Islamkritik – Leitideen und Einwände

pdf d51er Druckfassung aus Sezession 51 / Dezember 2012

von Karlheinz Weißmann

(Der Text ist in Teilen ein Auszug aus der Studie Ist der Islam unser Feind?, die im Institut für Staatspolitik erarbeitet wurde.)

Vor einigen Jahren machte in Rußland der Roman Moschee der Notre-Dame von Paris Furore. Die Autorin, Jelena Tschudina, schildert in dieser Dystopie das Europa des Jahres 2048: von der Dynastie der Wahhabiten beherrscht, die den letzten Papst zur Abdankung gezwungen und die Scharia eingeführt haben.

Die Über­lie­fe­rung des Abend­lan­des ist zu die­sem Zeit­punkt längst zer­stört, sei­ne Kunst­wer­ke vom mos­le­mi­schen Mob geschän­det, sei­ne Musik ver­bo­ten, der Vati­kan in eine Müll­kip­pe ver­wan­delt. Die neu­en Her­ren haben die Urein­woh­ner auf den Sta­tus von Fel­la­chen her­ab­ge­drückt und neh­men sich deren Töch­ter als Neben­frau­en. Natür­lich kön­nen die tech­no­lo­gi­schen Stan­dards nicht gehal­ten wer­den, ledig­lich die Tür­ken sor­gen für das Funk­tio­nie­ren eines Res­tes an Infra­struk­tur, obwohl die übri­ge Welt »Eura­bia« iso­liert hat. Die letz­ten Chris­ten wer­den in Ghet­tos zusam­men­ge­drängt, gele­gent­lich wird der eine oder ande­re her­aus­ge­zerrt und zwangs­wei­se bekehrt. Vor dem Tri­umph­bo­gen in Paris stei­ni­gen die Gläu­bi­gen Ungläu­bi­ge, die noch Meß­wein ver­steckt hal­ten, und Not­re-Dame ist, wie die Hagia Sophia von Kon­stan­ti­no­pel, in eine Moschee umgewandelt.

Den Chris­ten bleibt nur noch ein Rück­halt. Jen­seits des »grü­nen Vor­hangs«, in Ruß­land, ist ein star­ker – auf Nati­on und Glau­ben fußen­der – Staat ent­stan­den. Von hier kommt auch Hil­fe für den christ­li­chen Unter­grund im Wes­ten, lefeb­v­ris­ti­sche Par­ti­sa­nen, die gegen die Besat­zer aus dem Ori­ent den bewaff­ne­ten Kampf auf­ge­nom­men haben. Mit rus­si­scher Hil­fe beset­zen sie noch ein­mal die ehr­wür­di­ge Not­re Dame, zele­brie­ren die alte Mes­se in latei­ni­scher Spra­che und spren­gen sich dann mit dem geschän­de­ten Hei­lig­tum in die Luft.

Der Roman von Jele­na Tschu­di­na ist offen­bar in kei­ne west­li­che Spra­che über­setzt wor­den, aber als die ers­ten Berich­te dar­über kur­sier­ten, gab es auf prak­tisch jeder islam­kri­ti­schen Sei­te Hin­wei­se und Kom­men­ta­re. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Hier wird genau jene Schre­ckens­vi­si­on aus­ge­malt, die jeden umtreibt, der den Islam als Feind betrach­tet. Zuge­ge­ben: Das ist ver­ein­facht gespro­chen, denn die Islam­kri­ti­ker bil­den kei­ne homo­ge­ne Grö­ße, auch wenn die Gegen­sei­te immer wie­der meint, sum­ma­risch von »Anti­is­la­mis­mus«, »anti­mus­li­mi­schem Ras­sis­mus« oder »Isla­mo­pho­bie« spre­chen zu kön­nen. Tat­säch­lich sind die Moti­ve von Chris­ten, Juden, Kon­ser­va­ti­ven, Libe­ra­len, ent­täusch­ten Lin­ken, Völ­ki­schen und Iden­ti­tä­ren durch­aus ver­schie­den. Ande­rer­seits wird man zuge­ben müs­sen, daß sich in ihren Büchern, Auf­sät­zen und Netz­fo­ren bestimm­te Argu­men­ta­ti­ons­fi­gu­ren fin­den, mit denen man sich aus­ein­an­der­set­zen muß, wenn man ein­schät­zen will, ob ihre Feind­be­stim­mung trag­fä­hig ist oder nicht.

