Baselitz sieht schwarz

Am Anfang stand ein Witz, und am Ende darf auch wieder gelacht werden: Vor genau hundert Jahren begann Marcel Duchamp,...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

diver­se im  Müll gefun­de­ne Trüm­mer zu signie­ren und ins Muse­um zu stel­len. Das war, was man spä­ter ger­ne ver­ges­sen hat, im Grun­de nicht mehr als ein nihi­lis­ti­scher Gag, nicht anders als der Schnurr­bart, den Duch­amp spä­ter der Mona Lisa aufmalte.

Eben­falls 1913 mal­te Kasi­mir Male­witsch sei­ne ers­ten schwar­zen Qua­dra­te, die aller­dings gänz­lich humor­frei gemeint waren, wie auch das berüch­tig­te, nach einem Scherz klin­gen­de “Wei­ße Qua­drat auf wei­ßem Grund”. Damit war ein äußers­ter Grad der Abs­trak­ti­on erreicht, der durch­aus sei­nen Reiz hat­te, sich jedoch schon im Moment der Aus­füh­rung sei­ne eige­ne Sack­gas­se gebaut hatte.

In den fol­gen­den Jahr­zehn­ten stürz­te sich die bil­den­de Kunst in die per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on der Dau­er-Selbst­de­mon­ta­ge, und holz­te sich damit Stück für Stück ins Nir­va­na, wo sie heu­te noch ein post-sui­zi­da­les, zum ewi­gen Epi­go­nen­tum ver­damm­tes Fel­la­chen­da­sein fris­tet, als Witz über die Wit­ze, Abs­trak­ti­on der Abs­trak­tio­nen und Zitat der Zita­te von Ges­tern. Im Zeit­al­ter von Charles Saat­chi ist “Kunst” lei­der über wei­te Stre­cken eine cle­ve­re Busi­ness-Idee und ein MacGuf­fin, um den her­um man einen lukra­ti­ven “Betrieb” orga­ni­sie­ren kann.

War­um sie über­haupt noch als Kul­tur­ar­ti­kel mit­ge­schleppt und respek­tiert und nicht wie die ers­ten, nur für den schnel­len Schock­ge­brauch bestimm­ten Rea­dy-mades in die Ton­ne getre­ten wird, weiß nie­mand so recht. Sie trägt immer noch den löch­ri­gen Man­tel ihrer alten Wür­de und Son­der­stel­lung, selbst­ver­ständ­lich stets mit der “iro­ni­schen Bre­chung” um die Ecke, was ihren Cha­rak­ter als Run­ning Gag, zu dem sie her­ab­ge­kom­men ist, nur noch betont.

Auch wenn alle wis­sen, daß der Kai­ser dar­un­ter nackt ist: tren­nen will man sich von ihm aber auch wie­der nicht, und als Banau­se oder als “reak­tio­när” gel­ten schon gar nicht. Man kann ja nie wis­sen, ob man nicht der ein­zi­ge Dum­me im Raum ist, der den Witz nicht ver­stan­den hat. Wobei der Ver­dacht nahe liegt, daß es allen ande­ren auch so ergeht. Es ist ein biß­chen wie mit dem Thea­ter der vor­geb­li­chen “Demo­kra­tie”, vor allem, wenn gera­de wie­der Wahl­kampf ist: es gibt einen Kon­sens des Mit­spie­lens, des Kulis­sen­schie­bens und des Sich-Düm­mer (oder Schlauer)-Stellens-als-man-ist.

Zu den bekann­tes­ten Ober­hir­schen des zeit­ge­nös­si­schen “Kunst­be­triebs” zählt der 1938 gebo­re­ne Georg Base­litz, des­sen Signa­tur­num­mer seit rund 40 Jah­ren das “Auf-den-Kopf-stel­len” sei­ner Bil­der ist.  Nun hat er laut Spie­gel eine “neue radi­ka­le Schaf­fens­pe­ri­ode ange­kün­digt”:  er wol­le künf­tig nur mehr “unsicht­ba­re” Bil­der mit rein “schwar­zen Farb­schich­ten” malen.

