Hartz IV ist eine Zumutung – für wen?

Die Auseinandersetzung über Hartz IV spaltet ja auch immer wieder unsere Familie. Abermals habe ich eben Kubitschek ein lukratives Angebot unterbreitet,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

wie er end­lich jene Bücher schrei­ben könn­te, die er seit Jah­ren „im Kopf“ hat, ohne aber die Zeit dafür zu fin­den. Mein Vor­schlag: „Laß uns doch mal ver­suchs­wei­se auf Hartz IV machen, es zahlt sich wirk­lich aus! Wir erzie­hen unse­re Kin­der nach bes­ten Kräf­ten, sind flei­ßig am und im Haus, sind gesell­schaft­lich enga­giert. War­um nicht mal ein Hartz IV-Sab­ba­ti­cal zur krea­ti­ven Rege­ne­ra­ti­on? Wär´s nicht wohl­ver­dient nach all den Jah­ren mit 70-Stunden-Wochen? “

Ich habe einen der gän­gi­gen „Hartz IV- Rech­ner“ im Netz bemüht und zusätz­lich eini­ge wei­te­re Kos­ten von uns zusam­men­ge­tra­gen, die im Fal­le eines „arbeit­lo­sen Ver­diens­tes“ für uns ent­fal­len wür­den. So, den­ke ich, müß­te es gehen:

Für mich selbst wäre die Mel­dung als „arbeits­su­chend“ defi­ni­tiv pro­fi­ta­bel. Hier­zu­lan­de, im Osten der Repu­blik, gilt die Anga­be „Haus­frau“ ohne­hin als ver­spon­ne­nes Exo­ten­tum. Auf Ämtern wird dann stets nach­ge­hakt: „also: arbeits­su­chend?“. Mit der Men­ge Kin­dern, ohne PKW und nen­nens­wer­ten öffent­li­chen Nah­ver­kehr in struk­tur­schwa­chem Raum wür­de eine akzep­ta­ble, sprich: zumut­ba­re Arbeits­stel­le für mich schon an ein Wun­der grenzen.

Kubit­schek, einen Mann, der zwar über ein abge­schlos­se­nes Hoch­schul­stu­di­um, aber kei­ne Berufs­aus­bil­dung ver­fügt, könn­te man zwar irgend­wann zu einer Umschu­lung ver­gat­tern, zunächst aber könn­te er sich der krea­ti­ven Ent­span­nung widmen.

Unser etwas zu groß dimen­sio­nier­tes Eigen­heim dürf­te dem Sozi­al­hil­fe­an­spruch nicht im Wege ste­hen. Unse­rer acht­köp­fi­gen Fami­lie stün­de richt­li­ni­en­ge­mäß eine 140 qm gro­ße Woh­nung zu – da fährt das Amt bei Über­nah­me unse­rer jet­zi­gen Heiz- und Wohn­ne­ben­kos­ten deut­lich bil­li­ger. Inklu­si­ve eines gewis­sen Mehr­auf­wands (bspw. durch ein stark seh­be­hin­der­tes Kind im Haus­halt) und abzüg­lich des Kin­der­gel­des bekä­men wir 1743.95 € vom Amt. Ohne die zur Debat­te ste­hen­de Erhöhung!

Das ist nicht wenig, aber längst nicht alles. Unse­re Kran­ken­ver­si­che­rung (Kubit­schek 235 €, ich 140 € im Monat) wären eben­falls nicht mehr von uns zu tra­gen, glei­ches gilt für den Kin­der­gar­ten (100 €) und die GEZ-Gebüh­ren (18 €). Wir wären dem­nach bei wei­te­ren 400 Euro, die wir uns spa­ren könn­ten. Zu je einem klei­nen Zei­tungs­ar­ti­kel und einer Buch­re­zen­si­on monat­lich müß­ten wir bei­de uns nicht wirk­lich auf­raf­fen, das wür­de uns locker aus der Feder flie­ßen: 200 wei­te­re Euro, die wir ohne Anrech­nung zum Staats­geld hin­zu­ver­die­nen würden.

In die­sem Jahr kamen aller­hand „Son­der­aus­ga­ben“ für schu­li­sche Belan­ge hin­zu, die dann eben­falls statt aus unse­rer Haus­halts – aus der öffent­li­chen Kas­se geflos­sen wären. Allein eine der Töch­ter hat bereits zwei Klas­sen­fahr­ten (Ende der 4., Anfang der 5. Klas­se, sum­ma sum­ma­rum 310 Euro) hin­ter sich, die Acht- und die Neunt­kläß­le­rin fah­ren noch die­sen Herbst. Daß „Schul­aus­stat­tung“ wie Ran­zen, Hef­te etc. nicht vom Amt über­nom­men wird, ist mir bekannt, bei den Kos­ten der Lehr­bü­cher bin ich unsi­cher. Wir haben (gegen Gebüh­ren, die für Hartz IVler wie­der­um um ein Drit­tel redu­ziert sind) alles gelie­hen, was leih­bar war, ein gro­ßer Teil muß­te erwor­ben wer­den, dar­um sind wir dafür im August um rund 300 € erleich­tert worden.

Und, klar: Unse­re ältes­te Toch­ter wür­de das Schul­geld bezahlt bekom­men! Ob das der Staat oder außer­staat­li­che Stel­len über­neh­men, ist mir nicht klar (es wäre auch egal), das glei­che gilt für die Musik­schul­ge­büh­ren. Auch hier weiß ich nur, das ALG II-Emp­fän­ger eine Kos­ten­be­frei­ung bean­tra­gen dür­fen. Hier könn­ten wir (die Kos­ten sind bereits fami­li­en­freund­lich gestaf­felt) für ein Kind 384 €, fürs zwei­te 261 €, für´s drit­te, vier­te und fünf­te je 174 € spa­ren, grob über­schla­gen wären das noch mal 1100 Euro im Jahr.

So geht´s mun­ter wei­ter: Im Früh­jahr ist mei­ne Wasch­ma­schi­ne (wie immer einen Monat nach Ablauf der Garan­tie) kaputt­ge­gan­gen, ich wasche nun mit der soge­nann­ten Sin­gle-Maschi­ne eines ver­stor­be­nen Onkels. Als Hartz IV-Fami­lie wäre uns von kom­mu­na­ler Sei­te ein ordent­li­ches Gerät in adäqua­ter Grö­ße spen­diert wor­den. In den schö­nen Hal­le­schen Zoo, den die Kin­der sehr lie­ben, der aber mit 31 Euro für die gan­ze Fami­lie (Fami­li­en­ta­rif!) zu Buche schlägt, kämen wir dann für 8 Euro.

Wei­te­re „Hartz IV-Häpp­chen“ habe ich auf die Schnel­le nicht recher­chiert. Ich ver­mu­te auch, daß wir diver­se Fahrt­kos­ten oder obli­ga­to­ri­schen Ver­si­che­rungs­bei­trä­ge wie Gebäu­de­ver­si­che­rung (die ich bei mei­nen Neben­kos­ten aus­spar­te), Haft­pflicht etc. auf den Staat „umle­gen“ könn­te. Die teu­ren Bril­len für die seh­be­hin­der­te Toch­ter bestimmt! Die Praxisgebühr!

Frag­los ist: Es läp­pert sich! Es lohnt sich! Jür­gen Trit­tin sprach heu­te früh ange­sichts der geplan­ten mini­ma­len Stei­ge­rung bei den Hartz IV-Sät­zen von „sozia­ler Käl­te vom Schlimms­ten“, Manue­la Schwe­sig sprach von einem „Kuh­han­del zu Las­ten der Schwa­chen“. Und mein Mann, das Arbeits­tier: schüt­telt beharr­li­che den stu­ren Kopf. War­um? Er nennt die­se Über­le­gun­gen „einen Zynis­mus, vor dem man sich fast ekeln könnte.“

Quatsch. Das hab ich jetzt ver­wech­selt. Das sag­te wie­der Jür­gen Trit­tin zur geplan­ten Sozi­al­re­form, in der ja nun der Bedarf für Tabak­pro­duk­te her­aus­ge­rech­net wer­den soll. „Men­schen­wür­de“ (A. Bun­ten­bach), hallo?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (52)

Sugus

27. September 2010 12:24

"So geht´s munter weiter: Im Frühjahr ist meine Waschmaschine (wie immer einen Monat nach Ablauf der Garantie) kaputtgegangen, ich wasche nun mit der sogenannten Single-Maschine eines verstorbenen Onkels. Als Hartz IV-Familie wäre uns von kommunaler Seite ein ordentliches Gerät in adäquater Größe spendiert worden."
Definitiv falsch - das ist im HartzIV-Satz enthalten, muss man halt ansparen.

Abonnent

27. September 2010 13:49

Liebe Frau Kubitschek,

so einfach ist das mit der Kohle vom Staat nun auch nicht, bloß weil da bestimmte Angaben über H4-Leistungen und Vergünstigungen durch die veröffentlichte Meinung unter das leider saudumme deutsche Volk verstreut werden, heißt das noch lange nicht, dass das auch so ist. Ich war selbst mal auf die Almosen vom Staat angewiesen und kenne freilich noch welche, die damit vor sich hinvegetieren müssen, weil halt wirklich keine Arbeit da ist. Wenn ich aus eigener Erfahrung sagen könnte, dass es so leicht wäre mit H4, dann würde ich gerne bei Ihrem Text mitlachen.

Ich brauchte H4 zwar nur für ca. fünf Monate, aber die Erfahrungen haben mich geprägt. Bis der rechtzeitig abgegebene Antrag durchgeht vergehen erst mal gnadenlose, unbegreifliche, absolut nicht nachvollziehbare zwei Monate, dann ist alles falsch berechnet und ich musste deswegen zur Kirche um was zum Fressen zu haben. Aus Kulanz und weil ich meinen Mietzins bisher pünktlich bezahlte, flog ich nicht aus der Wohnung.

Der "Fallbearbeiter" war grundsätzlich im Urlaub. Meine Briefe, ob selbst abgegeben oder mit der Post (Einschreiben), verschwanden zu 90% (sogar E-Post kam nicht an!?!?) und noch jede Menge anderer Merkwürdigkeiten passierten mir mit den super ausgebildeten Staatsdienern, die meistens im Urlaub waren.

Gut, das passierte mir und ich war alleine und musste nicht noch Kinder versorgen, aber wenn man dann noch den Dreck erfährt, der jungen Müttern passierte oder allgemein solchen, die die Kohle dringend brauchen, also wie die behandelt wurden und die rotzfrechen, viehischen Briefe vom Amt lesen durfte, die denen geschickt wurden und wie von Seiten des Amtes um jeden dringend benötigten Cent gekämpft wurde, damit sie ihn ja nicht hergeben müssen, dann kann das mit Ihrer H4-Beantragungsphantasie in der Realität so nicht stimmen, jedenfalls nicht beim Groß der (deutschen) Antragsberechtigten.

Nach Abzug aller Fixkosten bleiben mir ca. 200€ übrig vom Lohn, hab also noch nix gefressen, und will trotzdem sagen, dass jeder, der den Nerv dazu hat oder eh nicht anders kann, gefälligst Zuhause bleibe und vom Staat und meiner Steuer leben soll, denn wenn ich schon die verbeamteten Dauerurlauber aushalten muss, dann auch sehr gerne die Schwächsten aus meinem Volk, die sowieso nach Strich und Faden von den eigenen Leuten in besserer Position verarscht werden.

Der autochthone H4´ler ist ganz bestimmt nicht das Problem, das liegt wo anders.

