Bildungs-Investment und sozialdemokratische Aufklärung (Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, Folge 4)

Zwei Anekdoten zur Lage der allgemeinen kulturellen Hegemonie.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Sze­ne­rie 1: ein beson­ders von Stu­den­ten und aka­de­mi­schem Per­so­nal fre­quen­tier­tes Café nahe der Wie­ner Uni­ver­si­tät. Die Tische ste­hen recht eng bei­ein­an­der, sodaß ich nicht umhin­kam, das Gespräch mei­ner bei­den Tisch­nach­barn mit­zu­hö­ren, zumal der Wort­füh­rer mit ziem­lich lau­ter Stim­me sprach.

Er fiel mir auf, weil er optisch einen sym­pa­thi­schen und eher “kon­ser­va­ti­ven”, ja “neofolk”-artigen Ein­druck mach­te: ein rot­blon­der, schon leicht ergrau­en­der und ten­den­zi­ell ins kräf­tig-kor­pu­len­te gehen­der Wikin­ger mit einem Hen­ri­quat­re-Bärt­chen und einem dröh­nen­den, jovia­len Lachen, dabei ganz in ele­gan­tes Schwarz geklei­det, mit einer alt­mo­di­schen Wes­te über dem Hemd, in der eine gol­de­ne Taschen­uhr an einem Kett­chen steck­te. Sei­nen Kra­gen zier­te ein schmuck aus­se­hen­der wali­si­scher Dra­che in Silber.

Sei­ne Gegen­über war ein grau­haa­ri­ger Herr jen­seits der Fünf­zig. Bei­de waren offen­bar Aka­de­mi­ker und berie­ten über die Lage ihrer Zunft.  Stück­wei­se dran­gen die Satz­fet­zen der fei­er­lich vor­ge­tra­ge­nen Anspra­che des Wikin­gers zu mir her­über. Etwa so:

“Das Pro­blem der heu­ti­gen Kul­tur­ver­mitt­lung ist, daß man als Adres­sat ein Bil­dungs­bür­ger­tum von anno Met­ter­nich vor Augen hat, das es ein­fach nicht mehr gibt. In rudi­men­tä­ren Res­ten viel­leicht noch, aber das ist nicht mehr rele­vant für die Gesell­schaft… unse­re gan­ze Bildungs‑, Aus­stel­lungs- und Muse­ums­po­li­tik muß sich den Bedürf­nis­sen der Zeit anpas­sen. Wir dür­fen den Leu­ten nicht zuviel zumu­ten, wir müs­sen sie da abho­len, wo sie ste­hen.”  Mei­ne Ohren wur­den immer grö­ßer, und eben­so wuchs mein Aberwille.

“Vor allem dür­fen wir nicht auf dem hohen Roß sit­zen blei­ben und von oben her­ab dozie­ren, das schreckt sie nur ab. Psy­cho­lo­gi­sche Stu­di­en zei­gen außer­dem, daß das, ähm, ‘invest­ment’ ”-  bei die­ser Voka­bel zuck­te ich zusam­men – “das die Leu­te leis­ten, stär­ker ist,wenn sie sich mehr selbst in die Sache ein­brin­gen, mit ihr spie­len kön­nen. Die­se Chan­ce müs­sen wir ihnen bie­ten. So, wie das jetzt läuft, haben wir kei­ne gesell­schaft­li­che Rele­vanz mehr…” Etwa an die­sem Punkt platz­ten die sich auf­stau­en­den Ein­wän­de aus mir her­aus. Es kam wie von selbst, da mir der Red­ner fast gegen­über saß.

