Sezessionistische Weihnachtsempfehlungen (I) – Ohrensessel

Ellen Kositza - Das Märchen ist zu Ende. Annäherungen an Emmy Hennings. Die Hennings (1885-1948) war eine Verrückte, eine Haltlose, eine Erlösungssüchtige. Hure, Diebin, Dichterin, vielfachbegehrte Muse, katholische Konvertitin, Gattin von Hugo Ball seit 1920, Eremitin. Hier haben wir eine Collage aus Texten von und über Emmy Hennings-Ball, die die markerschütternde Vielfalt ihrer Zustände abbildet. 176 Minuten, zwölfseitiges Booklet mit zahlr. Abb., 23.99 €.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nils Weg­ner – Ernst Jün­ger: Der Wald­gang. Weih­nachts­zeit, besinn­li­che Zeit, Zeit der Ein­kehr und des Ein-Gangs. Auch und gera­de des­we­gen Zeit für den Wald­gang, sowohl in Rich­tung Natur als auch in Rich­tung Selbst. Tho­mas Arnolds Vor­trags­wei­se ver­leiht dem zeit­lo­sen Text eine Note der Jetzt-Zei­tig­keit, obgleich die gar nicht von­nö­ten wäre. Auch wenn alles fei­er­lich schei­nen mag, so gilt es doch, wach­sam zu blei­ben – die Kata­stro­phe schläft ja auch nicht. 240 Minu­ten, 23.99 €.

Bene­dikt Kai­ser – Michail Bul­ga­kow: Der Meis­ter und Mar­ga­ri­ta. Bul­ga­kow (1891–1940) ist der wohl größ­te Sati­ri­ker der Sowjet­uni­on gewe­sen. Sein Haupt­werk, das bereits vor eini­gen Jah­ren als Hör­buch auf­ge­legt wur­de, ent­hält nicht nur Tief­grün­di­ges zur Phi­lo­so­phie des Bösen und der ewi­gen Fra­ge nach Gott und Teu­fel, son­dern auch amü­san­te Dia­lo­ge und kaum ver­steck­te Kri­tik der Bul­ga­kow umge­ben­den Zustän­de. Den­noch: Die viel­schich­ti­ge Hand­lung ist zeit­los – und regel­recht atem­rau­bend. Box mit 10 Audio-CDs, 692 Minu­ten und Book­let, 29.99 €.

Erik Leh­nert – Hans Fal­la­da: Der Trin­ker. Von den zwei Hör­bü­chern, die ich in den letz­ten zehn Jah­ren gehört habe, war dies das bes­te. Die dras­ti­sche Geschich­te einer Sucht wird kör­per­lich spür­bar. Für 16.70 € als Download.

Götz Kubit­schek – Ott­fried Preuß­ler: Die Aben­teu­er des star­ken Wan­ja. Ein Kin­der­hör­spiel, ich weiß. Aber da ich den Osten dem Wes­ten vor­zie­he, Bene­dikt Kai­ser mei­nen Ost-Ohren­ses­sel okku­piert hat (Der Meis­ter und Mar­ga­ri­ta ist glän­zend!) und ich die win­ter­li­che Kachel­ofen­at­mo­sphä­re samt Nüs­se­kna­cken und Borschtsch sehr schät­ze, füh­ren alle Wege  dort­hin, wo man erst 7 Jah­re lang fau­lenzt und nach­denkt, bevor man eine Spur zieht, die kei­ner mehr ver­gißt. Vom Wan­ja gibt es zwei Ver­sio­nen, die bes­se­re ist die von Inge­borg Trönd­le her­aus­ge­ge­be­ne: 3 CDs, 14.99 €.

Ras­kol­ni­kow – Karl Hein­rich Wag­gerl: Sämt­li­che Weih­nachts­ge­schich­ten. Nicht beson­ders ori­gi­nell, aber im Advent ein­fach uner­läß­lich: Vater und Kin­der ver­sam­meln sich gemüt­lich um den Pho­no­schrank und lau­schen dem alten Wag­gerl sei­ne Geschich­ten ab, wäh­rend Mut­tern beschürzt, bemehlt und rühr­st­ab­schwin­gend durch die Küche fetzt. Audio CD, 13.99 €

Felix Men­zel – Hans Ulrich Reck: Pier Pao­lo Paso­li­ni – Poe­tisch-Phi­lo­so­phi­sches Por­trait. Den kon­ser­va­ti­ven Anti­fa­schis­ten Pier Pao­lo Paso­li­ni ent­de­cken! 2 CDs, 151 Minuten.

(Bestel­lung der meis­ten Hör­bü­cher ist mög­lich per Epost: [email protected] oder tele­fo­nisch unter 034632–90941 bei Frau Drese)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (11)

Martin

9. Dezember 2013 15:24

Ohrensessel - Da muss ich doch an Thomas Bernhard und dessen "Skandalbuch" "Holzfällen" denken. Die Hörbuchfassung mit dem Vorleser Thomas Holtzmann bringt den Bernhardschen Sprachduktus gut rüber und ist sehr schön für jeden, der genug Zeit mit bringen kann, fast 8 Stunden zuhören zu wollen (bspw. auf einer vorweihnachtlichen Reise-Odyssee im Zug durch Deutschland).

