Denunziation – Umriß einer Konstanten

47pdf der Druckfassung aus Sezession 47 / April 2012

von Torben Ulenwind

Nach dem Attentat auf Hitler im Jahre 1944 konnte Carl Goerdeler seiner Verhaftung durch die Gestapo zunächst entgehen. Doch die Luftwaffenhelferin Helene Schwärzel erkannte den Flüchtling in einem Wirtshaus und erstattete ihren Chefs Rapport. Goerdeler wurde festgenommen und später hingerichtet. Schwärzel erhielt die Belohnung von einer Million Reichsmark von Hitler persönlich, rührte das Geld jedoch für sich nicht an, sondern spendete einen Teil dem Roten Kreuz und den Bombenopfern von Königsberg.

Nach dem Krieg gesucht, wur­de die Denun­zi­an­tin selbst denun­ziert, und es kam zum Pro­zeß unter der Ankla­ge »Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit«. Hele­ne Schwär­zel wur­de in der ers­ten Instanz zu 15 Jah­ren, in der zwei­ten zu sechs Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Wel­ches Ver­ge­hen aber war Schwär­zel vor­zu­wer­fen? Ist sie nicht ledig­lich ihrer staats­bür­ger­li­chen Pflicht nach­ge­kom­men, eine gesuch­te Per­son, die eines Ver­bre­chens ver­däch­tigt wur­de, bei der Obrig­keit zu mel­den? Ist solch ein Anzei­ge­ver­hal­ten »zur Scha­dens­ver­hü­tung« tat­säch­lich ein »Ver­bre­chen gegen die Menschlichkeit«?

Zunächst ein­mal ist es schwie­rig, zwi­schen Anzei­ge und Denun­zia­ti­on, die in ihrer deut­schen Über­set­zung eben­falls »Anzei­ge« heißt, eine strik­te Grenz­li­nie zu zie­hen. Neue­re Defi­ni­ti­ons­ver­su­che der »Denun­zia­ti­on« bezie­hen sich nicht mehr auf die »ver­werf­li­che Anzei­ge«, son­dern auf den Aspekt der Ver­un­glimp­fung. Der Duden defi­niert den Begriff mit »jeman­dem aus per­sön­li­chen oder nied­ri­gen Grün­den anzei­gen« oder »etwas nega­tiv hin­stel­len, brand­mar­ken, ver­ur­tei­len«. Im ethi­schen Sinn wird all­ge­mein von Denun­zia­ti­on gespro­chen, wenn »in einem nicht­frei­heit­li­chen Sys­tem Men­schen bei staat­li­chen Voll­zugs­be­hör­den ange­zeigt wer­den, obwohl dem Anzei­gen­den klar sein muß, daß er sie damit der Gefahr der poli­tisch moti­vier­ten Ver­fol­gung aus­setzt« (wiki­pe­dia).

Denun­zia­ti­on wird von Psy­cho­lo­gen als aggres­si­ver oder auch destruk­ti­ver Akt iden­ti­fi­ziert, »der gegen ein Indi­vi­du­um oder eine Grup­pe von Per­so­nen gerich­tet ist, die in irgend­ei­ner Wei­se ›anders‹ sind, von bestimm­ten Norm- oder Ide­al­vor­stel­lun­gen abwei­chen oder die die­ser Abwei­chung bezich­tigt wer­den und damit an den Rand gedrängt, dis­kri­mi­niert oder ver­nich­tet wer­den sollen.«

Der Denun­zi­ant benutzt dabei stets die Voll­stre­ckungs­or­ga­ne der Macht­ha­ber. Er ist ihr Skla­ve und möch­te gleich­zei­tig Herr­scher über den zu Denun­zie­ren­den sein. Hier wür­den Min­der­wer­tig­keits­kom­plex und omni­po­tent-sadis­ti­scher Grö­ßen­wahn zusam­men­sto­ßen, wes­halb in psy­cho­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen der Denun­zia­ti­on stets der Nar­ziß­mus im Mit­tel­punkt steht.