Im wesent­li­chen han­delt es sich um fünf Leit­ideen, die regel­mä­ßig wiederkehren:

1. Das Pro­blem ist der Islam

Wäh­rend die offi­zi­el­le Linie gewöhn­lich dar­auf hin­aus­läuft, die Kon­flik­te mit der isla­mi­schen Welt auf ande­re Ursa­chen – sozia­le Ver­wer­fung, Ent­frem­dung, Ras­sis­mus, Unter­ent­wick­lung – zurück­zu­füh­ren und das Selbst­ver­ständ­nis der Mos­lems als Opfer zu akzep­tie­ren, behar­ren Islam­kri­ti­ker dar­auf, daß der Islam selbst die Ursa­che der Pro­ble­me und Täter sei. Noch gemä­ßigt argu­men­tiert Ralph Giord­a­no, wenn er fest­stellt: »… der poli­ti­sche und mili­tan­te Islam ist nicht inte­grier­bar, aber auch der ›all­ge­mei­ne‹ jen­seits davon ist…problematisch genug.« Häu­fi­ger wird dar­auf hin­ge­wie­sen, daß der Islam prin­zi­pi­ell gleich­be­deu­tend sei mit Unter­drü­ckung und Gewalt­tä­tig­keit, daß sei­ne Theo­rie wie sei­ne Pra­xis dafür immer neue Bewei­se lie­fer­ten, daß in den isla­misch gepräg­ten Staa­ten nir­gends Rechts­re­geln wie in den west­li­chen gel­ten wür­den und daß die Auf­nah­me mos­le­mi­scher Zuwan­de­rer in Euro­pa dar­an schei­te­re, daß sie unfä­hig sei­en, von den zen­tra­len Vor­ga­ben ihrer Reli­gi­on los­zu­kom­men. Vie­le Islam­kri­ti­ker beschrän­ken sich dar­auf, dem Islam ein Ent­wick­lungs­de­fi­zit vor­zu­wer­fen, das im Prin­zip auf­hol­bar sei, wenn er die Anpas­sungs­be­mü­hun­gen ver­stär­ke und sich kon­se­quen­ter am Wes­ten aus­rich­te­te. Geert Wil­ders steht aber auch nicht allein, wenn er – in sei­nem Film Fit­na – den Koran mit Hit­lers Mein Kampf ver­gleicht oder man auf die­ser Sei­te vom »Isla­mo­fa­schis­mus« spricht.

EINWAND: Ohne Zwei­fel wird hier ein ent­schei­den­der Sach­ver­halt rich­tig gese­hen und der Nei­gung, die Pro­ble­me aus der Welt zu schaf­fen, indem man sie umdeu­tet oder ver­schlei­ert, ent­ge­gen­ge­wirkt. Aber es gibt unter Islam­kri­ti­kern eine über­star­ke Nei­gung, den Islam von sei­nen nor­ma­ti­ven Vor­ga­ben her zu interpretieren.

Aber auch hier besteht wie sonst auf der Welt eine Dis­kre­panz zwi­schen Vor­schrift und All­tags­rea­li­tät. Fak­tisch waren die Vor­ga­ben des Koran oder der isla­mi­schen Rechts­re­geln nur in bestimm­ten Epo­chen in dem Maße und der Tota­li­tät bestim­mend, die hier als übli­cher Fall pos­tu­liert wer­den. Außer­dem müß­te kla­rer dif­fe­ren­ziert wer­den zwi­schen der Auf­fas­sung, daß der Islam kor­ri­gier­bar sei, wenn er sich moder­ni­sie­re und säku­la­ri­sie­re wie das Chris­ten­tum, und der ande­ren, daß er das aus prin­zi­pi­el­len Grün­den gar nicht kön­ne. Zwar klingt immer wie­der das Motiv des ande­ren »Kul­tur­krei­ses« – also einer ver­hält­nis­mä­ßig geschlos­se­nen Ein­heit – an, aber letzt­lich neigt die Mehr­zahl der Islam­kri­ti­ker doch dem nai­ven west­li­chen Ent­wick­lungs­dog­ma zu, dem­ge­mäß alle Gesell­schaf­ten sich am Mus­ter des Geschichts­ver­laufs ori­en­tie­ren (müs­sen), den Eng­land, Frank­reich oder die USA genom­men haben.

