Islam bei Sansal: Das Ende der Welt

aus Sezession 73 / August 2016

Französische Intellektuelle haben Ende Juni in der linksliberalen Tageszeitung ...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Libé­ra­ti­on einen Auf­ruf ver­öf­fent­licht, mit dem sie vor dem radi­ka­len Islam warn­ten und als Gegen­mit­tel mehr »kul­tu­rel­len Wider­stand« und »repu­bli­ka­ni­sche Stren­ge« for­der­ten. Unter­zeich­net hat den Appell auch der alge­ri­sche Schrift­stel­ler Boua­lem San­sal (* 1949), der in fran­zö­si­scher Spra­che schreibt, mit sei­ner Fami­lie aber bei Algier lebt. Das ist kein Zuckerschlecken:

Die Stel­le eines hoch­ran­gi­gen Beam­ten im alge­ri­schen Indus­trie­mi­nis­te­ri­um ver­lor San­sal nach der Ver­öf­fent­li­chung sei­nes ers­ten Romans (Der Schwur der Bar­ba­ren, 1999). Außer­dem warnt er vor der Per­ver­tie­rung des Islams. So äußer­te er 2011 in einem Inter­view, die­se Reli­gi­on sei »ein furcht­ein­flö­ßen­des Gesetz gewor­den, das nichts als Ver­bo­te aus­spricht, den Zwei­fel ver­bannt und des­sen Eife­rer mehr und mehr gewalt­tä­tig sind.« Die Anschlä­ge auf das Sati­re­ma­ga­zin Char­lie Heb­do und das Rock­kon­zert im Bata­clan-Thea­ter bewer­te­te er als Kon­se­quenz aus dem Stre­ben des radi­ka­len Islams nach Tota­li­tät und Welt­herr­schaft. In Allahs Nar­ren. Wie der Isla­mis­mus die Welt erobert (2013) faß­te San­sal sei­ne Kri­tik zusammen.

Wie das Leben nach dem Sieg eines tota­li­tä­ren Islams sein könn­te, schil­dert San­sal in sei­nem 2015 erschie­nen Roman 2084. Das Ende der Welt (der Titel ist natür­lich eine Anspie­lung). Die deut­sche Über­set­zung erfährt die­ser Tage ihre fünf­te Auf­la­ge, und in Frank­reich wur­de 2084 bereits im Okto­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res mit dem Grand Prix du Roman aus­ge­zeich­net – der Roman ist nach Michel Hou­el­le­becqs Unter­wer­fung bin­nen eines Jah­res der zwei­te fran­zö­sisch-lite­ra­ri­sche Blick in eine isla­mi­sche Zukunft.

Die Unter­schie­de sind jedoch enorm: Wäh­rend bei Hou­el­le­becq eine gemä­ßig­te Vari­an­te des Islams in Frank­reich zur Macht kommt, die das Land mit sanf­tem Druck und finan­zi­el­len Anrei­zen umbaut, ist es bei San­sal eine radi­ka­le, tota­li­tä­re, ent­mün­di­gen­de und ahis­to­ri­sche Reli­gi­on, die jeden in ein Kor­sett aus Regeln, Stra­fen, Denun­zia­ti­on und Beginn­lo­sig­keit ein­schnürt. Es fal­len nir­gends die Namen Allah oder Moham­med, auch die Begrif­fe Koran, Sure oder Scha­ria tau­chen nicht auf; aber es besteht kein Zwei­fel, daß die Reli­gi­on im Roman sich die stu­re Geist­fer­ne eines radi­kal-poli­ti­schen Islams zum Vor­bild nimmt.

Die Haupt­fi­gur Ati ist viel­leicht drei­ßig Jah­re alt. Ati glaubt an Yöl­ah, den All­mäch­ti­gen, und an des­sen Gesand­ten Abi, und sein Leben voll­zieht sich lang­sam, im War­te­zu­stand, vor­zi­vi­li­siert. Man arbei­tet und betet, nichts ist pri­vat, jeder ist Spit­zel und Denun­zi­ant, und die Selbst­kri­tik ist eine lebens­ge­fähr­li­che Pflicht, die nicht sel­ten zur grau­sa­men, got­tes­dienst­ähn­li­chen Hin­rich­tung im Sta­di­on führt.

Das »Leben« wird an sich ver­geu­det, aber das sieht nie­mand so, denn ent­we­der wis­sen die Leu­te nicht mehr, daß es auch anders sein könn­te, oder sie zucken vor der Vor­stel­lung, daß es da eine Ent­fal­tungs­mög­lich­keit geben könn­te, zurück wie eine Hand vor einer glü­hen­den Tür­klin­ke. Ati aber öff­net die Tür, in Etap­pen, schwan­kend. Hin: »Was sein Geist ver­warf, war nicht so sehr die Reli­gi­on als viel­mehr der Druck, den sie auf den Men­schen aus­üb­te«, her: »Er fand die Freu­de wie­der, zu glau­ben, ohne sich Fra­gen zu stel­len«, und dann doch die Gewiß­heit, »daß der Mensch nur in der Revol­te und durch die Revol­te exis­tiert und sich entdeckt«.

