»Die meisten Frauen haben keinen Mut zur Unbeliebtheit, deshalb glucken sie zusammen und praktizieren Gruppendenken. Ich schon. Ich brauche bloß Respekt. Ob man mich mag, ist mir egal«, sagt Camille Paglia und spricht damit eine Halbwahrheit aus. Keine Frage, Paglia, die mal als »Anti-Feministin«, mal als »Radikalfeministin« Apostrophierte, ist furchtlos; richtig auch, daß man Kampfschwimmerinnen gegen den (Gender-)Mainstream mit der Lupe suchen muß; daß sich medienpräsente Frauen stärker als Männer im politischen Mittelmaß breitmachen und Akademikerinnen an den reichhaltigen Töpfen des Gender Budgets. Wenn Anne Will und ihre publizistischen Schwestern mal »richtig kritisch « einhaken, dann tun sie es zur Verteidigung der Allgemeinplätze. Das ist natürlich eine Anerkennungsneurose.
Andererseits wird das »Gruppendenken«, die Konformitätsneigung, die Paglia für typisch weiblich hält, in Deutschland rigide von Maßgaben der Medienindustrie befördert. In Paglias Heimat, den USA, dürfen Frauen, die weit jenseits des linksliberalen Spektrums stehen, Kolumnen in den Leitmedien führen, sie sind gesuchte Interviewpartner und dürfen in politischen Fernsehformaten den streitbaren, jedoch respektierten Gegenpart geben. Karrieren wie die von Ann Coulter, Christina Hoff Sommers, Sarah Palin sind in Deutschland schlicht undenkbar. Ohne daß sie einer politischen Clique je angehörte, ist Camille Paglia seit zwanzig Jahren mit weitgehend ununterbrochener Medienpräsenz das intellektuelle enfant terrible unter den Antifeministinnen. Paglia wuchs als Kind einer italienischen Einwandererfamilie in New York auf, entdeckte früh ihre lesbische Neigung und graduierte als Philosophin in Yale.
Ihr Ruf als »akademischer Rottweiler« wurde beizeiten gefestigt: Ihr Betragen war bisweilen unverschämt, ihre Sprache unverblümt, ihre wissenschaftlichen Leistungen enorm. Die erweiterte Fassung ihrer Dissertation lag 1981 vor. Es sollte ein Jahrzehnt vergehen, bis sie einen Verlag für ihr Mammutwerk fand, von dem sie mutmaßt, es sei das dickste Buch, das je von einer Frau geschrieben wurde. Sexual personae umfasst allein in der deutschen Taschenbuchübersetzung knapp 900 Seiten. Sowohl dieses Opus magnum als auch der hübsche Extrakt (Sexualität und Gewalt. Oder: Natur und Kunst), den dtv Mitte der Neunziger publizierte, sind heute vergriffen, antiquarisch sind Buch und Büchlein gelegentlich zu finden.
Gleich mit dem ersten Satz läutet Paglia, streng katholisch sozialisierte Tochter, häretisch ein: »Am Anfang war Natur.« Nicht: das Wort, da Worte zu Lüge und Verbrämung neigten und eine der Maskeraden der sexuellen Determination darstellten. Ewig sei der Unterschied zwischen Mann und Frau. Mithin interessiert sich die Wissenschaftlerin Paglia in bezug auf das Christentum allein für dessen heidnische Urgründe. Die Sexualität, bestimmt durch »dunkle pagane Mächte« und nur oberflächlich gebahnt durch kulturelle Transformationen, markiere dabei die »heikle Schnittstelle zwischen Natur und Kultur«. In den Masken läßt Paglia die Kultur- und Literaturgeschichte vom alten Ägypten bis ins 19. Jahrhundert unter den – für sie bestimmenden – Vorzeichen der Geschlechterdifferenz antreten. Kultur, so ihre These, entstehe im wesentlichen durch die Domestizierung von Sexualität. Die Geschichte sei geprägt durch das Ringen zwischen hebräischer Wort- und heidnischer Bildkultur. Von Nietzsches Interpretation beeinflußt sind die Gegensatzpaare, mit denen Paglia arbeitet und aus deren stetigem Ringen sie sämtliche Kulturleistungen ableitet: Hier das Appolinische als genuin männliches (und westliches) Prinzip, als Klarheit, Sprache, Struktur und Erfindungsgabe zutage tretend – dort die dionysischen Kräfte: das Erdgebundene, irrationale, fließende, weibliche, der fruchtbare Urschlamm. Kunstschaffen und Transzendenz entstehe allein aus männlich-appollinischer Abwehr der chthonischen Verlockung. Der weibliche Körper, gleichgültig gegen den Geist, der ihn bewohnt, habe organisch nur eine Bestimmung, »die Schwangerschaft, deren Verhinderung uns ein Leben lang beschäftigen kann. Die Natur kümmert sich nur um die Gattung, nie um den einzelnen.« Die nicht unwesentliche Rolle der Frau als Kulturvermittler allerdings spart Paglia aus.