2. Es besteht kein Unter­schied zwi­schen Islam und Islamismus

Übli­cher­wei­se wird der Isla­mis­mus als eine Vari­an­te oder Fehl­form des »eigent­li­chen« Islam ver­stan­den. Die­se sau­be­re Tren­nung von »guten« Mos­lems und »bösen« Fun­da­men­ta­lis­ten wird von vie­len Islam­kri­ti­kern als durch­sich­ti­ges Bemü­hen ver­stan­den, eine besorg­te Bevöl­ke­rung zu beru­hi­gen, die – zu Recht – fürch­tet, daß nicht nur isla­mi­sche Kriegs­her­ren in fer­nen Welt­ge­gen­den eine Bedro­hung dar­stel­len, son­dern auch ihr arabischer/libanesischer/schwarzafrikanischer/türkischer Nach­bar »Schlä­fer« einer Ter­ror­zel­le sein könn­te, die Anschlä­ge in unmit­tel­ba­rer Nähe plant. Die­se Besorg­nis wird von Islam­kri­ti­kern grund­sätz­lich geteilt, die außer­dem dar­auf hin­wei­sen, daß sich äußer­lich gut inte­grier­te Mos­lems oder Kon­ver­ti­ten, die eigent­lich im Lan­de selbst »zu Hau­se« sind, immer wie­der als anfäl­lig für eine Indok­tri­na­ti­on erwie­sen haben. Deren Erfolg kann man nur erklä­ren, wenn man davon aus­geht, daß Isla­mis­ten im Prin­zip nichts ande­res tun, als den Islam selbst ernst zu neh­men. Eine wich­ti­ge Rol­le spielt auch bei Bestrei­ten die­ses Zusam­men­hangs der Ver­weis auf taqi­y­ya , das Recht eines Mos­lems, Ungläu­bi­ge zu täuschen.

EINWAND: Selbst eine ihrem Gegen­stand so kri­tisch gegen­über­ste­hen­de Islam­wis­sen­schaft­le­rin wie Chris­ti­ne Schirr­ma­cher beharrt dar­auf, den Isla­mis­mus als eine in ers­ter Linie poli­ti­sche, nicht reli­giö­se, Kon­zep­ti­on zu defi­nie­ren. Er sei eine »tota­li­tä­re Ideo­lo­gie« mit einem im Kern »uto­pi­schen Welt­bild« und reagie­re auf die Unter­drü­ckung, die Armut und die Not in den Gebie­ten des Nahen Ostens seit dem Ende des 19. Jahr­hun­derts mit dem Ange­bot eines »ganz­heit­li­chen Islam«, der als Alter­na­ti­ve zu euro­päi­scher Moder­ni­tät, Demo­kra­tie und Men­schen­rech­ten ver­stan­den wur­de. Das Poten­ti­al ent­spre­chen­der Bewe­gun­gen unter Mos­lems in Euro­pa sieht Schirr­ma­cher durch­aus als erheb­lich an; es müs­se auf etwa zehn Pro­zent der Her­an­wach­sen­den taxiert wer­den. Schirr­ma­cher geht auch auf die Argu­men­ta­ti­on der Islam­kri­ti­ker ein, die die Mei­nung ver­tre­ten, daß der Isla­mis­mus im Grun­de nur prak­ti­zie­re, was schon der Ur-Islam woll­te: die Ein­heit von Reli­gi­on und Poli­tik, die Gemein­schaft der Gläu­bi­gen in welt­li­cher und geist­li­cher Hin­sicht unter dem Gesetz der Scha­ria. Sie weist aber dar­auf hin, daß die Mehr­zahl der Mos­lems, man könn­te hin­zu­fü­gen: und die Mehr­zahl der real exis­tie­ren­den Staats­we­sen, in denen Mos­lems leb­ten und leben, von die­sem Kon­zept weit ent­fernt sind. Das Spek­trum der reli­giö­sen Ernst­haf­tig­keit ist im Islam klei­ner als im Juden­tum und Chris­ten­tum, aber doch so groß, daß es von einer Auf­fas­sung, die die Tra­di­ti­on als unbe­dingt ver­bind­lich ansieht, bis zu einer Art Kul­tur­is­lam reicht, der sich kaum an die »Fünf Säu­len« hält.