Carsten

9. Dezember 2013 17:20

Sapristi! Der "prominente Gast" ist Raskolnikow! Meinertreu!

Der Waggerl gehört ja speziell "da unten" sozusagen zur Folklore. Mich wundert, dass er noch nicht verboten wurde, wegen... naja, Sie wissen schon. Dabei war er ja eigentlich Atheist, oder? Phänomenal, wie er trotzdem so eine authentisch wirkende Affinität zur Weihnachtszeit entwickelte. Aber mir geht's im Advent auch immer so.

Rainer Gebhardt

9. Dezember 2013 17:25

Noch ein Russe. Wer Isaak Babel noch nicht gelesen hat, kann ihn hören: "Isaak Babel - Budjonnys Reiterarmee und andere Geschichten".

Babel legte hier die literarische Chronik des Polenfeldzugs der legendären Roten Reiterarmee vor. Gedacht als Initial der Weltrevolution, endete dieser Krieg im März 1921 mit der totalen Niederlage der Roten. Die tagebuchartigen Erzählungen berichten aus der Kinderstube "des neuen Menschen". Im Bewusstsein eine historische Mission zu erfüllen, gehen die Revolutionäre emotions- und gnadenlos gegen die "burschois" vor - die Bourgeoisie. Der "neue Mensch" scheint nicht möglich zu sein, solange es die Bourgeoisie noch gibt. Und ein "burschoi" ist jeder, der noch einen eigenen Löffel besitzt oder eine Speckseite in der Kammer versteckt hat. Im Zweifelsfall reicht es auch Jude zu sein.
Babel, der zeitweise selber mit dem "neuen Menschen" liebäugelte und der an diesem Feldzug teilnahm, bleibt die Spucke weg. «Wie wir die Freiheit bringen, schrecklich,» schrieb er. Menschheitsbeglücker halten sich eben nicht lange mit Menschen auf. Schon gar nicht mit Diskussionen. Das beste Argument für die Gleichheit war schon immer die Kugel.

HeinzM

9. Dezember 2013 18:08

Sehr geehrte Frau Kositza,
gern füge ich Ihren Leseempfehlungen ein Werk bei, das mich als evangelischen Christen mehr als alles andere berührt hat. Er ist Anlaß zu laufender Selbstprüfung. Den Aufstand, den die Empfehlungen in diesem Text von links bis rechts verursacht haben, haben Sie miterlebt. Der Verfasser hat sich damit wirkungsvoll um die Klärung der "Fronten" verdient gemacht.
Hier die Leseprobe:
„Herr, ich habe mich täuschen lassen, auf tausenderlei Weise bin ich vor deiner Liebe geflohen, doch hier bin ich wieder, um meinen Bund mit dir zu erneuern. Ich brauche dich. Kaufe mich wieder frei, nimm mich noch einmal auf in deine erlösenden Arme.“ Es tut uns so gut, zu ihm zurückzukehren, wenn wir uns verloren haben! Ich beharre noch einmal darauf: Gott wird niemals müde zu verzeihen; wir sind es, die müde werden, um sein Erbarmen zu bitten. Der uns aufgefordert hat, » siebenundsiebzigmal « zu vergeben (Mt 18,22), ist uns ein Vorbild: Er vergibt siebenundsiebzigmal. Ein ums andere Mal lädt er uns wieder auf seine Schultern. Niemand kann uns die Würde nehmen, die diese unendliche und unerschütterliche Liebe uns verleiht. Mit einem Feingefühl, das uns niemals enttäuscht und uns immer die Freude zurückgeben kann, erlaubt er uns, das Haupt zu erheben und neu zu beginnen. Fliehen wir nicht vor der Auferstehung Jesu, geben wir uns niemals geschlagen, was auch immer geschehen mag. Nichts soll stärker sein als sein Leben, das uns vorantreibt!"
Der Link:
https://www.vatican.va/holy_father/francesco/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium_ge.html#Nein_zu_einem_Geld,_das_regiert,_statt_zu_dienen
Der vollständige Titel:
APOSTOLISCHES SCHREIBEN
EVANGELII GAUDIUM
DES HEILIGEN VATERS
PAPST FRANZISKUS
AN DIE BISCHÖFE,
AN DIE PRIESTER UND DIAKONE,
AN DIE PERSONEN GEWEIHTEN LEBENS
UND AN DIE CHRISTGLÄUBIGEN LAIEN
ÜBER DIE VERKÜNDIGUNG DES EVANGELIUMS
IN DER WELT VON HEUTE
Mit besten Grüßen zum Advent
Ihr Heinz Meckelreither

Gutmensch

9. Dezember 2013 19:11

Was, um Himmels willen, will uns denn der Dr. Lehnert mit DIESER schönen Empfehlung sagen? Fallada ist doch schon bei schönstem Sonnenschein am Badesee arg genug - aber auch noch DER TRINKER im derzeit nassgrauen Berlin zu WEIHNACHTEN hören?! Wer soll damit quält werden - und warum??

