Die Rede geht von einer Rückkehr des Muttermythos, und zwar in bedrohlichem Ausmaß. Es gebe immer mehr Frauen, die sich von einem „naturalistischen Feminismus verführen“ lassen.
Es handele sich um verblendete Muttertiere, die “nur” wegen eines oder mehreren Kinder „gleich einige Jahre zu Hause bleiben“ und sich mit einer kindverbundenen Lebensweise auch noch als „authentische, naturverbundene und weniger konsumorientierte Avantgarde“ fühlen.
Bewerkstelligt, so heißt es, habe diesen Sinneswandel mitnichten die Offensive etwa einer Ursula von der Leyen, die vor Jahr und Tag einen „konservativen Feminismus“ zum Leben erwecken wollte – der freilich das Gegenteil einer Rückbesinnung auf mütterliche Tugenden implizierte. Nein, dieser gegenaufklärerische Feminismus, der „Mutterschaft als etwas Erhabenes verehrt“, sei das Resultat einer „Heiligen Allianz der Reaktionäre“. Nicht die üblichen Verdächtigen wie Kirche und politisch Konservative, sondern ein Klüngel aus Ökologen, Esoterikern, Ärzten, Verhaltensforschern, Stillorganisationen und 68er-Töchtern, die die mühsam errungene Gleichberechtigung der Geschlechter wieder ins Wanken bringen. Das Patriarchat schlägt zurück – unter weiblicher Mithilfe.
Der Leser reibt sich die Augen: Welcher Ort, welche Zeit wird denn hier verhandelt?
Es ist Elisabeth Badinter, seit Jahrzehnten Frankreichs (liberale!) Vorzeigefeministin, die ihr Land derzeit von einem massiven roll back in punkto Emanzipation bedroht sieht. Ihr Buch Le conflit. La femme et la mère, das in Frankreich gleich nach Erscheinen auf Platz 1 der Verkaufslisten schnellte und heiß diskutiert wurde, ist ein Plädoyer für die Abtrennung der mütterlichen Sphäre von der weiblichen Identität.
Der Mutterinstinkt sei eine Erfindung: Mit dieser These hatte Badinter vor dreißig Jahren Furore gemacht. Heute beweise aus ihrer Sicht die wachsende Gruppe der childfree – der bewußt kinderlosen Frauen‑, daß es keine “universelle oder wesentliche Eigenschaften“ gebe, die Frauen von Männern unterscheide. Gesetzt, es sei der Fall, daß jede® heute frei seine „Rolle“ wählen könne. Was ist es dann, das Badinter zutiefst besorgt zur Feder greifen läßt? Zweifelt sie etwa die gleichsam naturgegebene, zumindest seit über 200 Jahren erstrittene Autonomie und die seit langem etablierte Selbstbestimmtheit der französischen Frau an? Es gibt keine staatlichen, noch weniger steuerliche Eingriffe, die Frauen „an den Herd“ binden wollen. Daß nun etwas mehr Frauen in Frankreich ihre Kinder einige Monate stillen wollen, geschieht aus freien Stücken. Badinter hält diese neue „freiwillige Dienstbarkeit“ für brandgefährlich.
Während mindestens 60% der deutschen und noch weit mehr der skandinavischen Frauen ihren Säugling ein Vierteljahr nach der Geburt wenigstens teilweise mit Muttermilch versorgen, sind es in Frankreich nicht mal 20%. Tendenz allerdings: steigend. Und das findet Badinter – auch mit Verweis darauf, wie unfein und lächerlich der Stillvorgang jahrhundertelang in bürgerlichen Kreisen galt – besorgniserregend. Sie sieht eine Front von „Still-Ayatollahs“ am Werk, eine Bande, die zudem Gerüchte von der Förderlichkeit des Co-Sleepings (Kleinkind im Bett der Eltern, ein altes Eva-Herman-Thema) und einer engen Mutter-Kind-Bindung in die Welt setzten.
Badinter, die selbst während ihres Studiums drei Kinder zur Welt brachte, ist enttäuscht, daß nun selbst – und gerade! – die Töchter jener Feministinnen, die einst unter der Parole „Ich Zuerst!“ sich von der Knechtschaft gegenüber dem Baby und „den Machos zu Hause und am Arbeitsplatz“ befreit hätten, sich nun dem Druck einer „Gute-Mutter-Ideologie“ beugten. Klingt fast, als herrsche ganz privater Zwist im Hause Badinter…
In ihrem Heimatland stieß das Buch der emeritierten Professorin auf ein geteiltes Echo – und gelangte zwischen die Fronten. Selbst emanzipierte Grünen-Politikerinnen schimpften sie eine „Steinzeit-Feministin“. In der Tat fällt Badinter trotz einiger interessanter Fragen, die sie stellt, hinter ihr Niveau zurück.