3. Es gibt eine Kon­ti­nui­tät der isla­mi­schen Aggression

Im Früh­jahr 2007 ver­öf­fent­lich­te Ber­nard Lewis einen auf­se­hen­er­re­gen­den Essay unter dem Titel »Die drit­te Angriffs­wel­le auf Euro­pa rollt« (Ber­nard Lewis: Der Unter­gang des Mor­gen­lan­des. War­um die isla­mi­sche Welt ihre Vor­macht ver­lor, Ber­gisch Glad­bach 2002). Gemeint war damit die drit­te Angriffs­wel­le der isla­mi­schen Expan­si­on, nach der ers­ten, die von den Ara­bern, zuerst unter Füh­rung Moham­meds, dann der Kali­fen, aus­ging, und der zwei­ten, die von den Tür­ken getra­gen wur­de. Die drit­te Wel­le, so Lewis, unter­schei­de sich von der ers­ten und zwei­ten inso­fern, als sie nicht in Gestalt mili­tä­ri­scher Erobe­rung vor sich gehe, son­dern mit­tels Ter­ror und Ein­wan­de­rung. Bei­de Fak­to­ren spiel­ten objek­tiv zusam­men, ohne daß damit behaup­tet wer­de, daß jeder Ein­wan­de­rer ein poten­ti­el­ler Ter­ro­rist sei. Als harm­los kön­ne man den Pro­zeß trotz­dem nicht ein­stu­fen, und für die Euro­pä­er stel­le sich die ent­schei­den­de Fra­ge: »Ist die drit­te Wel­le erfolg­reich? Das ist gar nicht aus­ge­schlos­sen. Mus­li­mi­sche Ein­wan­de­rer haben eini­ge kla­re Vor­tei­le. Sie haben Glut und Über­zeu­gung, die in den meis­ten west­li­chen Län­dern ent­we­der schwach sind oder ganz feh­len. Sie sind über­zeugt von der Gerech­tig­keit ihrer Sache, wäh­rend wir viel Zeit damit ver­brin­gen, uns selbst zu ernied­ri­gen. Sie ver­fü­gen über Loya­li­tät und Dis­zi­plin, und – was viel­leicht am wich­tigs­ten ist – sie haben die Demo­gra­phie auf ihrer Sei­te. Die Kom­bi­na­ti­on von natür­li­cher Ver­meh­rung und Ein­wan­de­rung, die enor­me Umschich­tun­gen in der Bevöl­ke­rungs­struk­tur her­vor­bringt, könn­te in abseh­ba­rer Zukunft zu signi­fi­kan­ten Bevöl­ke­rungs­mehr­hei­ten in wenigs­tens eini­gen euro­päi­schen Städ­ten, viel­leicht sogar Län­dern führen.«