Liebe Grüße

Abonnent

tacitus

27. September 2010 14:39

Ähnliche Gedanken wie Ellen Kositza hatte ich auch schon, mangels Kinder fiele der "Reibach" allerdings geringer aus. Tatsache ist aber, daß - sieht man mal von "Pannen" ab, die Abonnent schildert -, wenn man keine Ersparnisse mehr zu verlieren hat, es sich vom Amt alimentiert gut leben läßt. Übrigens, das hat Frau Kositza in ihrer Aufzählung vergessen: Man ist als H4er auch von anderen Zuzahlungen im Krankenwesen befreit. Also, wer kaputte Zähne hat, sollte die sich als H4er zuerst richten lassen. Bei Zahnärzten ist diese Klientel gern gesehen, denn Vater Staat zahlt zuverlässig und pünktlich.

M.

27. September 2010 14:44

Da wird wieder gegen die Schwächsten der Schwachen gehetzt - peinlich, peinlich. Die Verbrecher von den Banken und den Pharmakonzernen bekommen das Steuergeld milliardenweise vorne und hinten reingeschoben, aber dazu hat Frau Kubitschek nichts zu sagen.

Die allermeisten ALG-II-Empfänger würden gerne arbeiten, sie bekommen aber nichts, WEIL KEINE ARBEIT DA IST.

Nicht vermeintlich zu hohe ALG-II-Sätze sollten in diesem Blog thematisiert werden, sondern skandalös niedrige Hungerlöhne, mit denen immer mehr Menschen in diesem Land abgespeist werden, während das oberste Zehntel der Gesellschaft immer mehr Reichtum zusammenrafft, in der Regel völlig anstrengungslos durch Zinsen und Dividenden. Was wir brauchen ist ein Mindestlohn, dann stimmt's auch wieder mit dem Lohnabstandsgebot.

Frau Kubitschek, Sie können gerne ALG-II beantragen. Allerdings müssen Sie dann auch damit leben, als asozial, dumm, faul und alkoholabhängig angesehen zu werden, als Schmarotzerin. Ihre Kinder würden natürlich auch verspottet werden. Im "christlich-sozialen" Bayern, wo ich herkomme, wäre es zumindest so. Im Osten wären die Repressionen vermutlich nicht so schlimm, dort ist der Zusammenhalt der Menschen bekanntermaßen noch stärker.

Unke

27. September 2010 14:57

Jaja, die Annelie Buntenbach. Wer so heisst kann nur bei den Grünen sein, irgendwas mit Sozial... studiert haben und -obacht!- im Beirat (oder war's das Präsidium?) der deutschen Rentenversicherung sitzen.

Zur Sache: Sie haben die Rechnung ohne Ihren Mann gemacht, im wahrsten Sinne. Wenn der verdient - dumm gelaufen. Was Sie aber vermutlich sagen möchten: wären Sie "alleinerziehend", würde es Ihnen materiell zumindest nicht schlechter gehen als mit dem status quo.

Wie bei vielen Dingen die längst aus dem Ruder gelaufen sind ist zu fragen, ob und wie man sie zurückdrehen kann.

Ein interessanter Aspekt zum Schluss:
Die (Sozial) Gesetzgebung und "Rechtspflege" der letzten 40 Jahre ging so gut wie ausnahmslos zu Lasten eingeborener weißer Männer. Das Rechenbeispiel im Artikel verdeutlich das ja: der werte Gatte ist ohne jegliche Einkommenseinbußen der Ehefrau disponibel. Dazu kommt, dass sie im Falle der Trennung Haus und Kinder behielte. Es ist erfreulich, dass das nicht nur junge weiße Männer unfair finden (und in Europa neue Rechtsparteien wählen bzw. in den Zeugungsstreik treten) sondern offenbar auch (Ehe) Frauen.
Warum ist der Widerstand gegen den Sozialstaatswahnsinn dann nicht größer?

Sondaschüler

27. September 2010 15:18

Moin,

also ich lebe seit längerer Zeit hervorragend von Harz4 - gerade bei sehr vielen Kindern lohnt sich das wirklich.

Probleme bekommt man allerdings immer dann, wenn unkalkulierbare Sonderausgaben auf den Plan treten (z.B. Auto kaputt, 500 € Rechnung).

Aber seien wir mal ehrlich: irgendwelche Nachteile muß man als Harzer doch haben - wir leben schließlich nicht im Kommunismus.

Im Gegensatz zu meinem Vorredner habe ich natürlich Glück gehabt, das Geld kam immer pünktlich vom Amt.

Trotzdem kann ich sein Gejammer nicht verstehen. Wenn man nicht gerade in der tiefsten östlichen Provinz lebt, bekommt man doch lockere einen 400€-Job. Zumindest sollte jeder SIN-Leser intelligent genug sein, um sich einen zu besorgen!

Grundsätzlich bin ich deshalb dafür, Harz nur noch an alleinerziehende Mütter und körperlich/geistig Behinderte zu vergeben. Das würde Milliarden einsparen und gleichzeitig würden gewisse anatolische Kulturbereicherer auch ohne Abschiebebescheid das Land verlassen.

Ich frage mich, was die ganzen BRD-HARZ4-Jammerlappen tuen würden, wenn sie in den USA oder in der Türkei leben würden, wo es gar keine Sozialleistungen gibt...

Rautenklausner

27. September 2010 16:00

Es muessen ja nicht die citanes sein, auch wenn es citanes sein sollten. Aber das politisch correcte engagement gegen tabak und rotwein in den eigenen vier waenden und zwischen den eigenen buecherregalen ist auch nur ein zug im kampf gegen den geist. Man soll auch seinen brecht und seinen juenger weniger konzentriert lesen. Darf man earl grey tea trinken? 200g fuer sieben euro?

Toni Roidl

27. September 2010 16:16

Meine Frau und ich haben auch schon öfters solche Gedanken gehabt wie Frau Kositza. Mit drei Kindern käme schon ein Sümmchen zusammen. Das Fass zum Überlaufen brachte es, als wir eine geerbte Wohnung an ein H4-Pärchen vermieteten (das Örtchen ist hinter den sieben Bergen, da findet man keine anderen Mieter): Vor dem Haus zwei BMW (kein Witz. Für den Weg zum Amt nehmen sie aber immer den Bus), auf dem Dach die Sat-Schüssel und aus der Garage ein voll eingerichtetes Muskel-Studio mit allen Schikanen gemacht. Da habe ich gesagt: Mir reicht's! Ich will auch BMW fahren und den ganzen Tag Glotze gucken und auf der Hantelbank trainieren! Aber trotzdem rackert und malocht man und es reicht gerade so. Schon weil man sich der Vorbildfunktion für die Kinder bewusst ist. Sonst wäre es mir vielleicht wirklich scheißegal.

Martin

27. September 2010 17:11

Angesichts der Milliarden, die derzeit anderswo mal eben so verschachtelt werden (ein Vorbeitrag erwähnte es ja), den anstehenden Entscheidungen wichtiger Art, HRE-Skandal etc. erscheint einem die HartzIV Diskussion wirklich eher wie eine Kullissenschieberei - Ein Spielzeug, das man der Meute zu drum herum balgen hinwirft ...

Sozialneid hilft also nicht weiter - klar, gibts bei der HartzIV Geschichte erheblichen Diskussions- und auch Reformbedarf und ich würde so etwas auch nur an deutsche und EU-Bürger zahlen und Single Müttern - wie in USA - nur 5 Jahre was zahlen ... aber trotz allem:

Hartz IV ist Peanuts, Pille-Palle etc., wenn man sich einmal anschaut, wie mit der Diskussion darum von dem Geschenk der Atomkraftwerkslaufzeitverlängerung, der Pharma-Lobby-Arbeit, den Bankenfinanzierungsskandalen etc. abgelenkt wird ... und ich denke langsam wirklich, obwohl ich kein Freund von Verschwörungstheorien bin, dass man der Meute zur Zeit Themen gerne, wie oben geschrieben, zu drum herum balgen hinwirft, ohne dass damit echt etwas bewirkt wird ... selbst die Sarrazin Debatte kam doch seltsamerweise genau zum richtigen Zeitpunkt, als wesentliche Entscheidungen anderer Art vorbereitet und getroffen wurden ...

Für eine "neue rechte" ist nach meiner Auffassung HartzIV kein echtes Thema, es sei denn, es geht um das "wer bekommt´s und wer nicht"...

ichsagnichtja

27. September 2010 17:29

Sehr geehrte Frau Kositza, bitte beneiden Sie nicht HartzIV-Empfänger! Die, die ich kenne, würden sehr gern arbeiten. Für den normalen Menschen ist der Gang zur Arge ein Schlag gegen seine Würde: Offenlegung aller persönlichen Angelegenheiten und gleich mal "Bewerbung üben" und wo und wieviel mal im letzten Monat haben Sie sich beworben usw. Können sie sich als Akademikerin vorstellen, einer Sachbearbeiterin, vielleicht 25 Jahre, aufgemotzt, gegenüber zu sitzen und um einen Vorschuß zu betteln, weil ewig der Antrag zu Hartz läuft oder Veränderungen bearbeitet werden, und Ihre Kinder dringend zum Zahnarzt müssen - aber das Benzingeld fehlt...?
Arbeit muß her! Das ist das Problem.
Mindestlohn muß her - um keine HartzIV-Aufstockungen bei 4 € Stundenlohn beantragen zu müssen!
Vorschlag von mir: a l l e öffentlichen Stellen nur noch halbtags besetzen (und natürlich auch nur der halbe Lohn!) und den anderen halben Tag den Arbeitslosen Arbeit geben!

Rudolf

27. September 2010 17:35

Die allermeisten ALG-II-Empfänger würden gerne arbeiten, sie bekommen aber nichts, WEIL KEINE ARBEIT DA IST.

Das erstaunliche ist, dass in den Ländern, in denen ohne Arbeit tatsächlich kein "menschenwürdiges Leben" möglich ist, die Menschen plötzlich doch immer Arbeit finden.
Arbeit ist in unbegrenztem Maße vorhanden, es braucht keine große Fabrik, um jemandem Arbeit zu geben, notfalls können sie durch Schuhputzen oder Rasenmähen Geld verdienen.

Pat Bateman

27. September 2010 18:04

Also, wenn wir hier bei WÜNSCH DIR WAS sind, dann wünsche ich mir, daß alleinerziehende Mütter das Geld drastisch gekürzt bekommen. Vielleicht würden die ganzen strunzdummen Lisel, dann mal kapieren, daß man sich nicht von jedem ... bespringen lassen sollte. Man hätte möglicherweise, auch mal einen größeren Anreiz, an einer Beziehung zu arbeiten. Ich gebe ja gerne zu, nicht jeder Vater kann ein positives männliches Rollenmodell ausfüllen, doch würde es garantiert nicht schaden, wenn wieder mehr Kinder mit einem Vater im Haushalt aufwachsen würden!

M.

27. September 2010 18:05

Rudolf schrieb:

Das erstaunliche ist, dass in den Ländern, in denen ohne Arbeit tatsächlich kein „menschenwürdiges Leben“ möglich ist, die Menschen plötzlich doch immer Arbeit finden.

Ja, ja, ich kenne diese Beispiele der sogenannten working poor - Leute, die einen oder mehrere Jobs haben, aber von ihrer Hände Arbeit trotzdem nicht leben können. Erst kürzlich habe ich wieder einen Artikel über eine US-Amerikanerin gelesen, die drei Jobs hat, im Wohnwagen haust und sich die Krankenversicherung nicht leisten kann.

