The Soviet Story und das baltische Ärgernis

Die Junge Freiheit hat Anfang des Jahres einen lettischen Dokumentarfilm entdeckt, der seither die Runde durch die konservative Presse...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

und Blogo­sphä­re gemacht hat. Dort war die Begeis­te­rung über The Soviet Sto­ry (2008) von Edvins Šno­re vor­her­sag­ba­rer­wei­se recht groß.  Fil­me, die die Ver­bre­chen des Sozia­lis­mus und Kom­mu­nis­mus unge­schminkt dar­stel­len, sind immer noch sel­ten, erst recht im Ver­gleich zu der Flut an Pro­duk­tio­nen über Natio­nal­so­zia­lis­mus und “Holo­caust”.

In mei­nem Kapla­ken-Bänd­chen Besetz­tes Gelän­de habe ich mich mit der Fra­ge aus­ein­an­der­ge­setzt, war­um das so ist, und vor allem, was das für einen Ein­fluß auf unse­re Geschichts­bil­der hat, und die Gefüh­le, die wir die­sen Bil­dern ent­ge­gen­brin­gen. Ich habe damit selbst­ver­ständ­lich eine Art “exor­zis­ti­sche” Absicht ver­folgt: nir­gend­wo wird die Dis­kus­si­on um das “rich­ti­ge” Geschichts­bild hef­ti­ger und affekt­ge­la­de­ner geführt als in Deutsch­land, ohne daß wir uns fra­gen, woher die­se hef­ti­gen Emo­tio­nen eigent­lich kom­men, wie auch unser wirk­li­ches oder ver­meint­li­ches Wis­sen, das wir so ver­bis­sen ver­tei­di­gen. Ins­be­son­de­re den­ke ich dabei natür­lich an den “Alleinschuld”-Teddybär, an den sich die Deut­schen mit so pani­scher Beses­sen­heit klam­mern, als hät­ten sie einen uner­träg­li­chen hor­ror vacui vor dem iden­ti­tä­ren Nichts, in das sie ohne ihn zu stür­zen fürchten.

Kein Geschichts­bild ist abso­lut zwin­gend und not­wen­dig, auch nicht jenes der ein­sei­tig ver­stan­de­nen “deut­schen Schuld”, das heu­te immer noch einen Nim­bus hat, als hand­le es sich um die zehn Gebo­te, auf alle Zei­ten vom all­wei­sen Gott der Geschich­te selbst in Stein gemei­ßelt, am Nürn­berg Sinai aus allen Him­meln der aller­obers­ten Objek­ti­vi­tät, der demo­kra­tisch­ten “Wer­te” und der höchs­ten Moral her­ab­ge­reicht (mit­samt den Grund­ge­setz gleich mit im Gepäck.)

The Soviet Sto­ry ist auch inso­fern lehr­reich, als er durch den Hin­weis auf Lücken in der Über­lie­fe­rung eine Ahnung geben kann, wie sehr das kol­lek­ti­ve geschicht­li­che Bewußt­sein – vor allem in sei­ner Form als “gro­ße Erzäh­lung” – und sei­ne emo­tio­na­le Ver­an­ke­rung immer etwas “Gemach­tes” ist, etwas, das nicht ein­fach so “pas­siert”, son­dern das man erst bewußt her­stel­len muß. Dazu bedarf es kon­kre­ti­sie­ren­der Bil­der: Mil­lio­nen von Toten blei­ben solan­ge eine Sta­tis­tik und eine tro­cke­ne Abs­trak­ti­on, ehe wir nicht Ein­zel­ne von ihnen aus dem Lei­chen­berg zie­hen, ihnen ins Gesicht sehen kön­nen und eine Vor­stel­lung über das Wo, Wann und Wie ihres Schick­sals und ihres Todes bekom­men. Glei­ches gilt für ihre Henker.

Šno­res Film hat die­sen Ehr­geiz, die unvor­stell­ba­ren Ver­bre­chen des Kom­mu­nis­mus vor­stell­bar zu machen, und mon­tiert zu die­sem Zweck bemer­kens­wer­tes, bis­her kaum bis nie gezeig­tes Film- und Foto­ma­te­ri­al, von dem wohl weni­ge wis­sen, daß es über­haupt exis­tiert: Ber­ge von Hun­ger­lei­chen und per Genick­schuß Exe­ku­tier­ter, bis an den Rand gefüll­te Mas­sen­grä­ber, bers­ten­de Güter­wa­gons vol­ler depor­tier­ter Men­schen,  Ber­ge von Schu­hen Ermor­der­ter, Groß­auf­nah­men von bis zur Unkennt­lich­keit zer­quetsch­ten, miß­han­del­ten, gefol­ter­ten Gesich­tern, Hor­ror­bil­der aus der Men­ge­le-Schre­ckens­kam­mer medi­zi­ni­scher Expe­ri­men­te an Häft­lin­gen, und so wei­ter und so fort.

