Freizeitpöbel

 

Zum ersten Mal seit etwa 25 Jahren besuchte ich dieser Tage einen Freizeitpark. Unsere Kinder kannten derlei Bespaßung bislang gar nicht,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

ihre Bespa­ßungs­op­tio­nen beschränk­ten sich bis­lang auf Bur­gen, Mit­tel­al­ter­märk­te, Schwimm­bä­der und dergleichen.

Jenen Frei­zeit­park habe ich aus mei­ner eige­nen west­deut­schen Kind­heit in schö­ner Erin­ne­rung, er war ein­mal pro Jahr die Kür nach der Pflicht, und die Pflicht­übung zuvor war der Besuch des Römer­kas­tells in unmit­tel­ba­rer Nähe.

Ein Wun­der, ein Traum: Im Frei­zeit­park war tat­säch­lich die Zeit ste­hen geblie­ben! Neben land­wirt­schaft­li­chen und natur­kund­li­chen Lehr­pfa­den stan­den all die beschei­de­nen Fahr­ge­rä­te, die klei­nen Ach­ter- und Seil­bah­nen, die Rie­sen­rut­schen und Flö­ße, die es dort schon vor zwei­ein­halb Jahr­zehn­ten gab, inklu­si­ve der Bedie­nungs­schil­der mit ihren arti­gen Anwei­sun­gen, die wohl aus den sieb­zi­ger Jah­ren stamm­ten. Retro-Stim­mung und ein Heidenspaß!

Was sich deut­lich geän­dert hat­te, war die Kli­en­tel. Die Feri­en stan­den noch bevor, es war nicht voll. Außer uns nur Schul­klas­sen, ein abschlie­ßen­der „Wan­der­tag“. Zwei vier­te Grund­schul­klas­sen tru­gen bedruck­te „Abgänger“-T-Shirts, dar­auf waren die Namen aller Schü­ler zu lesen: Eine Sophie, ein Leon und ein Domi­nik zwi­schen Cem, Can, Erdem, Büs­ra, Kübra und einer Viel­zahl ande­rer Namen, die hier­zu­lan­de vor 25 Jah­ren nicht geläu­fig waren. Die noto­ri­sche Bunt­heit der Repu­blik hat­te sich sei­ner­zeit erst ein­ge­schli­chen, wir hat­ten uns somit peu a peu dran gewöhnt:

Im Kin­der­gar­ten hat­te ich ein­zig eine Hati­ce, Kleid über Hose, kei­ner hat sie je spre­chen gehört, sie wur­de weder aus­ge­lacht noch inte­griert, man wuß­te nicht mal, wo sie wohn­te. In der Grund­schu­le waren es dann drei Fremd­stäm­mi­ge, dar­un­ter ein Farouk, ein lin­kisch-ver­klemm­ter Fred­die Mer­cu­ry- Dop­pel­gän­ger, der drei Jah­re älter war als der Rest der Klas­se. Im Gym­na­si­um waren acht von drei­ßig Schü­le­rin­nen Aus­län­de­rin­nen, alle katho­lisch. Deren „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ wur­de uns Deut­schen nie wirk­lich bewußt, er war nie ein The­ma, mit einer Aus­nah­me: Als eine Spa­nie­rin sich in der sechs­ten Klas­se unter (wüten­den!) Trä­nen wei­ger­te, die Natio­nal­hym­ne zu sin­gen (die nicht etwa täg­lich abver­langt wur­de, sie stand auf dem Stun­den­plan). Die Leh­re­rin reagier­te ver­ständ­nis­voll, und mehr noch: An solch „glü­hen­dem“ Patrio­tis­mus soll­ten wir ande­ren uns ein Bei­spiel nehmen.

