Weltoffen – Arsch offen

55pdf der Druckfassung aus Sezession 55 / August 2013

Die Schriftstellerin Sophie Dannenberg veröffentlichte 2006 einen semi-legendären Beitrag für das Deutschlandradio über die therapeutische Wirkung des antifaschistischen Furors auf das bundesteutonische Gemüt. Als Beispiel diente ihr ein Kreuzberger Antifa-Urgestein namens »Lothi«.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die­ser hat­te am »Kot­ti« einen offen­bar wasch­ech­ten »Nazi« gesich­tet, was ihn sogleich in einen »tri­um­pha­len anti­fa­schis­ti­schen Rausch« ver­setz­te. Ange­sichts »Lothis« anhal­ten­der Eksta­se frag­te sich die Autorin, ob sein »Nazi« nicht bloß einer Wunsch­phan­ta­sie ent­sprun­gen sei, männ­li­chen Tie­ren ähn­lich, die, wenn sie »wäh­rend der Balz kein Weib­chen fin­den«, statt des­sen »Stei­ne, Zwei­ge, Zaun­pfäh­le« begatten. 

Dan­nen­bergs Resü­mee: Der »Nazi« gibt »unse­rem Lothi – und nicht nur ihm – Sinn und Ver­stand und Per­spek­ti­ve. Er befreit ihn aus dem bana­len und blö­den All­tag. Er sichert ihm Ori­en­tie­rung in einer Wirk­lich­keit, die täg­lich bedroh­li­cher und kom­ple­xer wird. Mit dem im Hin­ter­grund stän­dig lau­ern­den Nazi weiß man wie­der, wor­an man ist. Rock gegen Rechts ist unser Opi­um für das Volk, und uner­kannt blei­ben die herr­schen­den Ver­hält­nis­se. Lothi und sei­nes­glei­chen füh­len sich sicher in ihrer Idyl­le aus auf­ge­klär­ten und muti­gen Mit­men­schen. Unter­des­sen wech­selt das Böse in aller Ruhe sei­ne Gestalt – wie­der und wie­der, damals wie heute.«

Die Treff­si­cher­heit die­ser Sät­ze zeig­te sich im Juni 2013 mit beson­de­rer Voll­endung in der hes­si­schen Klein­stadt Kar­ben. Andre­as Lichert, Vor­sit­zen­der des Ver­eins für Staats­po­li­tik, eröff­ne­te dort eine kon­ser­va­ti­ve »Pro­jekt­werk­statt« als »Ort der Debat­te und der frei­en Rede«, getra­gen »von der Sor­ge um die Zukunft unse­res Lan­des«. Wäh­rend Lichert noch dabei war, sein Ver­an­stal­tungs­zim­mer mit ein paar Stüh­len und Rega­len zu bestü­cken, wur­de auf Wink des Kul­tur­stadt­ra­tes Phil­ipp von Leon­har­di (CDU) ein »Bür­ger­bünd­nis gegen Rechts« zusam­men­ge­trom­melt, in das sich neben den obli­ga­ten Anti­fa-Grup­pen die Fla­gel­lan­ten-Initia­ti­ve »Stol­per­stei­ne in Kar­ben« und der tür­kisch-isla­mis­ti­sche Ver­ein »DITIB« reih­ten (die einen pflas­tern Deutsch­land mit NS-Mahn­ma­len im Mini­for­mat, die ande­ren mit Moscheen im Maxi­for­mat zu). 

Lichert wur­de von die­sem »bun­ten« Bünd­nis kur­zer­hand zum »Nazi« und sei­ne »Werk­statt« zum »brau­nen Nest« ernannt. Frei nach Ibsen hat­te sich Kar­ben sei­nen »Volks­feind« erfun­den, gegen den eine Kri­sen­ver­an­stal­tung mit einer Mobil­ma­chung von rund 500 Zivil­cou­ra­gier­ten ein­be­ru­fen wur­de. Daß Lichert auf sei­ner Netz­sei­te von den Teil­neh­mern der Werk­statt »zwin­gen­de Bekennt­nis­se« unter ande­rem »gegen Gewalt«, »zum Grund­ge­setz« und »zum frei­heit­li­chen Rechts­staat« for­der­te, inter­es­sier­te die Initia­to­ren, die in der Aus­wahl ihrer eige­nen Bun­des­ge­nos­sen nicht gar so anspruchs­voll waren, eine feuch­ten Dreck. 

Vor allem woll­te sich kei­ner den frisch erspäh­ten, lecke­ren »Nazi« mies­ma­chen las­sen. Jeder bekam dabei sei­nen Bis­sen ab: die wie gewohnt oppor­tu­nis­ti­schen CDU-Schlei­mer haben nun ihren Sün­den­bock, des­sen Fins­ter­nis sie in ein gold­glän­zen­des Licht taucht, »DITIB« kann ihren Kul­tur­kampf vor­an­trei­ben und über »Dis­kri­mi­nie­rung« jam­mern, die Stol­per­stein­ver­le­ger kön­nen sich in Pries­ter­po­se wer­fen, wäh­rend die Anti­fa mal wie­der ihren unter­drück­ten SA-Nei­gun­gen frei­en Lauf las­sen darf. Mit einem Wort: ein Pro­vinz­thea­ter, in dem man die gan­ze Patho­lo­gie des Lan­des in Minia­tur­aus­ga­be stu­die­ren kann.

