kla­re Den­ken und jeg­li­cher simp­ler mensch­li­cher Abstand über Bord gewor­fen wer­den, wenn ein­mal wie­der das Lieb­lings­ge­spenst der Deut­schen,  der brau­ne Teu­fel, epi­de­misch die Gehir­ne infi­ziert hat.

Manch­mal habe ich neben­bei gesagt den Ein­druck, daß die JF gera­de des­halb immer wie­der unter ein­schlä­gi­gen Ver­dacht gestellt wird, weil sie als eines der weni­gen Medi­en gegen die­sen Spuk immun ist, wie sich über­haupt heu­te die authen­ti­schen Kon­ser­va­ti­ven am wenigs­ten von allen in die­sem Land für Adolf & Co inter­es­sie­ren. Soll der Main­stream sei­nen Anti­chris­ten und der von ihm gezüch­te­te extre­mis­ti­sche luna­tic frin­ge sei­nen Mes­si­as haben, das braucht den nach bei­den Sei­ten hin Ungläu­bi­gen nicht zu bekümmern.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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