Ein wich­ti­ger Begriff wur­de in der Duden-Auf­zäh­lung der Syn­ony­me ver­ges­sen, der vor allem im Kon­text moder­ner links­extre­mis­ti­scher Denun­zia­ti­on immer wie­der auf­taucht: »anpran­gern«. An den Pran­ger zu stel­len sind die »Fein­de«, wel­che wahl­wei­se die Ord­nung, den Fort­schritt, die Demo­kra­tie oder die Zivil­ge­sell­schaft bedro­hen. Die Ord­nungs­struk­tu­ren einer zivi­li­sier­ten Gesell­schaft, die stän­dig Ver­än­de­run­gen aus­ge­setzt ist, benö­ti­gen zum Macht­er­halt Spit­zel und Denun­zi­an­ten, um Oppo­si­tio­nel­le früh­zei­tig erken­nen und aus­schal­ten zu kön­nen. Sie müs­sen Infor­ma­ti­ons­flüs­se för­dern, indem sie Denun­zia­ti­on als Ver­bre­chens­be­kämp­fung (eben Scha­dens­ver­hü­tung) mora­lisch legi­ti­mie­ren. Pla­ka­tiv sind Fest­set­zun­gen in mit­tel­al­ter­li­chen Straf­pro­zeß­ord­nun­gen, daß Hexe­rei ein Ver­bre­chen sei, wel­ches nie­mals ver­jäh­re, Buch­ti­tel wie Der Jude als Ver­bre­cher, sowje­ti­sche Maß­nah­men gegen »kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Ver­bre­cher« oder Paro­len wie »Die NPD ist eine Ver­bre­cher­ban­de« (Kon­stan­tin Wecker). Durch die Kri­mi­na­li­sie­rung der zu Denun­zie­ren­den wird Denun­zia­ti­on als Auf­klä­rung im Dienst einer guten Sache umge­deu­tet. Die­se »gute Sache« kann nach einem Regime­wech­sel zu einer »schlech­ten Sache« werden.

Denun­zia­ti­on blüht vor allem dort, wo ein Denun­zi­ant mit ange­neh­men und ein Denun­zier­ter mit unan­ge­neh­men Fol­gen einer Denun­zia­ti­on zu rech­nen hat. Die Moti­va­ti­on, unter dem Deck­man­tel einer ver­meint­li­chen Ehr­bar­keit zu denun­zie­ren, zieht sich durch die Geschich­te der Mensch­heit, seit­dem sich Macht­struk­tu­ren um ihren Macht­er­halt sorgen.

Nach der Regie­rungs­über­nah­me der NSDAP 1933 konn­ten sich die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stel­len vor bös­ar­ti­gen Anzei­gen kaum ret­ten. Hit­ler selbst sprach im Mai 1933 gegen­über Reichs­jus­tiz­mi­nis­ter Gür­t­ner: »…daß wir zur Zeit in einem Meer von Denun­zia­ti­on und mensch­li­cher Gemein­heit leben; es ist kei­ne Sel­ten­heit, daß jemand einen ande­ren denun­ziert und sich sel­ber gleich­zei­tig als Nach­fol­ger emp­fiehlt.« Ein im Juli 1934 ein­ge­brach­ter Erlaß soll­te mit allem Nach­druck dafür sor­gen, »daß die des Deut­schen Vol­kes und des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staa­tes unwür­di­ge Erschei­nung des Denun­zi­an­ten­tums« ver­schwin­de. Am 3. Sep­tem­ber 1939 ver­kün­de­te Heyd­rich, Chef der Sicher­heits­po­li­zei und des Sicher­heits­diens­tes, als Maß­nah­me zur Erhal­tung der inne­ren Staats­si­che­rung wäh­rend des Krie­ges: »Gegen Denun­zi­an­ten, die aus per­sön­li­chen Grün­den unge­recht­fer­tig­te oder über­trie­be­ne Anzei­gen gegen Volks­ge­nos­sen erstat­ten, ist an Ort und Stel­le in geeig­ne­ter Wei­se – durch ein­dring­li­che Ver­war­nung und in bös­wil­li­gen Fäl­len durch Ver­brin­gung in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger – einzuschreiten.«

Auch wenn Denun­zia­ti­on im Drit­ten Reich dem Ide­al des »auf­rech­ten deut­schen Cha­rak­ters« ent­ge­gen­stand und unge­recht­fer­tig­te Anzei­gen ver­folgt wur­den, so benö­tig­ten die Macht­ha­ber in immer stär­ke­rem Aus­ma­ße Denun­zia­ti­on durch »frei­wil­li­ge Hel­fer« zur Kräf­te­ein­spa­rung und Sta­bi­li­sie­rung der Herr­schaft. Nicht nur Gesta­po und NS-Block­war­te spit­zel­ten, son­dern auch Pri­vat­per­so­nen zeig­ten frei­wil­lig Nach­barn, Bekann­te oder sogar Fami­li­en­mit­glie­der wegen der von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ein­ge­führ­ten Straf­tat­be­stän­de »Heim­tü­cke«, »Ras­sen­schan­de« und ähn­li­chem an. Straf­tat­be­stän­de, die inhalt­lich so schwer zu umgren­zen sind wie etwa die moder­nen Straf­ta­ten »Volks­ver­het­zung« oder »Ver­harm­lo­sung des Natio­nal­so­zia­lis­mus« und des­halb von Denun­zi­an­ten sowie den amt­li­chen Orga­nen glei­cher­ma­ßen zur Ver­fol­gung von poli­ti­schen Geg­nern genutzt und miß­braucht wer­den können.