Natürlich, die von mir bereits erwähnten 10 Prozent der Bevölkerung, die über zwei Drittel des Vermögens verfügen, würden sich natürlich über solche Verhältnisse freuen. Angestellte, die mehr oder weniger umsonst arbeiten, weil sie sonst verhungern - das hat schon was.

Vulture

27. September 2010 20:47

Provokation Frau K., wa? nich schlecht...

Folgende Aspekte/Beobachtungen:

1. Ja, es gibt Missbrauch dieses Systems: ich kenne Leute die haben jahrelang auf 'Vater des Kindes nicht bekannt' gemacht, weil das mit der alleinerziehenden arbeitslosen Mutter und dem normal arbeitenden Vater (von dem das Amt nichst weiss, da er nicht bekannt ist, offiziell) ja viel eintraeglicher war, zumal wenn man, eigentlich zusammen fuer Lau per fingiertem Mietvertrag im Hause eines Grosselternpaares lebt. Das geht bei K. u. K. natuerlich nicht mehr, hättet Ihr euch eher ueberlegen muessen.

2. @Abonnent: Du hast wahrscheinlich vollkommen recht was die Ämter angeht. Bis zum Sozialamt sind wir noch gar nicht vorgestoßen, allein der Umgang mit der "Agentur für Arbeit" ist eine praktische Lektion in Kunde des Arschlochs in seinen Arten und Formen. Wir wollten nichts von denen. Meine Frau wollte lediglich ordnungsgemäß ihr freiwilliges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhaeltnis melden, zwecks Umzug, durch meinen Beruf bedingt. Falsch! Nicht nachahmen! Die rumaenischen Behörden, die ich bisher von innen gesehen habe, sind Horte der Form und Seriositaet. Das Bergedorfer Arbeitsamt erinnerte mehr an bestimmte Kaefige bei Hagenbecks. In einem weit entfernten Bundesland angekommen, wurde ich (ja ich, nicht meine Frau) von dem dortigen Amtsschimmel explizit als Luegner bezeichnet (fehlten eine paar Formulare in irgendeiner Akte, weiss der Kuckuck). Weiterer Inhalt des netten Gespraeches war, dass es fuer meine Frau sowieso keine Arbeit in der Gegend gibt. Nun, innerhalb von 14 Tagen hatte meine Frau einen neuen Job, nur 800 m von unserem neuen Heim entfernt, gefunden. Ohne Involvierung der Profis vom Amt natuerlich. Das bringt mich zu Punkt
3. der gern bei "WEIL KEINE ARBEIT DA IST" uebersehen wird: Es gibt jede Menge Arbeit, allerdings nur bei entsprechender Ausbildung, Erfahrung, Kenntnissen. Weltweit sowieso, aber auch drham in Deitschland. Die einschlaegigen Netzseiten sind voll. Und ich ueberblicke dabei sogar eigentlich nur eine Branche, bei der ich selbst regelmaessig nachschaue. Alles dabei, vom Anlagenbediener/Geraetefuehrer bis zum "Country Manager", nur nicht 0815 BaeckerMetzgerFrisoere. Je seltener die Ausbildung, je leichter wird eine Arbeit zu finden sein. Und umgekehrt: Was jeder 2. kann (Putzen, Wachdienst etc.) ist logischerweise nicht sehr gesucht, gibts ja genug von. Dazwischen gibt es alle Abstufungen. Ausdruck findet das auch massgeblich in der Bezahlung, auch wenn es hier und da "Unausgewogenheiten" geben mag, im Grossen und Ganzen passt das schon. Ist wohl an der Stelle schon ueberfluessig darauf hinzuweisen, Sie werden es sicher schon bemerkt haben meine Damen und Herren: das nennt man MARKT.
Das sollte eigentlich reichen. Zum Thema Bildung/Ausbildung kann sich jeder selbst was denken.

Hier stattdessen noch ein paar Stichworte diverser weiterführender Gedankengaenge, die ich nicht ausformulieren moechte, da das Gewerkschaftsfunktionaere und SPD-Bonzen viel besser koennen als ich :
UNGERECHTIGKEIT
4,85EUR (pro Stunde Brutto)
NIEDRIGLOHNSEKTOR
AUSBEUTUNG
ANRECHT
MENSCHENVERACHTEND
MINDESTLOHN
ERNIEDRIGEND
ABLEHNUNG

Na, da haben wir doch noch ein 4.:

Alle "marktradikalen" Ueberlegungen werden an der Stelle zynisch, wo es um Ablehnung von Menschen geht. Mindestens subjektiv.
- Dich brauchen wir nicht, ham wir schon welche von.-

Auf der anderen Seite: -wollt Ihr mich zwingen, fuer irgendeine Dienstleistung sagen wir eben 10EUR statt 4,85EUR zu zahlen? - Nö, dann behalts für euch, will ich nich.
Diese beiden Seiten der Medaille sind zu bedenken. Die Libertaeren und Sozialisten blenden jeweils eine Seite aus, das macht das Leben leichter. Die H4 Polemik zwaenge da eigentlich auch zur Seitenwahl, oder Frau K.?

drieu

27. September 2010 21:24

Ach Ellen,
ganz so einfach ist es nicht. Selbst bei vielen Kindern ist das Schonvermögen nicht riesig - alles was drüber ist muß ersteinmal verbraucht sein (zu Recht)! Euren Verlag, Euer Institut etc. - all das müßtest Du aufgeben, dafür müßtest Du Dich vor den Behörden "nackt" machen - würdest gegängelt und säßest in Häusern rum, in denen Du nie warten möchtest.
Aber keine Frage: auch ich habe schon darüber nachgedacht.

Worüber ich aber auch schon nachgedacht habe: Wie wär's Banker zu sein? Heute las ich in der Zeitung: 200 deutsche Banker verdienen mehr als eine halbe Million Euro im Jahr. Und das in Geldhäusern, die vom Staat gestützt werden.
Tja, das wäre doch was Banker zu sein. Und egal ob Du gut bist oder ein Versager: das große Geld geht Dir nicht aus. 140 MILLIARDEN für die HypoRealEstate - was dagegen ist H4?

Nächste Klappe: vor ein paar Wochen wurde hier mit viel Tam Tam ein neues Solarzellenwerk eingeweiht, besser gesagt: eine tolle Fertigungsstrecke. MP Tillich da, Presse da, Händeschütteln, Blitzlicht, Arbeitsplätze für die Region, toll, hippi, hehehe.
Die (Leih-)Arbeiter verdienen 5,50 Euro brutto die Stunde. Plopp - da fließt der Schampus in die Gläser. Ja Arbeit ist genügend da, nur leider kein Einkommen.

Abschluß: es gibt ganz sicher keinen Grund darüber zu jammern, das man mit H4 nicht in Saus und Braus rauschen kann - auch das Meckern an der minimalen Erhöhung ist unnötig, denn man kann damit in Deutschland bescheiden und anständig leben.
ABER all diese Neiddebatten (Mensch Toni R. - Du kannst Deinen Kindern auch als Hartzer ein Vorbild sein) sind nicht hilfreich.
Ich befürworte hingegen das bedingungslose Grundeinkommen - keine Schikane mehr, kein Stress und vor allem: Massenfreisetzungen im überbezahlten öffentlichen Dienst. Alle könnten die Beine baumeln lassen - herrlich!

FFlecken

27. September 2010 22:35

Kann die Empörung einiger Beiträge über Ellen Kositzas Schilderung nicht nachvollziehen. Sowas muß doch mal raus. Fallschilderungen zu mühsamen Antragsabwicklungen und individuellen Schicksalen, haben nichts mit der routinierten Lebenswirklichkeit des Sozialhilfeadels und deren ausländischen Pendants gemein. Die unwürdigen Zustände der verordneten sinnlosen Weiterbildung in den oft überflüssigen Arbeitsagenturen, sind außerdem die Konsequenz einer parasitären bürokratischen Beutreuungsindustrie (in die Mitte nehmen usw...) und haben nichts mit zu wenig Kohle zu tun . Die Aussagen zu den USA sind furchtbar simplifizierend und empirisch nicht haltbar (Entwicklung Durchschnittseinkommen, Kaufkraft unter der Armutsgrenze usw.). Auch wenn dort derzeit unzweifelhaft ein wirklicher Mangel an offenen Stellen herrscht und die Schuldenmentalität höchst problematisch ist ! Optimal ist das alles nicht, aber ich habe dort noch keinen Exil-Kubaner getroffen, der etwa Sehnsucht nach einem festen Ganztagsjob in der Heimat hat.
Im Sozialsystem ist hierzulande zu viel Geld unterwegs, nicht zu wenig. Zudem wurden und werden die staatlichen Füllhörner seit Jahrzehnten an Menschen ausgeschüttet, die in einem normal verfassten Staat kein Anrecht auf Knete ab Grenzübertritt hätten.

KS

27. September 2010 23:00

Die ganze Misere hängt doch auch mit einem Strukturwandel in der Industrie zusammen. Wie viele Stellen in der Industrie sind denn seit den Achtzigern wegrationalisiert worden? Und wie viele Stellen haben sich z. B. im IT Bereich seither entwickelt? Doch für die braucht es gut ausgebildete helle Köpfe. Während diese Stellen mangels Bewerber unbesetzt bleiben müssen, weiß man mit dem Ex-Industrieproletariat in- und ausländischer Provenienz nicht wohin. Und für die gibt es - das ist richtig - keine Arbeit mehr. Daß die auf dem Amt unwürdig, weil überflüssig, behandelt werden liegt in der Natur der Sache. Mir tun sie einerseits leid, andererseits ist klar, daß wir diese Spezies durch die Art der Alimentierung auch selbst züchten. Man müsste sich gütig der Kinder annehmen und ihnen jeden Tag in richtigen (!) Bildungseinrichtungen einbläuen, daß sie die gottverdammte Pflicht haben, mehr aus sich zu machen als Hartz IV. Stattdessen schickt man sie zu verbeamteten Versagern in Birkenstocklatschen und überläßt sie den Rest des Tages TV und Computerspielen. Angesichts dieser Jugend kann man nur noch heulen: Die perpetuieren nur die Probleme von heute in die Zukunft.

kvn

27. September 2010 23:30

Das passt jetzt zwar nicht hierher, aber ich würde gerne darauf aufmerksam machen, falls es noch jemand nicht gesehen hat:
Ein schönes Video über meine liebsten freunde, die 68er

https://www.youtube.com/watch?v=cU0RKv1HAts&feature=channel

Teile 2-4 hat der Benutzer auch hochgeladen. Viel Spaß!