Daß es zum Bei­spiel in der Ukrai­ne 1932/33 eine vom sta­li­nis­ti­schen Staat bewußt her­bei­ge­führ­te gewal­ti­ge Hun­gers­not gab, den soge­nann­ten “Holo­do­mor”, hat sich inzwi­schen schon recht weit her­um­ge­spro­chen. Aber kaum jemand hat eine kon­kre­te Vor­stel­lung von der plan­mä­ßi­gen Ruch­lo­sig­keit, mit der die­se grau­sa­me Maß­nah­me durch­ge­zo­gen wur­de, noch von der gigan­ti­schen Opfer­zahl, die sie gefor­dert hat (der Film nennt sie­ben Mil­lio­nen).  Wer das gese­hen hat, wird nicht nur hier­von ein viel plas­ti­sche­res, ent­setz­li­che­res Bild haben als zuvor, er wird auch einen tüch­ti­gen Zwei­fel an der Rede von der “Sin­gu­la­ri­tät” deutsch-natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ver­bre­chen mitnehmen.

Man könn­te sich ein­mal spa­ßes­hal­ber ein Par­al­lel-Uni­ver­sum vor­stel­len, in der die Geschich­te ganz anders ver­lau­fen wäre, in der etwa das Hit­ler-Reich über die Sowjet­uni­on gesiegt hät­te, unter­stützt durch eine USA unter der Füh­rung des NS-Sym­pa­thi­san­ten Joseph Ken­ne­dy. Seit­her wären Hekatom­ben von Fil­men, Doku­men­ta­tio­nen und Büchern über die unver­gleich­li­chen Mensch­heits­ver­bre­chen des Bol­sche­wis­mus erschie­nen, vor denen Adolf Hit­ler und die deut­sche Wehr­macht die euro­pä­isch-west­li­che Zivi­li­sa­ti­on in einem heroi­schen Opfer­gang geret­tet hät­ten. All­jähr­lich wird das Kriegs­en­de in Ger­ma­nia (ehe­mals Ber­lin) mit einer pom­pö­sen Para­de gefei­ert, an der Staats­män­ner aus aller Welt teil­neh­men, inklu­si­ve rus­si­scher und ukrai­ni­scher Poli­ti­ker, die ihren Dank aus­drü­cken, vom Sta­li­nis­mus befreit wor­den zu sein.

Jahr­zehn­te nach Hit­lers Tod kommt es im Groß­deut­schen Reich zur Pere­stro­j­ka; das faschis­ti­sche, Deutsch­land-höri­ge Euro­pa, lahm wie die Fran­co-Dik­ta­tur in ihrer Spät­pha­se, brö­ckelt unter natio­na­len Frei­heits­be­we­gun­gen zusam­men; Par­tei­spit­zen und ‑refor­mer geben end­lich öffent­lich Ver­bre­chen des Regimes zu; Ver­glei­che des Füh­rers mit Sta­lin und Lenin wer­den laut, wie auch ande­re Ket­ze­rei­en, die vom Main­stream der His­to­ri­ker als “Revi­sio­nis­mus”, “Geschichts­klit­te­rung”, und “Rela­ti­vie­rung kom­mu­nis­ti­scher Ver­bre­chen” bekämpft wer­den; kri­ti­sche Stim­men bemän­geln, daß die Schul­bü­cher voll sei­en mit Greu­el­ge­schich­ten über Worku­ta und ähn­li­che GULags, ein gewis­ses Lager in der Nähe von Oświe­cim (Gene­ral­gou­vern­ment Polen) aber völ­lig ver­ges­sen sei; schließ­lich wer­den neue Bewei­se vor­ge­legt, daß das Mas­sa­ker von Babij Jar viel­leicht doch nicht, wie schon Katýn, vom NKWD ver­übt wurde…

Wie auch immer: Man kann hier mit völ­li­gem Recht von einem “roten Holo­caust” spre­chen, des­sen Aus­maß dem “brau­nen” kei­nen Deut nach­steht, oder um es ganz deut­lich zu sagen: ihn rein quan­ti­ta­tiv noch über­trifft.  Šno­re hat sich Mühe gege­ben, die zum Teil frap­pan­te Ähn­lich­keit der Tod­fein­de immer wie­der her­aus­zu­stel­len. Beson­ders ein­präg­sam und von einer bösen Komik ist dabei sei­ne Gegen­über­stel­lung von sowje­ti­schen und natio­nal­so­zia­lis­ti­schen  Pro­pa­gan­da­pla­ka­ten, deren Moti­ve sich ohne Über­trei­bung aufs Haar glei­chen. Er geht sogar so weit, einen Nolte’schen “Nexus” anzu­deu­ten, wonach das KZ-Sys­tem mehr oder weni­ger ein “rip-off” des schon viel frü­her instal­lier­ten GULag-Sys­tems war.