EINWAND: Es ist ohne Zwei­fel so, daß Mos­lems die Ein­wan­de­rung von Mos­lems in Euro­pa als Teil einer Isla­mi­sie­rung oder als Vari­an­te des dschi­had ver­ste­hen kön­nen, aber dabei ist nicht aus dem Blick zu ver­lie­ren, daß die Migra­ti­on kein Teil einer isla­mi­schen Stra­te­gie war. Wer als Arbei­ter oder als Flücht­ling in den Wes­ten ging, tat das aus einer indi­vi­du­el­len Moti­va­ti­on, kaum je mit dem Ziel, die umma aus­zu­wei­ten. Daher ist auch immer nur ein Teil der Ein­ge­wan­der­ten für radi­ka­le isla­mi­sche Vor­stel­lun­gen ansprech­bar, wäh­rend sich ein ande­rer mehr oder weni­ger stark assi­mi­liert hat und ein drit­ter in Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten lebt. Die Isla­mi­sie­rung Euro­pas erweist sich inso­fern als Neben­ef­fekt eines Bevöl­ke­rungs­aus­tauschs, nicht als Ergeb­nis einer lang­fris­ti­gen Kon­zep­ti­on. Es soll damit gar nicht bestrit­ten wer­den, wel­ches Gefah­ren­po­ten­ti­al in die­sem Vor­gang liegt, auch nicht, daß vom tür­ki­schen Staats­is­lam bis zu dschi­ha­dis­ti­schen Grup­pen alle mög­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen sich die Schwä­che des libe­ra­len Sys­tems zunut­ze machen oder daß man­ches Kind gut assi­mi­lier­ter Ein­wan­de­rer längst zum inne­ren Geg­ner die­ses Sys­tems gewor­den ist, aber die Annah­me, es gäbe dahin­ter so etwas wie einen Mas­ter­plan, geht an den Rea­li­tä­ten vorbei.

4. Der Islam bil­det eine Einheit

Die Annah­me eines beson­de­ren isla­mi­schen Gefah­ren­po­ten­ti­als bezieht ihre Plau­si­bi­li­tät selbst­ver­ständ­lich auch aus der Vor­stel­lung, daß der Islam als Ein­heit agie­re. Soweit die­se Annah­me nicht auf Igno­ranz beruht, spielt vor allem die Geo­po­li­tik eine Rol­le für ent­spre­chen­de Argu­men­te. Schon Mit­te der 1990er Jah­re schrieb der fran­zö­si­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Alex­and­re del Val­le: »Es ist nicht über­trie­ben oder irre­al, die isla­mi­schen Gemein­schaf­ten in Euro­pa als exter­ri­to­ria­len Vor­pos­ten zivi­li­sa­to­ri­scher und poten­ti­ell poli­tisch-juri­di­scher Art zu betrach­ten, der mit einem außer­halb lie­gen­den isla­mi­schen Block ver­bun­den ist«. Sogar Yves Lacos­te, der Her­aus­ge­ber der ein­fluß­rei­chen geo­po­li­ti­schen Zeit­schrift Héro­do­te, teilt die­se Auf­fas­sung. Lacos­te ver­weist vor allem dar­auf, daß es für das Ter­ror­netz­werk von Al Kai­da mög­lich war, ein Zusam­men­spiel zwi­schen Kom­man­do­stel­len im Nahen und Fer­nen Osten und Vor­stö­ßen in den west­li­chen Metro­po­len zu orga­ni­sie­ren und dabei auf die Loya­li­tät ganz ver­schie­de­ner isla­mi­scher Rich­tun­gen zu rech­nen. Aus der Sicht der Geo­po­li­tik erschei­nen selbst­ver­ständ­lich auch die Hypo­the­sen Samu­el Hun­ting­tons in bezug auf den »Kampf der Kul­tu­ren« beson­ders plau­si­bel (Samu­el Hun­ting­ton: The Clash of Civi­liza­ti­ons – Kampf der Kul­tu­ren. Die Neu­ge­stal­tung der Welt­po­li­tik im 21. Jahr­hun­dert, München/Wien 1996).