Rudolf

27. September 2010 23:53

@M.:

Es freut mich, dass Sie mir zustimmen, dass es noch eine große Anzahl von Leuten gibt, die mit deutlich weniger als den menschenunwürdigen Zuwendungen eines Hartz-IV-Empfängers auskommen müssen. Zwischen dem von Ihnen genannten Beispiel und dem rundumversorgten deutschen Hartz-IV-Empfänger bleibt also noch eine Menge Spielraum für die Politik.

anna

28. September 2010 09:20

Liebe Frau Kositza,

Auch auf Bezug auf den vorigen Artikel von F. Menzel.
Leider: So einfach ist es nicht.
Sie (und ihr Mann) müssten sich deutschlandweit bewerben. So einfach ist das! Und daran hakt Ihr ganzes schönes Modell.
Und (wie einer Freundin von mir (Akademikerin) passiert) müssten Sie sich auch im 8. Monat Schwangerschaft um Putzjobs bemühen. Im Ernst jetzt. Es ist wirklich unerheblich ob oder was Sie studiert haben. Dann müssen Sie eben putzen. Ansonsten müssen Sie Ihr "Berufsbild" überdenken. Aber fragen Sie doch einfach mal nach.
Weiter: Kita - müssen Sie selbst zahlen" Was denken Sie, warum so viele Kinder nicht in den KiGa gehen?! Natürlich den niedrigsten Satz, aber trotzdem
Waschmaschine gibt es auch nicht (schon lange nicht mehr). Und Haftpflicht bringt nur was für die Zuverdienstmöglichkeiten.
Kurz zum ökonomischen Hintergrund - was Sie vlt. auch nicht glauben. Seit Jahren steigt die Schere zw. Arm und Reich (100mal gehört - das heißt die Einkommen für gut qualifizierte sind wesentlich (!) stärker angestiegen als die für schlecht qualifizierte). Nebenbei bemerkt: Wenn Sie als Akademiker zwei Jahre nicht mehr als solcher beschäftigt sind - sondern zB als Angestellter bei der BA - gelten Sie für die Arbeitslosenstatistik auch nicht mehr als Akademiker. (!)
Das Problem ist durchaus, daß seit 5-10 Jahren insbesondere für die jungen Absolventen wesentlich zu wenig Arbeitsplätze da sind. -> Auswanderung. Es ist also so, daß zwar einerseits die deutsche Bevölkerung im Schnitt immer reicher wird (BIP steigt), aber gleichzeitig die Möglichkeiten für Arbeit (bzw Arbeit über h4 niveau) stark sinken.
Falls Sie es nicht glauben, suchen Sie einfach mal etwas für mich. - Deutschlandweit. Falls Sie nur eine Stelle finden, mit der ich unsere (bisher) vierköpfige Familie ohne H4 ernähren kann, spende ich Ihnen die Hälfte meines ersten Monatsgehalts. Falls das Bruttogehalt bei nur 2000€ liegt - Pech für mich: Als "h4-Aufstocker" bin ich dann gezwungen mich weiterhin deutschlandweit zu bewerben. (Die Wartezeit für einen Kita-Platz... für eine Wohnung...) naja, können Sie sich ja vorstellen.
Noch kurz eine Anekdote: Vor ein paar Jahren sprach ich mit einer jungen Floristin darüber, warum sie keine Kinder hätte. Langfristig, so meinte sie, würde ihr Gehalt NICHT über 800 € netto steigen. Ein Kind könnte sie sich nicht leisten. "Leider" war sie Westdeutsche und eine "h4-aufstockung" kam für sie nicht in Frage. --- Bis heute ist sie verheiratet, aber kinderlos. Schade.

Ellen Kositza

28. September 2010 11:21

Klar, das war ein Gedankenexperiment. "Hartz IV gehen" ist für uns in keiner Hinsicht denkbar. Selbst wenn Kubitschek nicht mehr arbeiten wollen würde- der Verlag stellt ja ein "Vermögen" dar.
Die Inflation solcher Begriffe wie "Menschenwürde" und "Ausbeutung" und die obligatorische Einforderung eines "Rechts auf..." widert mich allerdings an. Natürlich ist j e d e r Gang zum Amt "erniedrigend", weil dort stets subalterne Ladies und Männlein einem gegenübersitzen.

" Angestellte, die mehr oder weniger umsonst arbeiten, weil sie sonst verhungern – das hat schon was."

Da nun kommen mir wirklich beinahe die Tränen. Bis zum dritten Kind ging ich auch regelmäßig immer wieder als "working poor"; immer drei, vier kleine Jobs, auch neben dem Studium, Küchendienst für acht Mark, Putzen für stolze 15, Rewe-Regale -Auffüllen für 12.80 (immer: DM), ich hab sogar noch als Mutter den Gang an die frische Luft mit Zeitungaustragen verknüpft, das waren dann sicher kaum mehr als drei, vier Mark pro Stunde. Bitter nötig wars übrigens keineswegs, mein Ziel war, mit spätestens 26 schuldenfrei ein eigenes Haus (in Mitteldeutschland) zu besitzen. (Eine Sparermentalität, die ich heute den eigenen Kindern freilich nicht raten würde.)
Gottlob haben mich meine Eltern, bettelarme Ost-Flüchtlinge und durch Fleiß und Sparksamkeit im Westen "aufgestiegen", zu materieller Bescheidenheit erzogen! Manches Grundwissen fehlt denen, die heute in Deutschland dem "Verhungern" nahe sind. Wie man günstige, gesunde Mahlzeiten zubereitet, daß man nicht täglich duschen muß, daß man sich nicht saisonal neu einkleiden muß, wie man Kleider flickt, wie man Haare schneidet, daß man Wege unter 10 km unmotorisiert zurücklegt usw., usf. - zumindest dann eben nicht, wenn´s die eigene Geldbörse nicht hergibt!
Heute früh um acht,- wir sind derzeit sechs Grad von Nachtfrösten entfernt - achtete ich beim Gang durchs Dorf aus die Schornsteine, die qualmten. Es waren genau die derer, die Öl und Kohle vom Staat kriegen.

Abonnent

28. September 2010 11:21

Grüß dich Vulture!

dein Argument mit der Ausbildung ist aber auch nicht das Wahre. Was haben wir davon, wenn alle auf der Uni waren, wer kann dann noch ein Feld bestellen, ein Rind schlachten oder Straßen bauen?

Und für wen sollte der tolle IT-Spezialist seine Programme schreiben? Für sich selbst? Die finden doch eh nur Anwendung in Produkten, die eben wieder in solchen Feldern gebraucht werden, wo all die Leute arbeiten, die nicht auf der Uni waren.

Gute, solide Bildung ist freilich wichtig, aber eben nicht für die breite Masse, denn gute, solide, brauchbare Bildung besteht in der Regel aus einem großen Brocken Naturwissenschaft, also Physik, Chemie und Mathematik ( es sei jetzt dahingestellt, ob Mathe eher Natur- oder Geisteswissenschaft sei;-). Denn Fakt ist ja wohl, dass die meisten mit der niederen Mathematik klar kommen, aber bei der höheren passen müssen. Mit dieser Erkenntnis im Schädel ist dann auch klar, dass Bildung, so wie du und ich sie wohl meinen, immer nur was für wenige sein wird und damit keine Lösung ist, für den Großteil der Bevölkerung.

Die Auslagerung von Arbeitsplätzen in Schwellen- und Entwicklungsländer geschieht je nicht, weil dort die Spezialisten auf den Bäumen wachsen, sonder weil sich damit tolle Gewinne einfahren lassen. Das war s dann auch schon, das ist die ganze Wahrheit.

Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass gelernte Kräfte gar nicht so selten nur noch als Hilfsarbeiter eingestellt werden, weil man es sich mit ihnen eben erlauben kann, da nämlich tatsächlich keine Arbeit da ist bzw. sich um eine gerechte Entlohnung ums verrecken gewehrt wird.

Wie gesagt, das Problem sind nicht die H4`ler oder keine super ausgebildeten Spezialisten.

Gruß

Abonnent

Karl Eduard

28. September 2010 11:39

Die deutsche Sozialgesetzgebung war für das deutsche Volk gedacht. Inzwischen ernährt sie die halbe Welt.

Wenn Menschen den ganzen Tag arbeiten, damit ihnen der Staat einen Teil vom Arbeitslohn wegnimmt, den er denen gibt, die nicht arbeiten, dann sollten die Empfänger dieses Geldes schön die Klappe halten und nicht nach mehr rufen, denn das Geld hat der Arbeiter, Angestellte und Handwerker nicht freiwillig gegeben. Es wurde ihm abgepresst.

Alles hängt natürlich mit allem zusammen. Wenn Regierungen den Rausschmiss 50jähriger aus Unternehmen fördern, mit allerlei Übergangsgeldern, dann darf sie hinterher nicht über die Unternehmer klagen, die sich daran gewöhnt haben, die Leute mit Erreichen 50 zu entlassen.

Banken krachen zu lassen, ist natürlich für den Kleinsparer ein Segen, weil dann auch seine Gelder futsch sind. Insofern kann ich die Kritik an den Suventionen für die Banken nur unterstützen. Banken beschäftigen ja auch keine Menschen, die dann nicht abhängig sind von der Wohlfahrt und sie erwirtschaften, wie Unternehmen, auch keine Gewinne, während die Empfänger von Wohlfahrtszahlungen das tun. Es gibt gewiß jede Menge HARTZ IV - Bezieher, die inzwischen viele Arbeitsplätze geschaffen haben, außerhalb der Sozialhilfeindustrie.

Toni Roidl

28. September 2010 11:49

Der Onkel Kewil hat einen ergänzenden NZZ-Kommentar zu einem Beitrag des Merkur in seinen Blog gestellt, der hier gut zum Thema passt:
https://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/wir_infantilen_1.7717596.html

»Manches Grundwissen fehlt denen, die heute in Deutschland dem „Verhungern“ nahe sind. Wie man günstige, gesunde Mahlzeiten zubereitet, daß man nicht täglich duschen muß, daß man sich nicht saisonal neu einkleiden muß, wie man Kleider flickt, wie man Haare schneidet, daß man Wege unter 10 km unmotorisiert zurücklegt usw., usf. – zumindest dann eben nicht, wenn´s die eigene Geldbörse nicht hergibt!«

Da sagen Sie was!

Sugus

28. September 2010 11:56

"Heute früh um acht,- wir sind derzeit sechs Grad von Nachtfrösten entfernt – achtete ich beim Gang durchs Dorf aus die Schornsteine, die qualmten. Es waren genau die derer, die Öl und Kohle vom Staat kriegen."
Frau Kositza, so gut wissen Sie über alle im Dorf Bescheid? Bin zwar selbst in einem Nest aufgewachsen, aber diese hellseherischen Fähigkeiten wurden mir nicht in die Wiege gelegt.

Holger

28. September 2010 13:15

Kurze Abschweifung: In meinem Verwandtenkreis sind die Menschen in der Überzahl, die sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen können - der ganze Sinn wäre weg, man wüsste ja gar nicht, was man den lieben langen Tag machen solle. Dieselben Leute möchten aber gern alle Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit zwingen. Meine Frage: Weshalb, wenn es doch so etwas großartiges ist, zu arbeiten und Arbeitsplätze offensichtlich knapp sind? Beide Standpunkte für sich könnte ich verstehen: ENTWEDER: Arbeit ist wunderbar, sinnstiftend, ich bin froh, dass ich arbeiten darf. Meinetwegen muss das niemand tun.
ODER: Arbeit ist Mühsal, Last, Zwang, eine schreckliche Notwendigkeit. Ich könnte mir auch etwas besseres vorstellen, als frühmorgens um 6 Uhr aufzustehen. Deshalb sollten alle, die essen wollen, auch arbeiten müssen.

Woher aber die Unlogik der Vermischung von beidem?

Frau P.

28. September 2010 13:25

Nach erfolgreicher Umerziehung zum Vollzeitkonsumenten wird deutschen Arbeitern und Kleinbürgern durch den Siegeszug angloamerikanischer Wirtschaftslogik ihre Existenzgrundlage genommen: der Hände Arbeit. Es folgen Verarmung und mentale Erosion derer, die der Entwicklung zur Schnackergesellschaft nicht folgen können, dürfen oder wollen.