Hier hören aber die kom­ple­xe­ren Geschichts­be­trach­tun­gen schon auf, denn The Soviet Sto­ry ist eben vor allem ein aus let­ti­scher Per­spek­ti­ve an das EU-Par­la­ment (wo er 2008 vor­ge­führt wur­de) gerich­te­tes Plä­doy­er, ins­be­son­de­re die ost­eu­ro­päi­schen Opfer des Kom­mu­nis­mus nicht mehr als Opfer zwei­ter Klas­se zu behan­deln, zu ver­harm­lo­sen und zu verschweigen.

Wäh­rend nun in West-Euro­pa der Natio­nal­so­zia­lis­mus als die abso­lu­te Anti-Gestalt zur heu­ti­gen Ord­nung her­hal­ten muß, spielt in Tei­len Ost-Euro­pas  das Trau­ma der kom­mu­nis­tisch-rus­si­schen Besat­zung eine viel grö­ße­re Rol­le in der Erin­ne­rungs­po­li­tik . Das betrifft vor allem die bal­ti­schen Län­der, die einen beson­ders hohen Blut­zoll ent­rich­tet haben, und mit der Behar­rung auf ihren natio­na­len Erfah­run­gen und Posi­tio­nie­run­gen seit lan­gem für Irri­ta­ti­on inner­halb der EU sorgen.

Wie die meis­ten, denen die all­ge­gen­wär­ti­ge Ver­harm­lo­sung des Kom­mu­nis­mus ein dau­ern­des Ärger­nis ist, habe auch ich die Soviet Sto­ry mit gro­ßer Genug­tu­ung gese­hen. Aber selbst wenn man die Bot­schaft wil­lig annimmt, weil sie der eige­nen Sache Fut­ter gibt, soll­te man gegen­über den Bil­dern miß­trau­isch und wach­sam blei­ben. Da es Šno­re vor allem um ein Plä­doy­er in bal­ti­scher Sache geht, rutscht er des öfte­ren ins rein Rhe­to­ri­sche und auch Mani­pu­la­ti­ve ab. Es geht ihm nicht wie einem Nol­te dar­um, den “kau­sa­len Nexus” wirk­lich seri­ös zu erhel­len. Er will vor allem über­zeu­gen, und das mit allen Mit­teln. Das führt zu einer Art Rhe­to­rik der Gleich­set­zung als Mit­tel zum Zweck auf Kos­ten der his­to­ri­schen Genau­ig­keit und Kom­ple­xi­tät. Weil der Regis­seur eine nahe­zu tota­le ideo­lo­gi­sche Iden­ti­tät und har­mo­ni­sche Kum­pa­nei der bei­den Tota­li­ta­ris­men behaup­ten will,  muß er vie­les unter­schla­gen, glät­ten und zurecht­bie­gen, womit er Grä­ben zuschüt­tet, die immer­hin mit dem Blut von Mil­lio­nen Men­schen gezo­gen wur­den. Man muß die Tod­feind­schaft und die Gegen­sät­ze von Kom­mu­nis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus eben­so ernst neh­men wie ihre Überschneidungen.

Šno­re macht alle Feh­ler des “Gui­do-Knop­pis­mus”, des Sug­ges­ti­ven, unzu­läs­sig Ver­ein­fach­ten und Halb­wah­ren: der Krieg fin­det auch hier in einem luft­lee­ren Raum statt, in dem es außer dem Erobe­rungs­wil­len Hit­lers und Sta­lins kei­ne trei­ben­den Kräf­te zu geben scheint. Zu kurz kommt auch, daß im Zwei­ten Welt­krieg nicht nur ideo­lo­gi­sche Zuspit­zun­gen, son­dern auch natio­nal­staat­li­che Kon­ti­nui­tä­ten und geo­po­li­ti­sche Fra­gen eine erheb­li­che Rol­le spiel­ten.  Das hat sei­ne guten Grün­de, denn Šno­re will die bal­tisch-let­ti­sche Sache wohl nicht noch mehr bei der EU ver­scher­zen, als es ohne­hin schon der Fall ist.