Und so kommt es dann auch: Ati und sein Freund Koa revol­tie­ren. Sie ent­de­cken die Ghet­tos einer vor­gläu­bi­gen, unter­ge­gan­ge­nen Zeit, sit­zen in Räu­men, die nicht bis auf einen Gebets­tep­pich geleert sind, son­dern voll­ge­stopft mit Ses­seln, Geschirr, Bil­dern und Büchern, und sie trin­ken Kaf­fee und essen ech­tes Obst und Gemü­se, und nicht mehr den mit Psy­cho­phar­ma­ka ver­setz­ten Einheitsbrei.

Geht es vor­an mit den bei­den? Sto­ßen sie etwas an? Oder gehö­ren sie als gedul­de­te Geg­ner und Quer­schlä­ger zur Sys­tem­sta­bi­li­sie­rung, weil die­ses Sys­tem lie­ber ein paar Abtrün­ni­ge bekämpft, die es selbst in die Welt stell­te? Der Roman ant­wor­tet frag­men­ta­risch, ver­wor­ren. Ati und Koa ver­su­chen, ins Zen­trum der Macht vor­zu­sto­ßen, aber da ist kein Geg­ner, son­dern ein gigan­ti­sches Gebäu­de, ein rie­sen­haf­ter Appa­rat, dem nicht bei­zu­kom­men ist. Das Aus­sichts­lo­se eines jeden Auf­stands sichert die Macht nicht min­der effek­tiv als die wach­sa­me Grau­sam­keit der Spitzel.

Es bleibt – Resi­gna­ti­on: »Was tun, wenn man beim Betrach­ten der Ver­gan­gen­heit die Gefahr auf jene zura­sen sieht, die uns in der Geschich­te vor­aus­gin­gen? Wie soll man sie war­nen?« Das fra­gen wir uns heu­te auch, nicht wahr? Was tun? »Man wird sei­ne For­schun­gen fort­set­zen, davon über­zeugt, daß sie eines Tages nütz­lich sein wer­den; wenn die Men­schen guten Wil­lens fähig sind, sich gegen­sei­tig zu erken­nen und zu mobi­li­sie­ren, wer­den sie das Mate­ri­al fin­den, das man so müh­sam gesam­melt hat.« So eine klei­ne, blin­de Hoff­nung kann nur ein Intel­lek­tu­el­ler for­mu­lie­ren. Was soll er auch sonst tun?

+ Boua­lem San­sal: 2084. Das Ende der Welt, Gif­ken­dorf 2016. 288 S., 24 € – hier ein­se­hen und bestellen!

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (11)

danske

11. August 2016 17:09

...ich bin mir mehr als unsicher, ob das sich ständige Konzentrieren auf den negativen Ausgang der Situation in Europa lohnt. So gerät die Rechte lediglich in eine Problem-Trance und macht sich deren Problem-Koordinaten zu eigen.

Vielmehr wäre es mehr als dringend wünschenswert, wenn die Rechte sich darauf konzentrieren könnte, was sie denn erreichen will, nicht nur als Negation ("den Austausch verhindern"). Dann könnte man ja auch versuchen, in diese Richtung zu gehen.

Aber offensichtlich fehlt leider der Mut und die Fantasie für einen eigenen Weg.

In diesem Sinne, macht doch mal anderes...

Gustav Grambauer

11. August 2016 17:43

"Was tun, wenn man beim Betrachten der Vergangenheit die Gefahr auf jene zurasen sieht, die uns in der Geschichte vorausgingen?"

Hihi, hoffentlich stößt die breitere Öffentlichkeit dabei nicht auf die köstlichste Delikatesse, das Kaiserliche Dschihad-Büro mit Max v. Oppenheim, dem Antipoden Lawrences v. Arabien:

https://de.wikipedia.org/wiki/Nachrichtenstelle_für_den_Orient
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_von_Oppenheim

- G. G.

Sokrates

11. August 2016 17:57

Ich würde ergänzend noch den ebenfalls gesellschaftskritischen Gegenwartsroman „Erdenend – Das Ende der Welt“ des Berliner Schriftstellers Matthias Grau empfehlen. Dort unternimmt ein in Paris lebender Deutscher eine Weltreise durch die Schweiz, Österreich, Ungarn, Russland, Japan, USA usw. Die Begegnungen die er dabei macht, sind in dem Buch wiedergegeben, und es berührt tatsächlich aktuelle politische Themen, wie beispielsweise die Krise um die Ukraine und die Krim sowie deren Hintergründe, oder die Verbrechen der USA, die ich bisher noch nirgendwo so vollständig aufgezählt gesehen habe, und die auch zur derzeitigen Flüchtlingskrise geführt haben. So ergibt sich ein guter und interessanter Überblick über den Stand der menschlichen Zivilisation. Wirklich sehr lesenswert!

W.Wagner

11. August 2016 20:38

Auf @danske antwortend: Zu empfehlen ist hier der neue Aufsatzband - mit alten, teils überarbeiteten Aufsätzen - von Hans-Dietrich Sander: Der ghibellinische Kuss. Arnshaugk 2016. Keine "Problem-Trance" sondern Ideen zum eigenen Weg ...