Gera­de­zu ein Pracht­stück für die Vitri­ne zukünf­ti­ger Samm­ler ist das Pla­kat, mit dem für das Bür­ger­bünd­nis gewor­ben wur­de. »Rechts­extre­mis­mus? Kar­ben sagt NEIN!« hieß es da mit pol­tern­dem Pathos. Dar­auf ein Bild von fünf jun­gen, stram­men Men­schen, die aus­se­hen, als wären sie aus dem Film Die Wel­le gepur­zelt, mit vor­ge­reck­ten (über­wie­gend) rech­ten Armen und uner­bitt­li­chen Mie­nen. Die Hän­de sind aller­dings nicht zum »deut­schen Gruß« gestreckt, son­dern bie­gen mit den Fin­ger­spit­zen nach oben ab. Die Bli­cke und die Hand­flä­chen sind fron­tal auf den Betrach­ter gerich­tet. Soll sich die­ser nun als »Rechts­extre­mist« ange­spro­chen und aus­ge­grenzt füh­len, oder ist die gan­ze Insze­nie­rung extra auf Andre­as Lichert gemünzt?

Was die Beset­zung betrifft, so han­delt es sich hier um eine Vari­an­te des in Inte­gra­ti­ons­bü­ros so belieb­ten Bild­gen­res der »Haut­far­ben­col­la­ge«, wel­che »Bunt­heit« und »Viel­falt« signa­li­sie­ren soll. Die Regeln ein­wand­frei poli­tisch kor­rek­ter Dar­stel­lung sind aller­dings offen­bar noch nicht zur Gän­ze nach Kar­ben durch­ge­drun­gen, das an einer über­hol­ten, »impli­zit wei­ßen«, hete­ro­nor­ma­ti­ven Iko­no­gra­phie fest­hält – viel­leicht ist es aber auch bloß eine ori­gi­nel­le loka­le Varia­ti­on, daß der in die­sen Arran­ge­ments nor­ma­ler­wei­se aus­ge­blen­de­te oder dezent in den Hin­ter­grund abge­dräng­te wei­ße Mann so auf­fal­lend domi­nant im Zen­trum der Grup­pie­rung steht. 

Typ: Jun­ge-Uni­on-Mit­glied, sau­be­res Hemd, ordent­lich fri­siert, eher wei­che Gesichts­zü­ge, dafür mit ath­le­ti­scher Figur. Wie in einem Rap-Video wird er flan­kiert von einem Trupp hüb­scher Mädels, die sich hin­ter sei­nem Rücken auf­rei­hen, wobei jedes gezielt eine ande­re »Haut­far­be« reprä­sen­tiert. »Bunt­heit« wird ja nach den Vor­stel­lun­gen der Anti­ras­sis­ten vor allem nach ras­si­schen Gesichts­punk­ten bestimmt. 

Beson­ders pro­mi­nent im Bild ist ein unde­fi­nier­bar asia­tisch-ori­en­ta­lisch aus­se­hen­des Mäd­chen, zwar ohne Kopf­tuch, dafür mit erns­tem, leicht ver­schreck­tem Blick. Der Mul­ti­kul­ti­ha­rem kann jedoch beru­higt sein: denn der jun­ge Mann ist offen­bar eine rich­tig coo­le Sau. Die Lip­pen leicht iro­nisch-kämp­fe­risch geschürzt wie einst Mar­lon Bran­do, wird es kein schlech­ter Rech­ter wagen, sich mit ihm anzu­le­gen. Er sel­ber total »clean«, was »rech­tes Gedan­ken­gut« betrifft! Die zün­den­de Bot­schaft an jun­ge deut­sche Män­ner: »Gegen Rechts« sein ist jung und sexy, und man steht dabei pri­ma vor Mut­ti und den Mädels da. Haupt­sa­che, ihr bekämpft alles, das irgend­wie mit Deutsch­sein oder Mann­sein zu tun hat. In der Rea­li­tät sehen die Stars der Koali­ti­on aller­dings eine Spur weni­ger heiß aus. 

Das Höchs­ter Kreis­blatt ver­öf­fent­lich­te ein Foto, das in die Tita­nic gepaßt hät­te, dies­mal in kor­rek­ter hier­ar­chi­scher Anord­nung: ganz vor­ne eine bebrill­te Anti­ras­sis­mus­exper­tIn mit pro­fes­sio­nel­len Betrof­fen­heits­fal­ten; dane­ben eine in Kopf­tuch und Sack­man­tel gehüll­te Mos­le­min, sekun­diert von einem jun­gen Mann mit isla­mis­tisch ange­hauch­tem Bart; sodann ein kau­zi­ges Stol­per­stein-Männ­chen mit Büßer­blick, und last not least der heroi­sche Ret­ter Kar­bens vor der brau­nen Flut, Phil­ipp von Leon­har­di, der zum tie­fen Glück sei­ner Bür­ger dafür sorgt, daß die Stadt via Muez­zin­ruf »bunt und welt­of­fen« bleibt. 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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