In der Unabhängigkeit lebe ich leicht und befreit. Allerdings ebenso mit schmalen Einkünften, ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld und die sonstige wohlige Korrumpiertheit. Hohe Schule des einfachen Lebens.
Das Geld als Medium des Austausches von Waren und Dienstleistungen zeigt mir an, daß ich wenig auszutauschen habe – wenig oder gar nichts von den Dingen, die in der Gesellschaft hoch im Kurs stehen, denen also ein hoher Wert zugeschrieben wird. Eigentlich kann ich nur Text und Geistesgeschichte. Damit ist wenig Staat zu machen und schon gar kein Geschäft.
Es heißt beispielsweise, Friseurinnen verdienen wenig. Ich verdiene bzw. bekomme weniger. Wobei ich das Handwerk der Friseure für ein hochachtbares halte, dessen Geschick tatsächlich völlig unter Wert gehandelt wird. Ich jammere nicht. Das dürfte ich nur, würde ich nicht aus freien Stücken so leben, wie ich es versuche. Man höre sich die Gewerkschafter an, wie qualifiziert sie klagen können.
Früher, als Angestellter, hätte ich gar nicht genau sagen können, wieviel ich jeden Monat ausgezahlt bekam. Ich wußte, es ist vierstellig in einem Bereich, der jemanden von meiner Bedürfnisstruktur ganz sorglos werden läßt. Vierstellig! Nie wieder erlebt.
Statt eines Taschenbuches bestellte ich stets ein fest gebundenes. Ich lebte zu symbolischer Miete in der Dienstwohnung eines dieser sogenannten Elite-Internate – ein Begriff, den man besser gleich explizit finanziell festmacht – und genoß fünf Mensamahlzeiten am Tag, denen vom locker geschlagenen morgendlichen Rührei zum Frühstück bis zum puderzuckrig bestäubten Apfelstrudel am Nachmittag Hotelqualität zukam. Abends immer warm: Gern Garnelen oder Bratenecken. Davon wanderte noch soviel in den Edelstahl-Abfallbehälter, daß von der Menge das halbe Dorf da draußen hätte mitleben können. – Ich gewöhnte mich zwar nicht an den Luxus, aber ich nahm ihn hin.
Heute akzeptiere ich den relativen Mangel und mache mir daraus einen nachdenklichen Sport: Genug Feuerholz für den Ofen, gut abgetrocknete Kiefer, Eiche gar, was für ein Geschenk der Natur, verbunden mit der Kraftaufgabe, es zu schneiden und zu hacken. Erst Spalthammer, dann Axt, schließlich Beil. Gute archaische Geräte. Männerkram. Stärkt den Schultergürtel und beschert Festmeter für Festmeter eine wohlig warme Bude. – Wieviele Dinge sehe ich, die ich nicht brauche! Diogenes? Sokrates? – Man durchschreite mit diesem stillen Mantra einen Super-Markt. Als Hans im Glück kommt man raus.
Brot, aus halbgrob gemahlenem Roggen, Sauerteigansatz und einfach Wasser in einer Schüssel aus der Brauntöpferei angerührt, einen halben Tag gegangen, frisches Dinkel oder Weizen, gar ein paar Nüsse dazu, Salz nicht vergessen, nochmals zwei Stunden in der Form gehen lassen und schließlich nur eine Stunde im Ofen backen – was für eine Köstlichkeit! Dick Butter rauf und Salz. Perfekt. Hat Substanz und macht mit zwei etwas dicker geschnittenen Scheiben satt. Schlägt in der Qualität jeden Bäcker der Region und die Bioläden gleich noch mit.
Apfelsaft von den im Herbst heruntergefallenen Äpfeln der verschiedenen alten Sorten auf der Pferdeweide stapelt sich kistenweise in der Speisekammer und sorgt für Erfrischung nach dem Waldlauf. Sicher isotonisch. Schmeckt nach Apfel und nicht eher nach Zucker. Und für Apfelkuchen: Boskop nehmen.