Ihr eigenes »sexuelles Versagen« hat die Lesbierin Paglia eingeräumt. Doch gesteht diese »woman warrior«, als die sie tituliert wurde, diese »narbenbedeckte Veteranin der Geschlechterkriege« (Paglia über Paglia), daß ihr eigener juveniler Protest gegen die primäre Sozialisation (die Erziehung als Mädchen also) sie mit ähnlichem Furor »geradenwegs zur Biologie « zurückgeführt habe. Niemand, auch nicht die gleichsam »männlich « auftretende Frau, könne letztlich aus seiner, aus ihrer Haut. Einer ihrer wenn auch banalen, doch luziden Belege zielt auf das Urinieren der Geschlechter: Während der Mann einen ausgreifenden Strahl herstelle, dünge die Frau bezeichnenderweise nur den Boden unter sich. (erfindungsreiche Feministinnen haben längst Stehpinkelhilfen erfunden, und das Sitzpinkelgebot für Männer ist hinlänglich bekannt). Die Geschlechterdifferenz sei zwingend: »Wir können dem Leben in diesen faschistischen Körpern nicht entfliehen.«. Der zivilisierte Mensch verheimliche sich gern, wie sehr er der Natur ausgeliefert ist. »Die Macht der Kultur, der Trost der Religion: Darauf konzentriert er sich, daran glaubt der Mensch.« Ein »Schulterzucken der Natur« reiche, um dieses brüchige Gefüge einstürzen zu lassen und atavistische Verhaltensweisen zum Vorschein zu bringen.
Paglia ist eine Kritikerin Rousseaus, und in dessen Gefolge ebenso der Milieutheorie. Die Dekonstruktivisten und Poststrukturalisten (»französischer Quatsch«, »intellektuelle Leichen«) haßt sie leidenschaftlich. Die breite Wirkung, die Derrida, Lacan, vor allem aber Foucault in akademischen Kreisen feierten, nennt Paglia ein krankes »Führer-Syndrom«, »die Sehnsucht vermeintlich freier, liberaler Denker nach einer Autorität.« Der moderne Feminismus (Paglia spricht sich durchaus für eine formale, politische Gleichstellung von Frauen aus) gilt ihr als eine Hauptströmung, die den wirklichkeitsblinden Machbarkeitsglauben jener Vorväter beerbt hätten. Indem sie »sich bemühen, der Sexualität Machtverhältnisse auszutreiben, wenden sie sich gegen die Natur. Sexualität ist Macht.« Während Paglias Fokus der Natur (als »Schicksal«) und ihren Gesetzen gilt, ist ihre Leidenschaft der Kunst gewidmet, der kreativen Schaffenskraft, dem, was ihr als männliches Prinzip gilt: »Wäre die Zivilisation den Frauen überlassen, säßen wir heute noch in Schilfhütten.« Daß sie regelmäßig der Misogynie bezichtigt wird, ficht sie nicht an. Sie beschreibe nur, was sie sehe, und vor Frauen, die sich selbst ermächtigen, zieht sie den Hut.
