und Blogosphäre gemacht hat. Dort war die Begeisterung über The Soviet Story (2008) von Edvins Šnore vorhersagbarerweise recht groß. Filme, die die Verbrechen des Sozialismus und Kommunismus ungeschminkt darstellen, sind immer noch selten, erst recht im Vergleich zu der Flut an Produktionen über Nationalsozialismus und “Holocaust”.
In meinem Kaplaken-Bändchen Besetztes Gelände habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, warum das so ist, und vor allem, was das für einen Einfluß auf unsere Geschichtsbilder hat, und die Gefühle, die wir diesen Bildern entgegenbringen. Ich habe damit selbstverständlich eine Art “exorzistische” Absicht verfolgt: nirgendwo wird die Diskussion um das “richtige” Geschichtsbild heftiger und affektgeladener geführt als in Deutschland, ohne daß wir uns fragen, woher diese heftigen Emotionen eigentlich kommen, wie auch unser wirkliches oder vermeintliches Wissen, das wir so verbissen verteidigen. Insbesondere denke ich dabei natürlich an den “Alleinschuld”-Teddybär, an den sich die Deutschen mit so panischer Besessenheit klammern, als hätten sie einen unerträglichen horror vacui vor dem identitären Nichts, in das sie ohne ihn zu stürzen fürchten.
Kein Geschichtsbild ist absolut zwingend und notwendig, auch nicht jenes der einseitig verstandenen “deutschen Schuld”, das heute immer noch einen Nimbus hat, als handle es sich um die zehn Gebote, auf alle Zeiten vom allweisen Gott der Geschichte selbst in Stein gemeißelt, am Nürnberg Sinai aus allen Himmeln der allerobersten Objektivität, der demokratischten “Werte” und der höchsten Moral herabgereicht (mitsamt den Grundgesetz gleich mit im Gepäck.)
The Soviet Story ist auch insofern lehrreich, als er durch den Hinweis auf Lücken in der Überlieferung eine Ahnung geben kann, wie sehr das kollektive geschichtliche Bewußtsein – vor allem in seiner Form als “große Erzählung” – und seine emotionale Verankerung immer etwas “Gemachtes” ist, etwas, das nicht einfach so “passiert”, sondern das man erst bewußt herstellen muß. Dazu bedarf es konkretisierender Bilder: Millionen von Toten bleiben solange eine Statistik und eine trockene Abstraktion, ehe wir nicht Einzelne von ihnen aus dem Leichenberg ziehen, ihnen ins Gesicht sehen können und eine Vorstellung über das Wo, Wann und Wie ihres Schicksals und ihres Todes bekommen. Gleiches gilt für ihre Henker.
Šnores Film hat diesen Ehrgeiz, die unvorstellbaren Verbrechen des Kommunismus vorstellbar zu machen, und montiert zu diesem Zweck bemerkenswertes, bisher kaum bis nie gezeigtes Film- und Fotomaterial, von dem wohl wenige wissen, daß es überhaupt existiert: Berge von Hungerleichen und per Genickschuß Exekutierter, bis an den Rand gefüllte Massengräber, berstende Güterwagons voller deportierter Menschen, Berge von Schuhen Ermorderter, Großaufnahmen von bis zur Unkenntlichkeit zerquetschten, mißhandelten, gefolterten Gesichtern, Horrorbilder aus der Mengele-Schreckenskammer medizinischer Experimente an Häftlingen, und so weiter und so fort.
Daß es zum Beispiel in der Ukraine 1932/33 eine vom stalinistischen Staat bewußt herbeigeführte gewaltige Hungersnot gab, den sogenannten “Holodomor”, hat sich inzwischen schon recht weit herumgesprochen. Aber kaum jemand hat eine konkrete Vorstellung von der planmäßigen Ruchlosigkeit, mit der diese grausame Maßnahme durchgezogen wurde, noch von der gigantischen Opferzahl, die sie gefordert hat (der Film nennt sieben Millionen). Wer das gesehen hat, wird nicht nur hiervon ein viel plastischeres, entsetzlicheres Bild haben als zuvor, er wird auch einen tüchtigen Zweifel an der Rede von der “Singularität” deutsch-nationalsozialistischer Verbrechen mitnehmen.
