springen muß. Hingehalten wird es ihm von jenen, die von der großen anti-deutschen Erzählung profitieren und sie weitertragen, indem sie sich zu Torwächtern aufschwingen: Spring, es wird Dein Schaden nicht sein. Derzeit springt die Fakten-Partei:
Den “Piraten” bescheren Wahlerfolge und Umfragehochs neben Aufmerksamkeit vor allem individuelle Karriere-Chancen und eine handfeste Beteiligung an der Macht. Dem können jene, die den Kuchen bisher unter sich aufteilten, nicht mehr wehren: Zu groß ist das Potential derjenigen, die von den Etablierten genug haben und in den weltanschaulich nicht festgelegten “Piraten” die ihnen gemäße politische Vertretung sehen.
Fakten-Partei: Das wäre – ernst genommen – das Gegenteil von ideologischer Ausrichtung oder ebensolcher Parteidisziplin. Die Welt würde wahrgenommen, wie sie ist, und keine faktengestützte Wirklichkeitsbeschreibung dürfte außen vor bleiben, nur weil sie einem von der Partei vorgegebenen Bild widerspräche.
Ohne Zweifel wäre eine solche Faktenorientierung, eine solche Ideologieabstinenz vor allem das Einfallstor für im weitesten Sinne “rechte” Themen. Alle linke Wirklichkeitswahrnehmung und Wirklichkeitsverzerrung hat längst erfolgreiche politische Heimathäfen gefunden – die Rechte indes schwirrt freigeschossen und suchend wie eine Flipperkugel durchs politische Gelände, und überall, wo es zu Berührungen kommt, blinken Lämpchen auf und ertönen Signale.
So nun seit Tagen bei den “Piraten”, die sich anschicken, den 3. und 4. Landtag /NRW und Schleswig-Holstein) zu kapern. Weil das wohl nicht mehr zu verhindern ist, muß wenigstens Sorge dafür getragen werden, daß da nicht die falschen (also: die vielleicht doch ein bißchen rechten oder zumindest dezidiert nichtlinken) Leute Einfluß, Mandat und Staatsgelder in die Hand bekommen.
Wer vor Monaten verblüfft verfolgt hatte, wie die Geschäftsführerin Marina Weisband zur Vorzeige-Piratin und auswiegenden Instanz ihrer Partei aufgebaut worden ist (vor allem vom Spiegel und von der FAZ), konnte dieser Tage lernen, wie derlei Mediengespanne aus Politiker und Organ ins Geschirr gehen, wenn die Torwächter und Stöckchen-Halter die Zügel übernehmen.
Stöckchen-Halter No. 1: Michel Friedman, der in seiner Talkshow auf N24 Weisband nach dem “Fall Bodo Thiesen” fragte. Dessen Parteiausschluß aufgrund relativierender Äußerungen zum Holocaust und zum II. Weltkrieg war an Formfehlern gescheitert. Thiesen hatte 2008 unter anderem geäußert:
Wenn Polen Deutschland den Krieg erklärt hat (und das hat Polen indirekt durch die Generalmobilmachung), dann hatte Deutschland jede Legitimation, Polen anzugreifen.
Weisband übersprang das Stöckchen, das Friedman ihr hinhielt, geradezu übermotiviert: Man werde “mit allen politischen und juristischen Mitteln gegen dieses Schwein vorgehen”. Daß diese drastischen Worte samt Beleidigung ein Sprung in die Ruhe hinter der Pflicht-Hürde war, legt ein Blog-Eintrag der gläubigen Jüdin Weisband nahe:
„Gestern war ich auf einer Trauerfeier zum Jom HaSchoa, dem jüdischen Gedenktag zum Holocaust. Ich habe die Gebete mitgesprochen. Bei den Liedern habe ich kurz geweint. Keine Stunde später musste ich mich von Friedmann dafür anschreien lassen, dass wir Nazis in der Partei dulden. Und er ist leider nicht der einzige.“
Stöckchen-Halter No. 2: Spiegel-online, das Weisband zum Gespräch bat und ihr den Satz entlockte, der jede Sachdebatte beenden muß und damit jede dem Faktenaustausch verpflichtete Atmosphäre zertört. “Es ist Bullshit, daß wir rechtsextreme Meinungen tolerieren müssen”, wobei Marina Weisband jenseits eines Bauchgefühls und mit Sicherheit nicht sagen könnte, was eine rechtsextreme Meinung eigentlich ist, wer sie als solche definiert, wer überhaupt das Recht auf eine verbindliche Definition haben könnte – und von wem sie sich demnach die Grenze ihrer Vorstellung von Meinungsfreiheit würde diktieren lassen.
Vielleicht von Klaus Wowereit? Der kritisierte das lasche Vorgehen gegen Extreme in der Piraten-Partei und stellte im Talk bei Maybrit Illner fest, “daß ein anständiger Demokrat deutlich Flagge zeigen” müsse. Oder doch von Robert Habeck, dem Spitzenkandidat der Grünen in Schleswig-Holstein, der gegenüber Spieegel-online die Kampfzone ausweitete und nicht den extremistischen Rand, sondern gleich eine ganze Denkrichtung ausschloß: “Gegen Rechts kann es keine ‘flüssige Demokratie’ geben, nur klare Kante.”
Ein Mann wie Hartmut Semken, Berliner Landeschef der “Piraten”, wittert wohl, daß es denen, die nun von außen seiner Partei eine Nazi-Diskussion bescheren, gar nicht um Nazis gehe: Immerhin hatten die “Piraten” gegen Bodo Thiesen (der vielleicht gar kein Nazi ist, sondern nur ein historisch interessierter Mann mit einer Abneigung gegen Denkverbote) bereits am 16. Juli 2009 ein Parteiausschlußverfahren eingeleitet und ihn zugleich seiner Ämter enthoben.
Nein, um Bodo Thiesen geht es nicht. Es geht eher um die seit Jahren unterdrückte Wirklichkeitsbeschreibungen, die eigentlich nur in den Zeitungen und Zeitschriften, Blogs und Portalen einer im weitesten Sinne “Neuen Rechten” geleistet werden, und die in einer Fakten-Partei willkommen sein müßten. Vielleicht stellt sich Semken die Frage, warum die “Neue Rechte” sich nicht auch an der Debatte über die Zukunft Deutschlands beteiligen sollte, auch innerhalb seiner Partei.
Marina Weisband ist da schon einen Stöckchen-Sprung weiter, sie hat ihre Sache gut gemacht und wird es noch weit bringen.
rübezahl
volle Zustimmung.
Wenn es eine Partei mit der Meinungsfreiheit ernst nimmt, dann sollte es die Piratenpartei sein. Und sie müsste sich gegen die aufgezwungene Diskussion verwahren. Aber dafür sind die handelnden Personen wohl zu junior und zu leicht beeinflussbar.