im Zuge ihres Scheiterns laufend. Damit ist verbunden, daß die Rationalisierungen, mit denen sie anfänglich vermittelt werden sollte, zunehmend in den Hintergrund treten und die tieferen Motive ihrer Anhänger offener zu Tage treten.
Mit Wolfgang Schäuble hat nun einer der Hauptverantwortlichen für die Öffnung der Grenzen Deutschlands erklärt, welcher eigentliche Antrieb seiner Entscheidung zugrunde gelegen haben mag. Abweichend von den üblichen humanitären oder ökonomischen Erklärungen betonte er dabei, daß “Abschottung” die Deutschen “in Inzucht degenerieren ließe“ und sie “kaputt“ mache, wenn man dem nicht durch Zuwanderung von außerhalb Europas entgegenwirke.
Die angesichts von 70 Millionen Deutschen und einer Kultur, die Verwandteneehen unter Tabu stellt biologische Fragwürdigkeit dieser Behauptung ist dabei noch das geringste Problem seiner Aussagen. Schäuble unterstellt hier Deutschen faktisch nicht nur kollektiv Inzest und biologische Minderwertigkeit, sondern lebt auch selbst in wenig vielfältigen, “abgeschotteten“ Familienverhältnissen. Es ist unklar, ob er sich der Implikationen seiner eigenen Worte bewußt ist, aber in logischer Konsequenz bedeuten sie, daß er auch seinen eigenen Kindern biologische Minderwertigkeit unterstellt. Eine derart pathologische Intensität der Ablehnung des Eigenen fand man bislang allenfalls in der extremen Linken, die Deutschland und die Deutschen schon immer als “mieses Stück Scheiße” betrachtete. Nun hat diese Haltung offenbar die Bundesregierung erreicht.
Besonders extrem wirkt neben seiner biologischen Abwertung der Deutschen vor allem aber die Totalität der in Umrissen erkennbar werdenden biopolitischen Züchtungsvisionen, welche seine Worte implizieren. Seine Worte erwecken zudem den Eindruck, daß hier auch vor der Verletzung der intimsten Bereiche des Lebens nicht zurückgeschreckt werden soll. Als “Integration durch Penetration” bezeichnete ein liberaler Publizist diese Sichtweise einmal, wobei er sich jedoch auf eine als Satire ausgegebene Forderung linker Künstler bezog, während Schäuble seine Äußerungen sehr ernst meinte. Angesichts der praktischen Umsetzung dieses willkommenseugenischen Programms durch die zur biologischen Aufwertung Deutschlands eingeladenen Menschen entbehren sie nicht eines gewissen Zynismus.
Daß Schäuble nicht irgendein nachrangiger politischer Fanatiker ist, sondern die nach der Bundeskanzlerin vielleicht einflußreichste Person innerhalb der Bundesregierung, verleiht seinen Worten besonderes Gewicht. Sie sind als Teil eines kulturellen Leitbilds zu verstehen, dem nicht nur das Verhalten der Bundesregierung immer mehr entspricht, sondern auch das wesentlicher Teile der kulturellen und meinungsbildenden Eliten in Deutschland. Kritik an Schäuble wegen seiner Äußerungen oder gar Distanzierungen gibt es aus diesem Lager daher bislang nicht.
Der amerikanische Soziologe Philipp Rieff beschrieb dieses Leitbild als eine Ideologie der Auflösung, die alle postmodernen Gesellschaften erfasst habe. Von den geistigen Quellen ihrer Kulturen abgeschnitten könnten diese Gesellschaften ihre kulturelle Substanz nicht mehr erneuern. Sie seien deshalb in geistige Zerfallsprozesse übergegangen und hätten zunehmend einen Todestrieb entwickelt, der sich im Wunsch nach der eigenen Auflösung äußere. Dieser Wunsch habe anti-kulturelle Bewegungen und Weltanschauungen hervorgebracht, die sich gegen die verbliebene geistige, kulturelle und auch materielle Substanz dieser Gesellschaften richteten und deren weitere Auflösung als Befreiung von der als unerträglich empfundenen Last der eigenen Existenz verstehen würden.