Ist es tatsächlich angebracht, die Richtlinien der weltweit tätigen La Leche League, einer Stillorganisation mit weltweitem Tätigkeitsradius, aufzufächern, als handle es sich um eine Terrororganisation? Badinter zählt seitenlang die „angeblichen“ Vorteile des Stillens auf, um dann allein eines mit Bestimmtheit zurückzuweisen: Stillen macht nicht intelligentere Kinder. Sie klagt, das Eltern, die bereuen, je Kinder bekommen zu haben, heute nicht zu Wort kämen oder sich nicht mehr trauten, diesen Freiheitsverlust einzugestehen. Noch 1970 hätten 70% von 10.000 Befragten erklärt, nein, rückblickend hätten sie besser keine Elternschaft angestrebt. Der Vollzeitmutter eines Kleinkinds könne es schließlich noch heute vorkommen, als würde sie „den ganzen Tag in Gesellschaft eines Inkontinenten und geistig Zurückgebliebenen verbringen“. Fast scheint es, als würde Badinter stillende Frauen, solche, die ohne Narkotika ihre Kinder zur Welt brachten und am Ende noch so verrückt sind, ihre Kinder in Stoffwindeln zu wickeln und selbst zu bekochen, ebenfalls den Geistesschwachen zurechnen.
Jedenfalls gehören sie nach Badinters Wertung nicht zu den Frauen, die es sich selbstbewußt herausnehmen, über ihren „Geist, ihre physische, emotionale und sexuelle Energie frei verfügen zu können.“ Die Französin sei traditionell eine Rabenmutter, sagt Badinter stolz, und aus ihrer Sicht führe alles andere zu einer Krise der Gleichberechtigung.
Hartnäckig – diese Klage durchzieht das Buch – hält die Autorin an ihrer Ansicht fest, daß die heutige Gesellschaft kinderlose Frauen „tiefgreifend“ ächtet. Man staunt. Ist das so, in Frankreich? Gibt es dort keine Pendants zu unseren Thea Dorns, Sabine Christiansens, Anne Wills und Angela Merkels, die hierzulande durchaus angesehene Positionen in der Öffentlichkeit bekleiden?
Ein Punkt in Badinters Buch ist immerhin interessant. Sie konstatiert, daß sich das Idealbild der Mutter nicht mehr mit dem der zeitgenössischen Frau decke. Dadurch verschrieben sich Frauen – Mütter wie Kinderlose – häufig einer „Logik des Alles-oder-Nichts.“ Heißt: Sich hervorragend auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren ist eine ähnlich lebensfüllende Aufgabe wie die, eine 1a-Mutter zu sein. Beides zugleich will Frau sich nicht zumuten. Die französischen Frauen stünden deshalb bis heute gemeinsam mit den ebenfalls ungern stillenden und in der Mehrzahl außerhäuslich arbeitenden Isländerinnen und Irinnen an der europäischen Sitze der Gebärquoten, weil hier die frühzeitige Fremdbetreuung der Kinder nie übel beleumundet war und die meisten Mütter vollzeiterwerbstätig sind. Umgekehrt ist es in „gebärfaulen“ Ländern wie Deutschland, Japan und Italien. Dort sind bzw. waren Krippen eine Rarität, und darum zögerten Frauen die Geburt auch nur eines Kindes möglichst lange heraus. Heißt: Wenn man die Französinnen noch länger mit Vorstellungen traktiert, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern, werde auch dort die Geburtenrate sinken.
Die Argumentation besticht an der Oberfläche. Erweitert man aber den Blick – etwa auf die Verhältnisse im frauenerwerbsreichen, aber kinderarmen Mitteldeutschland, auf den Gebärstreik russischer Frauen oder auf die relativ hohen Geburtenziffern in den USA bei einer mäßigen Frauenwerbsquote gerade außerhalb prekärer Verhältnisse – dann beginnt auch diese Theorie zu schwanken. Man darf gespannt sein, wie Badinters eben in Deutschland erschienes Buch Der Konflikt. Die Frau und die Mutter über die vermeintliche schleichende Wiederversklavung der Frau hierzulande aufgenommen wird. Emma und FAZ hatten bereits im Juli großflächig versucht, die Debatte – im Sinne Badinters – anzuheizen, diese Woche gaben zahlreiche Blättern,von Spiegel bis Zeit (gewohnheitsmäßig mies geschrieben von Susanne Mayer, die´s für nötig befindet zu erwähnen, daß Badinter Jüdin ist), der Französin das Wort.