und hoffe, daß Sie meine Mail weiterleiten können an Ihre Autorin Carolin Emcke. Sie hat in ihrem Buch Gegen den Hass und auch in Stellungnahmen immer wieder betont, daß sie den Dialog suche mit denjenigen, denen sie den “Hass” zuordnet. Diesen Dialog möchte ich ihr gerne anbieten. Wenn Sie dies technisch ermöglich würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Unten finden Sie meinen Brief an Frau Emcke. Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Emcke,
ich habe Ihr Buch auf der Frankfurter Buchmesse in Händen gehalten und jetzt gelesen, und gehe als Autorin der Zeitschrift Sezession (www.sezession.de) davon aus, daß Sie just meinesgleichen (also: die intellektuelle politische Rechte) im Blick haben, wenn sie vom “Hass” und vom “Hassen lassen” sprechen und schreiben. Sie sprachen auch davon, den Dialog zu suchen, die Perspektive der anderen zu übernehmen und in Habermasscher Tradition den “herrschaftsfreien Diskurs” anzustreben.
Adam Soboczinsky schrieb in der ZEIT über Ihr Buch: “Es fällt allerdings auch schwer, sich Leser aus dem linksliberalen, bildungsbürgerlichen oder gar intellektuellen Milieu vorzustellen, die den ethischen Normen, die hier kämpferisch vertreten werden, nicht zustimmten.”
Oh doch, die gibt es! Ich kann das “gar intellektuelle Milieu” nicht verleugnen, als promovierte Philosophin bin ich geradezu ein typisches Exemplar. Und genau dies bringt mich dazu, den Kontakt zu Ihnen zu suchen, weil ich Fragen an Sie habe.
Pseudo-religiöse und nationalistische Dogmatiker propagieren die Lehre vom “homogenen Volk”, von einer “wahren” Religion, einer “ursprünglichen” Tradition, einer “natürlichen” Familie und einer “authentischen” Nation.
Wen meinen Sie damit? Ich mache jetzt nicht einen auf “Kannitverstan” (ahnen kann ich einen “Zeitgeist” ebenso wie Sie), sondern ich brauche, um argumentieren zu können, Adressaten, Kontexte, Personen, von denen Sie sich absetzen. Wo schreibt oder sagt jemand, nehmen wir beispielsweise die Identitäre Bewegung, der ich auch angehöre, etwa daß “alles Dynamische, alles Vieldeutige an den eigenen kulturellen Bezügen und Kontexten negiert (wird)”?
Sie wollen uns einschüchtern, die Fanatiker, mit ihrem Hass und ihrer Gewalt, damit wir unsere Orientierung verlieren und unsere Sprache. Damit wir voller Verstörung ihre Begriffe übernehmen, ihre falschen Gegensätze, ihre konstruierten Anderen – oder auch nur ihr Niveau. Sie beschädigen den öffentlichen Diskurs mit ihrem Aberglauben, ihren Verschwörungstheorien und dieser eigentümlichen Kombination aus Selbstmitleid und Brutalität.
Ich glaube vielmehr – und möchte dazu Ihre sicher diametral entgegengesetzte Meinung wissen –, daß die linke vernetzte Meinungselite (da nenne ich gern Namen von allen Redakteuren der großen Zeitungen und Zeitschriften, der Parteien, Parteistiftungen, der NGOs von Amnesty bis Open Society Foundations, der Rundfunkanstalten und vieler Künstler und Prominenter) den öffentlichen Diskurs beschädigt.
Begriffe zu übernehmen, d.h. eine Diskurshegemonie aufzulösen, das Overton window zu verschieben, das Sagbare wieder zu vergrößern, das halte ich für bitter notwendig in diesen Zeiten, und nicht das genaue Gegenteil: mit denen, die “Hass und Gewalt” predigten, nicht zu sprechen und ihnen “keinen Fußbreit” öffentlichen Raum zuzugestehen.
