Dieser hatte am »Kotti« einen offenbar waschechten »Nazi« gesichtet, was ihn sogleich in einen »triumphalen antifaschistischen Rausch« versetzte. Angesichts »Lothis« anhaltender Ekstase fragte sich die Autorin, ob sein »Nazi« nicht bloß einer Wunschphantasie entsprungen sei, männlichen Tieren ähnlich, die, wenn sie »während der Balz kein Weibchen finden«, statt dessen »Steine, Zweige, Zaunpfähle« begatten.
Dannenbergs Resümee: Der »Nazi« gibt »unserem Lothi – und nicht nur ihm – Sinn und Verstand und Perspektive. Er befreit ihn aus dem banalen und blöden Alltag. Er sichert ihm Orientierung in einer Wirklichkeit, die täglich bedrohlicher und komplexer wird. Mit dem im Hintergrund ständig lauernden Nazi weiß man wieder, woran man ist. Rock gegen Rechts ist unser Opium für das Volk, und unerkannt bleiben die herrschenden Verhältnisse. Lothi und seinesgleichen fühlen sich sicher in ihrer Idylle aus aufgeklärten und mutigen Mitmenschen. Unterdessen wechselt das Böse in aller Ruhe seine Gestalt – wieder und wieder, damals wie heute.«
Die Treffsicherheit dieser Sätze zeigte sich im Juni 2013 mit besonderer Vollendung in der hessischen Kleinstadt Karben. Andreas Lichert, Vorsitzender des Vereins für Staatspolitik, eröffnete dort eine konservative »Projektwerkstatt« als »Ort der Debatte und der freien Rede«, getragen »von der Sorge um die Zukunft unseres Landes«. Während Lichert noch dabei war, sein Veranstaltungszimmer mit ein paar Stühlen und Regalen zu bestücken, wurde auf Wink des Kulturstadtrates Philipp von Leonhardi (CDU) ein »Bürgerbündnis gegen Rechts« zusammengetrommelt, in das sich neben den obligaten Antifa-Gruppen die Flagellanten-Initiative »Stolpersteine in Karben« und der türkisch-islamistische Verein »DITIB« reihten (die einen pflastern Deutschland mit NS-Mahnmalen im Miniformat, die anderen mit Moscheen im Maxiformat zu).
Lichert wurde von diesem »bunten« Bündnis kurzerhand zum »Nazi« und seine »Werkstatt« zum »braunen Nest« ernannt. Frei nach Ibsen hatte sich Karben seinen »Volksfeind« erfunden, gegen den eine Krisenveranstaltung mit einer Mobilmachung von rund 500 Zivilcouragierten einberufen wurde. Daß Lichert auf seiner Netzseite von den Teilnehmern der Werkstatt »zwingende Bekenntnisse« unter anderem »gegen Gewalt«, »zum Grundgesetz« und »zum freiheitlichen Rechtsstaat« forderte, interessierte die Initiatoren, die in der Auswahl ihrer eigenen Bundesgenossen nicht gar so anspruchsvoll waren, eine feuchten Dreck.
Vor allem wollte sich keiner den frisch erspähten, leckeren »Nazi« miesmachen lassen. Jeder bekam dabei seinen Bissen ab: die wie gewohnt opportunistischen CDU-Schleimer haben nun ihren Sündenbock, dessen Finsternis sie in ein goldglänzendes Licht taucht, »DITIB« kann ihren Kulturkampf vorantreiben und über »Diskriminierung« jammern, die Stolpersteinverleger können sich in Priesterpose werfen, während die Antifa mal wieder ihren unterdrückten SA-Neigungen freien Lauf lassen darf. Mit einem Wort: ein Provinztheater, in dem man die ganze Pathologie des Landes in Miniaturausgabe studieren kann.
Geradezu ein Prachtstück für die Vitrine zukünftiger Sammler ist das Plakat, mit dem für das Bürgerbündnis geworben wurde. »Rechtsextremismus? Karben sagt NEIN!« hieß es da mit polterndem Pathos. Darauf ein Bild von fünf jungen, strammen Menschen, die aussehen, als wären sie aus dem Film Die Welle gepurzelt, mit vorgereckten (überwiegend) rechten Armen und unerbittlichen Mienen. Die Hände sind allerdings nicht zum »deutschen Gruß« gestreckt, sondern biegen mit den Fingerspitzen nach oben ab. Die Blicke und die Handflächen sind frontal auf den Betrachter gerichtet. Soll sich dieser nun als »Rechtsextremist« angesprochen und ausgegrenzt fühlen, oder ist die ganze Inszenierung extra auf Andreas Lichert gemünzt?
Was die Besetzung betrifft, so handelt es sich hier um eine Variante des in Integrationsbüros so beliebten Bildgenres der »Hautfarbencollage«, welche »Buntheit« und »Vielfalt« signalisieren soll. Die Regeln einwandfrei politisch korrekter Darstellung sind allerdings offenbar noch nicht zur Gänze nach Karben durchgedrungen, das an einer überholten, »implizit weißen«, heteronormativen Ikonographie festhält – vielleicht ist es aber auch bloß eine originelle lokale Variation, daß der in diesen Arrangements normalerweise ausgeblendete oder dezent in den Hintergrund abgedrängte weiße Mann so auffallend dominant im Zentrum der Gruppierung steht.
Typ: Junge-Union-Mitglied, sauberes Hemd, ordentlich frisiert, eher weiche Gesichtszüge, dafür mit athletischer Figur. Wie in einem Rap-Video wird er flankiert von einem Trupp hübscher Mädels, die sich hinter seinem Rücken aufreihen, wobei jedes gezielt eine andere »Hautfarbe« repräsentiert. »Buntheit« wird ja nach den Vorstellungen der Antirassisten vor allem nach rassischen Gesichtspunkten bestimmt.
Besonders prominent im Bild ist ein undefinierbar asiatisch-orientalisch aussehendes Mädchen, zwar ohne Kopftuch, dafür mit ernstem, leicht verschrecktem Blick. Der Multikultiharem kann jedoch beruhigt sein: denn der junge Mann ist offenbar eine richtig coole Sau. Die Lippen leicht ironisch-kämpferisch geschürzt wie einst Marlon Brando, wird es kein schlechter Rechter wagen, sich mit ihm anzulegen. Er selber total »clean«, was »rechtes Gedankengut« betrifft! Die zündende Botschaft an junge deutsche Männer: »Gegen Rechts« sein ist jung und sexy, und man steht dabei prima vor Mutti und den Mädels da. Hauptsache, ihr bekämpft alles, das irgendwie mit Deutschsein oder Mannsein zu tun hat. In der Realität sehen die Stars der Koalition allerdings eine Spur weniger heiß aus.
Das Höchster Kreisblatt veröffentlichte ein Foto, das in die Titanic gepaßt hätte, diesmal in korrekter hierarchischer Anordnung: ganz vorne eine bebrillte AntirassismusexpertIn mit professionellen Betroffenheitsfalten; daneben eine in Kopftuch und Sackmantel gehüllte Moslemin, sekundiert von einem jungen Mann mit islamistisch angehauchtem Bart; sodann ein kauziges Stolperstein-Männchen mit Büßerblick, und last not least der heroische Retter Karbens vor der braunen Flut, Philipp von Leonhardi, der zum tiefen Glück seiner Bürger dafür sorgt, daß die Stadt via Muezzinruf »bunt und weltoffen« bleibt.