Nationalbolschewismus in Rußland

pdf der Druckfassung aus Sezession 3 /Oktober 2003

sez_nr_3von Christian Vollradt

Am 27. Juni konnte man einer Meldung im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entnehmen, daß der zwei Monate zuvor noch zu vier Jahren Haft verurteilte russische Schriftsteller Eduard Limonow aus dem Gefängnis entlassen worden sei. Im April hatte ihn dasselbe Gericht der versuchten Bildung eines bewaffneten Haufens, der Planung terroristischer Anschläge und des illegalen Waffenbesitzes für schuldig befunden. Die Staatsanwaltschaft warf Limonow damals vor, er habe einen Putsch geplant, um in einer der ehemaligen Sowjetrepubliken mit Waffengewalt die Macht an sich zu reißen und dort ein „zweites Rußland“ zu errichten. In seiner Begründung dafür, daß die Strafe nunmehr zur Bewährung ausgesetzt wurde, folgte das Gericht dem Argument der Verteidigung, die Pläne zum Aufstand seien „rein theoretisch“ gewesen.

Schon früh hat­ten eini­ge Kom­men­ta­to­ren eher poli­ti­sche denn juris­ti­sche Moti­ve hin­ter der Fest­nah­me Limo­nows gewit­tert. Der Häft­ling ist näm­lich nicht nur als Schrift­stel­ler, son­dern vor allem als poli­ti­scher Pro­pa­gan­dist und Füh­rer der „Natio­nal-Bol­sche­wis­ti­schen Par­tei“ (NBP) in die Schlag­zei­len gera­ten. Limo­now, 1943 als Edu­ard Sawen­ko in Dschersch­insk gebo­ren, kam Ende der sech­zi­ger Jah­re nach Mos­kau und lern­te dort die Unter­grund-Künst­ler­sze­ne ken­nen. Nach­dem er eini­ge schma­le Bänd­chen Lyrik her­aus­ge­ge­ben hat­te, geriet er ins Faden­kreuz des KGB und sah sich 1974 zum Ver­las­sen der Sowjet­uni­on gezwun­gen. Er emi­grier­te in die USA, ver­moch­te aller­dings nicht Fuß zu fas­sen. Den Haß auf sein Exil schrieb er sich von der See­le, fand aber in Ame­ri­ka kei­nen Ver­lag. Ent­täuscht kehr­te Limo­now nach Euro­pa zurück und ließ sich zunächst in Paris nie­der. Dort erschien sei­ne Abrech­nung mit der Neu­en Welt als Roman unter dem pro­gram­ma­ti­schen Titel Fuck off Ame­ri­ka, – ein inter­na­tio­na­ler Erfolg, trotz der unver­hoh­le­nen Dro­hung: „Ich mache sie kaputt, eure Welt, … Eines Tages wer­de ich es euch zei­gen, ihr Hun­de, ihr Schei­ßer! Fuck off!“
In der Zeit der Pere­stroi­ka ging Limo­now wie­der nach Ruß­land, wo sein Buch – mit­hin auch der Autor – mitt­ler­wei­le Berühmt­heit erlangt hat­ten. Hier such­te er jetzt nach prak­ti­schen Mög­lich­kei­ten, die Zer­stö­rung des west­li­chen Kapi­ta­lis­mus zu errei­chen und wand­te sich der Poli­tik zu. Über Umwe­ge (unter ande­rem Schi­ri­no­w­skis Libe­ral­de­mo­kra­ti­sche Par­tei und die Kom­mu­nis­ten) grün­de­te er schließ­lich 1993 die NBP. Der Schrift­stel­ler Wla­di­mir Kami­ner beschrieb sie als eine „gro­ße Rock­band: Sze­ne­künst­ler, sich lang­wei­len­de Söh­ne aus guten Fami­li­en, die für eine lus­ti­ge poli­ti­sche Pro­vo­ka­ti­on immer zu haben waren, und Töch­ter, die Limo­now attrak­tiv fanden.“
Die in schlich­te Paro­len ver­pack­te Mischung von Lin­kem und Rech­tem, Sozia­lem („Freßt die Rei­chen!“) und Natio­na­lem („Ruß­land ist alles – der Rest ist nichts!“) fand aber gro­ßen Anklang auch bei sol­chen Grup­pen, die in west­li­chen Län­dern eher nur im lin­ken poli­ti­schen Spek­trum zu fin­den sind. Limo­nows NBP schlos­sen sich ein kom­mu­nis­ti­scher Jugend­ver­band oder die anarcho-syn­di­ka­lis­ti­sche „Vio­let­te Inter­na­tio­na­le“ an, und selbst der Trotz­kist Alex­an­der Tara­sov emp­fahl eine Zusam­men­ar­beit mit der NBP als ein­zi­ge erfolg­ver­spre­chen­de Chan­ce für einen natio­na­len Befrei­ungs­kampf. Vor allem aber Zuspruch aus Krei­sen der Intel­lek­tu­el­len und Künst­ler mach­te die Natio­nal­bol­sche­wis­ten popu­lär und ver­stärk­te ihren Ein­fluß auf die Jugend. Eine der schon zu Sowjet­zei­ten belieb­tes­ten rus­si­schen Punk­rock-Bands, Graschdans­ka­ja Obo­ro­na (zu deutsch „Zivil­ver­tei­di­gung“) demons­trier­te in ihren Tex­ten die Ver­bun­den­heit mit Limo­now und gelang­te mit natio­na­lis­ti­schen Stü­cken 1998 an die Spit­ze der rus­si­schen Hit­pa­ra­de. Auch der Under­ground-Musi­ker Ser­gej Kur­jochin trat der NBP bei.