Die Lis­te sei­ner Ver­bie­gun­gen ist lang:  Er ver­schweigt nicht nur die Umstän­de des deutsch-pol­ni­schen Kon­flikts, son­dern auch, daß sich die Sowjet­uni­on im Sep­tem­ber 1939 Gebie­te zurück­hol­te, die sich Polen 1919–21 im Lau­fe eines Angriffs­krie­ges ein­ver­leibt hat­te. Er behaup­tet wie­der­holt, das “gehei­me Zusatz­pro­to­koll” des Hit­ler-Sta­lin-Pakts hät­te die “Tei­lung Euro­pas” vor­ge­se­hen. Er berich­tet von Molo­tows Besuch in Ber­lin im Novem­ber 1940, und zeigt dabei Film­auf­nah­men, die deut­sche und rus­si­sche Offi­zie­re und Diplo­ma­ten in eit­ler Won­ne und Ein­tracht zei­gen, unter­schlägt aber den fol­gen­rei­chen poli­ti­schen Hin­ter­grund des Besu­ches.  Das hei­ße The­ma “Prä­ven­tiv­kriegs­the­se” wird still­schwei­gend umschifft, obwohl ein­mal einer ihrer bekann­tes­ten Ver­tre­ter, der pseud­ony­me rus­si­sche Autor Vik­tor Suwo­row zu Wort kommt, was man viel­leicht als einen Wink zwi­schen den Zei­len lesen kann.  Er erwähnt, daß rund eine Mil­li­on Sowjet­bür­ger (zumeist aus anti-kom­mu­nis­ti­schen Grün­den) zu “den Nazis” über­lief, unter­stellt ihnen dabei einen wei­ter­hin wirk­sa­men, nur “umge­dreh­ten” bol­sche­wis­ti­schen Fana­tis­mus, ver­schweigt aber die zahl­rei­chen bal­ti­schen SS-Frei­wil­li­gen. Trotz­ki wird als einer der gro­ßen War­ner vor Sta­lin hin­ge­stellt, ohne zu erwäh­nen, daß die­ser selbst zu den maß­geb­li­chen Archi­tek­ten des sowje­ti­schen Ter­rors gehör­te.  Marx und Engels wer­den mit ein paar aus dem Kon­text geris­se­nen und zum Teil sug­ges­tiv über­set­zen Zita­ten (ich kann mir schwer vor­stel­len, daß Marx jemals das Wort “Holo­caust” benutzt hat) zu geno­zi­da­len Vor­den­kern sti­li­siert, was in die­ser Ver­knap­pung abso­lut unzu­läs­sig ist und ihrem geis­ti­gen Sta­tus nicht gerecht wird.

Das sind nur eini­ge Bei­spie­le für das sim­pli­fi­zie­rend-mani­pu­la­ti­ve Vor­ge­hen des Regis­seurs. Ein klei­ne­res, aber bezeich­nen­des sei noch ange­merkt:  Šno­re zeigt ein von NKWD-Chef Beria und dem “Gesta­po-Mül­ler” unter­schrie­be­nes Doku­ment aus dem Novem­ber 1938 (!), das eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen dem NKWD und der SS belegt.  Anschlie­ßend bringt er den berühmt-berüch­tig­ten His­to­ri­ker David Irving ins Spiel, weil er die­ses Doku­ment als Fäl­schung bezeich­net hät­te. Da Irving nun auch ein “Holo­caust-Leug­ner” sei, heißt es rau­nend-ver­däch­ti­gend “kön­ne man über sei­ne Grün­de, die Authen­ti­zi­tät des Doku­ments zu leug­nen, nur spekulieren”.

Nun kann man auf Irvings Netzs­sei­te nach­le­sen, daß Šno­re hims­elf sich im Jah­re 2007 nicht zu gut war,  Irving wegen sei­ner “umfang­rei­chen Kennt­nis­se Deutsch­lands vor dem Krieg” um eine Stel­lung­nah­me bezüg­lich des Doku­ments zu bit­ten. Die­ser mel­det in sei­ner Ant­wort ledig­lich Zwei­fel an sei­ner Authen­ti­zi­tät an, äußert sich sonst aber nicht wei­ter dazu. Das hat Šno­re offen­bar gereicht, um Irving als Buh­mann zu benut­zen, mit dem sich ein Link zwi­schen der “Leug­nung” kom­mu­nis­ti­scher Ver­bre­chen und dem zeit­ge­nös­si­schen Kapi­tal­ver­bre­chen der “Holo­caust­leug­nung” kon­stru­ie­ren läßt.