Das sowje­ti­sche Arbei­ter- und Bau­ern­pa­ra­dies war auch ein Para­dies der Denun­zi­an­ten. Allein im Jah­re 1934 gin­gen etwa drei Mil­lio­nen Mel­dun­gen beim NKWD ein, in denen sich Men­schen gegen­sei­tig anschwärz­ten: »Der Bru­der den Bru­der, der Sohn den Vater und die Ehe­frau ihren Ehe­mann. Hat Sta­lin etwa die­se Denun­zia­tio­nen geschrie­ben? Wer hat denn die Leu­te gezwun­gen, den Blei­stift zu besab­bern und mit­ten in der Nacht unter der Bett­de­cke ›hier­mit brin­ge ich Ihnen zur Kennt­nis‹ auf ein Blatt Papier zu kritzeln?«

Nach dem Krieg benutz­ten in Deutsch­land vie­le Men­schen die Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren dazu, um sich an unlieb­sa­men Per­so­nen zu rächen. Dabei wur­den oft per­sön­li­che Dif­fe­ren­zen aus­ge­tra­gen oder »alte Rech­nun­gen begli­chen«, Denun­zia­tio­nen und Ver­leum­dun­gen waren kei­ne Sel­ten­heit. Unge­recht­fer­tig­te Vor­wür­fe konn­ten durch­aus zu har­ten Straf­maß­nah­men gegen Per­so­nen füh­ren, die ansons­ten viel­leicht maxi­mal als »Mit­läu­fer« ein­zu­schät­zen waren.

Der DDR-Geheim­dienst ver­füg­te zuletzt über 90 000 haupt­amt­li­che und 170 000 inof­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­ter, wobei letz­te­re als Denun­zi­an­ten der Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung dien­ten. Die Staats­si­cher­heit nutz­te unter ande­rem »kon­spi­ra­ti­ve Woh­nun­gen« von MfS- oder SED-Ange­hö­ri­gen, um für die Tref­fen mit ihren Infor­man­ten (Inof­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­ter, IM) eine ent­spann­te Atmo­sphä­re wäh­rend der meist mehr­stün­di­gen Tref­fen zu schaf­fen und das tat­säch­lich bestehen­de Abhän­gig­keits­ver­hält­nis zu ver­schlei­ern. Es ging »um Ver­rat und um Denun­zia­ti­on, denn die Infor­man­ten soll­ten vor allem die Ideen und Aktio­nen der Anders­den­ken­den ver­ra­ten und/oder damit die Akteu­re der Sze­ne denun­zie­ren. Die Anders­den­ken­den wuß­ten zwar, daß sie bespit­zelt wur­den, aber nicht, von wem und an wel­chen Orten der Ver­rat bzw. die Denun­zia­ti­on began­gen wur­de.« Der MfS-Offi­zier »gab sich dem Infor­man­ten gegen­über väter­lich, kol­le­gi­al, loy­al, als Kum­pel, als Mann, der zuhö­ren konn­te, als Freund – je nach­dem, was der IM brauch­te. Als Gegen­leis­tung erhielt der Offi­zier einen Bericht, den er wie­der­um brauch­te, um sei­ne Fähig­kei­ten inner­halb der ›Fir­ma‹ zu bewei­sen.« Aller­dings waren für die Infor­man­ten die Zusam­men­künf­te oft eben­so bedeu­tungs­voll, »denn die kon­spi­ra­ti­ven Woh­nun­gen waren für sie Orte der Aus­spra­che, Orte, an denen ihnen zuge­hört wur­de und wo sie in der Regel eine – wie auch immer gear­te­te – Aner­ken­nung erfuh­ren. Damit wirk­ten die Tref­fen in den gehei­men Woh­nun­gen letzt­lich auch sta­bi­li­sie­rend auf die Infor­man­ten selbst zurück.«

