ihre Bespaßungsoptionen beschränkten sich bislang auf Burgen, Mittelaltermärkte, Schwimmbäder und dergleichen.
Jenen Freizeitpark habe ich aus meiner eigenen westdeutschen Kindheit in schöner Erinnerung, er war einmal pro Jahr die Kür nach der Pflicht, und die Pflichtübung zuvor war der Besuch des Römerkastells in unmittelbarer Nähe.
Ein Wunder, ein Traum: Im Freizeitpark war tatsächlich die Zeit stehen geblieben! Neben landwirtschaftlichen und naturkundlichen Lehrpfaden standen all die bescheidenen Fahrgeräte, die kleinen Achter- und Seilbahnen, die Riesenrutschen und Flöße, die es dort schon vor zweieinhalb Jahrzehnten gab, inklusive der Bedienungsschilder mit ihren artigen Anweisungen, die wohl aus den siebziger Jahren stammten. Retro-Stimmung und ein Heidenspaß!
Was sich deutlich geändert hatte, war die Klientel. Die Ferien standen noch bevor, es war nicht voll. Außer uns nur Schulklassen, ein abschließender „Wandertag“. Zwei vierte Grundschulklassen trugen bedruckte „Abgänger“-T-Shirts, darauf waren die Namen aller Schüler zu lesen: Eine Sophie, ein Leon und ein Dominik zwischen Cem, Can, Erdem, Büsra, Kübra und einer Vielzahl anderer Namen, die hierzulande vor 25 Jahren nicht geläufig waren. Die notorische Buntheit der Republik hatte sich seinerzeit erst eingeschlichen, wir hatten uns somit peu a peu dran gewöhnt:
Im Kindergarten hatte ich einzig eine Hatice, Kleid über Hose, keiner hat sie je sprechen gehört, sie wurde weder ausgelacht noch integriert, man wußte nicht mal, wo sie wohnte. In der Grundschule waren es dann drei Fremdstämmige, darunter ein Farouk, ein linkisch-verklemmter Freddie Mercury- Doppelgänger, der drei Jahre älter war als der Rest der Klasse. Im Gymnasium waren acht von dreißig Schülerinnen Ausländerinnen, alle katholisch. Deren „Migrationshintergrund“ wurde uns Deutschen nie wirklich bewußt, er war nie ein Thema, mit einer Ausnahme: Als eine Spanierin sich in der sechsten Klasse unter (wütenden!) Tränen weigerte, die Nationalhymne zu singen (die nicht etwa täglich abverlangt wurde, sie stand auf dem Stundenplan). Die Lehrerin reagierte verständnisvoll, und mehr noch: An solch „glühendem“ Patriotismus sollten wir anderen uns ein Beispiel nehmen.
Meine eigene Kinder, sämtlich in den östlichen Bundesländern eingeschult, erleben ihre Mitschülerschaft monokulturell. Zwar haben eigentümliche Namen (Harley, Sullivan, Virginia, Lennox) selbst auf dem Gymnasium Einzug gehalten, die einzigen Fremdstämmigen hingegen sind einzelne Vietnamesen.
Unser Sohn, sechs Jahre und seit je beharrlich die Worte „Ausländer“ und „Engländer“ verwechselnd, staunte im Freizeitpark: „Machen etwa so viele Engländer hier Ferien?!“ Besonders hatte es ihm die kleine Autoscooter-Fläche angetan, er fuhr acht Runden hintereinander, um dann festzustellen: „Gell, die Engländer fahren alle viel wilder. Bestimmt ist das wegen dem Linksverkehr, du hast doch mal gesagt, die müssen dort links fahren. Vielleicht sind die deshalb so wild!“ Die „Engländer“ benahmen sich auch insgesamt anders. Mit offenem Mund lauschte Sohnemann, wie aggressiv man den sanften Ermahnungston erwachsener Begleitpersonen zurückweisen kann.
Erstaunlich war für mich eine gewisse subtile Ironie in den Sätzen, die sich Neuntkläßler einer Hauptschule zuriefen, hochironisch den Toleranzton ihrer Lehrerinnen nachäffend. Als ein Schwarzgelockter durch gezielte Tritte gegen die Elektronik die Seilbahn zum Erliegen brachte, tönte sein Kumpel mit schmachtender Stimme: „Mensch, Oktay, das find ich jetzt echt nicht in Ordnung! Was hast du dir nur dabei gedacht? Da müssen wir wohl mal über Konsequenzen nachdenken!“
Oder als einer mit Stöcken nach herumwatschelnden Entenküken zielte, in betont hoher Stimmlage: „Hör mal, Ali, das ist nicht grad korrekt von Dir! Bleib doch mal fair!“ Ali flötend zum Klassenkameraden zurück: „Da seh ich irgendwie anders, Frau Lehrerin, lecken Sie mich doch bitte einfach mal am A…!!“ Unser Sohn war einigermaßen fasziniert. Wir auch.
Eine der Lehrerinnen, von mir auf ihren gewiß anstrengenden Beruf angesprochen, milderte ab: „Ach ja… Das sind die Flegeljahre. Im Ernst – waren wir damals immer brav?“ Es ist davon auszugehen, daß nur eine ganz bestimmte, eng begrenzte Art Mensch als Lehrer in solchen Gefilden ohne Dach- oder sonstigen Schaden übersteht.
Tags drauf zurück am heimischen Badesee im Osten der Republik, umgeben von Madlens und Ronnies; einer rülpst nach dem Wegzechen einer Bierdose, wieder guckt & horcht der Sohn interessiert. Einer will baden gehen und spuckt auf dem Weg zum Ufer mehrmals auf den Boden. „Macht man das hier so, ja!?“ – „Oh, tschuldigung, war´n Versehen. Alles klar. Kommt nicht wieder vor.“ (Was gewiß gelogen war.) Den eigenen Pöbel zu integrieren scheint Aufgabe genug. Wie gut, wenn man sich über die Spiel- und Verkehrsregeln wenigstens im Grunde einig ist.