Mit­te der neun­zi­ger Jah­re eta­blier­te sich unter natio­nal­bol­sche­wis­ti­schem Ein­fluß eine Jugend­be­we­gung mit beson­de­ren Sym­bo­len und Klei­dungs­codes: rote Fah­nen mit wei­ßem Kreis, dar­in statt des Haken­kreu­zes Ham­mer und Sichel, schwar­ze Klei­dung, vor allem Leder­ja­cken und –stie­fel, zum Teil deut­li­che Anleh­nung an die Skin­head-Sub­kul­tur. Nicht gesi­cher­ten Anga­ben zufol­ge soll die Par­tei über knapp zehn­tau­send, meist jun­ge Mit­glie­der verfügen.
In einem Inter­view, das Heimo Schwilk mit Limo­now führ­te (Jun­ge Frei­heit 15/2000), bekann­te der NBP-Chef frei­mü­tig: „Natür­lich sind wir Revo­lu­tio­nä­re. Wir ver­ei­ni­gen Kom­mu­nis­mus und Natio­na­lis­mus, die untrenn­bar zusam­men­ge­hö­ren. Das Ziel unse­rer Orga­ni­sa­ti­on ist es, die herr­schen­de poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Klas­se zu besei­ti­gen.“ Die pro­west­li­che Eli­te mit ihrem Stre­ben nach Pro­fit ist sei­ner Ansicht nach am Elend Ruß­lands schuld. Der Kapi­ta­lis­mus sei dem rus­si­schen Wesen fremd, das stär­ker zu „Idea­lis­mus und Selbst­auf­op­fe­rung“ ten­die­re. Daher stand auf dem Pro­gramm der NBP, die wegen ihrer ver­fas­sungs­feind­li­chen Aus­rich­tung nicht zur Duma-Wahl zuge­las­sen wur­de, auch die „Umver­tei­lung des Reich­tums der Kapi­ta­lis­ten“ und die Neu­ord­nung der Gren­zen Ruß­lands, sprich die Rück­ge­win­nung rus­sisch besie­del­ter Gebiete.
Wegen „Schü­rens natio­na­ler Kon­flik­te“, haupt­säch­lich aber im Zuge der Ermitt­lun­gen gegen Limo­now, wur­de Ende Juli ver­gan­ge­nen Jah­res das Erschei­nen des offi­zi­el­len Organs der NBP, der Zeit­schrift Limon­ka (zu deutsch „Hand­gr­anät­chen“), von einem rus­si­schen Gericht verboten.
Weni­ger schlag­zei­len­träch­tig, aber damit wahr­schein­lich sogar ein­fluß­rei­cher als Edu­ard Limo­now, ist eine zwei­te Füh­rungs­fi­gur des Natio­nal­bol­sche­wis­mus in Ruß­land: Alex­an­der Dugin. Der ein­und­vier­zig­jäh­ri­ge Phi­lo­soph ist Her­aus­ge­ber der Zeit­schrift Ele­men­ti, Kopf des think-tank „Arc­to­ga­ia“ und Grün­der der 2001 ins Leben geru­fe­nen Bewe­gung „Eura­si­en“. Dugin kam poli­tisch zunächst aus der natio­na­lis­ti­schen Pam­jat-Bewe­gung, bevor