Was ist für Sie am Konzept der “Identität” falsch oder verwerflich? Könnte es sein, daß all das, was Sie ausgeschlossen sehen, also das Zarte, Undeutliche, Persönliche, Periphere, die Ängste und Nöte, das Zentrum der Identität bildet, diese aber gleichermaßen auch von starken positiven Begriffen wie Heimat, Stolz, christliche Kultur, Tradition, also “dem Eigenen” emphatisch geprägt ist?
Von “Reinheit” ist rechterseits nie die Rede, auch „Homogenität“ ist eine Strohpuppe, die NS-Bezüge insinuiert (“Rassereinheit”), die aber im gegenwärtigen politischen Diskurs niemand vertritt.
Und noch ein Gedanke ist wichtig, zu dem ich Ihre Vorstellungen gern hören würde: Empathie geht uns keineswegs ab, es ist ein gerüttelt Maß an Empathiefähigkeit nötig, um in Zeiten der Entstrukturierung, Dekonstruktion und handfester Disruption sich mit einem “Wir” zu identifizieren und für dieses Wir einzustehen und es vehement zu verteidigen.
Zum Stellenwert des Homosexuellen im öffentlichen Diskurs glaube ich, daß es falsch ist, das große ausgeschlossene “Andere” dort zu suchen – Gender mainstreaming ist vielmehr zur dominanten Ideologie geworden, und es gehört doch ein seltsam verlogenes Pathos dazu, etwas längst Etabliertes immer noch täglich als das Ausgeschlossene zu verteidigen und besondere “Zivilcourage” oder besonderen Mut darin zu sehen, für etwas einzutreten, wofür man inzwischen einen hochdotierten Preis im Kulturbetrieb erhält. Sehen Sie diese Doppelmoral? Es ist derzeit riskanter, die Heimat zu verteidigen, als die Schwulenehe.
Sie sagten, es gehöre nicht viel dazu, um etwas “gegen den Hass” zu tun: “etwas Haltung, etwas lachenden Mut und nicht zuletzt die Bereitschaft, die Blickrichtung zu ändern, damit es häufiger geschieht, dass wir alle sagen: Wow. So sieht es also aus dieser Perspektive aus.”
Ich habe Ihre Perspektive gesehen, soweit ich es als eine Ihnen fremde Person kann. Nun will ich wissen, ob Sie sich meine Perspektive anschauen wollen und können. Das “Wow!” erwarte ich nicht, ich bin ja keine Ideologin, die Sie aus Ihrem falschen Bewußtsein erlösen will, sondern ich erhoffe mir nur den ersten Schritt: eine Antwort, also einen offenen Dialog, eines Friedenspreises würdig.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihre Caroline Sommerfeld
Auf dieses Mail erhielt ich tags darauf von der Pressesprecherin die Auskunft, die Autorin bekäme derzeit viele Anfragen, es könnte eine Zeitlang dauern, bis sie antworte. Es ist seitdem zwei Monate lang nichts passiert. Ich habe nachgehakt, am 9.11., ein weiterer Monat erbrachte keine Reaktion. Ungeduld ist mein Laster, aber in diesem Falle schlug sie irgendwann um in das Gefühl, hingehalten zu werden oder ignoriert.
Wie weit her ist es mit einer dialogheischenden „Offenheit“ dem „Anderen“ gegenüber, wenn Carolin Emcke nicht bereit zu sein scheint, das „ganz Andere“, das ich für sie zweifelsohne repräsentieren muß, anzuhören? Es wäre eine echte Chance gewesen, den Reichtum an Perspektiven in einer pluralen Gesellschaft, wie sie sie sich wünscht, zu erweitern.
Wie weit her ist es mit dem Begriff „Haß“, wenn Emcke einerseits ihm mit „genauem Beobachten, nicht nachlassendem Differenzieren und Selbstzweifel“ begegnen will, andererseits Fragen an ihren Haßbegriff nicht beantwortet?
