beginnt für uns in Österreich eine Zeit der „Ernte“ und Sammlung. Einen Schwall an Interessenten, Kontakten, Anfragen und Spenden gilt es nun in die Bewegung einzufügen. Das Asylunwesen wird uns den Sommer über weiterhin aktivistisch auf Trab halten und im Herbst stehen in Wien Wahlen an, zu denen wir erneut groß in Erscheinung treten wollen.
Dennoch bietet sich jetzt ein kurzes „Intervall“, eine Pause zur Reflexion. In diesem Beitrag soll es um ein anderes Thema gehen.
Unter den Büchern, die mich in einer wichtigen Phase geprägt haben, finden sich auch einige marxistische „Klassiker“. Meine Beschäftigung mit Marx, Adorno und Co war damals eine Art selbstauferlegte „Feindaufklärung“. Lauernd wie ein Spürhund ging ich durch die Texte und versah sie mit beißenden, (rückblickend ziemlich plumpen) Glossen. Die Logik war recht einfach: Was sie guthießen, lehnte ich ab, und was sie verfemten, war mir sympathisch.
Einer dieser „Feind-Texte“, der mich „prägte“, stammt aus Georg Lukacs´ Spätwerk.Er heißt „Die Zerstörung der Vernunft“. In diesem umstrittenen Werk nimmt uns der ungarisch-jüdische Philosoph mit auf eine atemberaubende Tour de Force durch die deutsche Geistesgeschichte. Seine These: seit der Romantik weist sie latente faschistoide Tendenzen auf, die sie ideengeschichtlich zu Hitler führte.
Kernbotschaft ist, dass mit Hegel der Zenit der geistig aufklärerischen Entwicklung erreicht wurde, die nicht nur „abendländisch“ sondern universalistisch sei. Hegels Denken, seine Geschichtsphilosophie um „Weltgeist“ und „Ende der Geschichte“ zieht nach Lukacs aber nicht den nötigen materiellen Schluss aus dem Gedachten. Sie larviert liberalistisch und in bürgerlicher Klassenverblendung um den einzig möglichen Schluss herum: den Marxismus.
Der Marxismus ist für Lukacs, in teils prophetischem Pathos, der Sukkus, die Krone, die große Mündung, in die das Delta allen Denkens einfließen muss, wenn es nur ehrlich, formal logisch und moralisch bleibt. Hegels bürgerliche Weigerung, diesen Schritt (eine radikale materialistische Deutung seiner Geschichtsphilosophie und die „praktische Weltveränderung“) zu tun und die materielle Gleichheit als Voraussetzung einer wahren Freiheit zu postulieren, ist nach Lukacs ein geistiger Leerlauf, in dem die Zentripetalkraft Überhand nimmt. Es kommt zur „Zerstörung der Vernunft“.
Das bürgerlich-liberale Denken Hegels, zu schwach und unwahrhaftig um den logischen marxistischen Fortschritt zu erringen, degeneriert und gleitet in sentimentale Ablenkung, Mystik, Irrationalismus, und am Ende Wahnsinn und Grausamkeit, die allein das Aufrechterhalten der Klassenunterschiede rechtfertigen könnten.
Diese laterale Fluchtbewegung zum Fortschritt des Geistes, die in der Romantik bereits angelegt sei, sieht Lukacs mit Kierkegaard und Schopenhauer beginnen. Nietzsche ist ihr Erzvater; die gesamte deutsch geprägte Lebensphilosophie, insbesondere Dilthey, Klages, Simmel und natürlich Heidegger gehören zu dieser Tendenz der Selbstzerstörung der Vernunft und werden von Lukacs’ Bannstrahl getroffen.
Das ist der zentrale Vorwurf, der heute auch insgeheim hinter den politisch korrekten Verdikten aller „Rechten“ steht. Mit „Gestrigkeit“ und „Begrenztheit“ wirft man ihnen, wirft man uns eigentlich den „Verrat“ am „Projekts der Aufklärung“ vor. Wir hätten die große, breite Straße des Humanismus, die vom „emanzipatorischen Gehalt“ der Bergpredigt bis zur Deklaration der Menschenrechte führt, verlassen und streunten als „Parias“ im faschistoiden Unterholz am Rande des dunklen Waldes.
Dieses Bild, das Lukacs’ Buch evozierte, und daneben die „Gestalt“ eines patriotischen Lagers, die in seiner Feindaufklärung hervortrat, war für mich eine Zeitlang sehr inspirierend. „Jenseits von Gut und Böse“, außerhalb aller Normen und Schablonen und der kristallinen Sphäre des „politisch Korrekten“ zu sein, um aus der Tiefe des Raumes dem großen schwerfälligen Troß der westlichen Ideengeschichte in die Flanke zu fallen. Auch die „barbarische“, ja dämonische Rolle, die man als solcher Außenseiter und Waldgänger für die braven Trotter auf der hellen Straße einnimmt, hatte etwas durchaus Anziehendes.
