Die Methode Spiegel

Das "Sturmgeschütz der Demokratie", wie Rudolf Augstein einmal seinen Spiegel nannte, hat wieder gefeuert und in seiner neuesten Nummer...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

ein­mal mehr Gip­fel an keu­chen­der Panik­ma­che erklom­men. “Nazi-Par­tei NPD – VERBOTEN GEFÄHRLICH” steht da in dicken Let­tern, illus­triert mit einer (ver­mut­li­chen) Foto­mon­ta­ge, die einen fau­stre­cken­den  “auto­no­men Natio­na­lis­ten” im Vor­der­grund und zwei ver­ängs­tig­te, dun­kel­haa­ri­ge, offen­bar pogrom­ge­fähr­de­te Migran­ten­kin­der im Hin­ter­grund zeigt.

Im Blatt sel­ber folgt dann eine fet­te zehn­sei­ti­ge Sto­ry über die “uner­träg­li­che Par­tei”, die man als “Sam­mel­be­cken von Ras­sis­ten, Hit­ler-Anbe­tern und Ver­fas­sungs­fein­den” eigent­lich ver­bie­ten müß­te. Die ers­te Dop­pel­sei­te, die man auf­schlägt, kom­bi­niert ein Foto einer Grup­pe von demons­trie­ren­den rechts­extre­men Kapu­zen- und Son­nen­bril­len­trä­gern mit einer bekann­ten Monu­men­tal­auf­nah­me von Hit­ler, der inmit­ten einer Para­de von stan­dar­ten­tra­gen­den SA-Män­nern und einem Troß von uni­for­mier­ten Wür­den­trä­gern im Schlepp­tau tri­um­phal eine Trep­pe hin­an­schrei­tet, hin­ter sich ein Meer an Volks­mas­sen. Wow.

Die­se Gleich­set­zung mag für die abge­bil­de­ten Demons­tran­ten schmei­chel­haft sein, und den Spie­gel-Lesern woh­li­ge Schau­er über den Rücken jagen, ist aber näher betrach­tet eben­so schwach­sin­nig wie hys­te­risch und ohne jeg­li­ches Maß. Oder han­delt es sich um geziel­te Dem­ago­gie?  Hier wird bild­haft sug­ge­riert, daß der Anbruch des Vier­ten Reichs wegen ein paar gesell­schaft­lich mar­gi­na­li­sier­ten Radau-Revo­luz­zern unmit­tel­bar bevor­stün­de, die neben­bei mei­nes Wis­sens eher im Bereich der “frei­en Kame­rad­schaf­ten” und rech­ten “Auto­no­men” als der NPD anzu­sie­deln sind und von ihren Pen­dants vom lin­ken Ufer schon rein zah­len­mä­ßig um ein Viel­fa­ches über­trof­fen wer­den.  (Anm. M.L.: Wie mir mit­ge­teilt wur­de, han­delt es sich tat­säch­lich um “Auto­no­me Natio­na­lis­ten” in Dortmund.)

Ein paar Sei­ten Alarm­ge­bim­mel spä­ter wird die Ton­la­ge gewech­selt und man liest nun vom “Popanz NPD”:

Eigent­lich schafft sich die NPD gera­de mal wie­der selbst ab. Vor vier Jah­ren hat­te die Par­tei noch 7200 Mit­glie­der, jetzt sind es 5900, aber glaubt man Apfel, dem Chef, dann sind auch noch 200 bis 300 Kar­tei­lei­chen dabei; Volks­ge­nos­sen, die ihre zwölf Euro Monats­bei­trag für die natio­na­le Sache schul­dig geblie­ben sind. Jeder zehn­te Par­tei­gän­ger ist arbeits­los, das sind mehr als bei jeder ande­ren Par­tei. “Ihr Milieu scheint aus­ge­schöpft”, heißt es in einer neu­en Stu­die der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung.  Den har­ten Kern, die Akti­vis­ten, schätzt auch Apfel auf höchs­tens 3000 Kame­ra­den, die für die NPD auf die Stra­ße gehen, Wahl­kampf machen, sich auf die Lis­ten set­zen las­sen für Stadt­rä­te, Kreis­ta­ge, Land­ta­ge. (…) Eigent­lich erscheint die Par­tei wie ein schlech­ter Witz, und es wür­de rei­chen, wenn man ihn nicht wei­ter­erzäh­len würde.

