Mann sein lernen

pdf der Druckfassung aus Sezession 36 / Juni 2010

»Was macht einen Mann aus? Ist es heute politisch korrekt, ein Mann zu sein?« fragt der gelassen vor dem Rednerpult stehende Selbsthilfeguru mit dem dem Dreitagebart und der angenehm sonoren Stimme. Als er die Frage hinzufügt, ob es heute »politisch korrekt sei, ein Deutscher zu sein«, geht ein zustimmendes Rauschen durch die Zuhörermenge. Ein durchaus komplementäres Problem, denn die Mission Orlando Owens ist es, geknickte Rückgrate wieder aufzurichten: »In der heutigen Gesellschaft sind die Männer zutiefst verunsichert. Und die Frauen sagen erschreckende Dinge wie: Es gibt keine richtigen Männer mehr! Ich sage: Laßt uns die richtigen Männer zurückbringen, laßt uns zeigen, daß wir richtige Männer sind. Ich nenne das die Wiedereroberung der authentischen männlichen Kraft.«

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.


Die­se Sät­ze fie­len 2007 in Mün­chen auf der »größ­ten Ver­füh­rungs­kon­fe­renz Euro­pas«. Sie war die in Deutsch­land bis­her auf­wen­digs­ten Mani­fes­ta­ti­on eines Trends, der Mit­te der Neun­zi­ger Jah­re in den USA ent­stand und seit Erschei­nen der deut­schen Über­set­zung des auto­bio­gra­phi­schen Kult­ro­mans The Game (dt. Die per­fek­te Masche, 2006) von Neil Strauss auch hier­zu­lan­de lau­fend Anhän­ger fin­det. Die »Seduc­tion-« oder »Pick­up-Artist-Com­mu­ni­ties« sind lose, vor­züg­lich über das Inter­net orga­ni­sier­te qua­si-män­ner­bün­di­sche Grup­pen, deren Ziel es ist, mit­hil­fe sozi­al­psy­cho­lo­gi­scher Tak­ti­ken ihren Erfolg bei Frau­en zu stei­gern. In die­sen »com­mu­ni­ties« fin­den sich pro­mis­ke Par­ty­lö­wen eben­so wie sozi­al­ge­hemm­te ver­spä­te­te Jung­frau­en, 15jährige Schul­jun­gen eben­so wie 50jährige geschie­de­ne Fami­li­en­vä­ter. Die Sze­ne hat inzwi­schen einen Berg an Lite­ra­tur und eine Heer­schar an Gurus her­vor­ge­bracht, die im Ablauf unter­schied­li­che, im Prin­zip sehr ähn­li­che Sys­te­me der »Ver­füh­rung« anbieten.
Was als Selbst­hil­fe-Sub­kul­tur begon­nen hat, ist eben­so zum Rie­sen­ge­schäft wie zu einer Art alter­na­ti­ven Män­ner­be­we­gung ange­wach­sen: Ihre anti­fe­mi­nis­ti­sche und anti-gen­de­ris­ti­sche Stoß­rich­tung ist zum Teil expli­zit aus­for­mu­liert und wird in den USA mitt­ler­wei­le auch in der kon­ser­va­ti­ven und »män­ner­recht­le­ri­schen« Blogo­sphä­re als wider­stän­di­ge Gras­wur­zel­re­vo­lu­ti­on gefei­ert. Grund­la­ge ist die Beto­nung sozio­bio­lo­gi­scher Unter­schie­de zwi­schen Män­nern und Frau­en, die weit über Schmö­ker à la Allan und Bar­ba­ra Pease hin­aus­geht. Zu den kano­ni­sier­ten popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Titeln zäh­len etwa Robin Bak­ers Krieg der Sper­mi­en, Matt Rid­leys The Red Queen oder Geoffrey Mil­lers The Mating Mind, die alle­samt knall­hart auf den Punkt zu brin­gen ver­su­chen, wie wenig sich die Mecha­nis­men der part­ner­schaft­li­chen Selek­ti­on seit der Stein­zeit geän­dert haben und von hier­ar­chi­schen Ver­hält­nis­sen bestimmt wer­den. Das bedeu­tet, daß trotz aller femi­nis­tisch-ega­li­tä­ren Pro­pa­gan­da immer noch männ­li­che Eigen­schaf­ten wie phy­si­sche und see­li­sche Stär­ke, Füh­rungs­qua­li­tä­ten, Macht, Reich­tum und sozia­ler Sta­tus eine ent­schei­den­de ero­ti­sche Wir­kung auf Frau­en ausüben.
Auch auf sexu­el­ler Ebe­ne wer­den Frau­en unver­än­dert stark durch männ­li­che Domi­nanz erregt und nei­gen in hohem Maße zu Unter­wer­fungs­phan­ta­sien (wor­über etwa Nan­cy Fri­days Klas­si­ker Die sexu­el­len Phan­ta­sien der Frau­en bered­te Aus­kunft gibt). Wäh­rend nun die sexu­el­le Attrak­ti­vi­tät von Frau­en vor allem von phy­si­schen Merk­ma­len abhängt, die ihre kur­ze Blü­te in der Zeit ihrer Frucht­bar­keit haben, setzt sich die männ­li­che Attrak­ti­vi­tät, frei nach dem Schla­ger »Ein Mann muß nicht immer schön sein«, kom­ple­xer zusammen.