Schließ­lich noch ein prin­zi­pi­el­ler Ein­wand: so erzäh­le­risch geschickt und anspre­chend Šno­res Mon­ta­ge von Archiv­ma­te­ri­al auch sein mag, auch sie dient vor­wie­gend rhe­to­ri­schen Grün­den. Für den Groß­teil des Films beläßt er sein Mate­ri­al als unge­kenn­zeich­net: wir erfah­ren weder die Quel­le, noch den Dreh­ort, noch die Dreh­zeit, noch den Ent­ste­hungs­kon­text sei­ner Bil­der, die zum Teil offen­bar auch aus unge­nann­ten Spiel­fil­men ent­stam­men. Auch hier ist Vor­sicht gebo­ten. Auf­nah­men von aus­ge­mer­gel­ten Lei­chen, von ver­we­sen­den Kada­vern, von ver­stüm­mel­ten Gesich­tern erzeu­gen eine Schock­wir­kung, die emo­tio­nal ent­waff­net, und oft mehr ver­birgt, als sie ratio­nal erklärt. Auf die­se Wei­se funk­tio­nier­ten auch frü­he Re-Edu­ca­ti­on-Strei­fen wie Die Todes­müh­len (1945), die viel Hor­ror-Bil­der, aber wenig Auf­klä­rung anbo­ten. Die­se Metho­de ist immer noch wich­ti­ges Ingre­di­enz der “Bewäl­ti­gung”, mal mehr, mal weni­ger subtil.

Im letz­ten Teil nimmt der Film eine anti­rus­si­sche Stoß­rich­tung ein, warnt alar­mis­tisch und mit etwas hane­bü­che­nem Mate­ri­al vor einem rus­si­schen “Faschis­mus”, der dann nichts wei­ter wäre als eine Fort­set­zung des alten kom­mu­nis­ti­schen Ver­nich­tungs­wil­lens. Hier wird, wie schon zuvor, zu wenig zwi­schen Rus­sen an sich und den Tätern des roten Ter­rors  unter­schie­den, ähn­lich wie die Deut­schen ins­ge­samt als Schul­di­ge auf die Ankla­ge­bank gesetzt wur­den und wer­den. “Euro­pa igno­riert wei­ter­hin die sowje­ti­schen Ver­bre­chen” heißt es dann ganz rich­tig. Die macht­po­li­ti­schen Grün­de dafür: abhän­gig von rus­si­schem Erd­gas und Erd­öl kön­ne man es sich nicht leis­ten, den post-sowje­ti­schen Rie­sen zu rei­zen und zu ver­stim­men, der alles ande­re als Lust hat, nach dem deut­schen Modell zu “bewäl­ti­gen”, weil die Sie­ger der­glei­chen eben nie­mals frei­wil­lig tun.

So gese­hen erklärt sich der etwas über­for­cier­te Ton­fall der Soviet Sto­ry viel­leicht auch aus der Hilf­lo­sig­keit des let­ti­schen Zwer­ges gegen­über den Mos­kau­er und Brüs­se­ler Rie­sen, die sich taub gegen­über sei­ner Kla­ge und Ankla­ge stel­len. Man kann immer­hin als Deut­scher nur Šno­res Kom­men­tar bei­pflich­ten, daß es untrag­bar sei, wenn die Ver­nich­tung von “min­der­wer­ti­gen Natio­nen”, die angeb­lich einer “bes­se­ren Welt” im Wege ste­hen, nicht nur nicht als Ver­bre­chen betrach­tet, son­dern mit­un­ter sogar mit Rosen bedacht wird.

Eine gene­rel­le Erkennt­nis, die man durch­aus nicht auf den Kom­mu­nis­mus ein­engen muß. Auch die deut­schen Opfer des Krie­ges und der Nach­kriegs­jah­re gel­ten heu­te als Opfer zwei­ter Klas­se, weil sie der “bes­se­ren Welt”, nicht nur Made in Rus­sia, son­dern auch Made in USA ent­ge­gen­stan­den.  Viel­leicht gibt man in der EU dar­um nur so zag­haft der For­de­rung nach, den Ost­eu­ro­pä­ern die Berech­ti­gung eines alter­na­ti­ven Geschichts­bil­des ein­zu­räu­men. Wenn man da erst­mal anfängt, wo soll man aufhören?

 

 

 

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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