“Aber das wür­de doch zur Fol­ge haben, daß die Bil­dungs­gü­ter nivel­liert und tri­via­li­siert wer­den! Der all­ge­mei­ne Bil­dungs­stand ist doch ohne­hin schon unter aller Kano­ne, war­um ihn denn jetzt noch wei­ter hin­un­ter­drü­cken?” Hef­ti­ges Kopf­schüt­teln und Ver­nei­nung der bei­den. “Und war­um sol­len die Wis­sen­schaf­ten und Küns­te über­haupt ‘gesell­schaft­li­che Rele­vanz’ haben, war­um kön­nen sie nicht ein­fach Wis­sen­schaft betrei­ben? So pro­sti­tu­iert man sich doch bloß an den Zeit­geist!” (Da muß ich wohl einen Dávila-Satz im Hin­ter­kopf gehabt haben, den ich glück­li­cher­wei­se nicht zitiert habe: “Ein ’nütz­li­ches Glied der Gesell­schaft sein’ ist der Ehr­geiz – oder die Ent­schul­di­gung – einer Prostituierten.”)

Der Wikin­ger zeig­te sich von mei­nem Ein­spruch völ­lig unge­rührt. “Na, ist doch ganz ein­fach, wenn wir kei­ne gesell­schaft­li­che Rele­vanz mehr haben, dann krie­gen wir kein Geld mehr. Dann braucht und bezahlt uns lei­der nie­mand mehr.” (dröh­nen­des Har­har-Geläch­ter) – “Aber soll­ten nicht gera­de die Wis­sen­schaf­ten und Küns­te frei sein vom Druck des Mark­tes und Berei­che jen­seits der Öko­no­mie bestel­len?” – “Theo­re­tisch ja – aber des spielt’s lei­der nimmer.”

Dazu fiel mir auch nix mehr ein: das war eine Varia­ti­on der alten Weis­heit “Ohne Geld ka Musi!”, und wenn man schon zur Kapi­tu­la­ti­on gezwun­gen ist, kann man sie sich wenigs­tens noch schön­re­den und ihr den Anschein der Frei­wil­lig­keit verleihen.

Sze­ne­rie 2: Im erwei­ter­ten Bekann­ten­kreis kom­me ich abends in einer Bar mit einen enga­gier­ten Links­dre­her aus dem Medi­en­be­reich ins Gespräch. Er ist etwa so alt wie der aka­de­mi­sche Wikin­ger, also wohl Mit­te bis Ende vier­zig, und ein Sozi alter Schu­le, ker­nig und prag­ma­tisch, und auch die­sen Typus fin­de ich nicht unsym­pa­thisch. (Wenn Krei­sky Kai­ser gewor­den wäre, wäre aus mir viel­leicht auch noch ein Sozi­al­de­mo­krat geworden.)

In sei­ner Jugend sei er “extrem links” gewe­sen, aber eine Rei­se nach Kuba hät­te ihn von sei­nen kom­mu­nis­ti­schen Illu­sio­nen geheilt, eben­so wie die Erzäh­lun­gen eines Genos­sen, der von einem Nord­ko­re­abe­such Anfang der Acht­zi­ger Jah­re haar­sträu­ben­de orwell’sche Schau­ersto­ries mit­brach­te. Heu­te sei er ein “auf­ge­klär­ter Sozi­al­de­mo­krat”, beton­te er stolz in die ins­ge­samt eher unpo­li­ti­sche Runde.

Ich fing an zu sin­nie­ren, und nicht ohne einen gewis­sen Neid: unser­ei­ner hat es nicht so leicht mit stol­zen poli­ti­schen Bekennt­nis­sen, man weiß nie, ob einem nicht im nächs­ten Moment irgend­ein poli­tisch Über­kor­rek­ter ins Gesicht springt, oder ob man nicht zu tau­send Erklä­run­gen genö­tigt wird, was man denn nun alles den­ke und was nicht. Nicht ein­mal Ent­wick­lun­gen von Jugend­sün­den wer­den einem zuge­stan­den. Was hät­te ich dann gesagt, mit mei­ner Abnei­gung gegen Schub­la­den? “Ich bin ein gegen­auf­ge­klär­ter, katho­lisch-iden­ti­tä­rer Sozi­al­aris­to­krat” (um ein schö­nes Wort von Joa­chim Fer­n­au zu benut­zen.) Das wäre wohl nicht der über­mä­ßi­ge Kra­cher gewesen.