Für das MfS gab es nichts, was für die Orga­ni­sa­ti­on von Zer­set­zungs­maß­nah­men zu belang­los oder abwe­gig gewe­sen wäre, schließ­lich soll­te es viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten für die geräusch­lo­sen Ein­grif­fe geben: Kri­mi­na­li­sie­ren, Kom­pro­mit­tie­ren und Iso­lie­ren durch Gerüch­te und fal­sche Infor­ma­tio­nen, Insze­nie­ren von beruf­li­cher und sozia­ler Aus­gren­zung, um Exis­tenz­ängs­te aus­zu­lö­sen. Die Denun­zi­an­ten lie­fer­ten dem MfS des­halb auch unpo­li­ti­sche Details aus dem Leben von Oppo­si­tio­nel­len: per­sön­li­che Schwä­chen, Ängs­te, Trink­ge­wohn­hei­ten, inti­me Din­ge. Dem Zweck der Zer­stö­rung oder zumin­dest der erheb­li­chen Beschä­di­gung von Per­sön­lich­kei­ten dien­te der Staats­si­cher­heit ein an ihrer Juris­ti­schen Hoch­schu­le in Pots­dam eigens eta­blier­ter Zweig, die »Ope­ra­ti­ve Psychologie«.

Nach dem Zusam­men­bruch der DDR blieb die straf­recht­li­che Ahn­dung der Denun­zia­tio­nen weit­ge­hend aus. Ledig­lich wahr­heits­wid­ri­ge Ver­däch­ti­gun­gen, wenn Denun­zi­an­ten wider bes­se­res Wis­sen einen ande­ren der Bege­hung von Straf­ta­ten beschul­digt hat­ten, waren auch nach § 228 des DDR-StGB straf­bar. Aber selbst wenn sich DDR-Rich­ter auf­grund denun­zia­to­ri­scher Infor­ma­tio­nen der Rechts­beu­gung schul­dig gemacht hat­ten, ließ sich für die Nach­fol­ge­jus­tiz der auf eine Men­schen­rechts­ver­let­zung bezo­ge­ne Vor­satz des Denun­zi­an­ten nur schwer nachweisen.

Der Säch­si­sche Lan­des­be­auf­trag­te für die Unter­la­gen des Staats­si­cher­heits­diens­tes der ehe­ma­li­gen DDR, Micha­el Belei­tes, der vor der Wen­de von 25 inof­fi­zi­el­len und 15 offi­zi­el­len Sta­si-Mit­ar­bei­tern denun­ziert und über­wacht wur­de, resü­mier­te, daß ohne die IMs das Repressionssys­tem nicht in die­sem Maße funk­tio­niert hät­te. Wäh­rend jedoch die IMs ihre Schuld größ­ten­teils abstrit­ten, ent­schul­dig­ten sich die meis­ten haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter nach 1989 bei ihm und zeig­ten sich zu Gesprä­chen bereit: »Es waren Leu­te, die sich jah­re­lang vor­her mit mir aus­ein­an­der­ge­setzt hat­ten, die mich sehr gut kann­ten, mein Umfeld sehr gut kann­ten, die ich aber wie­der­um über­haupt nicht kann­te, so daß es sehr ein­sei­ti­ge Gesprä­che waren. Aber die waren für mich auch befrei­end, denn damit wuß­te ich, wel­che Gesich­ter sich hin­ter die­sen Namen der Täter ver­ber­gen, und ich wuß­te, daß die nach dem Herbst 1989 ganz ande­re Sor­gen hat­ten, als mir noch irgend­wie nach­zu­stel­len. Ich habe für mich die über­ra­schen­de Erfah­rung gemacht: Das waren kei­ne beson­ders aggres­siv oder zynisch ver­an­lag­te Typen, son­dern ganz nor­ma­le Papis und Opis, und dadurch konn­te ich auch die Angst vor der Sta­si ver­lie­ren – und das war für mich ein gro­ßer Gewinn.« Ist also die Moti­va­ti­on der Denun­zia­ti­on erkannt, wer­den die hin­ter Denun­zia­ti­on und Ver­fol­gung ste­cken­den Gesich­ter greif­bar, schwin­det die Macht über die Psy­che der Opfer.

Beach­tens­wert ist das weit­ge­hend nicht­staat­li­che Sys­tem der Denun­zia­ti­on einer sich als »auf­ge­klärt« ver­ste­hen­den Zivil­ge­sell­schaft, das im Zusam­men­spiel mit der Psy­cho­macht der Medi­en aus­zu­gren­zen­de Men­schen oder Grup­pen unter Zuhil­fe­nah­me »tau­send guter Grün­de« anpran­gert und ein brei­tes Ver­ständ­nis für Sank­tio­nen erzeugt.

