Bewegung zu machen, verbreitet an und für sich schon eine Atmosphäre des Professionellen. Wer zudem kurz vor dieser Zusammenkunft eine spektakuläre Aktion macht und sie professionell vermarktet, hat zweifellos das Heft in der Hand. So der Bloc Identitaire, so mit ihm die europäische Bewegung der sogenannten “Identitären”, die sich am vergangenen Wochenende in Orange/Rhonetal versammelten.
Die Erwartungshaltung, mit der Martin Lichtmesz und ich dorthin fuhren, war nicht frei von der Suggestionskraft des Erfolgs. Was würden wir lernen können? Und: Ist das die lange erwartete “nächste Generation”, die unsere Strukturen und Theoriearbeiten zwar kennt, aber mit dem Elan des “ganz Neuen” einen sehr eigenen Weg geht? Gibt es Drähte nach Deutschland, von denen wir noch nicht wissen?
Um eines vorwegzunehmen: Das latente Gefühl, in politisch-dynamischen Fragen einer Bananenrepublik zu entstammen, hat sich nach den ersten ein, zwei Stunden verflüchtigt. Die Identitären aus Frankreich (und damit ein stabiler Ast aus neurechtem Stamm) sind atmosphärisch stark und können mittels Bildern, Filmchen und der gemeinsamen Aktion jene Szene-Geschichten erzählen, die Suggestivkraft ausüben. Das Rad aber haben sie nicht neu erfunden.
Das Ganze findet jenseits von Skin-Aufmärschen oder Demonstration freier Nationalisten statt, und es war aufschlußreich, daß einer der jungen Köpfe des Bloc Identitaire, Jean-David Cattin, mir das am Sonntag dezidiert auseinandersetzen wollte: Es sei sehr wichtig zu begreifen, daß am Anfang der politischen Arbeit des Blocs ein intensiver Reinigungsprozeß gestanden habe: keine NS-Symbolik, keine NS-Sympathisanten – dies nicht aus taktischer Erwägung, sondern aus grundsätzlicher Überzeugung. Letztlich, so Cattin, sei es darauf angekommen, daß man den oft nur an einer guten Gruppe oder an Aktion interessierten jungen Leuten etwas besseres würde anbieten können als das, was die Alte Rechte böte. Dies sei gelungen.
Ich kann das optisch bestätigen: Die jungen Männer und wenigen jungen Frauen waren beinahe zu leger gekleidet – Jeans, oft kombiniert mit irgendwelchen identitären Meinungshemden, und am Samstagnachmittag wurden dann an die Veteranen der Moscheebesetzung in Portiers unvorteilhaft geschnittene, knallgelbe T‑Shirts ausgegeben. Der Sinn war klar: Hier kleidet sich ein, wer zum inneren Erlebniszirkel gehört, und sicher ist, daß etliche Anwärter demnächst nicht beseite stehen, sondern ebenfalls nach vollbrachter Tat ein Ich-war-dabei-Hemd sich überstreifen wollen.
Die beiden Tage waren organisiert wie bei uns ein ausgedehnteres Kolleg des Instituts für Staatspolitik: Einlaßkontrolle, ein Saal, Vorträge, ein paar Büchertische, ein Stand mit Kaffee und in den Pausen rauchende Teilnehmer vor den Türen. Lichtmesz brachte die Latrinenparole von rund 2000 Teilnehmern am Vorabend in unser zellenartiges, sehr günstiges “Hotel”-Zimmer mit. Es waren aber sicher nicht mehr als rund 450 Leute über die beiden Tage – eine Zahl, die mich erstaunte, denn das Treffen wurde als Aufbruchsereignis ausgerufen und zog immerhin Gruppen aus Italien, Spanien, Flandern, Östereich und Deutschland (uns) an.