Dabei gehe es ihm nicht dar­um, etwa unsicht­ba­re Far­be zu ver­wen­den, son­dern um die Idee, ein Bild erst im Kopf ent­ste­hen zu las­sen. “Joseph Beuys hat ein­fach das Bild ver­kehrt her­um an die Wand gestellt und so das Geheim­nis bewahrt”, erklär­te der Maler. “So unge­fähr stel­le ich mir das vor.”

Das sind Sät­ze, die sich fast schon von selbst par­odie­ren. Der SpOn-Autor betont zwar vor­sichts­hal­ber, daß er selbst­ver­ständ­lich kein Banau­se sei, frei nach dem Ever­green “Das kann auch mein Vierjähriger”:

Denn Georg Base­litz ist einer der größ­ten deut­schen Maler der Gegen­wart, wenn nicht sogar der größ­te. Und nur ein Gro­ßer wie er darf alle Regeln bre­chen, darf sogar sein Kön­nen unsicht­bar machen, weil doch jeder weiß: Es ist vor­han­den. … Jeder Witz ist hier sowie­so fehl am Platz.

Ver­knei­fen konn­te er ihn sich aber doch nicht, wie der durch­ge­hend spöt­teln­de Ton­fall des Arti­kels und ins­be­son­de­re sein par­odis­ti­scher Schluß zeigt. Einer sol­chen Steil­vor­la­ge aus­zu­wei­chen, wäre aber wohl mensch­lich zuviel ver­langt. Was das viel­ge­rühm­te “Kön­nen” von Base­litz betrifft, so kön­nen sei­ne trotz allem pro­gram­ma­ti­schen Geschwätz  immer­glei­chen Scheuß­lich­kei­ten ästhe­tisch nur gewin­nen, wenn sie schwarz über­malt und “unsicht­bar” gemacht wür­den. Voi­là, die Poin­te konn­te ich nun auch nicht liegenlassen.

Der ulti­ma­ti­ve Witz an den Rest­aus­läu­fern der Avant­gar­den ist ihre Unfä­hig­keit, nach über einem Jahr­hun­dert dia­lek­ti­scher Selbst­auf­he­bung tat­säch­lich etwas Neu­es zu schaf­fen, wes­halb sie immer von Neu­em an den­sel­ben alten Mark­stei­nen vor­bei­de­fi­lie­ren, wo die Mur­mel­tie­re der De(kon)struktion und des Nichts pfei­fen. Die stän­di­ge Hatz nach der “Radi­ka­li­tät” hat eben dazu geführt, daß sich die bil­den­den Küns­te die eige­nen Wur­zeln abge­gra­ben haben. Nichts altert bekannt­lich schnel­ler als ein Avant­gar­dist. Daß dies alles schon mal dage­we­sen ist, und zwar schon vor Jahr­zehn­ten, hebt auch der Spie­gel-Autor her­vor:

Man könn­te jetzt natür­lich anmer­ken, dass die­se Idee nicht ganz so neu zu sein scheint. Der öster­rei­chi­sche Maler Arnulf Rai­ner über­malt bereits seit vie­len Jah­ren frem­de und eige­ne Foto­gra­fien und Gemäl­de. Einen Ein­druck davon, wie die kom­men­den Base­litz-Wer­ke aus­se­hen könn­ten, ver­mit­telt bei­spiels­wei­se ein Blick auf Rai­ners Schwar­ze Über­ma­lung von 1958, zu wel­cher Her­mann Kern in sei­ner Über­sicht über die künst­le­ri­sche Ent­wick­lung Arnulf Rai­ners anmerkt, bei die­sem Werk ent­ste­he “der kom­ple­xe Lust­ge­winn aus einer­seits dem Lust­mord an dem zu über­ma­len­den Bild, ande­rer­seits der Befrie­di­gung des Schöp­fer­triebs durch Schaf­fung eines neu­en orga­ni­schen Gan­zen. Das Über­mal­te kann zwar anschlie­ßend in den meis­ten Fäl­len nicht mehr gese­hen wer­den, es lebt jedoch als höchst wich­ti­ger (und kei­nes­falls belie­bi­ger) Bestand­teil des end­gül­ti­gen Bil­des dadurch wei­ter, dass es durch sei­ne Eigen­art den Vor­gang des Über­ma­lens gesteu­ert hat.” Und selbst, wenn Base­litz einen ganz ande­ren theo­re­ti­schen Ansatz ver­fol­gen soll­te – bei sei­nen “Expe­ri­men­ten mit schwar­zen Farb­schich­ten” könn­te ihm Kol­le­ge Rai­ner sicher­lich wert­vol­le Tipps geben.