Und was macht die schöne, gute, wahre Rechte? Ätzt und tritt nach unten. Immerhin weiss man so was man zu erwarten hat, nämlich mal wieder einen Anlauf der nicht ohne die Verachtung des Schwachen Landsmannes auskommt.

Besonders betrüblich ist das plumpe Stilmittel der Behauptung. Dass man alles, was auf Bedarfslisten so auftaucht bloss ankreuzen muss und es dann mal eben bewilligt bekommt, das ist eine manische Idee derer die keine Ahnung von der Praxis deutscher Sozialsysteme haben, speziell von der Praxis gegenüber einheimischen Menschen, die aufgrund ihres Restanstandes still und vorsichtig auftreten, die allein kommen statt mit Übersetzer, und die somit leicht abzuwimmeln und einzuschüchtern sind. Da herrscht klare Anweisung von oben, Berichte von ehemaligen AA-Beamten gibt es genug wenn man sie denn überhaupt finden will.

Das Problem ist nicht die Höhe einer Zuwendung, das Problem ist die mentale Vernachlässigung, die offene Priorisierung anderer (nicht sinnvollerer!) Ausgaben, das Beine-breit-machen vor nichteuropäischen Ökonomiemodellen und sicherlich auch die Zugangsregelung zu den Systemen. Womit wir bei ganz anderen Leuten wären als den armen Schweinen deren Euros zu 100% in die Binnennachfrage zurück fliessen.

Aber wer weiss, in einem Land wo Rentner Rentenkürzungsparteien wählen, Arbeiter Unternehmerparteien und reiche Erben die Linke, finden zugrunde gerichtete einfache Leute vielleicht auch Gefallen an denen, die ihnen erzählen wollen dass ihrem Verlust an Alltagsfähigkeiten mit Druck und Kürzungen beizukommen sei.

Thorsten

28. September 2010 16:54

Was in der Diskussion etwas unterging bisher:

Zwischen Arbeit und Lohnarbeit sollte unterschieden werden. Wer über Lohnarbeit spricht, darf vom Wesentlichen, der gerechten Entlohnung, die im Verhältnis zu anderen Entlohnten (z.B. Manager) und zu den vom Gewinn des Betriebes Lebenden (Aktionäre, Spekulanten) stehen muß, nicht schweigen. Und hier paßt einiges nicht. Das ist das Grundübel unserer Zeit.

Eine der wichtigsten Grundlagen für Arbeit außerhalb der Lohnarbeit ist Eigentum. Eigentum verpflichtet zur Arbeit und macht diese in jedem Falle überhaupt erst möglich. Von der Erhaltung des Eigentums angefangen bis zur wirtschaftlichen Nutzung des Grund und Bodens, vom Gemüsegarten bis zum Wirtschaftsbetrieb jedweder Art. Alles möglich durch Eigentum.

Wenn Eigentum nicht für einen Großteil der Bürger realisiert werden kann - was aber anzustreben ist (Staatsdarlehen für Familien zum Hausbau/Hauserwerb / je Kind automatische Kredittilgung in Höhe X) -, muß für den Rest eine sinnvolle Arbeit gefunden werden. Über Arbeitsdienst zu reden darf deshalb kein Tabu sein.

Kapital und Wohlfahrtsstaat haben an grundlegenden Lösungen kein Interesse. Ersteres benötigt ein Heer sich um Lohnarbeit balgender Proletarier. Letzterer ein möglichst abhängiges Wahlvolk.

FFlecken

28. September 2010 17:38

Es ging doch im Kern um die Anspruchshaltung, welche hinter den penetranten Forderungen nach mehr Umverteilung steckt und nicht um ,,Einzelfallgerechtigkeit" für atypische Hartz-Fälle (Akademiker). Zudem hat man nunmal zum Glück kein Anrecht auf ,,gerechte" Arbeitsplatzzuteilung durch den Staat. Bezüglich der schlimmen materiellen Zustände in der Unterschicht, sagen persönliche Erfahrungen und die Statistiken einiges (z. B. auch von Sarrazin aufbereitet), aber weiß Gott keinen Kaufkraftverlust im Vergleich zu den bsp. ökonomisch ,,goldenen" 50er und 60er Jahren (seit der Euro-Einführung sieht das zumindest für Arbeitnehmer anders aus). Es geht hier also immer um relative Armut und nicht um absolute, denn die gibt es in Deutschland nicht. Hier kommt immer auch der Neid mit ins Spiel. Und bei einer offizielen Staatsquote von fast 50 % von anglo-amerikanischen Verhältnissen (die je nach Bundesstaat sehr heterogen sind) zu sprechen, na ja...

Richtig ist sicherlich, daß türkische/arabische Großfamilien ein anderes Drohpotenzial auf dem Amt vorzuweisen haben und man bei manch einheimischem Leistungsempfänger dagegen wohl eher fordernd agieren kann. Aber deswegen erwachsene Menschen zu ,,motivieren“ und ihnen ,,Perspektiven zu eröffnen“ ist nun wirklich etwas tantenhaft. Welcher Mensch mit Stolz, will denn von diesen ,,Kümmerern“ vertreten, oder von staatlichen Legionen an Sozialingenieuren in unnötigen Abreitsagenturen betreut werden ? Dieser permanente Opfergruppentonfall ohne Opfer von Künast bis EKD nervt und darum geht es.

Ein Wort zu den oben auch angesprochenen versnobten, dauergrinsenden Abkassierern der verstaatlichten Banken. Die Aufregung ist vollauf berechtigt und die Verschwendung eine Unverschämtheit.

Rautenklausner

28. September 2010 17:39

Manchen deutschen fehlt das grundwissen, dass man nicht taeglich duschen muss?!?

- Naechste woche folgt dann wohl wieder ein blogg, was wir - dank der 68er versteht sich - doch fuer ein ungepflegtes und -gewaschenes voelkchen geworden sind.

Les Sie & gatten ja gern, aber in der u-bahn moecht ich nicht zwischen ihnen sitzen.

derherold

28. September 2010 17:43

Peinlich.

HartzIV ist "menschenunwürdig" aber Sozialhilfe war akzeptabel ... samt deren -empfänger und -dynastien ?

Die Angestellten bei Arge&Co. sind völlig in Ordnung - die sind genauso (un)höflich und (un)fähig wie in allen anderen Berufen und Tätigkeiten auch. Weitere Vorwürfe sind albern.

Götz Werner ist ein wahrscheinlich netter aber vor allem naiver Mensch. Hätte er seine Vorschläge im ruhmreichen Arbeiter- und Bauernstaat vorgetragen, hätte man ihm bei Insistieren seinerseits wahrscheinlich nähere Kontakte zur volkseigenen Psychiatrie empfohlen. Aber einer infantilisierten Bevölkerung kann man mittlerweile praktisch alles erzählen.

Selbstverständlich kann man hohe Mindestlöhne fordern - allerdings sollte man dann auch von 6 Mio. Arbeitslosen ausgehen.

Im übrigen weiß ich nicht, worüber man sich aufregt. Daß man sich über Masseneinwanderung eine (nicht-)industrielle Reservearmee geschaffen hat, die bei einfachen Tätigkeiten eine geradezu unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften zur Verfügung stellt und so zwangsläufig als Lohndrücker wirkt, dürfte doch seit den 80igern bekannt sein.

Nur nebenbei an die Möchtegern-Ökonomen:
"10% der Bevölkerung" sind in unserem Staat sage und schreibe acht Millionen(!) Reiche .... zudem ist bei dem - etwas obskuren Beispiel - auch nur von sog. Geldvermögen (das zu etwa 1/3 aus Versicherungsansprüchen besteht) die Rede; Immobilienvermögen und Pensionsansprüche tauchen dort nicht auf.

Biobrother (lieber_aal)

28. September 2010 18:37

Eins gibt es ja schon, worum ich die Hartzer ein bissel beneide: Die Unmengen an entspannter Freizeit, was könnte man da nicht alles machen (neue Sprache lernen, Fernstudium etc.), Sachen für die sonst nur ein kleiner Feierabend bleibt, an dem man dann doch eher seine Ruhe haben möchte. Frau Kositzas offenbar an idealtypischen rechtsliberalen Vorstellungen orientierte moralische Bewertung derer, die Hartz 4 beziehen, finde ich (mittlerweile) allerdings auch zu kurz gesprungen; wirklich "lohnen" tut sich das m.E. tatsächlich nur für Großfamilien, die in der Summe dann kaum weniger oder sogar mehr haben, als jemand mit kleinerem Einkommen, der nicht alle Zuschüsse und Vergünstigen bis zum Anschlag ausreizt. Für Alleinstehende und Alleinerziehende vermutlich doch eher eine materiell trostlose Angelegenheit, von etwaigen Behördenschikanen mal ganz zu schweigen.

Allerdings stimmt die Kritik am Anspruchsdenken natürlich schon; jüngst nach der 5-Euro-Entscheidung flimmerte wieder mal eine allein erziehende Hartz4-Mutter über die Mattscheibe, mit vier verschieden pigmentierten Kindern von sichtbar verschiedenen Vätern, die offenbar auch nichts für die Kinder bezahlen (wie im Klischee), die sich dann aber bitterlich drüber beschwerte, dass sie ihren Kindern nicht genug bieten könnte und dass diese Erhöhung ein Witz sei. Die Frau wurde offenbar medial vorgeführt, um Verständnis für die Neuregelung von Hartz 4 zu wecken.

Die Aussage von Thorsten ("Kapital und Wohlfahrtsstaat haben an grundlegenden Lösungen kein Interesse. Ersteres benötigt ein Heer sich um Lohnarbeit balgender Proletarier. Letzterer ein möglichst abhängiges Wahlvolk.") finde ich interessant. So hab ich das noch nie gesehen, aber es klingt m.E. nicht ganz unlogisch. Zumal hier sicher bessere Ansätze vorstellbar sind, z.B. wie in Dänemark, wo zwar recht großzügig unterstützt wird (offenbar ein Teil des sozialdemokratischen Erbes), der Unterstützte mit diversen Angeboten, auch im Weiterbildungsbereich, dazu gedrängt wird, nicht untätig herumzusitzen. Gleichzeitig gibt es dort fast keinen Kündigungsschutz, so dass auch Alte und Geringqualifizierte recht leicht wieder was finden, auch wenn es u.U. nur zeitweise ist. Ein System, das gelegentlich auch als "Freecurity" bezeichnet wird.

Hesperiolus

28. September 2010 19:14

Der Beitrag von Thorsten bringt es auf den Punkt, im Übrigen halte ich - wohlfeil als Unbetroffener - den politischen Gehalt des H4-Themas im neurechten Diskurs für überschätzt, abwegig und wenig zielführend, Gedankenspiele dieser Art auch für frivol, die effektsichere Wellenschlägerei von den Gegenküsten des großen Ressentimenttümpels hervorrufend. Symptomatisch für das Ganze mag daran manches auszuwerten sein, als populistischer Aufreizer oder Sympathiecatcher hier doch wohl nicht am rechten Ort? Solange man denn nicht endlich auch von Volksgemeinschaft, Bevölkerungspolitik, positiver Eugenik und Unterschicht sprechen will? Zu unterscheiden wären kategorial bei den Empfängern wohl solche, die nicht leisten können, die nicht leisten dürfen, die nicht leisten wollen. Erste Gruppe (Kranke, Behinderte, bedingt Alte) existenzminimal zu fixieren, halte ich für schäbig. Zweiter Gruppe wäre dann notfalls mit gerecht entlohntem Arbeitsdienst gesellschaftlich nützlich abzuhelfen. Dritte Gruppe besteht aus labilen Existenzen im Randbereich zur ersten, weltanschaulichen Systemverweigerern (persönlich sehe ich lieber Steuern an den versoffenen Lyriker als Steuern vom smarten Werbetexter) und - die eigentlichen Aufreger - Sozialbetrüger, denen freilich Beine zu machen wäre. Sozialimmigranten wären wieder weiteres Problemfeld. Abzukürzen: Kein Mensch mit Selbstachtung erwägt (wohlgemerkt ernsthaft) solche Gedankenspiele. Und: Ersetzt den Markt als zivilisatorischen Wertgenerator durch Volk als Kulturträger. Kündet und lebt Volksgemeinschaft!