Konservativer

11. August 2016 21:36

@danske

Machen Sie sich, wenn bei einer Sturmflut die Deiche brechen, etwa Gedanken über "schöner wohnen im Eigenheim" oder "wie schneide ich meine Hecke richtig"?

Stogumber

11. August 2016 21:49

Jeder, auch Sansal, hat das Recht, sich seinen privaten Angstgegner auszusuchen und sich dessen totalitäre Diktatur auszumalen. (Man denke an "The Handmaid's Tale", wo Margaret Atwood von einer christlich-konservativen Diktatur fantasierte.)
Aber in Algerien waren die Muslimbrüder Opfer, bevor sie überhaupt Täter werden konnten - Opfer einer brutalen Unterdrückung. Die algerischen Islamisten haben keinen Grund, an die Möglichkeit einer freiheitlichen Demokratie zu glauben. Und da wüsste ich gerne, wieweit Sansal an diesem Unterdrückungsapparat mitwirkte.

ulex

11. August 2016 23:18

@danske

Naja, Negation und Dagegensein ist schon eine mächtige Triebfeder - finde ich. Vor allem kann und sollte dies auch verbindend sein und Brücken bauen bei denen, dies sich sonst gern in sektiererischen Ghettostreitigkeiten erschöpfen.

Aber recht haben Sie natürlich wenn wir von der hiesigen mitteldeutschen Situation ausgehen, wo man in weiten Teilen des Landes relative (wenn auch nicht absolute) Mehrheiten erringt bzw erringen kann. Hierzulande stellt sich in der Tat die Frage, dass man gezwungen ist evtl sogar konkrete Verantwortung zu übernehmen - auf jeden Fall aber eigentlich mal Impulse setzen müsste, wie "alternative Politik für Deutschland" in der Praxis ausschauen könnte.

Hier kommt mir in der Tat von allen potentiell Beteiligten zuwenig.

cherusker69

11. August 2016 23:26

tja das "was tun beschäftigt wahrscheinlich jeden von uns. Jeden Tag geht einem dieser Gedanke durch den Kopf.Ich will mir das "danach" überhaupt nicht erst vorstellen. Ich denke das es einfach von der Bevölkerung so hingenommen wird..Wichtig ist das eine Denkfabrik wie diese hier übrig bleibt um die Glut am Leben zu erhalten. Sind meine Gedanken zu düster oder beschreibe ich es so wie es kommen wird? ich will mich nicht damit abfinden !

Simplicius

12. August 2016 00:22

@ danske

Vielmehr wäre es mehr als dringend wünschenswert, wenn die Rechte sich darauf konzentrieren könnte, was sie denn erreichen will, nicht nur als Negation („den Austausch verhindern“). Dann könnte man ja auch versuchen, in diese Richtung zu gehen.
Aber offensichtlich fehlt leider der Mut und die Fantasie für einen eigenen Weg.
In diesem Sinne, macht doch mal anderes…

@ danske

Machen Sie Witze? Was wollen denn Sie für einen Sinn vermitteln?

Meinen Sie als Sinn, selber eine Familie gründen und vorbildhaft "deutsch" leben? – In Ordnung. Doch das reicht nicht. Zwar sind hier Mut und Fantasie gut einsetzbar und hilfreich, aber auch Durchhaltevermögen und Disziplin sind gefragt.

Selbst wenn Sie darüber hinaus ein höheres(?) Ziel für „einen eigenen Weg“ innerhalb Deutschlands - und darum geht es ja - aufzeigen könnten, müssten Sie doch heutzutage in allererster Kampf-Linie versuchen, den gerade stattfindenden, irreversiblen, tsunamiartigen Austausch zu verhindern.

Und das geht halt nicht anders, als den Volksmordpolitikern und –meinungsmachern irgendwie in den Arm zu fallen, das Ruder aus der Hand zu nehmen, um dann umsteuern zu können. - Derzeit kommen wir an die Typen aber nicht ran. Ist leider so. Wir können nur trainieren und geistigen Widerstand leisten und auf die Stunde warten. Das ist für den einzelnen nicht wenig.

Oder, in welche "Richtung" wollen Sie denn gehen? - Nach Ostpreußen? Verlorenes Land.

danske

12. August 2016 08:04

...na, hier fühlen sich wohl einige ertappt und schmollen.

1. Danke für den Literaturtip, werde ich aufgreifen.
2. Ich bin mit aktiv dabei, seien Sie versichert.
3. Ich meine damit die geistige Konzentration auf Lösungswege und deren Ausprobieren. Es muss nicht immer gleich der große Knall sein. Aber das Mitwirken bei ein-prozent wäre ein Anfang....das ewige Analysieren wird Ihnen die Angst auch nicht vertreiben, im Gegenteil. Angst erzeugt Angst, sonst nix.

Schön, dass ich Ihnen einen Denkanstoß liefern konnte. Danke.

Götz Kubitschek

12. August 2016 09:09

finito.
gruß! kubitschek

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