Gerade für Frauen. Es ist nicht gerade eine brandneue Erkenntnis, die Sofie Peeters zutage gefördert hat. Für eine rege Debatte sorgt der Dokumentarstreifen der 25jährigen flämischen Filmstudentin allemal. Sie hat sich angekleidet wie es für eine durchschnittliche Europäerin jüngeren Alters an Sommertagen üblich ist, hübsch und luftig, keinesfalls in besonderem Maße aufreizend.
So geht sie durch die Straßen Brüssels und nimmt all die Zurufe und „Angebote“ auf, die ihr nun von Passanten, Rumstehern und Cafébesuchern angetragen werden. Es sind tolle „Komplimente“; Sprüche, die sie als Flittchen und „geiles Luder“ herabsetzen, Beischlafofferten en gros.
Ein kühles „nein, danke“, stachelt die Männer oft noch mehr an als wortloses Weitergehen. Manchen Zotenreißer spricht die Studentin offen an, warum er ihr solche Sprüche an den Kopf werfe. Und ob er öfters Erfolg damit habe? Wenn sie Sprüche vermeiden wolle, solle sie sich entsprechend kleiden, heißt es, Körper und Haupt bedecken. Oder sich von ihrem Mann begleiten lassen. Dann würde sich wohl den „Respekt“ erfahren, den sie sich wünsche. Und nein, die Mißerfolgsrate liege bei 99, 5 %, sagt ihr einer der Befragten.
Die allerwenigsten Frauen fassen die schamlose Anrede als hübschen Flirt auf. Sofie Peetres fährt ihr Filmprojekt unter dem Etikett „Sexismus“. Feministische Gruppen haben es längst aufgegriffen, natürlich unter Aussparung der Tatsache, daß es eben durchweg keine urtümlichen Belgier sind, die hier die Würde der Frau verletzen. Doch natürlich entgeht es keinem Betrachter, daß es keine autochthonen Brüsseler sind, die sie als Hure titulieren und sie unverschämt auf diverse Körperregionen ansprechen. In Belgien – wo „sexistische“ Anmache nun mit einem Bußgeld geahndet wird! – hat die Dokumentation deshalb zu einer heftigen Debatte geführt.
Daß Sofie Peeters´ Erlebnisse ein „Einzelphänomen“ seien, war noch dabei noch das vorsichtigste Contra. In der taz klagt ein Autor, daß Peeters sich hätte unmißverständlicher zur „Rassen“- Frage hätte äußern können:
Da in der Tat „neun von zehn“ Männern, die sie vor der Kamera belästigt haben, ausländischer Herkunft seien, habe sie befürchtet, sich dem Rassismusvorwurf auszusetzen. Ein wenig naiv tönt ihre Entgegnung, die in ihrem Film gezeigten Machos mit Migrationshintergrund seien „nicht repräsentativ für die maghrebinische Gemeinschaft“. Was der Film zeigt, ist ein Teil der Realität. Peeters hätte aber (ergänzend) auch dokumentieren können, dass Einheimische sich in dieser Hinsicht auch nicht korrekter aufführen.
Ein taz-Leser gießt in seinem Kommentar Öl ins Feuer, in dem er Peeters´ Stellungnahme korrigiert. Zu dem im Raum stehenden Vorwurf befragt, habe Peeters dem Flemish TV Channel (VRT) gesagt:
“It was one of my biggest fears. How to tackle this subject without making the film racist? But this is the reality: when you’re walking around Brussels, in 9 cases out of 10 these insults come from a foreigner. But these people are characteristic of the entire Magrib community.”
Zu deutsch: Diese Leute seien typisch für die gesamte maghrebinische Gesellschaft. Are und arn´t sind beim Hören nun leicht zu verwechseln. Nehmen wir den Glücksfall an: Das Verhalten der nordafrikanischen Sprüchemacher wäre extrem untypisch für ihre Herkunftsländer. Wie eigentümlich, daß diese Einzelpersonen sich in der Gesamtschau so hervortun! Man, besser: frau kann diese Szenen leicht in andere mitteleuropäische Großstädten nachempfinden: Überall dieses (un)typische Verhalten der „Maghrib community“!