Wie weit her ist es mit der im Buch herangezogenen Foucaultschen Parrhesía (griech.: das Wahr-Sprechen) „gegen ein mächtiges tyrannisches Gegenüber […] unter zunehmendem Druck der Straße, mitunter großen Anfeindungen und Drohungen“, wenn Emcke die Parrhesía für sich selbst – die Friedenspreisträgerin! – reklamiert, aber unsere Perspektive gegen das mächtige tyrannische Gegenüber namens Mainstreammedienelite nicht wahrnimmt? Auf der Buchmesse hörte ich nach 13 Titeln aller namhaften Großverlage zum weiten Thema „rechter Haß“ auf, mir weitere zu notieren.
Gibt es den „Haß“ überhaupt? Emcke stellt in ihrem Buch alles und jedes als „gemacht“ heraus, als „phantasievolle Konstruktion“ (die Nation), als „vorgestellt“ (Gemeinschaften), als „ideologische Position“ (natürliches Geschlecht) – warum sollte es dem „Haß“ bessergehen?
Der Falter-Journalist Florian Klenk wurde gehaßt. „Kann den bitte mal jemand anzünden?“ postete sein Hater auf Facebook. Anlaß des „Hasses“ war die Äußerung Klenks auf Twitter, man sollte im österreichischen Fernsehen türkische Untertitel einführen, damit die Türken hierzulande nicht immer nur Erdogan-TV schauten. Diese Idee wurde von FPÖ-Vize Johann Gudenus mit entsprechend sarkastischem Kommentar retweetet und gelangte so in die Timeline des Followers, der dann das entsprechende „Haßposting“ schrieb.
Klenk betrieb beherzt aufsuchende Haterarbeit und stattete dem Kerl eine Visite in seinem Milieu ab. Was fand er? „Er ist kein einfältiger rassistischer Provinzler, er spricht erstaunlich artikuliert und wirkt politisch interessiert. Er stellt die richtigen Fragen.“ (Falter 45/2016).
Am Ende seines Berichts über den Haßposter versagen dem Falter-Journalisten die Kategorien. Er kann nicht einschätzen, ob der Typ nun ein reuiger Sünder geworden ist durch den Besuch, ob dieser, wenn er von „einer Art Kriegspropaganda“ spricht, diese nun endlich ablehnt oder versucht, bloß ein Wort für den tiefen Riß in der Gesellschaft zu finden.
Geschweige denn, daß Klenk herausbekommt, ob der Mann in dem Augenblick, wo er sein Posting absetzte, von Haß ergriffen war. Der Journalist sucht sich professionelle Hilfe bei den zwei aktuellen Totschlagbegriffen der Massenmedienelite, nämlich „Filterblase“ und „Echokammer“, und hat auch noch einen neuen heißen Tipp, um hassendes Verhalten zu erklären. Ein befreundeter Psychologe schlug vor, der Hassende könnte unter „Monoperceptose“ leiden.
Wahrscheinlicher ist doch, daß es sich weder in Klenks Fall, noch in Emckes gesamtem Suchfeld überhaupt um Haß handelt. Haß ist eine heiße, augenblickliche Empfindung, sobald jemand ihn beispielsweise auf Facebook verschriftlicht, gilt Schillers Satz: „Spricht die Seele so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.“
Es steht eher zu vermuten, daß es sich weit weniger um Haß handelt, sondern um schlimme Erkenntnisse. Wenn die politische Rechte vom individuellen „Geflüchteten“ abstrahiert, um historische Umbrüche in den Blick zu bekommen, ist das kein „Haß“ auf diese Individuen, sondern eine reflektiertere Perspektive.
Und Florian Klenk anzuzünden? Reflektiert? Nein, aber auch kein Haß, der immer persönlich ist, sondern verzweifelter und in dieser Form mißlingender Versuch, sich der Übermacht des Mainstreams zu entledigen. Nicht persönlich, sondern gegen die Systemrationalität der Medien gerichtet. Folglich ist der sozialtherapeutische Besuch vermutlich sinnlos, zielte er doch auf Überwindung des Hasses durch persönliches Kennenlernen.
