sogar eine vom »Russischen Staatszirkus«, wobei in diesem Fall die mulmige Gewißheit das Schauen würzte, es müsse in den Vororten Moskaus oder am Ural Räume des letzten Schliffs geben, die uns auf immer unzugänglich bleiben.
Höhepunkte: Trapezkünstler oder Seiltänzer ohne Sicherung, schwingend und tanzend in tödlicher Fallhöhe, ohne Netz, und nie war klar, ob ein leichtes Schwanken, ein gerade noch gepackter Arm und die (gespielte?) Angst des Akrobaten zur Show gehörten oder tatsächlich die haarfeine Linie zwischen Leben und Tod berührten. Es passierte nie etwas.
Ende April waren in Stuttgart die Teilnehmer des AfD-Programmparteitags nicht in schwindelnder Höhe unterwegs, sondern einfach vor Ort, um über die künftige Ausrichtung ihrer Partei mitzuentscheiden. Jedoch wurden von linken Hackern die Adressen jener, die sich online angemeldet hatten, im Internet veröffentlicht, und seither sieht sich mancher gute Bürger in einen beruflichen und privaten, jedenfalls erzwungenen Salto geworfen, den er nicht geübt hat, den er nie ausführen wollte, der ihm nun aber von der »Zivilgesellschaft« aus dem Stand heraus abverlangt wird:
Mindestens ein Dutzend Lehrer hat sich seit Stuttgart vor den Kollegen, Schulämtern und Elternvertretern für eine AfD-Mitgliedschaft zu verantworten – für mindestens drei nicht-verbeamtete Lehrer mündete die Denunziation in eine Freistellung vom Unterricht, faktisch also in eine Entlassung.
Man wird dagegen klagen können, aber derlei endet wie damals, als ich zusammen mit einem Kameraden mein erstes Buch schrieb, eine Reportagensammlung über den Bosnien-Einsatz der Bundeswehr: Mir als Reserveoffizier war von Stund an keine Wehrübung mehr möglich, ich legte dagegen Beschwerde ein, wurde voll rehabilitiert, hätte aber nicht mehr in Sarajevo, sondern fortan im Rahmen des Heimatschutzes als Verantwortlicher für eine Pontonbrücke bei Chemnitz meine soldatische Erfüllung suchen müssen.
Der Kamerad aber, auf dem Weg zum Berufssoldat, wurde vor die Wahl gestellt, entweder den aktiven Dienst zu quittieren oder seine Karriere als Kommandant einer Lagerhalle zu beenden, in der eingemottete Panzer zu bewachen und einmal im Jahr zu zählen waren. Also: Schluß, aus, für uns beide.
Wie lautet die Botschaft, die das Establishment mit Hilfe seiner diensteifrigen, denunziationsbereiten, zivilgesellschaftlichen Kräfte durch das Beispiel der freigestellten AfD-Lehrer aussendet?
Die Adressaten sind all jene, die auf dem Sprung in ein widerständigeres Denken und Leben sind, und sie sollen vernehmen: Überlegt es euch gut, ob ihr euch engagieren wollt gegen die Umsetzung unserer Gesellschaftsutopie. Schaut euch eure Kollegen an: Deren unnötige innere Unruhe ist nun leider, leider bekanntgeworden und kommt als Bumerang zurück – man muß halt Verantwortung tragen für das, was man denkt, nicht? Denkt also zu Hause, was ihr wollt, aber treibt es nicht zu weit. Denn wir lassen euch nicht aus den Augen …
Ich bin mir sicher, daß diese Botschaft dort ankommt, wo sie gehört und verstanden werden soll, sie wird ja auch fleißig ventiliert von jenem Lumpengesindel, das sich für Journalisten hält, aber nichts weiter ist als eine Ansammlung von Groupies, Tertiär-Denkern und Denunzianten in unserem Kielwasser. Sich als Journalist mit Berufsethos von diesen Speits, Gensings und, jaja, zu distanzieren: Das wäre mal ein schönes Zeichen.
Die Frage ist: Gibt es irgend etwas, das wir tun könnten, um der Abschreckung ihre Wirkung zu nehmen? Worauf warten wir eigentlich?
Zum einen wohl auf den Mut der Vielen, die in jedem einzelnen, neuen Fall beruflicher oder zivilgesellschaftlicher Ausgrenzungsarroganz eine Art massenhafte Selbstanzeige inszeniert: hunderte Lehrer fordern ihre Versetzung, Entlassung, wenigstens die Beschäftigung mit ihrem “Fall”, wenn einer ihrer Kollegen aufgrund seiner AfD-Mitgliedschaft zu einem “Fall” gemacht wird; hunderte Bürger fordern ihre Verhaftung, wenn einer ihrer Mitbürger aufgrund nicht gezahlter GEZ-Gebühren in Beugehaft genommen wird.
Ein zweites: Ich sprach im Rahmen einer unserer Veranstaltungen in Schnellroda mit einem Mann, der als Inhaber einer großen Kanzlei privat den Aufbau eines Gymnasiums unter kirchlicher Trägerschaft mitbetrieben hatte und quasi zum Bestand der guten Seele dieser Einrichtung in NRW gehört. Nun ist seine AfD-Mitgliedschaft ruchbar geworden, und nun will sich »seine« Schule von ihm distanzieren und droht damit, sollte er nicht aus freien Stücken fernbleiben, seinen Klienten die ganze Wahrheit über seine politische Pädophilie zu erzählen.
Der Mann sagte mir, er würde lieber in der Fußgängerzone Würstchen verkaufen als zurückweichen. Das ist es: innere Freiheit und ein Vertrauen auf die Kraft zur Unkorrumpierbarkeit. Ein besonders feines Beispiel gibt da ja soeben unser Autor Siegfried Gerlich ab.
Wir brauchen ein Netzwerk, das ist der dritte Punkt. Es soll nicht mehr so sein, daß diejenigen, die etwas riskieren (und sei es ungewollt, also bloß aufgrund einer »aufgedeckten« Parteimitgliedschaft), in den Ruin getrieben werden können. Nein: Diese Opfer der ekelhaften, scheißverlogenen repressiven Toleranz brauchen sofort ein Netz, das ihren Sturz abfängt. Denn sie sind nicht Trapezkünstler oder Seiltänzer geworden, sondern Lehrer, Angestellte oder Selbständige, und sie haben ihre politische Entscheidung im guten Glauben an diesen Staat nicht als Salto begriffen, sondern – zu Recht, aber: wie treuherzig! – als Standpunkt.
Nun müssen sie den erzwungenen Salto schlagen. Nicht jedem gelingt er. Für sie muß ein Netz geknüpft werden.
Thomas Wawerka
Ja. So ist es, leider.