Daß ein sech­zig­jäh­ri­ges Alpha­tier wie Josch­ka Fischer eine attrak­ti­ve, drei­ßig Jah­re jün­ge­re Frau hei­ra­tet, ist nicht unge­wöhn­lich, wäh­rend alle Macht­be­fug­nis­se von Ange­la Mer­kel sie wohl nicht ein­mal für ihren Chauf­feur begeh­rens­wert machen wür­den. Hier sieht die Pick­up-Theo­rie das gro­ße Pri­vi­leg der Män­ner: was ihnen an phy­si­schen Vor­zü­gen fehlt, kön­nen sie durch sozia­le und mate­ri­el­le Fer­tig­kei­ten wett­ma­chen, die alle­samt indi­rekt auf eine Demons­tra­ti­on der eige­nen evo­lu­ti­ons­bio­lo­gi­schen Über­le­bens­taug­lich­keit ver­wei­sen. Dar­um betont die Pick­up-Theo­rie neben Tech­ni­ken wie dem »neu­ro-lin­gu­is­ti­schen Pro­gram­mie­ren« (NLP) und der Kunst der Kon­ver­sa­ti­on und des Flirts das soge­nann­te »Inner Game«, also das Selbst­be­wußt­sein des Man­nes, der mit sich und sei­nen Lebens­zie­len im Rei­nen ist. Das nega­ti­ve Gegen­bild, der »alte Adam«, ist der »Avera­ge Frus­tra­ted Chump« (AFC), der »frus­trier­te Durch­schnitts­typ «, der ewig in der Rol­le des »Frau­en­ver­ste­hers « und des ase­xu­el­len »bes­ten Freun­des« ste­cken­bleibt. Er besteht die Macht­pro­be nicht, der er durch die impo­nie­ren­de Attrak­ti­vi­tät der Frau aus­ge­setzt wird, und wird dar­um gna­den­los aus der Rei­he der poten­ti­el­len Part­ner aus­ge­schie­den. Der Mann muß also den Mut wie­der­fin­den, sich aktiv, domi­nant, wage­mu­tig zu ver­hal­ten und dabei sei­ne Unab­hän­gig­keit zu wahren.
Das ist auch die Grund­la­ge eines der belieb­tes­ten Bücher der deutsch­spra­chi­gen »Com­mu­ni­ty«, Lob des Sexis­mus des pseud­ony­men Autors »Lodo­vico Sata­na« ali­as »End­less Enig­ma«. Der Schlüs­sel um »Frau­en zu ver­ste­hen, zu ver­füh­ren und zu behal­ten« ist nach Sata­na, den »fun­da­men­ta­len Unter­schied zwi­schen Män­nern und Frau­en« anzu­er­ken­nen: »Ihn ver­drän­gen, heißt lei­den. Ihn ver­ste­hen, heißt ver­füh­ren. Denn nir­gend­wo fällt die­ser Unter­schied so schwer ins Gewicht wie dort, wo sich die Geschlech­ter am nächs­ten kom­men: in der Lie­be, in Bezie­hun­gen und beim Sex.« Zen­tra­le The­se des Buches ist, daß zwi­schen den Geschlech­tern ein stän­di­ger dyna­mi­scher Macht­kampf herrscht: die Frau ver­sucht instink­tiv, den Mann zu »betai­sie­ren« und an sei­nem »Alpha-Sta­tus« inner­halb der Bezie­hung zu sägen, der Mann dage­gen muß die­se Posi­ti­on behaup­ten. Gewinnt sie, haben im Grun­de bei­de das Spiel ver­lo­ren, denn mit zuneh­men­der »Betai­sie­rung« ver­liert der Mann den Respekt der Frau und damit auch sei­ne Attraktivität.