Gewohnt brachial zeigt sie jeglichem Machbarkeitsdenken in punkto »Rollentausch« die rote Karte: Dafür sei die Natur ein zu »strenger Lehrmeister. Sie ist die Schmiede, auf deren Amboß der Individualismus zertrümmert wird.« Keine Gesetzgebung, kein Beschwerde-Ausschuß könnten an den Grundtatsachen geschlechtlicher Bedingtheit rütteln.
Ist das so? Haben die neuen Sozialtechnologien der Sexualingenieure nicht Schluß gemacht mit solchen Bildern von Hammer und Amboß, von urweiblich und urmännlich? Ob der scheinbare Siegeszug der spätfeministischen Gender-Ideologie dauerhaft sein wird, ist in der Tat eine offene Frage. Wieviele Ehen, wie viele Liebschaften und Selbstkonzepte an der praktischen Umsetzung der Gender-Doktrinen scheitern, darüber fehlen naturgemäß Statistiken. Keine Frage ist, daß mit der Zurückdrängung der Natur in allen Bereichen des Lebens auch das Weibliche an Bedeutung verliert. Es per Vätermonate et al. den Männern einpflanzen zu wollen, ist ein utopischer Wahn. Denn gemäß Paglia genügt ein Kratzen an der Oberfläche solcher Gesellschaftsvereinbarungen – und der Dämon der sexuellen Natur breche hervor.
Beißend ist der Spott, den Paglia für das vielgepriesene Idealbild des androgynen Menschen bereithält, warnend ihr Ton gegenüber Libertins: »Sexuelle Freiheit, Befreiung der Sexualität: Das sind moderne Illusionen. Wird eine Rangordnung weggefegt, tritt sogleich eine andere an ihre Stelle, die vielleicht rigider ist als die erste. Es gibt Rangordnungen der Natur und abgewandelte Rangordnungen in der Gesellschaft. Gesellschaft ist (…) unser fragiles Bollwerk gegen die Natur. Wenn die Achtung vor Staat und Religion gering ist, sind die Menschen frei, empfinden diese Freiheit aber als unerträglich und streben nach neuer Knechtschaft.« Hierarchische Prinzipien hält Paglia nicht nur für »schön«, sondern für notwendig: »Egalitarismus verstrickt, hält auf, blockiert, stellt still.«
Paglias Ruhm in Deutschland währte kurz. Mit ihrem beharrlichen Rekurs auf das Körperliche als das Maß der Dinge, ihrem Beharren auf dem unerbittlichen »Faschismus der Natur« hat sich Paglia bisweilen den Schmähruf einer Biologistin eingehandelt. Die Frau, die Vergewaltigungen erklärbar machen wollte, Pornographie als urmännliches Bedürfnis versteht, Männlichkeit aufs engste mit Homosexualität verknüpft sieht, die Todesstrafe befürwortet und sich genauso umißverständlich für ein Recht auf Abtreibung einsetzt, wie sie dasselbe als »Mord« und ewiges »Recht des Stärkeren« bezeichnet, gilt sowohl Bürgerlichen als auch Feministinnen als zynisches Schreckgespenst. Was auf Gegenseitigkeit beruht: Emanzen sind für Paglia »trübsinnige Figuren«, häßlich, beschränkt und prüde, geschrumpfte Existenzen ohne Substanz, die mit »verkümmerten Bücherwürmern« das Bett teilen.
In den USA reüssiert sie bis heute als streitbarer Gast in Talkshows, sehr klein und zierlich, augenrollend und – intellektuell stets eloquent – Wortkaskaden auftürmend. Wir dürfen trotz einer offenkundigen Geistesverwandtschaft kaum annehmen, in Paglia die heimliche Enkelin des früh und freiwillig aus dem Leben geschiedenen Otto Weininger (1880– 1903) zu entdecken. Nicht nur, weil Weiningers Homosexualität das unwahrscheinlich macht; in den Literaturverzeichnissen Paglias taucht der jüdische Antisemit und Vater eines modernen Antifeminismus nicht einmal auf. Ihre Lehrer und Ikonen heißen Edmund Spenser, Shakespeare, Lord Byron und, allen voran, de Sade. Von Paglia hingegen läßt sich kaum sagen, sie hätte eine Denkschule begründet. Mit Abstrichen allerdings könnte man behaupten, Charlotte Roche hätte mit ihren »Feuchtgebieten « Paglias Thesen trivialisiert.