Im Saal selbst (über dessen geradezu groteske Häßlichkeit Lichtmesz berichtet) war es nie wirklich voll, ständig standen Teile der Besucher im Foyer oder im Freien – eine Form der Disziplinlosigkeit und des mangelnden Respekts, die von einem französischen Pärchen dezidiert angesprochen wurde: Respekt sei, demjenigen zuzuhören, der sich vorbereitet hat – eine Haltung, die wir für unsere eigenen Veranstaltungen in Berlin, Schnellroda und anderswo stets einfordern und durchsetzen.
Überhaupt: dieses Pärchen. Martin sprach sie an, nachdem ich ihn auf Cordhose (Mann) und langen Rock (Frau) aufmerksam gemacht hatte. Und tatsächlich: Das waren Leute, die unter “Identität” jene Übertragung einer Überzeugung auf das eigene Leben verstanden, die mir die frühen Grünen so sympathisch machten: bei sich beginnen, nicht vor allem gegen, sondern für etwas sein, regional und ökologisch denken, die Dinge anfassen und nicht nur theoretisch vorbeihuschen am Eigenen, Eigentlichen, undsoweiter. – Eine Minderheit auch in der neurechten Szene Frankreichs, ich machte unter den älteren Teilnehmern ein paar ähnlich gestrickte Figuren aus, und es wunderte mich nicht, daß einer von ihnen in einer Pause zur Gitarre griff …
Was war das, optisch, atmosphärisch? Es war eine Einschwörungsveranstaltung, keine Theorietagung; die Redner forderten die Zuhörer zu kollektiven Äußerungen heraus, es gab Parolen, es gab Rede und Antwort, es gab Fahnen im Vortragssaal und vor jeder neuen Rede einen emotionalisierenden Film.
An den Büchertischen: ein reiches Angebot an Plakaten, Musik, Karten und Büchern – jedoch nicht so durchgestaltet, daß eine Art Bloc-Design zu erkennen wäre. Das sind Gehversuche, stilistisch und strukturell sind unsere Verlage und Zeitschriften deutlich weiter, und entsprechenden Eindruck machten Antaios und Sezession dann auch auf diejenigen, denen an der Theorie hinter der Aktion gelegen ist.
Interessant: eine Art Identitäres Lexikon, das ein anderer Kopf, Phillipe Vardon, verfaßt hat – etwas ganz anderes als das Staatspolitische Handbuch, aber sehr reizvoll in seinem pop-kulturellen Zugriff. Lichtmesz skizziert bereits eine deutsche Variante …
Die Zeit reichte nicht hin, um in Lyon oder Nimes eines der identitären Hausprojekte zu besuchen. Von der alljährlichen Sommerakademie (mit Theoriearbeit, Selbstverteidigung, Organisationsschulung und Aktionstraining) ließ ich mir ausführlich berichten. Cattin sprach eine Einladung aus – man solle sich das einmal vor Ort anschauen, und außerdem läge ihm viel daran, mögliche deutsche Identitäre aus der Nähe kennenzulernen und ihre Zuverlässigkeit und Disziplin zu prüfen.
Das ist nichts mehr für mich, für Lichtmesz auch nicht, aber vielleicht etwas für die Wiener Gruppe, mit der wir uns lange und intensiv unterhielten oder für eine mögliche deutsche Sektion, von der wir in der Tat noch nichts wissen. Die Tanzerei in Frankfurt war ja bloß ein Minimal-Zeichen.
FdF!
Alles noch nicht ganz ausgereift, aber interessant und sympathisch. Eine Parallelbewegung in deutschen Landen wäre wünschenswert und ist ja auch im Enstehen.
Bemerkenswert, dass auf den anfänglichen Reinigungsprozess hingewiesen wurde. Dies hängt mit den Wurzeln der französischen Identitären zusammen (Unité Radicale etc.), ein recht krudes Gemisch aus Nationalbolschewismus und sonstiger Revolutionsromantik. Immerhin hat man das hinter sich gelassen.
Eine gesunde Kompromisslosigkeit wäre auch so mancher deutschen Gruppierung zu wünschen. Aus Personalknappheit heraus, wird alles mitgeschleppt, was laufen kann. So läuft es eben gerade nicht!