Also was nun? Ist die NPD schreck­lich gefähr­lich und steht kurz vor der Macht­er­grei­fung, oder ist sie “ein schlech­ter Witz” und im Abstieg begrif­fen? Bei­des zusam­men geht ja offen­bar nicht. All das folgt wie­der der For­mel, die Gün­ter Maschke gern so auf den Punkt bringt: der Geg­ner ist häß­lich, dumm, wider­legt, lächer­lich, aber gleich­zei­tig unge­mein gefähr­lich. Wor­aus natür­lich die­je­ni­gen am meis­ten Pro­fit schla­gen, die stän­dig vor die­ser “Gefahr” war­nen. Die über­stei­ger­te NPD-Obses­si­on der Medi­en ver­weist indes­sen auf grund­sätz­li­che­re Din­ge, deren Ana­ly­se ein ande­res Mal fol­gen soll. Zu fas­sen ist das alle­mal psy­cho­lo­gisch, auch wenn wir den Unter­hal­tungs­wert nicht ver­ges­sen wol­len (Thors­ten Hinz hat dazu anläß­lich des Dres­den-Geden­kens ein paar Bemer­kun­gen gemacht.)

An die­ser Stel­le nur soviel: Frank Lis­son beschreibt in sei­nem neu­en Buch “Die Ver­ach­tung des Eige­nen”, wie in einer Gesell­schaft ein­zel­ne Grup­pen zu “Pro­jek­ti­ons­flä­chen für die Angst” wer­den kön­nen, “daß die Absicht der eige­nen Erneue­rung und Flucht aus den alten Ver­hält­nis­sen zuletzt doch noch am bösen Feind schei­tern könn­te.” Dem “Haß­ob­jekt”, das “die Has­sen­den zu einem Kol­lek­tiv ver­eint”  wird dabei “eine Macht oder Gefähr­lich­keit unter­stellt, die in einem ekla­tan­ten Miß­ver­hält­nis zu sei­ner tat­säch­li­chen quan­ti­ta­ti­ven Prä­senz steht.”

Daß nicht nur die NPD, son­dern der “Nazi” an sich einen wich­ti­gen, ja kon­sti­tu­tio­nel­len Fak­tor im psy­cho­hy­gie­ni­schen Haus­halt der Bun­des­re­pu­blik stellt, kann man tag­täg­lich beob­ach­ten. Kaum ein Tag ver­geht ohne eine Mel­dung mit “Nazi”-Bezug. Die Fre­quenz, mit der der “täg­li­che Nazi” in den (Schein-)Debatten, den klei­nen und gro­ßen Skan­däl­chen und der poli­ti­schen Rhe­to­rik auf­taucht, scheint sich umso mehr zu stei­gern, je geis­tig hoh­ler, spi­ri­tu­ell arm­se­li­ger, kul­tu­rell bank­rot­ter, mora­lisch abge­half­ter­ter und prak­tisch inef­fi­zi­en­ter sich das bestehen­de Sys­tem dar­stellt. Dabei wer­den die Ritua­le, in denen der brau­ne Fla­schen­geist beschwo­ren wird, in dem Maße gespens­ti­scher, je wei­ter der Welt­krieg und die Hit­ler­zeit zurück­lie­gen und je weni­ger ech­tes his­to­ri­sches Wis­sen dar­über (und über die deut­sche Geschich­te über­haupt) besteht.

Der “Nazi” ist Speed, Pro­zac und Opi­um der alters­de­men­ten Bun­des­re­pu­blik zugleich. Der Deut­sche, der ansons­ten völ­lig lethar­gisch und rat­los bei der “Abschaf­fung” sei­ner eige­nen Zukunft zuguckt, wird plötz­lich wie­der fieb­rig und hek­tisch, wenn er sei­ne Dosis Hit­le­rin gespritzt bekommt. Dann fühlt er sich wie­der so rich­tig leben­dig. Die Abhän­gig­keit ist inzwi­schen so groß, daß kaum ein ande­rer Stoff mehr imstan­de ist, sei­nen Puls der­art zu beschleu­ni­gen.  Jeder kor­rup­te und lan­des­ver­rä­te­ri­sche Dreck, jeder Beschiß und Betrug, der quer durch die Par­tei­en emsig betrie­ben wird, jede Art von Selbst­haß- und Selb­st­ab­schaf­fungs­or­gie, jede Unwür­dig­keit und Pein­lich­keit, jedes Aus­maß an sowjet­ar­ti­ger Indok­tri­nie­rung und Lüge wird augen­blin­zelnd und schul­ter­zu­ckend gedul­det, aber “uner­träg­lich” ist natür­lich nur die NPD, die­se War­ze am Hin­tern und die­ser Sta­chel im Fleisch des bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Oblomow.