Man könnte sich einmal spaßeshalber ein Parallel-Universum vorstellen, in der die Geschichte ganz anders verlaufen wäre, in der etwa das Hitler-Reich über die Sowjetunion gesiegt hätte, unterstützt durch eine USA unter der Führung des NS-Sympathisanten Joseph Kennedy. Seither wären Hekatomben von Filmen, Dokumentationen und Büchern über die unvergleichlichen Menschheitsverbrechen des Bolschewismus erschienen, vor denen Adolf Hitler und die deutsche Wehrmacht die europäisch-westliche Zivilisation in einem heroischen Opfergang gerettet hätten. Alljährlich wird das Kriegsende in Germania (ehemals Berlin) mit einer pompösen Parade gefeiert, an der Staatsmänner aus aller Welt teilnehmen, inklusive russischer und ukrainischer Politiker, die ihren Dank ausdrücken, vom Stalinismus befreit worden zu sein.
Jahrzehnte nach Hitlers Tod kommt es im Großdeutschen Reich zur Perestrojka; das faschistische, Deutschland-hörige Europa, lahm wie die Franco-Diktatur in ihrer Spätphase, bröckelt unter nationalen Freiheitsbewegungen zusammen; Parteispitzen und ‑reformer geben endlich öffentlich Verbrechen des Regimes zu; Vergleiche des Führers mit Stalin und Lenin werden laut, wie auch andere Ketzereien, die vom Mainstream der Historiker als “Revisionismus”, “Geschichtsklitterung”, und “Relativierung kommunistischer Verbrechen” bekämpft werden; kritische Stimmen bemängeln, daß die Schulbücher voll seien mit Greuelgeschichten über Workuta und ähnliche GULags, ein gewisses Lager in der Nähe von Oświecim (Generalgouvernment Polen) aber völlig vergessen sei; schließlich werden neue Beweise vorgelegt, daß das Massaker von Babij Jar vielleicht doch nicht, wie schon Katýn, vom NKWD verübt wurde…
Wie auch immer: Man kann hier mit völligem Recht von einem “roten Holocaust” sprechen, dessen Ausmaß dem “braunen” keinen Deut nachsteht, oder um es ganz deutlich zu sagen: ihn rein quantitativ noch übertrifft. Šnore hat sich Mühe gegeben, die zum Teil frappante Ähnlichkeit der Todfeinde immer wieder herauszustellen. Besonders einprägsam und von einer bösen Komik ist dabei seine Gegenüberstellung von sowjetischen und nationalsozialistischen Propagandaplakaten, deren Motive sich ohne Übertreibung aufs Haar gleichen. Er geht sogar so weit, einen Nolte’schen “Nexus” anzudeuten, wonach das KZ-System mehr oder weniger ein “rip-off” des schon viel früher installierten GULag-Systems war.
Hier hören aber die komplexeren Geschichtsbetrachtungen schon auf, denn The Soviet Story ist eben vor allem ein aus lettischer Perspektive an das EU-Parlament (wo er 2008 vorgeführt wurde) gerichtetes Plädoyer, insbesondere die osteuropäischen Opfer des Kommunismus nicht mehr als Opfer zweiter Klasse zu behandeln, zu verharmlosen und zu verschweigen.
Während nun in West-Europa der Nationalsozialismus als die absolute Anti-Gestalt zur heutigen Ordnung herhalten muß, spielt in Teilen Ost-Europas das Trauma der kommunistisch-russischen Besatzung eine viel größere Rolle in der Erinnerungspolitik . Das betrifft vor allem die baltischen Länder, die einen besonders hohen Blutzoll entrichtet haben, und mit der Beharrung auf ihren nationalen Erfahrungen und Positionierungen seit langem für Irritation innerhalb der EU sorgen.