Paglia, die angeblich gern blutige Steaks in rauhen Mengen verzehrt, ist mittlerweile 63 Jahre alt. Sie lehrt als Professorin für Medien- und Geisteswissenschaften in Philadelphia. Bewußt lebe sie in einem kleinen Vorort anstatt in den brodelnden Städten wie New York oder Washington, die keine guten Orten seien, um sich als Intellektuelle einen unabhängigen Status zu bewahren. Das Leben dort mit seinen sozialen Netzwerken, Partys und Empfängen, mache verletzlich und abhängig von der veröffentlichten Meinung. Großstadtleben schaffe Duckmäuser, sie kenne das aus eigener Anschauung.
Jene Camille Paglia, die die gesamte abendländische Geistesgeschichte griffbereit im Marschgepäck vorhält, scheut sich nicht vor den Niederungen des Trivialen. Es ist einigermaßen irritierend, sie – etwa auf ihrem Kolumnenplatz des amerikanischen Internetmagazins www.salon.com – über Pop-Phänomene schwadronieren zu sehen. Nichts aus der Welt des Boulevards ist ihr fremd. Sie hat ellenlange Lobeshymnen über Madonna verfaßt, beurteilt Lady Gaga kritisch, und so weiter. Paglia sieht sich als provozierende Vermittlerin zwischen der weltfremden linken, nach wie vor von Marxismus und Frankfurter Schule beeinflußten Welt der Universitäten einerseits und den Massenmedien andererseits, wo das Herz des Volkes schlage. »Establishmentfeindliche Einzelgänger wie ich sind wieder in Mode«, schreibt sie selbstironisch. Das sei typisch amerikanisch: sie dürfe den »lonesome Cowboy« geben, der »aus der Wüste kommt, um im Salon herumzuballern und die Ratten aus der Stadt zu jagen. « Hillary Clinton (deren Einstellungen sie mit dem üblichen männerfeindlichen »Feminazi«-Gepäck beladen sah) erntete ebenso Paglias Kritik wie vordem deren Mann Bill. Als eine der wenigen US-Intellektuellen befand sie Clinton nach seiner Sex-Affäre mit Monica Lewinsky als untragbar für ein repräsentatives politisches Amt.
In jüngerer Zeit hat Paglia als Verteidigerin der geschaßten konservativen Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin von sich reden gemacht. Die Medienhetze gegen Palin verglich Paglia mit der Hysterie der Hexenprozesse. Die Demokraten verhöhnten die Religiosität der Republikaner, hätten mit ihrer eigenen, neuerdings so intoleranten, Ideologie jedoch eine säkulare Ersatzreligion geschaffen. Mit Palin, die ihr Selbstbild eben nicht aus Gender-Studies kreiiert habe, würde endlich ein wahrhaft »muskulöser Feminismus « Zähne zeigen. Ihr, der konsequenten Abtreibungsgegnerin, sei es gelungen, die pseudohumanistische Inkonsequenz der Linksliberalen zu entlarven. Denn wie könne man gleichzeitig das Recht auf Abtreibungen befürworten und die Todesstrafe für barbarisch halten? Paglia: »Verdient nicht ein Verbrecher eher seine Auslöschung als ein Unschuldiger?«
Der Vergleich Paglias mit einer deutschen Feminismuskritikerin vom Schlage Eva Hermans gleicht dem eines aggressiven Kampfhunds mit einem gepflegten Labrador. Wo Herman »ausholt«, heißt das: Sie setzt an zu einer detaillierten Rechtfertigung. Wenn Paglia »ausholt«, dann zum Angriff! Daß sie auf Schmähungen – die sie zahlreich trafen und treffen – überhaupt je reagierte, wäre unbekannt.