Ich für mei­nen Teil fin­de die NPD auch “uner­träg­lich” und lächer­lich, aber nicht mehr als die Grü­nen, die Lin­ke oder die Mer­kel-CDU, die quan­ti­ta­tiv und qua­li­ta­tiv weit­aus mehr Scha­den anrich­ten, indem sie das gan­ze Land fahr­läs­sig aufs Spiel set­zen und sei­ner Frag­men­tie­rung Vor­schub leis­ten. Die NPD hat natür­lich auch eine sys­te­mi­sche Funk­ti­on in dem gro­ßen gan­zen Spiel: wie der mas­si­ve Ein­satz von V‑Männern zeigt, hat der Staat gewiß auch ein Inter­es­se dar­an, sei­ne “Extremisten”-Szenen am Köcheln zu hal­ten, um immer das fins­te­re Gegen­bild zu sei­ner eige­nen strah­len­den Wohl­ge­ra­ten­heit parat zu hal­ten, und um “Hal­tet den Dieb!” schrei­en zu kön­nen, wenn es wie­der mal oppor­tun ist.

Und wer nun der­ar­ti­ge Kicks nicht nötig hat und die ent­spre­chen­de Pil­le ver­wei­gert, macht sich ver­däch­tig. Eben­so, wer sei­ne Sinn­stif­tun­gen ander­wei­tig bezieht und wer nicht bereit ist, bei der all­ge­mei­nen Hys­te­rie, wie etwa um die angeb­li­che “Brau­ne-Armee-Frak­ti­on” mit­zu­ga­ckern und gar Zwei­fel anzu­mel­den. Wie ein paar “neue Rech­te” zum Bei­spiel, denen die Adolf­e­rei in Per­ma­nenz bis auf den Boden hin­ab zum Hal­se her­aus­hängt. Lei­der ist jeder Flucht­ver­such zwecklos.

Stell dir vor, es wird bewäl­tigt, und kei­ner geht hin. Dann kommt die Bewäl­ti­gung zu dir. Wäh­rend alle Welt manisch um den unto­ten Adolf kreist, gehen wir Sezes­sio­nis­ten aus Ekel, Lan­ge­wei­le und Über­druß in den Kel­ler kot­zen, abwech­selnd Regen­bo­gen und Haken­kreu­ze, je nach­dem, wie auf­re­gend “bunt-braun” der heu­te auf­ge­tisch­te Ein­heits­brei mal wie­der gewürzt war.

In die­ser kaf­ka­es­ken End­los­schlei­fe pfeift also das deut­sche Mur­mel­tier sei­ne immer­glei­che Melo­die. Schon vor über 25 Jah­ren hat der bereits zitier­te Gün­ter Maschke all dies in dem legen­dä­ren Auf­satz “Die Ver­schwö­rung der Flak­hel­fer” auf den Punkt gebracht, – egal, was es auch sein mag, ob Ein­wan­de­rung, inne­re Sicher­heit, Erzie­hungs­sys­tem, Geschichts­deu­tung, Lan­des­ver­tei­di­gung, Finan­zen, nichts von alle­dem kön­ne man ver­nünf­tig und ent­schie­den im eige­nen Inter­es­se regeln “wegen Hit­ler”, der eisern “die Richt­li­ni­en der Poli­tik in Deutsch­land” als “nega­ti­ver König” bestim­me. “Hit­ler-Anbe­ter” mag es in der NPD gewiß genug geben, aber sie sind bloß der Schat­ten einer viel all­ge­mei­ne­ren Anbe­tung. Hit­ler ist heu­te eine Mischung aus Anti­christ, Graf Dra­cu­la und Schuld­ted­dy, an den sich der Michel ver­bis­sen klam­mert, um nicht dem “Hor­ror vacui” anheim­zu­fal­len. Könn­te nun end­lich einer die­sem ver­hut­zel­ten unto­ten Blut­sauger an unse­rer Gegen­wart und Zukunft den Pfahl ins Herz ram­men? “Wie lan­ge noch Regie­rung Hit­ler?” frag­te Maschke.

Wenn es nach dem Spie­gel gin­ge, dann wohl bis in alle Ewig­keit, ist er doch das Zen­tral­or­gan des besag­ten Hit­ler-Kults im Namen der ein­zig­wah­ren “Demo­kra­tie”, dem sich alle zu unter­wer­fen haben. Wer das nicht tut, wird eben von der “demo­kra­ti­schen” Inqui­si­ti­on platt­ge­walzt, wie es eben­falls in der neu­en Aus­ga­be Chris­ti­an Kracht pas­siert ist. Georg Diez hat sich näm­lich im Kul­tur­teil eine abge­feim­te sta­li­nis­ti­sche Num­mer geleis­tet, die fast schon wie ihre eige­ne Par­odie wirkt.

Davon in Kür­ze mehr.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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