EINWAND: Grund­sätz­lich ist Vor­sicht gegen­über der Sug­ges­ti­ons­kraft der Geo­po­li­tik gebo­ten, die mit ihrer Fixie­rung auf den Raum oft die Zwangs­läu­fig­keit von Pro­zes­sen behaup­tet, die dann die Kon­tin­genz des His­to­ri­schen zuschan­den macht. Unbe­streit­bar ist jeden­falls, daß die drei Haupt­trä­ger der isla­mi­schen Renais­sance –zuerst die Ira­ner, dann die Ara­ber, zuletzt die Tür­ken – unter­schied­li­che Gene­ral­li­ni­en ver­fol­gen und in einem, gele­gent­lich zu mili­tä­ri­schen Kon­flik­ten füh­ren­den Kon­kur­renz­ver­hält­nis zuein­an­der ste­hen. Außer­dem wird hier wie­der ein Argu­ment der islamischen/islamistischen Sei­te umge­kehrt, die »den Wes­ten« oder »Juden und Chris­ten« oder »Kreuz­rit­ter und Zio­nis­ten« als feind­li­che, homo­ge­ne Grö­ße pos­tu­liert, um unter Ver­weis dar­auf den Zusam­men­schluß aller Mos­lems zu for­dern. Ein Kon­zept, das aus agi­ta­to­ri­schen Grün­den nahe­lie­gen mag, aber zur Ana­ly­se der eigent­li­chen Gefah­ren­mo­men­te wenig bei­trägt. Tat­säch­lich ist der Islam seit den Tagen der ers­ten Kali­fen kein Gan­zes mehr gewe­sen, er besitzt kei­ne Kir­chen­struk­tur und kei­nen Kle­rus, und es gibt per­ma­nent mas­si­ve Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen ver­schie­de­nen isla­mi­schen Kon­fes­sio­nen und Frak­tio­nen, was im Grun­de ganz der his­to­ri­schen Regel ent­spricht, daß nur aus­nahms­wei­se eine kla­re Tren­nung zwi­schen Islam und Nicht-Islam existiert.

5. Das Ziel des Islam ist die Isla­mi­sie­rung Euro­pas bezie­hungs­wei­se der Welt

Wahr­schein­lich wür­de die Mehr­zahl der in Deutsch­land leben­den Mos­lems die For­de­rung nach Errich­tung einer »Isla­mi­schen Repu­blik« ableh­nen, aber es bleibt dabei, daß 72 Pro­zent der hier leben­den Men­schen tür­ki­scher Abstam­mung den Islam als ein­zig wah­re Reli­gi­on betrach­ten, daß unter den jün­ge­ren die Zahl der­je­ni­gen wächst, die sich für reli­gi­ös oder streng reli­gi­ös hal­ten, daß 63 Pro­zent die Koran­ver­tei­lung durch die Sala­fis­ten befür­wor­ten und daß sich fast die Hälf­te – 46 Pro­zent – wünscht, zukünf­tig in einem mehr­heit­lich von Mos­lems bewohn­ten Deutsch­land zu leben. Bei den Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber gab es unter Mos­lems – auch wohl­an­ge­paß­ten, auch ver­west­lich­ten – mehr als nur »klamm­heim­li­che« Freu­de. Für die Islam­kri­tik sind das alles Indi­zi­en dafür, daß eine Isla­mi­sie­rung von unge­ahn­tem Aus­maß bevor­steht, die teil­wei­se auf fried­li­chem, teil­wei­se auf krie­ge­ri­schem Weg von­stat­ten geht, oder noch knap­per: »Der Islam will die Welt­erobe­rung« (Egon Flaig).

