begegnete man mir mit Respekt, angesichts der Zumutungen und Gefahren, über welche man sich durch Fernsehsendungen wie z.B. “Kennzeichen D” informiert fühlte. Ich hatte in der Ausreisezeit ein Tagebuch geführt, dessen Anekdoten selbst mich heute überraschen und die ich ohne Niederschrift schon verdrängt hätte.
Es hatte sich ergeben, daß ich gebeten wurde, Teile dieses Tagebuches vor Jugendlichen in der konservativen Hermann-Ehlers-Akademie in Kiel vorzutragen, was wieder andere Vorträge z.B. beim Landfrauen-Verein oder Lions-Club nach sich zog. Der erste Vortag bei Lions wurde so wohlwollend aufgenommen, daß man mich nach der Wiedervereinigung bat, einen Vortrag über die Wende zu halten. Zum Termin war die Willkommenskultur aber bereits verpufft, aus dem Respekt zwischen “Zonis” und “Bundis” war das offene Ressentiment der “Wessis” gegenüber
den “Ossis” geworden, welches mir nun unvermittelt entgegenschlug.
Offensichtlich waren die Dachböden bereits ausgerümpelt, die Kleiderschränke ausgemistet, die Schrottautos verhökert und die Gratisgroßzügigkeit erschöpft. Ich sah mich überraschend mit der Situation konfrontiert, daß mir mit teilweise unangemessener Aggressivität während des Vortrags begegnet wurde, als sei ich ein Abgesandter der SED-PDS. Dabei hatte ich nur versucht, die Ursachen des sich offenbarenden ostdeutschen Eigensinns zu erklären, der aber nur als das Ergebnis kommunistischer Indoktrinierung abgetan wurde.
Die Hybris, die mir diesen Abend vergällte, gab es spiegelbildlich auch bei den Profiteuren des autoritären Systems in der Ostzone. Den Wenigsten von denen, die sich im System eingerichtet hatten und welche vollkommen von seinem Fortbestand abhängig waren, kam es überhaupt in den Sinn, mit seinem abrupten Ende zu rechnen. Ich habe einen tragischen Fall im persönlichen Umfeld erlebt. Einem ganz und gar mit dem System verwobenen, jedoch hochgebildeten Geschichtswissenschaftler in hoher Position, welcher für mich immer eine wandelnde Bibliothek des historischen Wissens war, jedoch schizophren genug, dieses Geschichtswissen nicht auf die Wirklichkeit zu übertragen, verschlug es nach der Wiedervereinigung buchstäblich die Sprache.
Dieser immer eloquente und energisch seinen “Klassenstandpunkt” vertretende Mann war nicht mehr in der Lage, auch nur einen Satz zu vollenden, und bot ein Bild des Jammers und der Hilflosigkeit. Er hatte den gesellschaftlichen Schock nicht verwunden und starb wenige Jahre später an Nierenkrebs. Auch diese Krankheit war symbolisch: Es hatte ihm auf die Nieren geschlagen.
Dieses Beispiel mag verdeutlichen, daß es vielen Menschen nicht gelingt, sich eine radikale Änderung ihres gesellschaftlichen Kontextes auch nur vorzustellen. Sie sterben eher, oder drehen durch. Bei anderen führt die Schocktherapie dazu, daß sie ein für alle Mal von der Vorstellung geheilt sind, ein staatliches Ordnungs‑, Ideologie- und Wertesystem sowie eine Geschichtsinterpretation könnten ewig gelten. Diese Menschen stellen nach meinen Beobachtungen bei den indigenen “Ossis” heute die Mehrheit, ganz im Gegensatz zu den autorassistischen Selbstverletzern im Westen, denen nicht einmal auffällt, daß sich die ihnen eingebleute deutsche Geschichtsmär von der Kriegspropaganda der Westalliierten nicht unterscheidet. Diese kann daher nur falsch, nicht Grundlage des Selbstverständnisses sein und bedarf natürlich einer Revision.
Kriegspropaganda ist immer eine Lüge, das verifizieren gegenwärtig die Lügenpreßler täglich. Daß weltliche Kategorien vergänglich sind, wußte meine Großmutter (1910–2003) noch ganz genau:
- Sie verbrachte ihre Kindheit unter dem Kaiser – der hatte die Macht von Gottes Gnaden,
- die Jugend in der Weimarer Demokratie – die hatte es für jetzt und in Zukunft vom Volke,
- ihre Mutterschaft im Sozialismus Hitlers – der hatte es für tausend Jahre von der Vorsehung,
- als Kriegerwitwe im Kommunismus – der “höchsten und letzten Form der historischen
Entwicklung”, - und starb als Rentnerin in der BRD-Sozialdemokratie – der alternativlosen
Gesellschaftsordnung.
Für diese hatte meine Oma nur noch ein müdes Lächeln übrig, während sie sich wehmütig an ihre Jugend erinnerte.
Nachgewachsen ist eine westdeutsche Nachkriegsgeneration, die nichts anderes kennt, als die 70jährige Behaglichkeit der geschichtsvergessenen Bundesrepublik – und für die die Wiedervereinigung nur eine vorübergehende Irritation darstellte, welche ohne spürbare negative Folgen für sie blieb. Ich erinnere mich noch mit Grausen an die Zeit, als die zweite und dritte Garnitur Westdeutschlands hagestolz in den “Busch” zog, um den “Ossis” die Zivilisation zu bringen und sich dort mangels Empathie auf unabsehbare Zeit diskreditierte.