Seelsorger

28. September 2010 19:31

Sachverhalt:

Regelbedarfsrelevante Verbraucherausgaben sind etwa etwa Strom (lfd. Nr. 19) 16,80 Euro. Kühlschrank, Waschmaschine und dgl. sind explizit nicht vorgesehen, sie werden somit nicht gelistet (was einer Null-Berechnung gleichkommt); Praxisgebühren (lfd. Nr. 42) werden mit 2,64 Euro berechnet, pharmazeutische Erzeugnisse mit jeweils 3,47, 5,07, 0,67 und 1,44 Euro (lfd. Nr. 37-40) festgelegt, therapeutische Mittel/Geräte mit 2,26 verbucht. Überdies (nicht aufgeführt): Eine Krankenfahrt stellt ein Einkommen dar, ausbezahlte Beträge der Krankenkassen müssen unverzüglich rückerstattet werden; Fahrräder stellen wieder ein Null-Position dar, fremde Verkehrsleistungen sind mit zusammen 20,41 Euro ((lfd. Nr. 46/47) bemessen, von Autos, Satellitenantennen und dgl. ist nichts zu lesen. Und bedenken Sie: Ihre Kontobewegung wird in allen Positionen durchgesehen, eine Autoversicherung?, Urlaubsflug? - sie sind gläsern (immerhin über 8 Millionen, die dieses substantielle Grundrecht nicht mehr kennen).

Kinder: Eine Position für Kinderwagen und dgl. ist nicht vorgesehen, Kindermöbel werden mit 5,02 Euro bemessen (lfd. Nr. 22) - was im Vergleich zu den 39,17 Euro bei den Referenzhaushalten schon erklärungsbedürftig sich darstellt; Medizin und Therapeutisches mit gesamt 6,09 angegeben. Bücher mit 2,16 Euro, alle "Kultur"(!)-Positionen zus. 35,95 Euro. Nahrung 74,93 Euro, das sind nicht mal 20 Euro die Woche, Mahlzeit! Und nochmals Vorsicht! Nehmen sie z. B. ein Darlehen an, um ein Fahrrädchen oder einen Fahrradsitz zu kaufen, kann ich Ihnen jetzt schon sagen, daß das nicht gewährt wird (Stichwort Einkommen), sie machen sich strafbar und verlieren ggf. bei der rückwirkenden Neuberechnung sogar die Krankenversicherung für diesen Monat. Noch ein Witz: Das Kindergeld wird nach wie vor um 20 Euro gekürzt!

Die so hoch angepriesenen 20 Euro plus im Monat für allerlei Bildung und Schulverpflegung und dgl. ist trügerisch zu bewerten - denn sie müßten erst einmal zusätzlich beantragt werden (bewußte "Hürde", s.u.), "ob die Eltern die Hilfen überhaupt in Anspruch nehmen, ist also fraglich. Die Gefahr, dass Kinder aus bildungsfernen Familien wieder zu kurz kommen, ist groß", war eine der ersten Reaktionen der caritativen Verbände.

Darüber hinaus gibt es nur einen Zuschuß für Heizung jährlich (etwas über die Hälfte der zu zahlenden Summe) (diese Beträge werden zum größten Teil, siehe unten, erst einmal abgewiesen, zum Beispiel mit dem Hinweis, man müsse ersichtlich darstellen, woran man gespart habe [Beweispflicht]). Versicherungen (Haftpflicht) oder dgl. müssen selbst beglichen werden. Auch: Sämtliches Vermögen muß bis auf einen geringen Freibetrag aufgebraucht werden, sparten sie z.B. für eine Zahnsanierung oder hatten eine Lebensversicherung abgeschlossen usf., wird ihnen das berechnet bei Antragsstellung. Kurzgefaßt: Zahnsanierung oder Altersvorsorge gibt es nicht. Mit den Beiträgen zur gesetzl. Rentenversicherung kommen sie als Rentner nie über SGB XII hinaus.

Interna:

Die Berechnung der Referenzhaushalte beinhaltet nach §3 1ff. auch sogenannte "Aufstocker", also Empfänger von SGB II und XII, sowie überwiegend Rentner (vor allem Witwen etc.), die wiederum SGB XII beziehen. Diese Neueinberechnung ist dementsprechend im höchsten Maße selbstreferenziell (zudem bei der Neuberechnung der Regelsätze nur die untersten 15 Prozent der Einkommensbezieher als Vergleichsgröße herangezogen wurden - obwohl nach bisheriger Praxis des Bundesstatistikamtes die ärmsten 20 Prozent üblich sind.) und somit auf dem Rechtswege einklagbar.

§6 1.1 der Neuberechnung: Nahrung ges. für Kinder 78,67 Euro im Monat, 1.10 für 0,98 Euro Bildung, Gaststätte/Beherbergung 1.11 mit 1,44 Euro. Einzelpositionen sieh oben. Da der Kinderbetrag niedriger ausfällt als bisher, werden die neu angekündigt Anpassung an die jährliche Teuerung ausfallen. Es wird schwer sein, dies dem Bundesverfassungsgericht plausibel zu vermitteln.

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor geraumer Zeit entschieden, daß das Splitting (u.a. Finanzierungsmodell) zwischen Bundesebene und kommunaler Stadtverwaltung unzulässig sei, geändert wurde bis heute nichts - zudem ist die Rechtsform der ARGE eine GmbH, also eine Grauzone an sich.

Laut Statistik des Referates der Stadt wurden die Hälfte der Anträge in den letzten Jahren falsch bearbeitet, die Zeitverzögerung der Bearbeitung führt häufig zu verwaltungsrechtlichen Klagen, denn umgekehrt, wegen Versäumnis von Einhaltung von Fristen (nur sog. "Komapatienten" wird vor Gericht Recht gegeben), gehen unzählige Klagen ein, die dann wegen sogenannter Formfehler eingestellt werden müssen, Leidtragender ist hier immer der Bezieher. Zahlungsaufforderungen an die Bezieher werden innerhalb von Tagen an die zentrale Zahlstelle verwiesen, der Briefverkehr der Rechnung aber Wochen später bearbeitet, was bei dieser Differenz - verschiedene Häuser und Angestellte - oft innerhalb kürzester Zeit zur Pfändungsklage führt.

Nebenbei: In den ARGEs arbeiten in der "Kundenbetreuung" meist Berufsanfänger, oft mit Jahreszeitverträgen. Die Couching-Agenturen wiederum bestehen häufig aus ehemals arbeitslosen Beratern, die nicht nach den Vorgaben (geschweige den Gehältern, sie sind als "Freiberufler" angestellt) des Deutschen-Couching-Verbandes arbeiten, bzw. Mitglied sind. Die Arbeits Vermittlungen innerhalb der ARGE sind im Durchschnitt bei 10%. Arbeitsvermittlung bei privaten Agenturen außerhalb besitzen eine etwas höhere Quote. Beiden genannten Agenturen wird unter Tarif gezahlt. Von qualifizierten und zertifizierten Unternehmen kann nur bedingt gesprochen werden.

Die Verwaltungssprache - eigentlich ein Thema für Herrn Paulwitz! - ist diskriminierend und nicht barrierefrei. Unabhängig vom Tonfall und der Perspektive, die Berechnungen und Grundlagen sind weder den Bediensteten noch den Rechtsabteilungen der ARGEs verständlich und den Sozialrichtern oft nicht mehr vermittelbar; mittlerweile ist die Prozeßflut auf einem hohen sechsstelligen Wert angelangt.

Ausblick:

Wer arbeiten will, bekommt auch eine Arbeit: "Den Beweis liefern viele tausend Menschen, die kein Hartz IV beziehen, sondern als Putzfrau, Wachmann, Frisör oder Verkäuferin arbeiten."

Erstens eine befürwortete Spirale nach unten was Bezahlung und Kündigungsfristen anbelangt - und was ist mit den siebenstelligen ALG-II-Beziehern, die knapp dieses Niveau nicht erreichen? Ein Ausspielen der untersten Gruppen (und bei weitem keine Randgruppe) gegeneinander.

Fazit - Der Arbeitsmarkt wurde durch sämtliche ABM Maßnahmen, Förderungen und Kurzarbeitszuzahlungen und vieles mehr völlig aus dem Ruder gebracht. Und der Steuermann? Mit dieser erneuten Entscheidung der Politiker geht alles munter weiter. Rente mit 67 ist so ein weiteres Schlagwort. Frage: Wer erreicht noch das Renteneintrittsalter? Schon mal nachgeschaut? Fakt ist, daß immer mehr Menschen zwischen 45 und 67 die Arbeit verlieren und keine mehr bekommen. Summa: Rentenkürzung auf anderem Wege.

Wer bezieht eigentlich SGB II und XII? Das Gros: Alleinerziehende, Rentner, Kinder und Kranke. Erst dann kommen statistisch gesehen die Migranten, die "Ewigbezieher" und die Jugendlichen. Letztere stellen allerdings die immer größere Misere dar (sozusagen der Schuß nach hinten).

Ich denke folgendes:
- Arbeitslose müssen wieder als solche angesehen werden und ggf. auf Arbeitsämtern verwiesen, die ARGEs als so ein und alles wieder abgeschafft werden. Bei Arbeitslosen muß wieder unterscheiden werden, ob jemand Jahrzehnte gearbeitet hat oder noch nicht einmal eine Schulausbildung absolviert hat, das ist gesellschafftlich höchst relevant; ebenso müssen Migranten da rausgenommen werden, das hat nichts mit Rassismus zu tun. Es kann nicht einfach alles in einen Topf geworfen und gleichbehandelt werden.
- Sämtliche Förderungen sind zu überdenken. Es nutzt dem Arbeitsmarkt überhaupt nichts, nur mit Spritzen an allen Enden fit gehalten zu werden.
- Leichtere Kreditvergabe der Banken für Selbständige.
Handwerks- und Industriekammern sollten ihre Funktion als Berufsverbände wieder wahrnehmen, man muß sie in die Verpflichtung bringen. Was passiert mit den Einnahmen der Kammern?!
- Die Lehrpläne der Schulen muß praxisbezogener werden. Es muß auch möglich werden, als Berufsquereinsteiger angenommen zu werden. Wo ist denn in den öffentlich Rechtlichen so etwas wie das Studium am Fernseher (in England seit langem ein Erfolgsmodell).
- Die Förderalismusreform muß rückgängig gemacht werden, in einem Kommentar las ich passend: "Warum sollen erhebliche Bundesmittel in die Bildung fließen? Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern! Die Ausstattung von Schulen mit Leihbüchereien, ihre 'Öffnungszeiten' auch für außerschulische Angebote ist Sache der Gemeinden. Aber die geben ihr Geld ja lieber für neue Kreisel und Schilder 'wir messen für Ihre Sicherheit' aus.
- Man verspricht ja von Jahr zu Jahr die überwuchernden Paragraphen einzudämmen, das Gegenteil geschieht tagtäglich, eine Verästelung der Verästelung von Gesetzen und Verordnungen. Mit welchem "Heftchen" wir das Wirtschaftswunder angepackt haben, heute unvorstellbar (unser Bäcker vorn mußte wegen Immissionsschutz aufhören, da zu große Investitionen, der weiter weg wegen einer Wasserleitungshöhe, die geändert werden müsse). Randnotiz: Wieviele Änderungen hat unser Grundgesetz so hinnehmen müssen? Für alle die, die so auf das unabänderbare GG hinweisen, wenn es Ihnen nicht in den Kram paßt.