EINWAND: Wenn Sar­ra­zin erklärt, er wün­sche nicht, daß das Land sei­ner »Enkel und Uren­kel zu gro­ßen Tei­len mus­li­misch ist, daß dort über wei­te Stre­cken tür­kisch und ara­bisch gespro­chen wird, die Frau­en ein Kopf­tuch tra­gen und der Tages­rhyth­mus vom Ruf der Muez­zine bestimmt wird«, pflich­ten dem wohl nicht nur Islam­kri­ti­ker bei. Aller­dings stellt sich die Fra­ge, ob man die­se Per­spek­ti­ve als rea­lis­tisch anse­hen soll­te. Ohne Zwei­fel wächst die Zahl der Mos­lems in den Bal­lungs­zen­tren nicht nur Deutsch­lands, son­dern auch Euro­pas teil­wei­se dra­ma­tisch. Aber die meis­ten Pro­gno­sen gehen davon aus, daß die­ser Pro­zeß in abseh­ba­rer Zeit zum Still­stand kommt und dann auf einem mehr oder weni­ger hohen Niveau sta­gniert, daß aber der Bevöl­ke­rungs­an­teil der Mos­lems in Euro­pa auch im Jahr 2030 ledig­lich acht Pro­zent (anstel­le der heu­ti­gen sechs Pro­zent), in Deutsch­land 8,6 Pro­zent (anstel­le der heu­ti­gen sechs Pro­zent) betra­gen wird. Das hängt wesent­lich mit der fal­len­den Gebur­ten­ra­te in mos­le­mi­schen Fami­li­en zusam­men. Aller­dings bleibt es dabei, daß in eini­gen Län­dern – wie Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich oder Schwe­den – die mos­le­mi­sche Grup­pe deut­lich stär­ker wach­sen wird. Daß es kei­nen Grund zur Ent­span­nung gibt, hat aber vor allem damit zu tun, daß man die Alters­struk­tur in den Blick neh­men muß. Es gibt eine star­ke Frak­ti­on jun­ger, vor allem jun­ger männ­li­cher Mos­lems, den soge­nann­ten youth bul­ge, aus­ge­stat­tet mit einer »Hyperiden­ti­tät« (Chris­to­pher Cald­well); es gibt die regio­na­le Kon­zen­tra­ti­on, vor allem in den Metro­po­len; es gibt die Mög­lich­keit wei­te­rer mas­si­ver Zuwan­de­rung – etwa infol­ge der Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men der Euro­päi­schen Uni­on und der nord­afri­ka­ni­schen Län­der; und es gibt über­haupt das Pro­blem der Bil­dung eth­ni­scher Brü­cken­köp­fe (Chris­to­pher Cald­well: Reflec­tions on the Revo­lu­ti­on in Euro­pe, Lon­don 2010).

Wenn man eine Bilanz in bezug auf die Ana­ly­sen der Leit­ideen der Islam­kri­tik for­mu­liert, fällt das Ergeb­nis zwie­späl­tig aus. Es ist sicher so, daß hier von eini­gen Per­so­nen und Grup­pen unter Inkauf­nah­me erheb­li­cher Schwie­rig­kei­ten, wenn nicht der Gefähr­dung von Leib und Leben, ein Pro­blem ange­spro­chen wird, das ange­spro­chen wer­den muß. Es ist außer­dem so, daß nicht sie, son­dern die poli­tisch-media­le Klas­se, die Hel­fer­indus­trie des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus, die Mos­lem­flüs­te­rer, pro­fes­sio­nel­len Beschwich­ti­ger und Appeaser den Ton ange­ben und alles tun, um die Öffent­lich­keit unter das Dik­tat des »Zusam­men leben« zu stel­len. Aber das alles genügt doch nicht, um von den Schwä­chen eines Kon­zepts abzu­se­hen, das im Grun­de unpo­li­tisch ist, weil es sei­ne Feind­er­klä­rung gegen eine Grö­ße rich­tet, die als sol­che gar nicht exis­tiert: der Islam. Feind kann aber nur sein, wer, mit Carl Schmitt, als eine »der rea­len Mög­lich­keit nach kämp­fen­de Gesamt­heit von Men­schen« auf­tritt (Carl Schmitt: Der Begriff des Poli­ti­schen, Text von 1932 mit einem Vor­wort und drei Corol­la­ri­en, Ber­lin 1979). Und das ist nicht der Fall. Inso­fern bin­det die Islam­kri­tik, soweit sie das und nichts ande­res ist, fata­ler­wei­se Kräf­te, die an ande­rer Stel­le ein­ge­setzt wer­den müß­ten: zur Bekämp­fung des wei­ßen Maso­chis­mus und eines Estab­lish­ments, das sich sei­ner bedient; vor allem aber zur Stär­kung der natio­na­len und euro­päi­schen Identität.

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