Das Leben ist schon hart genug und die Termine drängen ...

der beinahe kapitulierende Gutmensch.

Stil-Blüte

9. Dezember 2013 21:37

@ Ellen Kositza
Für diese wunderbare Idee, Lesefrüchte zum Advent anzubieten, meinen Dank. Viele An-Regungen in letzte Zeit über die jeden Tag geöffneten Adventsfensterchen über 'schöne Literatur'. Was tut sich über dieses Menschen-Kind Emmy Hennings für eine Welt auf! An ihr, der Streunerin, Leichtsinnigen kann man sich erfreuen und staunen, wie man im verderben unschuldig bleiben/wieder werden kann. Da Sie zur Debatte aufrufen, kann ich mir nicht verkneifen, selbst zwei Frauenzimmer mit ihrer spärlichen, aber schwerwiegenden Literatur anzuempfehlen: Simone Weil und Catherine Pozzi. Echt was zum Aufstöbern!

@Rainer Gebhardt
Ein bißchen viel 'Reiterarmee' in letzter Zeit hier. Die armen Pferde, die in all den Kriegen zu Tode geritten wurden. Kein Gefährte der Menschen wurde mehr geopfert als das Pferd. (Aber- daß die Russen hier im Kommen sind - das gefällt mir. Passt auch zum Motto 'nordost'). Da lob ich mir doch Ochs und Esel in der Krippe...

@ Raskolnikow
...und den Floh in Waggerls Weihnachtsgeschichte! Raskolnikow, was für ein großer Kindskopf sind Sie doch!

Ab und an auf youtube Advents- und Weihnachtsliedern lauschen, sie mitsummen, mitsingen.

Hildesvin

9. Dezember 2013 23:22

Falladas schwächstes Werk. Das sage ich als ehemaliger akademischer Kampftrinker, jetzt Händler blassgelber Arbeitsunlustbescheinigungen.
Daß einer, der sich zuvor am Jahresende eine Flasche Wein mit seiner Ollen teilt, von einem Tag auf den anderen zum Alpha- bis Epsilon-Spritti in Maximalvariante wird, dat jift dat nich' - Skål!

Rumpelstilzchen

10. Dezember 2013 07:38

lieber Herr Meckelreither,

Ja, dieser Papsttext "Evangelii Gaudium" hat es wirklich in sich. Er erscheint noch vor Weihnachten in Buchform.
Dies ist allerdings kein Text für den Ohrensessel, sondern er haut einem aus dem Sessel raus. Man sollte die Auslegung auch nicht Oskar Lafontaine überlassen. Die Liebe des Papstes zu den Armen und Ausgesonderten hat mit der Liebe dieses Erbarmungswürdigen Verbrechers nicht das mindeste zu tun, gelle Oskar:

https://m.youtube.com/watch?v=1XBEqyu5Mck&desktop_uri=%2Fwatch%3Fv%3D1XBEqyu5Mck

@Felix Menzel

Lohnen würde sich allerdings ein Vergleich des Textes von Pasolini "Freibeuterschriften" , Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft " mit Evangelii gaudium.
Adventliche Grüße

Steffen

10. Dezember 2013 13:10

Ich kann gleich drei Empfehlungen von Hörbüchern geben, die ich innerhalb der vergangenen sechs Monate gehört habe:

"Der Process", Franz Kafka - 516 Minuten
"Herz der Finsternis", Joseph Conrad - 306 Minuten
"Der Zauberberg", Thomas Mann - 1158 Minuten

Letzteres gelesen von, ja wem eigentlich sonst, Gert Westphal, ist ein absoluter Ohrenschmaus, gerade bei der Langatmigkeit und dem Detaillierungsgrad dieses Romans.
Es sind zwar allesamt zur Standardlektüre aus Schulzeiten zu zählen, allerdings ist vor allem ein Wiederhören dieser Literatur äußerst spannend - besonders wenn man etwas, wie bei mir, zehn Jahre zuvor gelesen hat und nun unter einem ganz anderen Erfahrungshorizont hören kann und sich in der Interpretation völlig andere Denkweisen und Freiheitsgrade ergeben.

Sascha

11. Dezember 2013 01:31

Ich möchte die beiden Empfehlungen zur russischen Literatur unterstützen.

Bulgakows Meister und Margarita - das ist ein Buch, was Leute in der Sowjetunion mit Schreibmaschinen abgetippt und wofür sie Monatslöhne gezahlt haben.

Und auch Babels Reiterarmee - ein Buch, was in der DDR zu kriegen war, und was mich in meiner Kindheit (kommunistisch erzogen) tief schockiert hat.

Stil-Blüte

13. Dezember 2013 22:13

Nachklang: Ohrwürmer im Ohrensessel: Wer kann die deutsche Sprache mit jedem Konsonanten und Vokal so schön sonor zum Klingen und Schwingen bringen? Heino! Gratulation! Für 75 Jahre Stehvermögen und Standfestigkeit. Mit freundlichen Grüßen - die Platte ist inzwischen Kult und als heiteres Überraschungsgeschenk für Jung und Alt auf den Gabentisch bestens geeignet!

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