Wie die meisten, denen die allgegenwärtige Verharmlosung des Kommunismus ein dauerndes Ärgernis ist, habe auch ich die Soviet Story mit großer Genugtuung gesehen. Aber selbst wenn man die Botschaft willig annimmt, weil sie der eigenen Sache Futter gibt, sollte man gegenüber den Bildern mißtrauisch und wachsam bleiben. Da es Šnore vor allem um ein Plädoyer in baltischer Sache geht, rutscht er des öfteren ins rein Rhetorische und auch Manipulative ab. Es geht ihm nicht wie einem Nolte darum, den “kausalen Nexus” wirklich seriös zu erhellen. Er will vor allem überzeugen, und das mit allen Mitteln. Das führt zu einer Art Rhetorik der Gleichsetzung als Mittel zum Zweck auf Kosten der historischen Genauigkeit und Komplexität. Weil der Regisseur eine nahezu totale ideologische Identität und harmonische Kumpanei der beiden Totalitarismen behaupten will, muß er vieles unterschlagen, glätten und zurechtbiegen, womit er Gräben zuschüttet, die immerhin mit dem Blut von Millionen Menschen gezogen wurden. Man muß die Todfeindschaft und die Gegensätze von Kommunismus und Nationalsozialismus ebenso ernst nehmen wie ihre Überschneidungen.
Šnore macht alle Fehler des “Guido-Knoppismus”, des Suggestiven, unzulässig Vereinfachten und Halbwahren: der Krieg findet auch hier in einem luftleeren Raum statt, in dem es außer dem Eroberungswillen Hitlers und Stalins keine treibenden Kräfte zu geben scheint. Zu kurz kommt auch, daß im Zweiten Weltkrieg nicht nur ideologische Zuspitzungen, sondern auch nationalstaatliche Kontinuitäten und geopolitische Fragen eine erhebliche Rolle spielten. Das hat seine guten Gründe, denn Šnore will die baltisch-lettische Sache wohl nicht noch mehr bei der EU verscherzen, als es ohnehin schon der Fall ist.
Die Liste seiner Verbiegungen ist lang: Er verschweigt nicht nur die Umstände des deutsch-polnischen Konflikts, sondern auch, daß sich die Sowjetunion im September 1939 Gebiete zurückholte, die sich Polen 1919–21 im Laufe eines Angriffskrieges einverleibt hatte. Er behauptet wiederholt, das “geheime Zusatzprotokoll” des Hitler-Stalin-Pakts hätte die “Teilung Europas” vorgesehen. Er berichtet von Molotows Besuch in Berlin im November 1940, und zeigt dabei Filmaufnahmen, die deutsche und russische Offiziere und Diplomaten in eitler Wonne und Eintracht zeigen, unterschlägt aber den folgenreichen politischen Hintergrund des Besuches. Das heiße Thema “Präventivkriegsthese” wird stillschweigend umschifft, obwohl einmal einer ihrer bekanntesten Vertreter, der pseudonyme russische Autor Viktor Suworow zu Wort kommt, was man vielleicht als einen Wink zwischen den Zeilen lesen kann. Er erwähnt, daß rund eine Million Sowjetbürger (zumeist aus anti-kommunistischen Gründen) zu “den Nazis” überlief, unterstellt ihnen dabei einen weiterhin wirksamen, nur “umgedrehten” bolschewistischen Fanatismus, verschweigt aber die zahlreichen baltischen SS-Freiwilligen. Trotzki wird als einer der großen Warner vor Stalin hingestellt, ohne zu erwähnen, daß dieser selbst zu den maßgeblichen Architekten des sowjetischen Terrors gehörte. Marx und Engels werden mit ein paar aus dem Kontext gerissenen und zum Teil suggestiv übersetzen Zitaten (ich kann mir schwer vorstellen, daß Marx jemals das Wort “Holocaust” benutzt hat) zu genozidalen Vordenkern stilisiert, was in dieser Verknappung absolut unzulässig ist und ihrem geistigen Status nicht gerecht wird.
Das sind nur einige Beispiele für das simplifizierend-manipulative Vorgehen des Regisseurs. Ein kleineres, aber bezeichnendes sei noch angemerkt: Šnore zeigt ein von NKWD-Chef Beria und dem “Gestapo-Müller” unterschriebenes Dokument aus dem November 1938 (!), das eine Zusammenarbeit zwischen dem NKWD und der SS belegt. Anschließend bringt er den berühmt-berüchtigten Historiker David Irving ins Spiel, weil er dieses Dokument als Fälschung bezeichnet hätte. Da Irving nun auch ein “Holocaust-Leugner” sei, heißt es raunend-verdächtigend “könne man über seine Gründe, die Authentizität des Dokuments zu leugnen, nur spekulieren”.