Was ist dran an Lukacs’ These? Tatsächlich hat der „Irrationalismus“ eine gewisse Tradition im rechts-konservativen Lager. Eine Vernunftkritik, ein Maßhalten gegen die totalitären Aufklärungsansprüche der Moderne, ein „Warnen und Wehren“ gegen das Zerreißen aller Schleier, das Plündern aller Kristallhöhlen und Entzaubern aller Mythen ist seit eh und je als Wesenszug der Konservativen zu sehen. Oft gleitet es auch in Sentimentalität und Erlebniskult ab.
Die Verwandtschaft zur Romantik liegt auf der Hand. Notierte doch bereits Friedrich Schlegel im Athenaeum:
Aber ist denn die Unverständlichkeit etwas so durchaus Verwerfliches und Schlechtes? – Mich dünkt das Heil der Familien und der Nationen beruhet auf ihr; (..) kein frevelnder Verstand es wagen darf, sich der heiligen Grenze zu nähern. Ja das Köstlichste was der Mensch hat, die innere Zufriedenheit selbst hängt, wie jeder leicht wissen kann, irgendwo zuletzt an einem solchen Punkte, der im Dunkeln gelassen werden muß, dafür aber auch das Ganze trägt und hält, und diese Kraft in demselben Augenblicke verlieren würde, wo man ihn in Verstand auflösen wollte.
Diese Tradition des Hütens und Wahrens, ein „Pathos der Distanz“ gegen die „Taster und Greifer“ des modernistisch-kritischen Menschen, eint von Nietzsche bis Jünger, George und Heidegger viele unserer Vordenker.
Haben die Linken recht, wenn sie uns vorwerfen, dass wir uns mit einem logisch unhaltbaren „Ego non“ vor den unweigerlichen Konsequenzen der Vernunft und des Fortschritts, Globalisierung, Technisierung, Auflösung der Völker und Kulturen, Bildung einer One World, etc. versperren? Dass wir aus Angst vor Aufklärung und Aufhebung unserer geliebten Fetische Nebelwände entfachen und Blendgranaten werfen, uns in Ästhetik und Emotionen, in die Kraft der Parolen und Bilder flüchten, weil wir keine ethisch vertretbaren, logischen Argumente haben? Ist unser „Kampf“ nur eine Flucht ins Geschichtslose, Irrationale, die infantil, wie das Kind, das sich im Wandschrank versteckt, den Fortschritt, die Ab- und Weiterfahrt der „Menschheit“ verweigert?
Viele „politisch Korrekte“ allen voran Typen wie Thomas Assheuer würden dem begeistert zustimmen. Die linksliberale „Bildungselite“ hat ohnehin bereits ein Klassen-Ressentiment kultiviert, das alles Konservative, Patriotisch-Rechte mit Dummheit oder böswilliger Denkverweigerung gleichsetzt.
Auch einige Rechte würden dem oben skizzierten Bild wohl mit einem schmissigen „me ne frego“ zustimmen und sich zu Romantik, Irrationalismus und einer heroischen Verteidigung des „Mythos“ um seiner selbst willen bekennen.
Tatsächlich ist aber meiner Ansicht nach ein rechtes Lager, das traditionale Restbestände nur um ihrer selbst willen verteidigt, nicht in der Lage, die bestehende Hegemonie der Linken zu überwinden und aus der Rolle des „Engstirnigen“, „Gestrigen“ und „Kleingeistigen“ herauszutreten.
Die teilweise wirklich infantile und fetischartige Fixierung auf bestimmte traditionale Splitter, die man gar nicht wirklich verstanden hat, hält uns vielleicht davon ab, dem herrschenden Denkgebäude den entscheidenden Schlag zu versetzen. Wir befinden uns nämlich wirklich in einer Zeit der Götzendämmerung; der Troß des westlichen Universalismus trottet müde, ausgedorrt und hoffnungslos auf der Straße des Fortschritts dahin. Er löst sich langsam auf und taumelnd, tänzelnd säumen ihn postmoderne Aussteiger, die den Kitzel des „verbotenen Irrationalen“ am Waldrand kosten, sich aber nicht ganz von der universalistischen Menschheitsmoral lösen wollen.
„Gott“, die westlich-universalistische Ideologie einer totalen Erkenntnis, die eine unbegrenzten Machbarkeit und Steuerbarkeit impliziert, ist tot. Die Metaerzählung, auserwählter Träger einer Wahrheitsmission zu sein, ist in den cultural, linguistic, narrativ und sonstigen „turns“ der neueren Geistesgeschichte so gründlich gerupft worden, dass wenig von ihr übrig geblieben ist.