Martha Nussbaum irrt, wenn sie „Politische Emotionen“ tatsächlich als (oder wie) subjektive Gefühle auffaßt, die nur „politisch gefördert“ und an- oder aberzogen werden müssen: „Wir sollten also bei der Erziehung ansetzen und die Jungen mehr wie die Mädchen erziehen, also zu konstruktivem und kooperativem Handeln auffordern und zu Skepsis gegenüber Wut.“ Prima, dann kann’s ja losgehen mit der Umerziehung Andersdenkender oder solcher Leute, die die falschen Gefühle hegen oder das falsche biologische Geschlecht haben.
Daran kann man aber schon noch etwas ändern. Carolin Emcke widmet 25 Seiten ihres Buches „Transpersonen“, die für sie in ihrer „Verwundbarkeit“ der lehrreiche Prototyp des Menschen schlechthin sind. Von Transen lernen heißt lieben lernen? Da ist mir dann doch langsam ein Quentchen Haß lieber, das ist irgendwie noch menschlicher.
Der alte Linke Harald Martenstein, dem so manches Mal neuerdings „genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel“ gelingen, hat im ZEIT-Magazin (49/2016) Erhellendes geäußert, vielleicht war es gegen Carolin Emcke gerichtet, und wenn nicht, vereinnahme ich ihn jetzt dafür:
Man muss von dem hohen Ross der staatstragenden Selbstgefälligkeit absteigen. Immer, wenn ich diese wohlfeilen, oft geifernden Anti-rechts-Texte lese, die nur dazu gut sind, dass die Autoren sich an ihrer vermeintlichen Vortrefflichkeit berauschen, frage ich mich, was eigentlich der Plan dieser Autoren ist. Alle einsperren? Lager? Ausweisen? Um grausam zu sein, muss man übrigens nicht hassen. Die Mörder im Namen von Stalin oder Hitler haben ja in vielen Fällen ihre Opfer auch nicht gehasst. Es gab, neben den Fanatikern und den Sadisten, auch die Bürokraten, die gefühllos waren, das ist etwas anderes als Hass. Wer Mitmenschen nicht mehr als Mitmenschen erkennt, ist immer gefährlich. Und wenn es den Hass nicht mehr gäbe, wäre die Welt immer noch kein Paradies.
P.S.: Werte Frau Emcke, ich bin immer noch dialogbereit. Die Einstiegshöhe ist jetzt nicht mehr so niedrig, Ignoranz erschwert den Gesprächsbeginn und macht den Gegenüber leicht sarkastisch. Aber an der „absoluten Gewissheit“, die es in Ihren Augen zum Hassen braucht, fehlt es mir noch. Also will ich weiterfragen.
Sven Jacobsen
Liebe Frau Dr. Sommerfeld,
am 23.10.2015 erschien in der Süddeutschen Zeitung von Carolin Emcke eine Kolumne mit dem Titel „Schäbige Gefühle“. Die Verfasserin geht darin gewaltig donnerwetternd mit denen (wer wohl?) ins Gericht, die ihre Meinungen mit der Formulierung „Man wird ja wohl mal sagen dürfen“ einleiten. Besondere Aufmerksamkeit verdient aus gegebenem Anlass diese Passage:
„Wer vor diesem Hintergrund von "man wird ja wohl mal sagen dürfen" spricht und damit insinuiert, die eigene Meinung würde tabuisiert, scheut womöglich nur jene Sorte Auseinandersetzung, bei der es für die eigenen Ansichten auch Gründe anzuführen gilt, und bei der diese Ansichten oder ihre Begründungen selbstverständlich bestritten werden können.“
Warum das zweifellos spannende Gespräch mit Carolin Emcke einfach nicht stattfinden will, weiß wohl nur sie selbst. Vielleicht hat sie einige ihrer oben zitierten Worte ernst genommen?