So nennt man die Beförderungshilfen, die zwischen Kinderwagen und Buggy stehen. In meinem Sportwagen saß zunächst ein Kind des Geburtsjahrgangs 1970, dann ich, dann meine jüngere Schwester. Anschließend hatte das Ding eine ordentliche Ruhepause. In den späteren neunziger Jahren holte ich es vom elterlichen Dachboden, gab ein paar Tropfen Öl in die Karosserie, klopfte den Staub ab und setzte meine Tochter zur Ausfahrt hinein. Meine Eltern verdrehten damals die Augen. Sie boten mir fünfzig Mark: Die Tochter sollte es nicht nötig haben, das Enkelkind in einer so ollen Kiste durch die Gegend zu kutschieren.
Die Tochter, also ich, hatte es mitnichten „nötig“! Der Sportwagen konnte nicht gerade mit Retro-Schick punkten, er war mittelhäßlich, erfüllte aber seine Aufgabe hinreichend. Auch für das zweite, das dritte etc. Kind. Das Rumkutschieren lauffähiger Kinder lag mir eh nie so.
Ererbte Sparsamkeit, ein leicht nostalgischer Hang zu Dingen „mit Geschichte“ und Lebensspuren sowie ein gewisses, ja, Nachhaltigkeitsbewußtsein sorgen in unserm Haus dafür, daß Dinge aus passabler Wertarbeit nicht auf den Müll kommen, so lang sie noch nutzbar sind. Klar, man schmückt sich manchmal gern und gibt den Ästheten, aber bitte, nicht mit einem solchen Ding.
Der Sportwagen sieht mittlerweile reichlich ramponiert aus, die Räder hatte ich aus Sperrmüllgut inzwischen erneuern müssen, der Bezug wurde geflickt. Kein Schmuckstück, ein Lumpen, definitiv nichts für auch nur halbwegs prestigebewußte Großstadtmuttis, ach, seit 30 Jahren nicht mehr! Selbst unsere Feldwege wurden nurmehr ächzend bewältigt. Machte nichts, es gilt die Parole „sich regen bringt Segen“.
Nun weilte ich gerade bei meinen Eltern, als mein Vater berichtete, daß ein paar Straßen weiter eine junge Mutter anscheinend auszöge aus der Sozialbauwohnung und dabei gründlich ausmiste. Anderthalb Jahrzehnte nach dem ersten, ausgeschlagenen Lockangebot nun das zweite, niederschwelliger: „Die hat gleich vier schicke Kinderwägen rausgestellt, schau´s Dir doch mal an.“
Tatsächlich standen dort, vor dem Sozialbaukasten – man sah die junge Frau noch weiteres heranschleppen – nicht nur drei Sportwägen und ein Buggy, sondern allerhand mehr, Betten, Hochstuhl, sonstiges Mobiliar, ein Kühlschrank, ungezählte Tüten mit Kleinkindklamotten.
Sperrmüll gehört der Stadt, oder? Was macht die Stadt damit? Gibt sie brauchbares Gut weiter an Bedürftige? Schön wärs ja. Man würde nicht dazwischenfunken wollen. Aber mitnichten: Alles kommt in die Verbrennungsanlage.
Alle vier Kinderbeförderungsgeräte waren in makellosem Zustand, ich entdeckte nicht mal Flecken. Dazu mußte ich allerhand Kram heben, der auf den Sitzflächen gelagert war und nicht eigentlich zum Sperrgut gezählt werden darf. Ich ließ zurück: Einen Packen Pampers (schade eigentlich: unbenutzt), etliche Packungen H‑Milch (Ablaufdatum 2011) und ähnliches.
Ein hübscher, neuwertiger Sportwagen gehört jetzt meiner jüngsten Tochter. Vielleicht darf ich darin in den zwanziger Jahren mal ein Enkelkind schieben. Es lebe die Nachhaltigkeit!
Zu Hause entdeckte ich in der Bodenablage meines „neuen“ Wagens ein Konvolut an Papier. Nun weiß ich, man entschuldige meine Neugier, einiges über die Frau, die so großzügig ausmistete. Sie trägt einen deutschen Namen, ihr erstes Kind – neudeutsch benamst – erwartete sie mit sechzehn. Das zweite Kind trägt zwei türkischen Vornamen. Das zuständige Amt, der „jobcenter“ hat einen monatlichen „Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft“ in Höhe von 1231, 05 Euro ermittelt.
Die Miete der Wohnung, aus der die drei Menschen nun auszogen (vielleicht in eine hilfreiche „Einrichtung“, vielleicht auch in ein besseres Leben mit Villa und Biofrischmilch?) wurde voll übernommen. Augenscheinlich nicht voll übernommen wurde der „Heil- und Kostenplan“ für Zahnersatz, der sich auf 1785 Euro belief, ebensowenig natürlich die Rechnungen des Pizzalieferdienstes. Den hatte die Frau aus einer Nachbarstadt angefordert, was zusätzliche Lieferkosten verursachte. Ich fand mehrere Schuldschreiben und einen amtlichen Vollstreckungsbefehl, der sich auf eine Summe von über 5000 Euro belief.
Hier spielten sich zwei Tragödien ab: Einmal die einer 22jährigen Frau, deren Leben in jungen Jahren bereits in einer Sackgasse festzustecken scheint. (Falls sich das Blatt nicht glücklich gewendet hat.)
Und zum anderen und viel schwerwiegender, da verursachend, die Tragödie eines Sozialstaats, der genau solche Karrieren und Lebenswege erst befördert (indem er individuelle Lebenslagen finanziell abpolstert und manche Optionen dadurch überhaupt ermöglicht) – und dann abstraft.