Bürgermeister zurückgetreten: Seit Wochen halten dort die Bürgerproteste gegen eine im Ort geplante Asylunterkunft an, und zuletzt sollte eine Demonstration vor Bürgermeister Markus Nierths Haus enden, wo man mit einer Abschlußkundgebung dem Protest gegen die Unterbringung von rund 50 Asylanten noch einmal Nachdruck verleihen wollte.
Der Bürgermeister trat nach eigener Auskunft nicht aus Angst vor rechtsextremer Gewalt zurück, sondern aus Enttäuschung darüber, daß das Land die Kundgebung vor seinem Wohnhaus nicht verhindert habe. Er und seine Frau seien “zur persönlichen Zielscheibe” des Protests geworden, und nun fehle ihm “der gesellschaftliche Mindestschutz”.
Für die Bewertung des Falls gilt es zunächst festzuhalten:
- Bürgermeister Nierth hat sich persönlich für die Unterbringung der Asylanten in seiner Gemeinde eingesetzt. Er darf getrost als einer der Motoren dieser Maßnahme gelten.
- Nierth ist aufgrund seines persönlichen Einsatzes und seines Amtes wie selbstverständlich Adressat des Bürgerprotestes gegen die geplante Unterbringung.
- Selbst Rechtsextreme (so es überhaupt vor allem solche waren, die in Tröglitz demonstrierten) sind Bürger und genießen das Recht der Meinungsäußerungs- und Demonstrationsfreiheit.
- Alle Demonstrationen in Tröglitz verliefen gewaltfrei, auch und insbesondere Bürgermeister Nierth und seine Familie erlitten keinerlei Gewalt, nur ein wenig sozialen Druck.
- Nach seinem Rücktritt verwahrte sich Nierth dagegen, daß in den Medien aus Tröglitz ein “radikales Nest” gemacht werde. Vielmehr hätten ihn die Parteien im Stich gelassen und ihn “als kleinen Ortsbürgermeister” geopfert.
Das ist das entscheidende Wort: geopfert. Geopfert wofür? Man muß, um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, nach Dresden, nach Freital, nach Aue und nach Leipzig schwenken: In Dresden waren gestern rund 15000 Spaziergänger auf der Straße. In Leipzig zogen tapfere 2000 LEGIDA-Anhänger die Aufmerksamkeit der linksradikalen Antifa auf sich. In Aue spazierte man erstmals und kam – unterstützt durch Chemnitz – auf gute 800 Teilnehmer. Und bereits am Freitag waren in Freital 2500 Teilnehmer zu einem ersten Spaziergang zusammengeströmt.
Es scheint in Sachsen kein Kraut gegen die PEGIDA und ihre vielfältigen Ableger gewachsen zu sein. In unserem vor ein paar Tagen erschienenen PEGIDA-Sonderheft haben wir in einer Chronik der Ereignisse seit dem Oktober 2014 folgende Phasen ausgewiesen:
- Auftakt und Konsolidierung (20. Oktober – Ende November)
- Linker Widerstand (1. Dezember – 19. Dezember)
- Große Politik (22. Dezember – 17. Januar)
- Höhepunkte (18. Januar – 25. Januar)
- Spaltung und Krise (27. Januar – 8. Februar)
- Wiederaufbau (seit dem 9. Februar – heute)
Man kann die Ereignisse innerhalb dieser Phasen detailliert im Sonderheft nachlesen und mit den unterschiedlichen Formen der Bekämpfung unterlegen: Offener Widerstand, Umarmungsstrategie, Verleumdung, Zersetzung und Spaltung sowie (diese Gegenstrategie beobachten wir derzeit) Beschweigung.
Wahrscheinlich ist, daß wir Phase 7 ab dem kommenden Montag, spätestens aber für den 23. März einläuten können: ein Überspringen der 20000er-Marke wäre das Ende des Wiederaufbaues der Bewegung und wohl auch ein Ende der Beschweigung durch die Medien. Diese stille Front bröckelt ja bereits seit gestern, und über diesen Bogen kommen wir nun zum Punkt:
Das Medienecho auf die Tröglitzer Vorgänge ist die Positionierung der Geschütze in Richtung Dresden.
Man darf sich die Argumentationslage der Medien und Politiker, mithin der Systemelite, als ziemlich aussichtslos vorstellen: Die Bekämpfung der PEGIDA ist mißlungen, und der einzige erfolgsversprechende Ansatz, der entzaubernde Dialog (den Frank Richter von der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung erfolgreich vorexerzierte), wurde von der Systemelite aufgrund einer Fehleinschätzung des bürgerlichen Protestpotentials nicht aufgegriffen.