Nun kann man auf Irvings Netzsseite nachlesen, daß Šnore himself sich im Jahre 2007 nicht zu gut war, Irving wegen seiner “umfangreichen Kenntnisse Deutschlands vor dem Krieg” um eine Stellungnahme bezüglich des Dokuments zu bitten. Dieser meldet in seiner Antwort lediglich Zweifel an seiner Authentizität an, äußert sich sonst aber nicht weiter dazu. Das hat Šnore offenbar gereicht, um Irving als Buhmann zu benutzen, mit dem sich ein Link zwischen der “Leugnung” kommunistischer Verbrechen und dem zeitgenössischen Kapitalverbrechen der “Holocaustleugnung” konstruieren läßt.
Schließlich noch ein prinzipieller Einwand: so erzählerisch geschickt und ansprechend Šnores Montage von Archivmaterial auch sein mag, auch sie dient vorwiegend rhetorischen Gründen. Für den Großteil des Films beläßt er sein Material als ungekennzeichnet: wir erfahren weder die Quelle, noch den Drehort, noch die Drehzeit, noch den Entstehungskontext seiner Bilder, die zum Teil offenbar auch aus ungenannten Spielfilmen entstammen. Auch hier ist Vorsicht geboten. Aufnahmen von ausgemergelten Leichen, von verwesenden Kadavern, von verstümmelten Gesichtern erzeugen eine Schockwirkung, die emotional entwaffnet, und oft mehr verbirgt, als sie rational erklärt. Auf diese Weise funktionierten auch frühe Re-Education-Streifen wie Die Todesmühlen (1945), die viel Horror-Bilder, aber wenig Aufklärung anboten. Diese Methode ist immer noch wichtiges Ingredienz der “Bewältigung”, mal mehr, mal weniger subtil.
Im letzten Teil nimmt der Film eine antirussische Stoßrichtung ein, warnt alarmistisch und mit etwas hanebüchenem Material vor einem russischen “Faschismus”, der dann nichts weiter wäre als eine Fortsetzung des alten kommunistischen Vernichtungswillens. Hier wird, wie schon zuvor, zu wenig zwischen Russen an sich und den Tätern des roten Terrors unterschieden, ähnlich wie die Deutschen insgesamt als Schuldige auf die Anklagebank gesetzt wurden und werden. “Europa ignoriert weiterhin die sowjetischen Verbrechen” heißt es dann ganz richtig. Die machtpolitischen Gründe dafür: abhängig von russischem Erdgas und Erdöl könne man es sich nicht leisten, den post-sowjetischen Riesen zu reizen und zu verstimmen, der alles andere als Lust hat, nach dem deutschen Modell zu “bewältigen”, weil die Sieger dergleichen eben niemals freiwillig tun.
So gesehen erklärt sich der etwas überforcierte Tonfall der Soviet Story vielleicht auch aus der Hilflosigkeit des lettischen Zwerges gegenüber den Moskauer und Brüsseler Riesen, die sich taub gegenüber seiner Klage und Anklage stellen. Man kann immerhin als Deutscher nur Šnores Kommentar beipflichten, daß es untragbar sei, wenn die Vernichtung von “minderwertigen Nationen”, die angeblich einer “besseren Welt” im Wege stehen, nicht nur nicht als Verbrechen betrachtet, sondern mitunter sogar mit Rosen bedacht wird.
Eine generelle Erkenntnis, die man durchaus nicht auf den Kommunismus einengen muß. Auch die deutschen Opfer des Krieges und der Nachkriegsjahre gelten heute als Opfer zweiter Klasse, weil sie der “besseren Welt”, nicht nur Made in Russia, sondern auch Made in USA entgegenstanden. Vielleicht gibt man in der EU darum nur so zaghaft der Forderung nach, den Osteuropäern die Berechtigung eines alternativen Geschichtsbildes einzuräumen. Wenn man da erstmal anfängt, wo soll man aufhören?