Mei­ne eige­ne Kin­der, sämt­lich in den öst­li­chen Bun­des­län­dern ein­ge­schult, erle­ben ihre Mit­schü­ler­schaft mono­kul­tu­rell. Zwar haben eigen­tüm­li­che Namen (Har­ley, Sul­li­van, Vir­gi­nia, Lenn­ox) selbst auf dem Gym­na­si­um Ein­zug gehal­ten, die ein­zi­gen Fremd­stäm­mi­gen hin­ge­gen sind ein­zel­ne Vietnamesen.

Unser Sohn, sechs Jah­re und seit je beharr­lich die Wor­te „Aus­län­der“ und „Eng­län­der“ ver­wech­selnd, staun­te im Frei­zeit­park: „Machen etwa so vie­le Eng­län­der hier Feri­en?!“ Beson­ders hat­te es ihm die klei­ne Auto­scoo­ter-Flä­che ange­tan, er fuhr acht Run­den hin­ter­ein­an­der, um dann fest­zu­stel­len: „Gell, die Eng­län­der fah­ren alle viel wil­der. Bestimmt ist das wegen dem Links­ver­kehr, du hast doch mal gesagt, die müs­sen dort links fah­ren. Viel­leicht sind die des­halb so wild!“ Die „Eng­län­der“ benah­men sich auch ins­ge­samt anders. Mit offe­nem Mund lausch­te Soh­ne­mann, wie aggres­siv man den sanf­ten Ermah­nungs­ton erwach­se­ner Begleit­per­so­nen zurück­wei­sen kann.

Erstaun­lich war für mich eine gewis­se sub­ti­le Iro­nie in den Sät­zen, die sich Neunt­kläß­ler einer Haupt­schu­le zurie­fen, hoch­i­ro­nisch den Tole­ranz­ton ihrer Leh­re­rin­nen nach­äf­fend. Als ein Schwarz­ge­lock­ter durch geziel­te Trit­te gegen die Elek­tro­nik die Seil­bahn zum Erlie­gen brach­te, tön­te sein Kum­pel mit schmach­ten­der Stim­me: „Mensch, Oktay, das find ich jetzt echt nicht in Ord­nung! Was hast du dir nur dabei gedacht? Da müs­sen wir wohl mal über Kon­se­quen­zen nachdenken!“

Oder als einer mit Stö­cken nach her­um­wat­scheln­den Enten­kü­ken ziel­te, in betont hoher Stimm­la­ge: „Hör mal, Ali, das ist nicht grad kor­rekt von Dir! Bleib doch mal fair!“ Ali flö­tend zum Klas­sen­ka­me­ra­den zurück: „Da seh ich irgend­wie anders, Frau Leh­re­rin, lecken Sie mich doch bit­te ein­fach mal am A…!!“ Unser Sohn war eini­ger­ma­ßen fas­zi­niert. Wir auch.

Eine der Leh­re­rin­nen, von mir auf ihren gewiß anstren­gen­den Beruf ange­spro­chen, mil­der­te ab: „Ach ja… Das sind die Fle­gel­jah­re. Im Ernst – waren wir damals immer brav?“ Es ist davon aus­zu­ge­hen, daß nur eine ganz bestimm­te, eng begrenz­te Art Mensch als Leh­rer in sol­chen Gefil­den ohne Dach- oder sons­ti­gen Scha­den übersteht.

Tags drauf zurück am hei­mi­schen Bade­see im Osten der Repu­blik, umge­ben von Mad­lens und Ron­nies; einer rülpst nach dem Weg­ze­chen einer Bier­do­se, wie­der guckt & horcht der Sohn inter­es­siert. Einer will baden gehen und spuckt auf dem Weg zum Ufer mehr­mals auf den Boden. „Macht man das hier so, ja!?“ – „Oh, tschul­di­gung, war´n Ver­se­hen. Alles klar. Kommt nicht wie­der vor.“ (Was gewiß gelo­gen war.) Den eige­nen Pöbel zu inte­grie­ren scheint Auf­ga­be genug. Wie gut, wenn man sich über die Spiel- und Ver­kehrs­re­geln wenigs­tens im Grun­de einig ist.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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