Das Lob des Sexis­mus meint nicht die »Dis­kri­mi­nie­rung « der Frau, son­dern betont die Wich­tig­keit der Pola­ri­tät in der mann-weib­li­chen Inter­ak­ti­on. Im Grun­de han­delt es sich hier um nichts ande­res als eine popu­la­ri­sier­te Form des­sen, was Juli­us Evo­la in sei­nem Klas­si­ker Meta­phy­sik des Sexus als Pro­zeß der »Sexu­ie­rung« bezeich­ne­te. Tat­säch­lich fin­den sich erheb­li­che Tei­le der »Game«-Theorie, bis hin zu prak­ti­schen Rat­schlä­gen, in dem Buch Magi­sche Männ­lich­keit des Evo­li­a­ners Oli­ver Rit­ter wie­der. Deren prak­ti­sche Anwend­bar­keit ist so etwas wie die Nagel­pro­be, daß die Geschlech­ter­un­ter­schie­de eben doch eine tie­fer ver­wur­zel­te Basis haben, als es die Ideo­lo­gie des »Gen­der Main­strea­ming« wahr­ha­ben will. Hier wird »im Feld«, wie es im Sze­ne-Jar­gon heißt, der Beweis erbracht, daß der »gegen­der­te« Mann unwei­ger­lich als sexu­el­ler und sozia­ler Ver­lie­rer enden wird.
Wenn nun die Pick­up-Pra­xis Wege aus der männ­li­chen Iden­ti­täts­kri­se auf­zu­zei­gen ver­mag, so hat sie aller­dings auch ihre Fall­stri­cke, etwa die sucht­ar­ti­ge, sze­ne­ty­pi­sche Beses­sen­heit, mit der der ero­ti­schen Tro­phäe nach­ge­jagt wird. Evo­la bemerk­te tref­fend, daß »die pan­de­mi­sche Ver­brei­tung des Inter­es­ses für Sexus und Frau ein Kenn­zei­chen jeder altern­den Zivi­li­sa­ti­on ist, und daß die­ses Phä­no­men eines von den vie­len ist, die uns anzei­gen, daß eine sol­che Zeit die äußers­te End­pha­se eines regres­si­ven Pro­zes­ses dar­stellt.« So gibt es auch mitt­ler­wei­le Advo­ka­ten des »Inner Game«, die im Gefol­ge des Eso­te­ri­kers David Dei­da (Der Weg des wah­ren Man­nes) die Ver­füh­rungs­kunst nur als dia­lek­ti­sche Zwi­schen­sta­ti­on auf dem Weg zur Eman­zi­pa­ti­on von der Ver­fal­len­heit an die Frau sehen. Vie­le »Pick-Up-Artists« fin­den sich schnell in einem end­lo­sen Bäum­chen-Wech­sel-Spiel wie­der, in dem sie sich all­mäh­lich in »sozia­le Robo­ter « ver­wan­deln, die unfä­hig sind, eine dau­er­haf­te Bin­dung ein­zu­ge­hen. Hier bleibt die Tie­fe des Eros, wie sie etwa Denis de Rouge­mont in Die Lie­be und das Abend­land beschrie­ben hat, eben­so auf der Stre­cke wie die auf Bestän­dig­keit aus­ge­rich­te­te patri­ar­cha­le Form der Männ­lich­keit. Schon für Don Juan war die nicht enden­wol­len­de Fol­ge von Frau­en ein Fluch, der ihn schließ­lich zur Höl­le fah­ren ließ.
Der Punkt ist, daß Männ­lich­keit nicht nur insze­niert und behaup­tet sein will, um »nach­hal­tig« wirk­sam zu sein. Das Ein­stu­die­ren von Ver­füh­rungs­tricks und Männ­lich­keits­ges­ten ver­hed­dert sich dann, wo Viri­li­tät auf töner­nen Füßen steht und nicht durch Voll­zug vom gan­zen, wah­ren Leben gedeckt ist. Es ist kein Zufall, daß Neil Strauss The Game in der ame­ri­ka­ni­schen Ori­gi­nal­fas­sung mit einer Sze­ne begin­nen ließ, in der »Mys­tery«, der Meis­ter­ver­füh­rer und Begrün­der der »Com­mu­ni­ty«, des­sen Erobe­run­gen eine drei­stel­li­ge Zahl aus­ma­chen, mit einem depres­siv-hys­te­ri­schen Ner­ven­zu­sam­men­bruch in eine psych­ia­tri­sche Kli­nik ein­ge­lie­fert wird: das schwar­ze Loch im Innern ließ sich auch mit Bett­re­kor­den nicht füllen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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