Die Erkenntnis, dass jedes Wissen in einer bestimmten ethnokulturellen Traditionslinie steht, dass alles ‚was wir sagen, denken und tun, Zitat von Zitaten ist, dass es keinen neutralen Standpunkt „jenseits“ der Geschichte und Kontingenz gibt, von dem aus sich die Gesellschaft „analysieren“ ließe, ist nicht mehr zu hintergehen.
Damit ist letztlich der Ideologie der Aufklärung der Boden unter den Füßen weggezogen. All ihre Appelle, all ihre Schlagworte von „Menschenrecht“ bis Weltstaat“ entpuppen sich als leere Phrasen, Dogmen und getarnte Machtansprüche. Ein bohrendes schlechtes Gewissen plagt die Don Quichottes der Aufklärung und treibt sie in Ethnomasochismus und Selbstaufgabe.
Aus dem Ende der großen abstrakten Ideologien haben sie sich in einen gefährlichen, rassistisch aufgeladenen Selbsthass und Schulkult geflüchtet, dessen abstruse Riten und Gedenk-Kultbauten, sich direkt proportional zur sozialen und wirtschaftlichen Krise vermehren. Der Troß geht nicht mehr voran. Er tritt auf der Stelle und dreht sich im Kreis, in den eigenen Untergang.
Nur die „frei gewordenen“ Partisanen, die das Ganze aus dem Dickicht des Waldes beobachten, könnten das Potential „postmoderner Kritik“ gegen das universalistische Schwerezentrum dieses Denkens lenken, ohne dabei selbst in relativistischer Nabelschau zu enden. Unsere Aufgabe ist es, das, was ideengeschichtlich längst „zu Ende gedacht ist“, das Scheitern der modernen Ideologien, der totalitären „Aufklärung“ und damit der Idee von Menschheit, Weltstaat und „no border“ seine Geltung zu verschaffen.
Warum gelingt uns das bisher nicht? Ich glaube, dass wir Lukacs’ Kritik ernst nehmen müssen. Wenn wir die alte universalistische Moral und ihr „Menschheitsprojekt“ im Namen eines reinen Partikularismus kritisieren, einer tribalistisch-nationalen Moral, eines „Klassenbewusstseins“, also letztlich aus einem egoistischen Standpunkt selbsterhaltender Vernunft, egal auf welche Gruppe er sich bezieht, werden wir sie niemals überwinden.
Unsere Aufgabe ist hier, eine andere Perspektive, eine andere Form von Ethik und Ganzheitlichkeit zu entwickelt, in der die Lebensinteressen unseres Landes in eine Verantwortung gegenüber unserer Umwelt und Mitwelt eingebettet sind. Wenn wir aus dem Scheitern des westlich-aufklärerischen Projekts und seiner linearen Geschichte in einen heroischen Nihilismus verfallen und als einzigen Sinn des eigenen Daseins den Erhalt des eigenen Daseins predigen, begeben wir uns selbst in die Rolle des „Irrationalen“, die uns unsere Gegner aufdrängen wollen.
Eine wahre „Aufklärung“, wenn man dieses Wort beibehalten möchte, muss sich auch stets selbst über ihre eigenen Grenzen und Bedingtheiten aufklären. Tut sie das nicht, wird sie ein unbegrenzter Schwachsinn, wie wir ihn heute in der marxistisch-kapitalistischen „no border“-Ideologie erleben und erleiden.
Unsere Aufgabe ist es heute, wie es Alex Kurtagic einmal formulierte, alternative Konzepte von Ethik, Sinn und Geschichte zu entwickeln, die den Egalitarismus widerlegen und der Pluralität der Welt entsprechen. Sie werden aber nur dann tragfähig sein, wenn sie an die ideengeschichtliche Tradition Europas anknüpfen und eine gewisse „universale Sehnsucht“ stillen.
Es geht also vielleicht weniger darum, dem „Troß“ in die Flanke zu fallen, als ihn wieder anzuführen, zu neuen Ufern zu führen. Wir brauchen eine Generation an freien Radikalen, die keinen effektvollen „Ausbruch“ aus der abendländischen Kultur und Geistesgeschichte inszenieren, sondern sie weitererzählen will.
Ein Fremder aus Elea
Ich glaube nicht, daß wir subjektiv davon abhängen, etwas nicht verstehen zu müssen, und wie Aldous Huxley glaube ich weiterhin, daß, was einer nicht versteht, und daraus sein Glück schöpfen mag, ein anderer bis auf die vierte Nachkommastelle zu berechnen im Stande sein mag.
Die Kunst die Menschen glücklich zu machen, ihnen alles vorzuschreiben, aber sie dennoch glücklich zu machen...
Sie ist schon weit gediehen, aber ganz mag sie am Ende doch nicht aufgehen.
Zu fragen wäre eher, ob die Aufklärung aufklärt oder verblödet.
Sieht sehr nach letzterem aus und wenn man dies und jenes bedenkt, mag man dabei sogar eine Zwangsläufigkeit am Werke sehen.