er 1993 der NBP bei­trat und dort Ein­fluß auf die pro­gram­ma­ti­sche Aus­rich­tung zu neh­men such­te. Doch bereits im August 1998 brach Dugin öffent­lich mit der NBP. Als Grund für die­se Tren­nung wur­de ange­ge­ben, daß die Par­tei nicht in der Lage sei, eine ideo­lo­gi­sche Arbeit und eine Bewe­gung neu­en Typs zu rea­li­sie­ren. Das sei vor allem auf den „exhi­bi­tio­nis­ti­schen“ Füh­rer (Limo­now), zurück­zu­füh­ren, der sich unfä­hig erwie­sen habe, die NBP in eine Mas­sen­be­we­gung umzuwandeln.
Alex­an­der Dugin erläu­ter­te in eini­gen The­sen, die in eng­li­scher Spra­che im Inter­net ver­öf­fent­licht wur­den, war­um in Zukunft die Not­wen­dig­keit, das Prä­fix „Natio­nal-“ vor den Bol­sche­wis­mus zu set­zen, ver­schwin­den wer­de: „Bols­he­vism is alre­a­dy in its­elf natio­nal-bols­he­vism, sin­ce no non-natio­nal bols­he­vism has ever exis­ted.“ Wäh­rend das Kapi­tal immer inter­na­tio­nal sei, kön­ne Natio­na­lis­mus nie­mals markt­ori­en­tiert oder libe­ral sein, so Dugin. Der frü­he Natio­nal-Sozia­lis­mus basier­te auf einem radi­kal sozia­lis­ti­schen, anti-bour­geoi­sen Kon­zept, näm­lich Ernst Jün­gers Arbei­ter. Mit dem deut­schen Natio­nal­bol­sche­wis­mus der zwan­zi­ger Jah­re ver­bin­det Dugin die posi­ti­ve Inter­pre­ta­ti­on der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on (als natio­na­le Befrei­ung), der eta­tis­ti­sche Anti­ka­pi­ta­lis­mus, die Ableh­nung des par­la­men­ta­ri­schen Libe­ra­lis­mus und die For­de­rung nach einem Bünd­nis der „pro­le­ta­ri­schen Natio­nen“ Ruß­land und Deutsch­land gegen den Westen.
Doch sei ein Rück­griff auf die deut­sche Erfah­rung nicht not­wen­dig, die Besin­nung auf die eige­ne rus­si­sche Ver­gan­gen­heit rei­che voll­kom­men: Der Bol­sche­wis­mus sei ein voll­ende­ter, per­fek­ter Aus­druck radi­kal rus­sisch-natio­na­ler Ten­den­zen. Der nach außen hin pro­pa­gier­te Inter­na­tio­na­lis­mus sei, so fährt Dugin fort, als ein alleu­ra­si­scher, impe­ria­ler sozia­lis­ti­scher Natio­na­lis­mus zu ver­ste­hen, der mit der uni­ver­sa­len his­to­ri­schen Mis­si­on des rus­si­schen Vol­kes ein­her­ge­he, die das Prin­zip eines spi­ri­tu­el­len und kul­tu­rel­len Ide­als trage.