Arnulf Rai­ners Über­ma­lun­gen fie­len im Jah­re 1994 ihrer­seits einer Über­ma­lung zum Opfer: Ein Unbe­kann­ter war in sein Wie­ner Ate­lier ein­ge­drun­gen, hat­te die dort vor­han­de­nen Bil­der zur Gän­ze schwarz über­malt, und zusätz­lich eines mit einem abge­wan­del­ten Zitat aus der Auto­bio­gra­phie eines bekann­ten geschei­ter­ten Künst­lers ver­se­hen: “Und da beschloß er Aktio­nist zu sein.”

Die­ser Fall ist The­ma des legen­dä­ren Doku­men­tar-Essays von Lutz Damm­beck, Das Meis­ter­spiel (1998), einem Pflicht­film für alle, die sich für den Kom­plex “Kunst und Poli­tik”, respek­ti­ve “Kunst und Macht” inter­es­sie­ren. Die Spu­ren des Täters führ­ten nach einem Hin­weis Rai­ners in die rech­te Sze­ne Wiens, ins­be­son­de­re zu sei­nem früh durch Selbst­mord ver­schie­de­nen Schü­ler Chris­ti­an Böhm-Ermol­li, einem Fabel­tier in der Bin­nen­ge­schich­te der “Neu­en Rechten”.

Die­ser wird auch ver­däch­tigt, das anony­me “Beken­ner­schrei­ben” ver­faßt zu haben, das etwa ein Jahr nach der Tat bei der Poli­zei ein­traf: ein kennt­nis­rei­ches, geschlif­fe­nes Mani­fest, das scharf mit den auf­lö­sen­den und destruk­ti­ven Ten­den­zen der moder­nen Kunst abrech­ne­te. In die­ser Per­spek­ti­ve war der Akt der Über­ma­lung der Über­ma­lung eine Art “Nega­ti­on der Nega­ti­on”: die Moder­ne soll­te mit ihren eige­nen Mit­teln auf­ge­ho­ben wer­den. Viel­leicht war die Tat auch ver­wandt dem Akt der “Schwär­zung” in der Alche­mie, dem sym­bo­li­schen Tod, der der geis­ti­gen Wie­der­auf­er­ste­hung vor­an geht.

Damm­becks Film ver­folgt aber noch eine ande­re The­se: ob nicht Rai­ner selbst der Täter und sogar der Ver­fas­ser des Mani­fests gewe­sen sein könn­te. Er selbst war es nach Aus­sa­ge eines Mit­ar­bei­ters gewe­sen, der nach­träg­lich die über­mal­ten Bil­der in sei­nem Ate­lier nach dem Mus­ter eige­ner frü­he­rer Werk­grup­pen aus den frü­hen Fünf­zi­ger Jah­ren arran­gier­te. Er soll als Ent­schä­di­gung für den Anschlag auch nicht unbe­trächt­li­che Ver­si­che­rungs­gel­der kas­siert haben.

Auch die­ses Geheim­nis “bleibt bewahrt.”

 


Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (2)

Frieder

16. Januar 2013 09:43

Einem Gerücht zufolge soll der berühmte italienische Künstler Piero Manzoni 1963, kurz vor seinem Tod, nur noch bei tiefster Dunkelheit den Kackstuhl aufgesucht haben, um seine Kunstwerke auch für sich unsichtbar zu machen. Piero Manzoni war 1961 berühmt geworden, als er seine eigenen Exkremente in Dosen abgefüllt und als „Künstlerscheisse“ – „merda d’artista“ – verkauft hatte.
Nachdem Günter Grass auch die „letzte Tinte“ ausgegangen ist, schreibt er nur noch unsichtbare Texte…
https://altmod.de/?p=2424

Weltversteher

16. Januar 2013 10:23

Ich verstehe nicht recht, worüber zu debattieren wäre. Laßt uns über Kunst - reden, wenn es sein muß, und nicht über ihre Abwesenheit. Auch heute gibt es noch Künstler. Zu vermuten, sie wären nicht vorhanden, bedeutet, den Blickwinkel des Systems zu übernehmen. Wozu?

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