Wir wech­sel­ten den Schau­platz, und pas­sier­ten ein Buch­an­ti­qua­ri­at, in des­sen Vitri­ne ein paar Mili­ta­riaschmö­ker und omi­nös wir­ken­de Bän­de aus den Zwan­zi­ger und Drei­ßi­ger Jah­ren mit Frak­tur­schrift­ti­teln zu sehen waren, aller­dings schien es sich nicht um dezi­dier­te NS-Lite­ra­tur zu han­deln. “Des muaß mit Sicher­heit ein Nazi sein!”, sag­te ankla­gend der Sozi­al­de­mo­krat. “Viel­leicht will er auch ein­fach nur alte Bücher ver­kau­fen”, warf ich ein, “ich fin­de das nun eine his­to­rio- und libro­pho­be Einstellung!”

Er: “Na, ich hab des auch alles zuhau­se, Rosen­berg und so wei­ter, damit soll man sich schon aus­ein­an­der­set­zen, aber wenn er’s in die Aus­la­ge stellt, dann ist er sicher ein Nazi…”

Ich: “Und wenn da nun die gesam­mel­ten Wer­ke von Lenin und Sta­lin ste­hen wür­den, täte dich das dann auch so aufregen?”

Er: “Wenn das so wäre, dann wäre er wahr­schein­lich Kom­mu­nist. Aber ich fin­de nicht, daß man den Natio­nal­so­zia­lis­mus und den Kom­mu­nis­mus gleich­set­zen kann.”

Wie­der der lin­ke Feld­vor­teil: man wischt die bösen Jungs auf dem eige­nen Ufer weg, indem man dar­auf ver­weist, daß die bösen Jungs der ande­ren doch viel böser waren, was zum all­ge­mein­ge­sell­schaft­li­chen Über­zeu­gungs­gut gehört.

Ich: “War­um nicht?”

Er: “Weil die Aus­rot­tung ‘unwer­ten Lebens’ von vorn­her­ein zur Leh­re des Natio­nal­so­zia­lis­mus gehört, zum Kom­mu­nis­mus aber nicht.”

Ich: “Naja, aus der leni­nis­ti­schen Revi­si­on des Mar­xis­mus folgt aber schon, daß zum Zwe­cke der gewalt­sa­men Revo­lu­ti­on gan­ze Klas­sen aus dem Weg geräumt wer­den müs­sen… und 30 Mil­lio­nen Tote in der Sowjet­uni­on spre­chen für sich, wür­de ich sagen.”

Er: “Gut, aber dafür ist der Kom­mu­nis­mus nicht rassistisch…”

Ich: “Macht ihn das nun ‘bes­ser’? Das wäre mir doch egal, ob mir einer eine Kugel ver­pas­sen will, weil ich die fal­sche Ras­se oder die fal­sche Klas­se habe… oder wel­chen guten Absich­ten er dabei hat. Wenn man ein­mal Sol­sche­ni­zyn gele­sen hat, wird man all­er­gisch auf die­se Verharmlosungen.”

Nun pflich­te­te er mir bei.

Er: “Gut, ich bin auch gegen eine Ver­harm­lo­sung des Kom­mu­nis­mus, und über­haupt gegen Ver­harm­lo­sun­gen. Ich will aber nicht, daß sich schlech­te Ideen ausbreiten…”

Ich: “Wer weiß, woher die dies­mal kom­men. Sicher nicht aus einem Buch­an­ti­qua­ri­at. Das ist ja nicht immer die­sel­be Ecke, in der das Böse wächst, denn die Welt hat sich wei­ter­ge­dreht. Der nächs­te Tota­li­ta­ris­mus kommt viel­leicht von ganz woan­ders. Und nach­her sagen wir alle dann wie­der, wir haben nichts gewußt, wir haben nichts gesehen,wir haben dar­an geglaubt…”

Dar­auf konn­ten wir uns eini­gen, und so been­de­ten wir für die­sen Abend den Disput.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.