Mittlerweile endete die wahnhafte Tendenz, unbedingt neue tolle Geräte zu besorgen. Also wurde die Kaffeemühle fit gemacht, bestes Zassenhaus-Mahlwerk mit Handbetrieb. Sehr entschleunigt die runden Bewegungen, das Gerät zwischen die Oberschenkel geklemmt. Allerbester Kaffee, mindestens so duftig und würzig wie jener, für den die Türken eigens ihren Sack Bohnen vor Wien stehenließen. Das, was die Werbung verspricht und niemals hält: Gourmet-Kaffee. Sehr ursprünglich.
Erwirbt man nicht mehr soviel Geld, wächst der Wert den Dingen selbst zu, über die man verfügt. Man schätzt sie wieder. Plötzlich freue ich mich des alten Federhalters, den mir meine Grundschullehrerin schenkte, besorge mir ein Fäßchen mit königsblauer Tinte und staune, daß der Kolben die nach vierzig Jahren tadellos einzieht. Glatter und voller Strich. Endlich wieder lustvoll auf Papier schreiben und gar nicht aufhören wollen mit den Sätzen am königsblauen Faden.
Plötzlich schießt einem ein, daß Vater doch immer ein Rennrad auf dem Hausboden hatte, ein antiquiertes Stück, noch mit der Schaltung an der Stange statt integriert in den Lenkergriff. Da muß man sich beim Rasen noch bücken und gekonnt Gleichgewicht halten. Ein Anruf beim Alten, ein Transport, und schon schurrt es nur so den Asphalt entlang. Quasi umsonst, bezahlt vor Jahrzehnten. Niemand weiß mehr, wieviel es gekostet hat. Läuft. Läuft noch mal ein ganzes Leben. Sehr nachhaltig.
Bücher? Ich nutze das gnadenloses Preisdumping antiquarischer Internetportale und stelle fest, daß manches Porto den Buchpreis übersteigt, gerade von der Sorte Literatur, die offenbar keiner liest, weil weder Feuchtgebiete noch Vampire vorkommen. Nicht mehr alles fest gebunden, aber gut zu lesen. Und ich bin wieder in der Bibliothek, um mir das Regal mit den Neuerscheinungen, vor allem aber die Leute anzusehen.
Mag sein, man kokettiert mit Bescheidenheit oder riskiert eine Armutsneurose. Aber das schult, wenn man für Geiz und Neid nicht so anfällig ist. Man weiß beispielsweise: Wenn es irgend geht, Tankstellen und Handwerkeraufträge meiden. Auto sowieso. Nichts treibt schneller in die Pleite. Also Radfahren und wenigstens versuchen, mit den ästhetischen Schäden zu leben, die funktionalen aber selbst zu reparieren. Das übt. Kohlrübeneintopf übt auch. Ein Topf für drei Tage. Wird aufgewärmt immer besser das Aroma. Wußte schon Oma. Richtig durchgezogen! Das Wort „Kohlrübenwinter“ hat historisch seine konkrete Semantik, für mich aber gerade einen schönen Klang.
Und öfter mal Fischbüchse statt Fischrestaurant. Fischkonserven haben in Deutschland schon ganze Generationen überleben lassen. Bismarck-Hering. Was für ein klangvolles Wort.
Nun ja, das Auto. Die Westler werden aufschreien, aber mein Traumwagen vom Beginn der Achtziger, ein 1300er LADA, ist gegenwärtig recht erschwinglich zu haben und beschert wieder ein elementares Fahrgefühl. Mit dem Gefährt wäre man damals der König der Kreischausseen gewesen; heute ist man es wieder. Negation der Negation.
Erwalf
Wer nicht ängstlich ist, könnte neidisch werden. Aber es klingt nach Einsamkeit. Mit Familie ist dieses Leben wohl schwieriger. Die Kinder müßten mitmachen und könnten sich erst später für ihren eigenen Weg entscheiden. Aber das müssen die Luxuskinder ja auch. Der Geschmack des Einfachen ist zunächst köstlich, vielleicht oder wahrscheinlich ist das einfache Leben aber auch Vorbereitung auf kommende Notwendigkeiten. Insofern - vielleicht nicht nur deshalb- sind Sie ein Vorbild. (So völlig anders lebe ich allerding auch nicht.)