Mil­lio­nen­schwe­re För­der­pro­gram­me »gegen Rechts« laden nicht nur Demo­kra­ten zur Teil­nah­me ein, son­dern auch Links­extre­mis­ten, die aller­dings Vor­feld­or­ga­ni­sa­tio­nen eta­blie­ren und sich selbst demo­kra­ti­schen Nim­bus sowie Exper­ten­sta­tus ver­lei­hen müs­sen. Die Finan­zie­rung fin­det durch poli­ti­sche Lob­by­grup­pen statt: Dut­zen­de zumeist dezen­tra­ler Orga­ni­sa­tio­nen buh­len um Zuwen­dun­gen aus der öffent­li­chen Hand und lie­fern dafür Berich­te und Ana­ly­sen über Per­so­nen oder Zusam­men­hän­ge unter dem Leit­mo­tiv der beschwo­re­nen Gefah­ren­ab­wehr. Aus­stei­ger­initia­ti­ven kön­nen vor allem straf­fäl­lig gewor­de­nen Per­so­nen aus einer dif­fus poli­ti­schen Jugend­szene Hil­fe anbie­ten, wenn die­se als »Aus­stei­ger« Inter­na über Drit­te mit­tei­len. Über »Fami­li­en­hil­fe« oder »Eltern­be­ra­tung« dür­fen Men­schen unter psy­cho­lo­gi­scher Obhut sogar ihre Ver­wand­ten denunzieren.

Die gesam­mel­ten Infor­ma­tio­nen wer­den von Jour­na­lis­ten und soge­nann­ten Anti­fa­schis­ten archi­viert und gege­be­nen­falls steck­brief­ar­tig ver­öf­fent­licht oder, zumeist anonym, im beruf­li­chen und sozia­len Umfeld der Opfer aus­ge­streut. Ein mili­tan­tes Milieu orga­ni­siert bei Bedarf mit Hil­fe die­ser Steck­brie­fe Anschlä­ge auf Gut und Leben der Denunzierten.

Gera­de in Zei­ten stän­dig wech­seln­der poli­ti­scher Sys­te­me haben Denun­zi­an­ten Hoch­kon­junk­tur. Wäh­rend ihrer Ver­neh­mung im Juni 1946 sag­te Hele­ne Schwär­zel: »Hät­te ich vor­aus­ge­se­hen, daß die Lage so schlecht wäre, so wür­de ich den G. nicht ver­ra­ten haben. Aber bei uns wur­de immer gesagt, wir bekä­men neue Waf­fen …« Solan­ge der Glau­be an die Bestän­dig­keit des herr­schen­den Sys­tems unge­bro­chen ist, braucht sich der Denun­zi­ant kei­ner­lei Hem­mun­gen auf­zu­er­le­gen. Das schlech­te Gewis­sen, die Angst vor Stra­fe regen sich erst, wenn nach dem poli­ti­schen Para­dig­men­wech­sel die Denun­zier­ten selbst die Herr­schaft übernehmen.

Der Fall der obrig­keits­gläu­bi­gen Anschwär­ze­r­in Schwär­zel, die einer­seits ihrer staats­bür­ger­li­chen Pflicht zur Anzei­ge nach­kam, ande­rer­seits von einer Obrig­keit für eben die­se Denun­zia­ti­on ins Zucht­haus gewor­fen wur­de, wäh­rend Goer­de­lers Rich­ter und Hen­ker straf­frei blie­ben (sie hat­ten ledig­lich gel­ten­des Recht umge­setzt), ver­deut­licht zudem, daß es auch für Denun­zi­an­ten kei­ne Rechts­si­cher­heit gibt: »Der mit dem jewei­li­gen Rechts­sys­tem kon­form han­deln­de Denun­zi­ant hat kei­nen Rich­ter. Wird die­ses Sys­tem nach­träg­lich sei­ner Legi­ti­ma­ti­ons­grund­la­gen beraubt, hat er plötz­lich deren zwei. Den ers­ten hat er benutzt, der zwei­te ver­ur­teilt ihn des­we­gen.« Mit wel­cher Begrün­dung soll­te also ein Denun­zi­ant in irgend­einem Herr­schafts­sys­tem sicher sein, sich nicht für das eige­ne Tun oder Unter­las­sen in spä­te­rer Zeit ver­ant­wor­ten zu müssen?

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