Dazu eine Anekdote: In der letzten Ausgabe der Jungen Freiheit habe ich den aktuellen Kinofilm Man for a Day besprochen. Ein Film mit feministischer Intention; er zeigt Frauen in einem Kurs der gender-Aktivistin Diane Torr. Die Teilnehmerinnen verkleiden sich dort als Männer und werden, gleichsam als Selbsterfahrungsexperiment – angeleitet, wie man als gewöhnlicher Mann sitzt, geht, guckt, auftritt, spricht und so weiter. So sollen die Frauen eigenes Weibchenverhalten erkennen und wenigstens kurzfristig die Perspektive wechseln. Daß mir der Film ziemlich gut gefiel, hat mir gleich konservativen Tadel eingebracht: Ob ich wohl für die „Relativierung des Geschlechts“ sei?
Jedenfalls hatte ich mich beim Sehen des Films schön an einen Kurs erinnert, den ich selbst vor langer Zeit besucht hatte. Nicht bei Frau Torr, die gewöhnlich in Lesbenkreisen agiert, sondern bei einem beeindruckenden deutschen Kampfweib. Deren Selbstbehauptungstraining richtete sich an Jederfrau, drum waren zahlreiche Hausfrauen und auch ältere Damen beteiligt. Wir lernten, wie man steht, geht und auftritt, wenn man abschätzige Blicke, herabwertende Bemerkungen und tätliche Angriffe (von Männern) vermeiden will.
Alle Frauen dort hatten vielfältige Erfahrungen mit dem, was heute unter den Begriff street harrassment fällt, vulgäre Anmache, physische Übergriffe. Als eine der Damen etwas naiv davon sprach, daß es doch ausnahmslos „die Ausländer“ seien, die sich derart unflätig gegen Frauen benähmen, war es, als platzte ein Knoten: Alle Frauen stimmten zu. Ja, die Grabschereien, Pfiffe und sexuell konnotierten Sprüche kannten sie eigentlich nur aus fremdländischem Munde!
Da wurde unsere Trainerin aber bös! Das verbat sie sich! Sexismus auf der Straße sei ein Männerproblem, kein Ausländerproblem! Bis dahin hatten wir Teilnehmerinnen der bulligen, kurzgeschorenen Frau ungern widersprochen. Sie verkörperte ja das, was wir lernen wollten: unbedingte Autorität! Nun gab es Widerspruch zuhauf, es hagelte Beispielerzählungen.
Man einigte sich ungefähr auf die Quote, die auch Sofie Peeters im Mund führt: Neuneinhalb von zehn Belästigern sind ausländischen Herkunft. Unsere Trainerin wurde zickig: Wir alle seien im Banne eines Klischees. Bei ihr, wenn wir schon mit fragwürdiger Empirie ankämen, sei das genau umgekehrt: neun von zehn Herabwürdigungen erfahre sie von deutschen Bauarbeitern. Und klar müßte doch immerhin sein, daß es MÄNNER sind, die „übergriffig“ würden. Allein darauf käme es an.
Ja, das paßt. Die einen sagen, gewisse Probleme seien eine Sache der sozialen Schicht. Die anderen sagen, dauernde Mißerfolgserfahrungen seien der Grund. Die nächsten meinen, das Problem sei das Geschlecht. Und wer ist schuld? Der Staat und seine Sozialingenieure, die nicht ausreichend & tiefgründig gefördert, belohnt und gegendert haben.
S. W.
Ich hörte ähnliches von mehreren weiblichen linksgrünen Bekannten aus Berlin, die u.a. nur noch mit Kopfhörern aus dem Haus geht um zwecks Gesichswahrung so tun zu können als hörte sie die Anmache nicht. Ich kenne allerdings auch den weiblichen Typus, der afrikanische und nahöstliche Migranten allgemein maskuliner und damit auch attraktiver findet als deutsche Männer.
Wenn aber nun so viele Frauen zumindest in Großstädten entsprechende Erfahrungen mit Personen aus bestimmten Migrantenpopulationen machen: Warum gibt es dann bislang keine relevanten negativen Reaktionen von Frauenseite, und warum sind Frauen trotz ihrer vermuteten direkten Betroffenheit im identitären Spektrum so schwach vertreten?