ein minimales Gegengewicht zu den Unterhaltungsteilen anderer überregionaler Tageszeitungen? Es muß, wenn überhaupt, vor meiner Zeit gewesen sein. Und seit ein paar Monaten ist ein abermaliger Linksruck (der wievielte?) überdeutlich.
Man erinnere sich an Lorenz Jägers tragikomischen Abschied von der „Rechten“, daran, daß der leninistische Kommunist Dietmar Dath wieder der Redaktion eingegliedert wurde und eben die Gender-Bemühungen der Piratenpartei hochlobte; an die länglichen, so redundanten wie vorgestrigen Empörungsruf eines Raphael Groß (dem eine regelmäßige, „links“ betitelte Glosse eingeräumt wurde) über ein Ernst-Jünger-Stipendium, an zahlreiche umfängliche Auftritte diverser PiratInnen, an Alice Schwarzers wiederholte Einlassungen, nicht zuletzt an den Aufmacher in der Ausgabe von vorigem Donnerstag, den keine geringere als Sahra Wagenknecht verfassen durfte.
Gestern war ausgerechnet Melanie Mühl an der Reihe, den verschärften Linkskurs durch ein artiges Exempel mitzuvollziehen. Melanie Mühl hatte im Herbst ein vielbeachtetes Buch über Patchworkfamilien verfaßt, das so knochenkonservativ war, daß ich mich mit meiner Einstellung gar rechts überholt fühlte. Zeter und Mordio wetterte sie gegen alle Scheidungsaktivisten, haderte mit der progressiven neue Moral in Liebesdingen, daß ich als Rezensentin nicht recht wußte: Ist diese Autorin überaus mutig oder nur naiv, derart gegen den Hauptstrom anzuschwimmen?
Mit harschen Worten wurde hier Kulturkritik betrieben und das gängige „anything goes“ gegeißelt, daß mir geradezu schwindelte. Darf man das als FAZ-Redakteurin wirklich wagen, jegliche verfeinerte Differenziertheit außer acht zu lassen und einfach mal gut-konservativ loszuwettern?
Melanie Mühls polternde Polemik ließ mich nicht unbeeindruckt. Im Buch dankte sie ausdrücklich Lorenz Jäger, das war vor dessen Abschied von den „Kameraden“. Wie kommt´s also, daß dieselbe Autorin nun auf Seite eins des FAZ-Feuilletons mit einem trivialfeministischen Elaborat aufwartet? Ich stelle es mir so vor:
Berater Lorenz Jäger hat sich die junge Frau zur Brust genommen: „Fräulein Mühl, das war ja eine nette Geschichte mit ihrem Buch, aber, Kind – merken Sie was?“
Mühl: „Wieso, was denn?“
Jäger: „Na, das Werk hat sich gut verkauft, aber – die Kollegen haben das Buch verrissen, eigentlich alle! Also… Ihr Fähnlein, Sie sollten es richten!“
Mühl: „Bitte?! Es gab doch auch Lob, und zwar dickes! Und welches Fähnlein?“
Jäger: „Hm…Wenn ich´s recht sehe, nein, wenn ich es schlicht zusammenfasse, dann haben im wesentlichen drei Organe ihr Buch gelobt… Die Junge Freiheit, die Sezession und eigentümlich frei. Stimmt sie das nicht unruhig? Ich meine, sie merken doch auch, der Wind weht anders….“
Mühl: „Aber ich hab doch nur beschrieben, was ich sehe und fühle wie immer! Kann das falsch sein?“
„Jäger: „Sagen wir so: Die sie da positiv rezensierten, das sind halt die falschen Freunde. Sie haben doch eine großartige Karriere vor sich… Von einer jungen Frau erwartet man heute andere Positionierungen….“
Mühl: „Helfen sie mir auf die Sprünge, da fehlt mir vielleicht die Erfahrung…“
Jäger: „Mensch, Fräulein Mühl, eine junge Frau, die auf sich hält, denkt doch heute nicht über den Tod der Familie nach! Die grübelt über der Vereinbarkeitsthematik, die beschäftigt sich mit dem Patriarchat, die liest auch mal Alice Schwarzer!“
Mühl: „Alice – wie noch mal weiter? Gibt es da einen Titel, dann kann ich mich da mal einlesen.“
Sprichts und tut´s, liest noch dazu das neue Klagebuch einer Kollegin und Neomutter („Wie Frau sein“) und greift in die Tasten, wie gewohnt ganz eng an der eigenen Erfahrungswelt entlang. Der verzweifelte Satz einer Freundin und werdenden Mutter „hallt nach“ in ihr: „Für Jungs ist das Leben viel leichter.“ Oh ja, findet Melanie Mühl und wärmt – neu ist diese Gebrauchsphilosophie allenfalls für sie selbst – auf: Die jungen Frauen hätten sich vom Feminismus abgewandt, weil der ihnen „uncool“ erscheint.
Frau Mühl findet das bedenklich, ja, verwerflich. Denn die „häßlichen Fakten“ sagen, daß Frauen im Schnitt 23% weniger verdienen als Männer (Mühl entgeht, daß da kein Patriarchat ist, daß Mädchen daran hindert, statt Krankenschwester, Friseuse oder Kindergärtnerin Professorin, Kanzlerin oder gar FAZ-Redakteurin mit bescheiden überdurchschnittlichem Verdienst zu werden), daß Väter „nach drei Monaten Elternzeit“ sich wieder in die alte „Rollenverteilung“ (sprich: in die bestimmt bequeme Arbeit) verdrücken, daß die allermeisten Alleinerziehenden Frauen sind (fast nie übrigens gegen ihren Willen!), daß immer noch viele Frauen freiwillig (für Mühl nur eine sogenannte Freiwilligkeit) den Namen des Ehemannes annehmen und „trotz Studium“ ihre eigenen Kinder betreuen. „Das ist ein Schock“ für Melanie Mühl.
Frauen seien so unsolidarisch, wettert sie, daß sie dauernd über „das eigene Geschlecht“ herzögen, „daß einem schlecht wird.“ (Sollte es nicht „einer“ heißen, um im feministischen Duktus zu bleiben?) “Abweichende Entwürfe“ (etwa die Nachnamenswahl? Die Entscheidung zu Hause zu bleiben?) würden diffamiert, klagt die Autorin. Sie vermißt den „kritischen Blick auf die tatsächlichen Machtverhältnisse“ (hört!) und benennt den „eigentlichen Skandal“: „Die Frage heißt nicht: Frauenquoten ja oder nein. Sie heißt: Warum müssen wir überhaupt darüber diskutieren?“ „Womöglich“, so endet der abgelagerte Aufwasch “brauchen wir eine Alice Schwarzer dringender, als wir ahnen.“
Kann sein, daß Lorenz Jäger, der sie einst zum Anti-Patchwork-Buch ermutigt hatte, der Kollegin nun zu ihrem Traktätchen gratuliert hat. „Sehen sie, Frl. Mühl, und schon weht das Fähnlein wieder munter im Wind! Kann sein, daß Mühl entgegnete: „Ihr ´Fräulein´ bin ich nicht mehr! Und – wieso verdienen sie eigentlich mehr als ich?“