keine rasche Antwort parat. Walser, Wellershoff in ihren beobachtungssattesten und zugleich rasanteren Romanen? Oder gar, um ein knappes Jahrhundert versetzt, Joseph Roth? Nein, dies alles trifft nicht wirklich zu. Tom Wolfe, ja, vielleicht, aber der schreibt wie Boyle von jenseits des Atlantiks.
Amazon.de rät dem Boyle-Möger zu Houellebecq, damit wären wir immerhin in Europa. Boyles großartiger Roman ist aus drei Perspektiven – dabei nie als Ich-Erzähler – geschrieben: aus der eines siebzigjährigen Vaters, Sten, dessen späten Sohnes, Adam, und Adams kurzzeitiger Gespielin, Sarah.
Um noch kurz bei Parallelen zu verweilen: Sten dürfen wir uns als eine Art Walt Kowalski vorstellen, den Clint Eastwood in seinem Freiheitsmelodram Gran Torino (2008) gegeben hatte: Ein eigen‑, vielleicht starrsinniger Typ, ein Vietnamveteran, in dem auch im Alter eine Flamme heiligen (Jäh-)Zorns lodert, ein Mann, der nicht duldet, daß vor seinen Augen Unrecht geschieht, und sei es nur, daß man ihm die Butter vom Brot nehme. Ist es doch schwerverdiente Butter!
Sten, so die Rahmenhandlung, begibt sich der Gattin zuliebe von Mendocino, Kalifornien aus auf eine dekadente (wenigstens: bräsige) Seniorenkreuzfahrt nach Costa Rica. Auf einer Dschungeltour wird die Best-Ager-Truppe von dunkelhäutigen Halunken ausgeraubt. Sten – »einmal Marine, immer Marine« – setzt sich zur Wehr. Er kann nicht anders. Im Würgegriff stirbt, eher versehentlich, der Räuber.
Nur heimlich googelt Sten in den aufregenden Wochen darauf seinen eigenen Namen: er ist ein Held! Was hinterläßt er sonst? Adam, den mißratenen Sohn. Adam läuft seit früher Jugend neben der Spur. Erst versackte er vor dem Computer, dann warf er Drogen ein, jetzt fühlt er sich als Waldläufer auf den Spuren seines verehrten Helden, des Trappers und Indianerfeindes John Colter, gestorben vor 200 Jahren. (Er wandert zugleich auf den Spuren seines zweiten Helden, Hugh Glass, was deshalb interessant ist, weil Glass alias Leonardo di Caprio derzeit haufenweise Ehrungen für den US-Western The Revenant einheimst.)
Adam lebt von Trockenfutter, Schnaps und Drogen. Unterhalb des kahlrasierten Schädels ist sein Körper hart wie ein Fels. In seinem Kopf dreht sich ein Rädchen, es überdreht zuweilen. Rauschgift, Kälte, Entbehrung und Bewegung halten es am Laufen. Adam hat sie nicht mehr alle – und seine Eltern sind machtlos. Der Sohn ist längst volljährig, er ist frei. Er ist John Colter!
Als Anhalter lernt Adam/Colter die eigenwillige Hufschmiedin Sarah kennen, eine fünfzehn Jahre ältere Frau, eine »rechtsradikale Libertäre« – jedenfalls: eine Mesalliance. Wie Adam haßt Sarah »den Staat«, diese (nach ihrer Einschätzung) Strohpuppe, diesen unsouveränen Handlanger von Konzerninteressen, diese unlegitimierte Macht.
Anders als Adam, dessen Widerstand sich auf den ausgestreckten Mittelfinger beschränkt, wird sie nicht müde, ihre Theorie von der Vertragsfreiheit des Bürgers und der Illegitimität der angemaßten Regierung zu predigen und durchzuexerzieren. Sich anschnallen? Nüchtern Autofahren? Gängelungen! Hat Sarah etwa einen Vertrag mit dem Bundesstaat Kalifornien? Hat sie nicht! Sie läßt sich doch nicht einschüchtern! Genau sowenig wie Adam und wie, auf seine Art, Sten.
Sten ist mit einer Bürgerwehr, die sich freilich aus Gründen der politischen Korrektheit nicht Bürgerwehr nennt, auf den Fersen illegaler Mexikaner, die in den kalifornischen Wäldern Schlafmohn anbauen und dabei vor keiner Schandtat zurückschrecken. Dabei ist einer der Drogengärtner der eigene Sohn. Sarah, Sten, Adam: Alle drei kämpfen für ihre je eigene Definition vom bedingungslosen Herr-sein-im-Eigenen.
Blut wird fließen. Scheitern werden sie alle. Wahnsinnsliteratur!
+ T. C. Boyle: Hart auf hart, München: Hanser 2015. 400 S., 22.90 € – hier bestellen!
Wahrheitssucher
Frau Kositza, mein Kommentar gilt all Ihren Rezensionen, vor allem auch dem von Sarrazins Wunschdenken.
Sie haben das Zeug dazu, Kult zu werden, Sie erscheinen unangreifbar und unschlagbar.
Was der Grund sein dürfte, daß es die bundesrepublikanischen Leitmedien Sich in absehbarer Zeit nicht werden leisten können, Sie einmal zu Wort kommen zu lassen, sei es in Wort oder schon gar nicht in Bild und Ton...