So ist Deutschland immer noch tief gespalten. Im Osten dominiert nun jener Menschenschlag, welcher seine vor 25 Jahren gewonnene Freiheit verteidigt und willens ist, den Kampf gegen die Allianz aus SED-Linken und linksgrünen Westextremisten zu organisieren und ihn mit AfD und PEGIDA auf die Straße zu tragen. Für Ostdeutsche ist kein System mehr sakrosankt, wenn sie realisieren, daß es sich gegen sie richtet. Die ostdeutsche Erfahrung hat auch diesen Blockparteienstaat sachlich korrekt als Feind identifiziert. Im Westen zieht es die Mehrheit nicht einmal in Betracht, daß eine fremdgesteuerte, verbrecherische Parteikamarilla bewußt gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes arbeiten könnte.
Westdeutsche glauben immer noch ernsthaft, ihr Staat sei über die etablierten Parteien von innen heraus zu reformieren. Das haben die ostdeutschen Sozialismusverbesserer 1989 auch gedacht, bevor es ihr System mangels Substanz wie trockenes Herbstlaub auseinanderblies. Im Westen hält man sich aus satter und realitätsblinder Saturiertheit heraus für schwergewichtig genug, um als nasses, faules Laub jedem Sturm zu trotzen, und leugnet überwiegend die Möglichkeit eines zivilisatorischen Kollaps mangels Vermehrungs- und Verteidigungswillens. Als Beweis kann der Umstand gelten, daß die Mehrheit immer noch ungerührt die parasitären Blockparteien wählt.
Ich saß gerade mit einem von mir sehr geschätzten Westkollegen beim Bier, und wir diskutierten darüber. Beim Thema AfD/PEGIDA trat der Bruch zutage: Ihm sei der Aufstand »da drüben« fremd, die »Ossis haben wohl zu viel Trabi-Mief geschnuppert«, war der Kommentar. Ich entgegnete, daß mir der den Westdeutschen bevorstehende Schock, wenn sich auch ihre vertraute Ordnung über Nacht auflösen werde, eine gewisse Genugtuung bereiten würde. Den Begriff „Genugtuung“ hat er mir aus dem Gesicht gelesen, bevor ich ihn aussprach. Wir haben beide gelacht, immerhin, da ist noch Hoffnung…
Die Herrschaft nutzt nun diesen Unterschied zwischen ostdeutschem Selbstbehauptungswillen und westdeutscher Selbstherrlichkeit dazu, die Emanzipationsbestrebungen der Ostdeutschen dadurch einzudämmen, indem man die alten Ressentiments reaktiviert. Das Bild-Titelblatt »Ost-Rente viel zu hoch« vom 1. Dezember 2015 ist hier einzuordnen. Die linksgrüne Kanaille versucht durch das Schüren überwundengeglaubter Ressentiments, die Autonomiebestrebungen des deutschen Volkes auf den Osten einzugrenzen und dort durch Inländerdiskriminierung, Kriminalisierung und Propaganda zu vernichten.
Die 70jährige Konditionierung der Westdeutschen zu nihilistischen Volldemokraten macht es den wenigen Widerständlern im Westen fast unmöglich, nennenswerten Protest gegen den Destruktivismus der Pathokraten auf die Straße zu bringen, da ist die von den “breiten Bündnissen” gedeckte und finanzierte, gewalttätige rote Sturmabteilung davor. Wie groß das totalitäre Potential war, welches 1990 von der Kette des Antikommunismus gelassen werden konnte, wird gerade in Berlin deutlich. Hier kam es zur Kernfusion zwischen zwei ultralinken Milieus: der faulen Westberliner Subkultur und der Ostberliner Konzentration an Stasi‑, Partei- und Armeekadern auf engstem Raum. Wäre das bürgerliche Bonn Bundeshauptstadt geblieben, wäre das Desaster überschaubarer.
Wie geht der antizivilisatorische Generalangriff auf uns Deutsche nun aus? Die Realitätsverweigerung wird auch im Westen der Katharsis weichen, wenn genau in dem Moment bewußt die unterste Karte aus dem Kartenhaus des Finanzsystems gezogen wird, an dem es ohnehin schon Spitz auf Knopf steht. Eines ist jedoch sicher: Am Ende des Prozesses wird es keine Linken mehr geben. Entweder, weil sie zum Islam konvertiert sind, oder weil sie »schon immer christliche deutsche Patrioten« waren.
Belsøe
Danke. Ich freue mich immer über den Austausch mit intelligenten Menschen aus den NBL. Ist bislang immer sehr fruchtbar gewesen, übrigens ungeachtet der politischen Verortung desjenigen.
Das einzige was mir manchmal fehlt ist die Anerkennung, dass es auch im Westen Menschen und ganze Milieus gab/gibt, die keineswegs das verwöhnte Leben eines Systemprofiteurs führen oder führten. Da dieses Profitieren sich eher ökonomisch zeigt, ist seine politische Dimension nicht so leicht zu erkennen wie siees in den Funktionärseliten der DDR war.
Man könnte eigentlich viel voneinander lernen.