Das Ergebnis ist eine für das politische System mittlerweile zurecht besorgniserregende Entfremdung des PEGIDA-Bürgers von jeder offiziellen oder medialen Verlautbarung. Man glaubt am Montagabend und den Rest der Woche über nur noch das, was einem der Nachbar auf dem Spaziergang oder der Redner auf der Bühne erzählt. Interessant ist dabei folgendes:
Die ein- oder mehrmalige Teilnahme an einer der großen PEGIDA-Demonstrationen erst macht den kritischen Bürger immun gegen die mediale und politische Berichterstattung. Vielerlei Anrufe aus dem Süden, Westen und Norden der Republik zeigten mir, daß man dort aufgrund der Medienberichterstattung eine längst an ihr Ende gekommene PEGIDA vermutet – eine frustriertes, zähe Menge, die an ihr Ende spaziert. Fatal ist dabei, daß selbst ein konservatives Blatt wie die Junge Freiheit in den vergangenen Wochen strikt die Zahlen der Behörden übernahm und erst gestern die von der PEGIDA selbst vorgebrachten 15000 gegen die offiziellen 6500 stellte.
Die Strategie des Beschweigens scheint an ihr Ende zu kommen – zwanzigtausend Demonstranten kann man nicht ignorieren. Neue alte Formen der Desinformationen werden angewandt werden. Lutz Bachmann prognostizierte deshalb vorhin in einem Telefonat, man werde die Bewegung alsbald wieder mit Vorwürfen, Unterstellungen, Verleumdungen und Querverbindungen konfrontieren und im Zweifelsfall verantwortlich machen für einen tot aufgefundenen Asylbewerber (wie in Dresden im Januar geschehen) oder für eine andere politische Konsequenz.
“Tröglitz?” – “Ja, das könnte sein, klar, warum nicht?”
Schnitt: Es gibt in einem meiner Lieblingsfilme, in “Das Boot”, jene unvergeßliche Szene, in der das U‑Boot vor Gibraltar, von Wasserbomben beinahe versenkt, in die damals irrsinnige Tiefe von 270 Metern absackt. Es kommt dort unten auf einer Sandscholle zu liegen, und der Kapitänleutnant spricht in die entsetzten Gesichter seiner Mannschaft hinein: “Eine Schaufel Sand. Der liebe Gott hat uns eine Schaufel Sand unter den Kiel geworfen.” (Ich finde die Stelle bei youtube nicht.)
Ich mußte heute – als ich im Deutschlandfunk die Nachrichten hörte – an diese Szene denken: Tröglitz war die erste Meldung. Politiker, Organisationen und Institutionen äußern sich in immer dramatischeren Worten zu den ziemlich banalen Vorgängen in Tröglitz:
Bundesjustizminister Maas spricht von einer “Tragödie für unsere Demokratie”, Cem Özdemir hört “alle Alarmglocken schrillen”, SPD-Generalsekretärin Fahimi ist “tief bewegt” und Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung macht eine “Katastrophe für die lokale Demokratie” aus. Spiegel-online bringt gar eine ziemlich lahme, mit Not zusammengekratzte Chronik weiterer Opfer rechtsextremer Bedrohung – von 2010 bis heute sind acht Fälle dokumentiert.
Man kann dagegen mal eben schnell das Bild von der FRAGIDA-Demonstrantin stellen, die am Montag einen Stein an den Kopf bekam, während sie ihr Grundrecht ausübte. Oder man erwähnt einen der zahllosen Fälle, in denen die Privatadressen patriotischer Politiker im Netz veröffentlicht und mit eindeutigen Handlungsaufforderungen versehen worden sind. Es hat sich in diesen Fällen kein Internationales Auschwitz-Komitee zu Wort gemeldet – in Tröglitz schon.
Tröglitz – was ist das schon? Da ist einer gegangen, dessen Projekt nicht unterstützt und dem das per Kundgebung beigebracht wurde.
Tröglitz – das ist der Versuch der Systemelite, eine Schaufel voll Sand unter den Kiel zu kriegen, ein Häufchen Sand, auf dem es sich stehen läßt, wenn man argumentativ untergeht mitsamt dem ganzen gesellschaftsexperimentellen Plunder.
Gert H. Köster
Danke, Herr Kubitschek, für diese Einnordung!