Mit seinem Wunsch nach biologischer Auflösung des Eigenen und seinem Wunsch nach physischer Erlösung von der eigenen Existenz durch das Fremde bringt auch Schäuble solch ein anti-kulturelles, nach Zerstörung strebendes Anliegen vor.
Wie sehr dieses Leitbild auf bloßer Negation beruht, zeigt sich dabei, wenn man hinter seine Fassaden blickt. Während seine Anhänger vorgeben, auf der Grundlage positiver Werte zu handeln, ist etwa ihre behauptete Fremdenfreundlichkeit wenig glaubwürdig. Der Fremde wird allenfalls in seiner Eigenschaft als Werkzeug der eigenen Auflösung begrüßt und interessiert ansonsten wenig, so wie auch den negativen Folgen von Migration für die Herkunftsländer entgegen der vorgebrachten humanitären Rhetorik wenig ernsthafte Beachtung geschenkt wird. Auch an der Kultur des Migranten interessiert in der Regel nur, daß sie zwecks maximaler Auflösungswirkung möglichst konträre Eigenschaften zur eigenen Kultur aufweisen sollte. Daß Schäuble Muslime in seinen Äußerungen positiv hervorhebt und nicht etwa im Durchschnitt wesentlich besser integrierte Gruppen von Migranten, wird in diesem Zusammenhang verständlich.
Insgesamt unterstreicht Wolfgang Schäuble mit seinen Worten, zu welchen weltanschaulichen Extremen er und andere sich bei der Verfolgung ihrer Auflösungsutopien mittlerweile verstiegen haben. Ihm und anderen ist die Einsicht zu wünschen, daß sie wenigstens aus Verantwortungsgefühl gegenüber den eigenen Kindern erkennen, welche Verachtung gegenüber dem Eigenen in solchen Gedanken und Worten liegt, und wie verantwortungslos und schädlich auf dieser Grundlage getroffene Entscheidungen für das Land und seine Menschen zwangsläufig sein müssen.
Aufgrund der Tendenz zur Radikalisierung der Utopie im Zuge ihres Scheiterns ist es aber wahrscheinlicher, daß die Worte Schäubles nur einen weiteren Zwischenschritt auf einem abschüssigen Weg darstellen, dessen Ende noch nicht in Sicht ist. Zunehmend könnte dabei Zwang an die Stelle der kaum noch weiter eskalierbaren Rhetorik treten. Das immer extremere Denken und Handeln der Anhänger der Utopie dürfte dabei bewirken, daß der Riß zwischen jenen, die für das Eigene eintreten und jenen, die auf ihrem Weg abwärts auch moralische Grenzen immer weniger respektieren, täglich tiefer wird.
Thomas Wawerka
Zum Schäublespruch: Ist das die migrationspolitische Zielvorstellung, die Vermischung von Einheimischen und Ausländern? Ähnlich ja auch das bekannte Sarkozyzitat … Aber wie wahrscheinlich ist eine solche Entwicklung? Dem interkulturellen Frieden würde evtl. nichts besser dienen als eine solche Vermischung, also familiäre Bande. Aber die geschichtlichen Beispiele, die mir einfallen, lassen eher darauf schließen, dass der Prozess einer Massenmigration nicht zur Vermischung, sondern zur gesteigerten Trennung, zur Segregation führt, sei’s in der Kastenordnung Indiens oder der Apartheid Südafrikas, sei’s „Little Italy“ oder „China Town“ … Israel in Ägypten, im Extremfall die „ethnische Säuberung“. „Blut ist dicker als Wasser“, Vermischung der seltenere Fall, und die Graf Coudenhouve-Kalergi zu Unrecht angelastete Vision einer hellbraunen Mischlingsrasse in Europa (und damit die Befriedung des „clash of civilisations“) eher unwahrscheinlich. Das wahrscheinlichere Resultat ist aus meiner Sicht die sog. „Multiminoritätengesellschaft“, der ethnisch-kulturell-religiöse Flickenteppich im Zustand der permanenten Gereiztheit und des „molekularen Bürgerkriegs“. Vielleicht ist Sarkozy auch so zu verstehen, dass er das Gefahrenpotential des Flickenteppichs erkennt und deshalb die Vermischung als migrationspolitische Zielvorstellung propagiert?
Ansonsten gilt natürlich: Quod licet Iovi (Schäuble) non licet bovi (Höcke)!