Es wird in nächster Zeit immer mehr Arbeitslose geben, kein Land der Welt hat soviel automatisiert wie wir; wer arbeitet noch für sich im wörtlichen Sinne?! Wir sind fast alle zu Dienstleistern geworden, und gehen einer Arbeit nach, die immer einseitiger, ausstauschbarer und sinnentfremdender wird. Da Werte und Tugenden hineinzubringen geht nur über direkte Wirkungen, die jemand erzielen könnte. Statistisch gesehen sind wir das unzufriedenste Land, was unsere Arbeit anbelangt. Ein Lehrer, der sich vom Lehrplan im Stich gelassen fühlt, wird nie richtig unterrichten können. Also, wie geht man in strukturschwachen Gebieten vor, wie in denen, wo es nur noch Dienstleister und Beamten gibt (in letzerer wohne ich, da bekommen sie z.B. keine deutsche "Putzkraft", nach jahrlangem Suchen sind zwei Russinnen geblieben, hier herrscht Klassenbewußtsein und Angst vorm Abstieg und dem Outen; Handwerker und Arbeiter werden immer von Ostdeutschland angekarrt, da prallen Welten aufeinander, sie vermischen sich aber nicht)?

Ich meine, es geht nicht um das Beschuldigen von Migranten und Schmarotzern (die man da drüben mit eigenen Augen gesehen habe will), es geht um uns, unsere Werte und unsere Einigkeit und Stärke. Doch die, die scheint mir, ist den Bach runter, kein Wunder also, wenn das Wasser nachläuft und unsere Leere füllt.

***

Die Sezession bedeutet für mich einen wichtigen Mehrwert an Information und Diskussion, dieser Artikel fällt aber aus dem Rahmen, er bietet mir nur Klischees und Vorurteile, es fehlt mir die auf Recherchen beruhende Darstellung und Ausbreitung eines Themas, welche mir Lösungsansätze vermittelt und Denkrichtungen weist. Schade, ich schätze Frau Kositza sehr!

Frank

28. September 2010 22:41

Alg II runter - Sonderausgaben nur als Darlehen - Dafür aber auch Arbeitsangebote vom Staat.

Außerdem eine Zulage, errechnet aus den, bis zum Vorjahr erarbeiteten Rentenpunkten.

derherold

28. September 2010 22:42

@Seelsorger, ich habe es immer als unhöfich empfunden, in einem fremden Blogs 2m lange Essays einzustellen - das ist ein bißchen wie "Haus- oder Blogfriedensbruch". ;-)

Ihre verzerrende, affektheischende Betrachtungsweise gewinnt nicht unbedingt an Glaubwürdigkeit.

Daß für Fahrräder - oder gar Fahrradsitze (!) - Darlehen aufgenommen werden, ist wohl ein ein Kuriosum - ebenso wie die Behauptung in den Arges würden Berufsanfänger(!), also 20-jährige, nicht nur eingestellt, sondern bildeten die Mehrheit.

Sie und ich und sicherlich die "caritativen Verbände" wissen, daß es niemals an den Finanzen fehlt(e), wenn den Betreuten "Kultur+Bildung" nicht nahebracht werden konnten.

Der "gläserne Bürger" findet idR nicht statt; Linkspartei+Andere beteten inständig, man möge doch bitte, bitte viele finden, die ihr "Vermögen aufzehren" bzw. ihre ETW, ihr Haus zwangsversteigern müßten ... doch war bisher kaum jemand so doof, seine "35.000 Euro" auf dem Konto stehen zu lassen vor Antragstellung und auf dem Immobilienmarkt sind die Angebote von HartzIV-Empfängern mit dem Immobiliennotverkauf praktisch nicht aufzufinden.

"Barrierefreie Amtssprache" (wie immer die aussehen soll), Leihbüchereien für Schulen, Forderung nach angeblich fehlendem Studium im Fernsehen (da scheinen Sie nun gar keine Ahnung zu haben), "in nächster Zeit immer mehr Arbeitslose" oder "Lehrer, die sich vom Lehrplan im Stich gelassen fühlen" ...
... erzeugen bestimmt viel Beifall von Geneigten, zeugen allerdings auch von einer gewissen Unreife und Hang zur Schaumschlägerei.

M.

29. September 2010 09:16

derherold schrieb:

Selbstverständlich kann man hohe Mindestlöhne fordern – allerdings sollte man dann auch von 6 Mio. Arbeitslosen ausgehen.

Abgesehen davon, dass wir in Deutschland in Wirklichkeit etwa sieben Millionen Erwerbslose haben (Sie schenken den massiv gefälschten offiziellen Statistiken hoffentlich keinen Glauben), in anderen Ländern klappt es doch auch mit dem Mindestlohn. Ein Volkswirtschaftler wird Ihnen sagen, dass sich höhere Löhne durchaus positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken können. Wenn die Leute mehr Geld in der Tasche haben, geben Sie mehr aus und kurbeln somit die Wirtschaft an, was zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen führen kann.

Anna

29. September 2010 12:58

@ FFlecken

Es ging doch im Kern um die Anspruchshaltung, welche hinter den penetranten Forderungen nach mehr Umverteilung steckt und nicht um ,,Einzelfallgerechtigkeit“ für atypische Hartz-Fälle (Akademiker).

Dazu folgendes: - Wir haben über 1 Jahr lang H4 für 3 Personen bekommen, das für 4 reichen mußte. Es ging. Man kann sich tatsächlich gut und gesund damit ernähren. (kleiden nicht...). Mich nervt das Gejammer, daß das Geld nicht reicht, auch!! Aber genau darum ging es eben wohl nicht.
- Wie ich versucht habe, zu erklären sind Akademiker mE eben keine atypischen h4-fälle. In meiner Generation zumindest nicht. Ich kenne x Leute mit HS-Abschluß und h4. Und einige ältere Ossis (Ingenieure). Wie gesagt, sie tauchen eben nicht mehr als Akademiker in der Statistik auf.

@ M.

Ein Volkswirtschaftler wird Ihnen sagen, dass sich höhere Löhne durchaus positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken können.

Ein Volkswirt (sic!) wird Ihnen sagen, daß es klar ist, daß bei einer generellen Lohnerhöhung immer die Arbeitslosigkeit steigt. Umstritten ist die Höhe. Ich persönlich habe von Professoren nie etwas anderes gehört (nur von Gewerkschaftsfunktionären).

Ich persönlich würde das Recht auf Arbeit in die Verfassung verankern und dann H 4 abschaffen. Würde dann auch die Regierung zum Handeln zwingen.

Das Spiel "wer arbeiten will, findet auch etwas", gibt es doch so schon lange nicht mehr. Im Einzelhandel wird auf Abruf gearbeitet, Schichtarbeit (für Kinderlose alles kein Problem, aber es gibt ja leider immer noch diese unflexiblen, unmobilen... ;-)), auf 400 € Basis. Problematisch ist tatsächlich die fehlende Durchlässigkeit auf dem Arbeitsmarkt ("Überqualifiziert") Wie gesagt, wenn Sie dann H4 aufstocken müssen, sind sie gezwungen, sich wegzubewerben. Deutschlandweit.

derherold

29. September 2010 13:14

"Ein Volkswirtschaftler wird Ihnen sagen, dass sich höhere Löhne durchaus positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken können."

Hui, jetzt kommen die Experten.

Ich bin Volkswirtschaftler und als solcher sage ich, daß höhere Einkommen in weniger qualifizierten Tätigkeiten zu Rationalisierungen (oder Abdrängen in die Schwarzarbeit) führen werden.

Das "Beschäftigungswunder", von dem Flaßbeck&Co. reden, müßte wie in Großbritannien und den USA mit Staatsverschuldung erkauft werden. Es gibt dann drei Lösungsvorschläge:
- Sahra Luxemburg: direkte Enteignung
- Bofinger: Enteigung via Inflation
- Flaßbeck: Enteigung über steuerliche Abschöpfung

der Besitzer von Staatstiteln.

Die Münchhausen-Variante, sich durch staatl. Nachfrage aus dem Sumpf zu ziehen, halte ich bei einer alternden Bevölkerung ... genauer gesagt. bei einer alternden produktiven Bevölkerung ... für "gewagt". q.e.d.

FFlecken

29. September 2010 13:51

Zu M.

Die Zahl von sieben Millionen ist eine grobe und kaum zu belegende Schätzung durch Interessenverbände. Sicherlich wird bei den Zahlen getrickst, aber sieben Millionen sind vollkommen übertrieben.

Es klappt mit dem Mindestlohn ? Ja, zum Beispiel in Frankreich mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 20 % um nur ein Beispiel zu nennen. Erstens gibt es branchenspezifische Mindestlöhne bereits. Zweitens fallen die sehr niedrigen Stundenlöhne von 5 bis 6 Euro statistisch nicht ins Gewicht. Im Rhein-Main Gebiet muß man Tätigkeiten zu solchen einem Lohn z.B mit der Lupe suchen. Drittens ist ein Mindestlohn kein Problem, wenn er nicht zu hoch ist. Gegen eine Untergrenze bei ca. 6,50 bis 7 € ist sicherlich nicht sonderlich viel einzuwenden. Aktuelle Forderungen von 8,50 € und mehr laufen auf eine Arbeitsverbot für einfache Tätigkeiten hinaus.

Ja, sie kurbeln die Wirtschaft an, zumindest wenn es diese Arbeitsplätze dann noch legal gibt... Wie gesagt die Höhe eines Mindestlohns ist entscheidend, psychologisch wäre eine Untergrenze vielleicht sogar sinnvoll. Außerdem sind die Lebenshaltungskosten regional unterschiedlich. Darum ist es doch in Mitteldeutschland oft besondern bequem mit dem Hartz IV- Satz zu leben, während Niderigverdiener dort die niedrigen Lebenshaltungskosten mit dementsprechend weniger Lohn zu bezahlen haben.

bernardo

29. September 2010 15:23

Etwas ganz anderes:

"Inklusive eines gewissen Mehraufwands (bspw. durch ein stark sehbehindertes Kind im Haushalt) und abzüglich des Kindergeldes bekämen wir 1743.95 € vom Amt."

Bekämen Kositza, Kubitschek und sechs Kinder nicht

2 x 356 € und 6 x 250-280 €, also etwa 2400.- € vom Amt, ohne Sachleistungen einzurechnen?

enickmar

29. September 2010 16:41

Fünf Euro mehr im Monat: Kann ein Hartz-IV-Empfänger denn davon überhaupt leben?

Ja.