Dugin bezieht sich zur Legi­ti­ma­ti­on sei­ner For­de­run­gen immer wie­der auf „Arc­to­ga­ia”, das ver­sun­ke­ne, mythi­sche Land am Nord­pol: „Samt ihm ver­schwand, ver­steck­te sich die geis­ti­ge Ach­se des Seins, der Baum der Welt, die den Tra­di­tio­nen und den Reli­gio­nen den lich­ten Sinn gab. Arc­to­ga­ia ist das abwe­sen­de Zen­trum. Es fehlt für die jet­zi­ge Mensch­heit, dar­um ist sol­che Mensch­heit dem Unter­gang geweiht und wird bald ver­schwin­den.” Zu den „Wei­sen der Abwehr der moder­nen Welt” zählt Dug­ins Mani­fest unter ande­rem: „Ortho­do­xes Chris­ten­tum, Islam, Tra­di­tio­na­lis­mus, Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on, Natio­nal­bol­sche­wis­mus, Okkul­tis­mus und apo­ka­lyp­ti­schen Ter­ror”. Als „Ver­fas­ser, die für uns grund­le­gend sind” wer­den in bun­ter Rei­he auf­ge­zählt: Juli­us Evo­la, Geor­ges Sor­el, Che Gue­va­ra, Ernst Jün­ger, Mar­tin Heid­eg­ger, Ernst Nie­kisch, Karl Haus­ho­fer, Carl Schmitt, Moel­ler van den Bruck, Fried­rich Nietz­sche, Her­bert Mar­cu­se, Jean-Paul Sart­re, Alain de Benoist und Gott­fried Benn; außer­dem der Sata­nist Aleis­ter Crow­ley und der Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler Mir­cea Eliade.
Der Macht der atlan­ti­schen See­mäch­te setzt Dugin das Bünd­nis der eura­si­schen Kon­ti­nen­tal­mäch­te ent­ge­gen, der Pax Ame­ri­ca­na die Pax Eura­si­ca Rossica.
Was west­li­che Beob­ach­ter der natio­nal­bol­sche­wis­ti­schen Bewe­gun­gen in Ruß­land am meis­ten zu beun­ru­hi­gen schein, ist neben der unkla­ren Zuord­nung zum Rechts- oder Links­extre­mis­mus die gro­ße Popu­la­ri­tät Edu­ard Limo­nows gera­de unter „gegen­kul­tu­rel­len” Jugend­li­chen und der künst­le­ri­schen Bohè­me einer­seits, der Ein­fluß Alex­an­der Dug­ins bei den staat­li­chen und gesell­schaft­li­chen Eli­ten des Lan­des ande­rer­seits. Die FAZ bezeich­ne­te Limo­now unlängst als einen „Pop­star der Skan­dal­schrift­stel­le­rei”, des­sen „per­sön­li­cher Durst nach Adre­na­lin­stö­ßen” (inklu­si­ve sexu­el­ler und alko­ho­li­scher Exzes­se) „Haupt­mo­tor für sei­ne revo­lu­tio­nä­re Mis­si­on” sei. Wäh­rend einer Lesung in Mos­kau wur­de der frisch aus der Haft ent­las­se­ne Dich­ter wie ein Held gefei­ert, als er sei­ne Lyrik über Zer­stö­rung und Blut­rausch vor­trug. „Ath­le­ti­sche jun­ge Män­ner mit Kopf­tuch und Arm­bin­den” dazu „Hit­ler-Insi­gni­en” und „radi­kal gestyl­te schö­ne Frau­en” hät­ten die Ver­an­stal­tung abge­run­det – eine für west­li­che Geschmä­cker befremd­li­che Mischung.
Dugin dage­gen, der sich für eine his­to­ri­sche Ver­söh­nung zwi­schen dem (anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen, lin­ken) Faschis­mus und dem (natio­na­len) Bol­sche­wis­mus stark mach­te, wird kei­nes­wegs in die Schmud­del­ecke am Rand des poli­ti­schen Spek­trums gedrängt, son­dern ist bis an die Schalt­stel­len der Macht im Putin­schen Ruß­land zuge­las­sen. 2001 erhielt er einen Bera­ter­pos­ten (samt Büro in der Staats­du­ma) an der Sei­te des post­kom­mu­nis­ti­schen Par­la­ments­prä­si­den­ten Gen­na­dij Selesn­jow, sowie einen Lehr­stuhl für Geo­po­li­tik an der Aka­de­mie des rus­si­schen Generalstabs.
Die Grün­dung sei­ner Bewe­gung „Eura­si­en” fand unter Anwe­sen­heit hoher Muf­tis, zwei­er Rab­bi­ner, eines bud­dhis­ti­schen sowie zahl­rei­cher ortho­do­xer Wür­den­trä­ger statt. Zu der illus­tren Run­de fan­den sich auch ein­fluß­rei­che Geschäfts­leu­te, hohe Mili­tärs sowie Offi­zie­re der Geheim­diens­te ein. Brei­te Zustim­mung erhielt Dugin für sei­ne Aus­füh­run­gen, daß nicht die Rus­sen allein ein Mono­pol auf Staat­lich­keit hät­ten, son­dern die Zukunft des Lan­des auf einer Alli­anz beru­he, die ein Spruch­band wohl­klin­gend ver­deut­lich­te: „Zur eura­si­schen Sym­pho­nie der Völ­ker”. Das klingt sym­pa­thi­scher als „Fuck Off Ame­ri­ka”, auch wenn es viel­leicht das­sel­be bedeutet.

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