Den Beweis liefern viele tausend Menschen, die kein Hartz IV beziehen, sondern als Putzfrau, Wachmann, Frisör oder Verkäuferin arbeiten.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,719803,00.html

5 Jahre Arbeit als Wachmann mit 700-800 € / Monat für zwei Personen (ohne Miete, da Eigenheim)

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,677277,00.html

Ronnie

29. September 2010 19:49

Bestimmte Schichten der Gesellschaft hintergründig als Schmarotzer hinstellen, aber dann keinen Bock eine konsequent antikapitalistische Position zu vertreten. Das ist schließlich zu kompliziert. Liebe Fr. Kositza, sie sollten sich fragen, wer diese Zustände geschafften hat. Attackieren sie lieber die besitzende Schicht in diesem Lande, ich spreche hier nicht von Kleinunternehmern usw., sondern den Herrschenden, die einen Promilleteil unseres Volkes ausmachen, aber deren liberalistischer Extremismus seit Jahren die öffentliche Debatte anführt. Aber der deutsche Konservative ist mal wieder zu feige, diese Bande zu attackieren!

Mit nationalrevolutionären Grüßen

fahnentraeger.com

Seelsorger

29. September 2010 21:42

@ derherold

Entschuldigung, daß ich so unhöflich war. Ich wollte nur ein paar Fakten (die veröffentlichten Sätze) einstellen, die dann der Erklärung bedurften, auch des Ausblicks.

Verzerrend, affektheischend?
Das Kuriosum beziehe ich aus den eingereichten Klagen des Sozialgerichts und dessen Beschlüsse vor Ort, sowie involvierten SozialRAs (Kinderfahrräder sind so ein Dauerbrenner). Laut Auskunft der hiesigen Diakonie-Stelle sind in den einzelnen ARGEs die zuständigen Personen, die mit den Kunden Kontakt haben, überwiegend (ständig wechselnde) Berufsanfänger - und zu deren Leidwesen sind diese kaum erreichbar, auch würden bei Anfragen oft keine Fragen beantwortet, was natürlich nicht den Angestellten anzulasten ist, sie scheinen unzureichend ausgebildet. "35.000 Euro auf dem Konto stehen zu lassen vor Antragstellung", nein, aber 4000 Euro u.ä. Fälle ja.

Für Behörden der Bundesverwaltung gibt es verbindliche Anforderungskataloge, die eine barrierefreie und einfache "bürgerfreundliche" Amtssprache einfordern. Wenn aber nun nicht einmal innerhalb des Amtes über die Diakonie bis hin zu den Richtern vor Ort das nicht mehr entschlüsselt werden kann, ist das - ja, nun was?

Zu meinen "Forderungen": Ich habe lediglich auf das seit Jahren erfolgreiche Modell in England hingewiesen (es sollte stellvertretend für andere ähnliche stehen), so etwas gibt es hier nicht. Wenn ich damit falsch liegen sollte, bitte.

Ich führte die Lehrer an, weil ich hierzu viele betroffene Fälle kenne, es hätten auch andere sein können. Was daran unreif oder gar Schaumschlägerei ist, nun, wie es beliebt. Es soll mitunter Kurven geben, die besagen, die Zahl der Arbeitlosen steige nicht, und es soll welche geben, die das bestreiten. Je nach Couleur.

P.S. Ich hatte beruflich einige Zeit damit (Fortbildung für SGB-Bezieher - und hier fehlt das Geld, das wurde 2009 gekürzt!) zu tun; natürlich kann ich nur aus diesem begrenzten Blickwinkel heraus schildern. Mit den Daten (Erhebungen zu einzelnen Berechnungen) und Fällen wollte ich eigentlich das Absurde der Handhabung unterschwellig deutlich machen. Sei's drum.

FFlecken

29. September 2010 23:52

Zu Anna

- Doch um diese Anspruchshaltung geht es schon. Was in den letzten Tagen an absurder öffentlicher Rhetorik unterwegs war, musste schon einmal ins Verhältniss gesetzt werden. Einzelne Fälle lassen sich nicht aus der Ferne und ohne Kenntniss beurteilen. Ich glaube IHnen ihre Schilderungen durchaus, aber an denen ist nichts menschenunwürdig (was Sie auch nie behauptet haben). Wahrscheinlich sind sie ohne unnötige Förderungen der Weiterbildungsindustrie aus der Situation herausgekommen. Und sie dürften sich von diversen berechtigten Attacken auch kaum angesprochen fühlen. Wenn sich aber z.B. Fälle von Kindern häufen, deren Eltern die Nahrungsmittelzufuhr nicht gebacken bekommen, ist vieles angesagt, aber bestimmt kein Verständniss und staatliche Pamperprogramme. Und wenn sich dann noch Einwanderer aus der Türkei und dem arabischen Raum in Masse an deutschen Steuergeldern bedienen, hört der Spaß nun wirklich auf. Aber ddas dürfte hier allgemeiner Konsens sein.
- Statistisch überwiegen nun einmal Niedrigqualifizierte deutlich, daß kann ich nicht ändern. Das andere Gruppen auch in die Tausende gehen, ändert nichts an der Gesamtbeurteilung. Im Durchschnitt gilt immer noch, je höher die Qualifikation, um so unwahrscheinlicher dauerhafte Arbeitslosigkeit.

Zu derherold

Volle Zustimmung

waldemar

30. September 2010 06:28

"Liebe Fr. Kositza, sie sollten sich fragen, wer diese Zustände geschafften hat."

Es ist immer einfacher, auf andere zu zeigen, als selbst tätig zu werden.
Das ist auch ein Teil von der Misere: Man benennt wirkliche oder vermeintliche Schuldige an der persönlichen Lage und meint dann, damit wäre es getan. Diese Haltung gilt es in erster Linie zu kritisieren.

Johannes Bieberstein

30. September 2010 11:12

In Sozialreportagen fand ich diese denkwürdige Sätze eines 40-jährigen türkischen Vaters zweier Kinder aus Köln und eines mit "Stoff" handelnden jungen Libanesen aus Berlin:

"Für mich ist arbeiten nix gutt, ich lieber Hartz holen".

"Ich verdiene über 1000 Euro (mit Rauschgift, unversteuert versteht sich).Und die Deutschen sind so dumm, mir dazu noch Hartz zu geben"

Man braucht viel Idealismus, um sich von solcher Einstellung nicht anstecken zu lassen.

Über solche Schlawiner, die sich völlig rational verhalten, sollte man sich nicht ungebührlich empören. Wundern kann nur über die Deutschen, die ein System betreiben, in dem nur die "Dummen" arbeiten, welches allerdings irgendwann wie die DDR kollabieren wird.

derherold

30. September 2010 15:59

@Seelsorger,
nun, die Diakonie-Stelle wird wohl gemeint haben, daß bei den Arge die "Angelernten" in starkem Maße als Sachbearbeiter auftreten - die sind "neu in ihrem Beruf" ... aber eine Stichprobe vor Ort Ihrerseits würde doch für Erkenntnis sorgen.

Kinderfahrräder - sind mE ebenso synonym wie die vielzitierten "Flachbildschirme" oder in den 80igern die "teuren (Sport-)Klamotten": Die begrenzte "Alltagstauglichkeit" verschiedener Familien der Unterschicht führt dazu, daß einerseits horrende Beträge für "Nippes" ausgegeben werden und andererseits das Notwendige+Sinnvolle unterbleibt. Dieses Phänomen dürfte ganzen Generationen von Sozialarbeitern (u.a.) Magengeschwüre verursacht haben aber ich weiß nicht, wie man das Problem lösen kann ... zumal es eben kein institutionelles ist.

" „35.000 Euro auf dem Konto stehen zu lassen vor Antragstellung“, nein, aber 4000 Euro u.ä. Fälle ja."
Doofheit muß bestraft werden ! "Man" wird nicht von heute auf morgen mit HartzIV konfrontiert.

Ich vermute, sie meinen das erfolgreiche britische Modell, daß Vickie Pollard und die Chavs hervorgerufen hat.

Die deutschen (TV-)Kollegsendungen sind legendär. Daß alternative Lehrmethoden, insbesondere die "Open University", in GB besondere Vorteile haben, kann ich nicht erkennen: Man sollte nicht vergessen, daß die britischen "Bildungserfolge" z-u-f-ä-l-l-i-g von einer (beinahe) totalen Deindustrialisierung des Landes und einer gepflegten Staatsverschuldung begleitet werden.

Die Ironie bei dem "Modell in England" ist, daß auch dort in den Medien eine Zunahme der (Massen-)Einwanderung gefordert wird, weil die britische Bevölkerung nicht gut/intelligent/fähig genug sei, um den Anforderungen der heimischen Wirtschaft zu genügen. :-))

Zum Thema Zauberlehrling .... äh ... "Lehrer":
Herr, die Not ist groß. Die ich rief die Geister, werd´ ich nun nicht mehr los.

Vulture

30. September 2010 20:00

Abonnent, du hast ne ziemlich abstrakte und praxisfremde Vorstellung von Bildung, wenn ich das so sagen darf. Ich hab in der ganzen verfickten Industrie die meine Brötchen bezahlt noch keinen Menschen getroffen der höhere Mathematik zur sofortigen Anwendung parat hat und beherrscht. Trotzdem verdienen alle ein Heidengeld. Leute die keine tipfehlerfreie email schreiben koennen, sind Geschaeftsfuehrer äusserst erfolgreicher, flexibler kleiner Firmchen. Weil sie eben andere Dinge koennen, und das zackzack! In den Konzernen treibt sich ein (Allgemein-)Bildungsnotstand bis in höhere Führungsetagen herum, das graust den Menschen und das Tier - aber auch diese Leute haben Fertigkeiten entwickelt, Nischen besetzt, bestimmte Erfahrungen mitgebracht. Zusammenfassung: Wer will findet einen Weg, wer nicht will findet einen Grund.

Seelsorger

4. Oktober 2010 11:17

@derherold

Telekolleg war damals einsame Spitze, der Erfolg war leider bescheiden; das multimediale Nachfolgemodell kein Renner. Auf Carta.info gab es hinsichtlich der Öffentlich Rechtlichen und Telekolleg und Bildungskanäle einiges an Diskussion.

Darüber hinaus gebe ich Ihnen mit England ansonsten natürlich recht und
hinsichtlich der Lehrer bekommen Sie auch ein Augenzwinkern retour ;-)

Aber vermeintlich nicht so Gescheite gibt es nun mal zu hauf, vor allem Alte und schnell überforderte Ängstliche, viel mehr als man gemeinhin so denkt - und es gibt tatsächlich die beflissentlich Überkorrekten, auch das. Nur kurz noch zu den jungen Bearbeiterinnen: Im Parteiverkehr sitzen die jungen, hinter den Kulissen, klar, da sitzen andere.

Janina

20. Oktober 2010 08:29

Ich bin Studentin und muss sogar noch mit weniger auskommen, als den Regelsätzen, da ich gerade einmal die Hälfte des Kindergeldes von meinen Eltern bekomme und ebenso kein Bafög erhalte. Somit muss ich monatlich mit etwa 550 Euro auskommen. Das ist erheblich weniger, als Hartz 4 Empfänger insgesamt bekommen.

labileExistenz

25. Oktober 2010 18:14

Ah, ich hab gerade so überlegt, mich hier mal zu beteiligen, aber sparen wir uns das. Immerhin bin ich unaufhaltsam voreingenommen, als labile Existenz eines infantilen, "versoffenen" (ups, und noch ein Klischee) Lyrikers, der ja nur Gründe sucht, nicht zu arbeiten, weil er grundsätzlich keine Lust hat ----

kleines Lied zum Thema; https://www.youtube.com/watch?v=TEVFdYRW_nQ&feature=related

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