Vorgestellt wurden die Erinnerungen Jörg Schönbohms mit dem schönen Titel Wilde Schwermut, erschienen im Landt-Verlag. Am Podium neben dem Autor: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und als Moderator der ehemalige FAZ-Redakteur Karl Feldmeyer.
Jörg Schönbohm ist wohl einer der letzten wirklichen Konservativen aus altem, vorwiegend preußischem Schrot und Korn, die in der vermerkelten CDU verblieben sind. Sein Büchlein Politische Korrektheit läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und zeugt von einem unabhängigen, kantigen Geist, der in der Partei selten geworden ist.
Das kann man nun von Wolfgang Schäuble nicht gerade sagen, den man getrost zu den zwielichtigsten Gestalten zählen darf, die zur Zeit an der Spitze der Bundesrepublik stehen. Freilich wurden nun sowohl Schäuble als auch Schönbohm nicht müde, zu betonen, daß sie trotz “Meinungsverschiedenheiten” dicke Freunde seien, und stimmten einen familiären Plaudertonfall an.
In die gemütliche “feelgood”-Stimmung versuchte Karl Feldmeyer tapfer mit brisanteren Fragen Richtung Schäuble vorzustoßen: Wie steht es denn nun mit dem von Schönbohm beklagten “negativen Nationalismus”, der zum Surrogat für eine gesunde deutsche Identität geworden ist? Wie mit der “Ostalgie” der Ossis, die vom Westen nur Konsum, aber keine Werte angeboten bekamen? Und wie steht es denn nun wirklich mit der Meinungsfreiheit Richtung Rechts von der Mitte (es fielen die Namen Walser, Hohmann, Eva Herman und Günzel)? Daraufhin ging erstmal quer durch den Raum ein nervöses Husten, aber Schäuble verstand es natürlich souverän, einer konkreten Antwort auszuweichen, vor allem was die Behandlung von Meinungsabweichlern betrifft (allgemeines Aufatmen!). Dabei bediente er sich einer auf das überwiegend konservative Publikum zugeschnittenen Wortwahl und eines routiniert gemeisterten Tonfalls.
Dieser Sound ist das, was als “konservativ” gilt: altväterlich-jovial, abgeklärt, gütig, weise, “so sind wir Menschen” mit einem Streicheln über den satten Bauch. Die Welt ist gut, Deutschland fortschrittlich und in Ordnung und “der Mensch” trotz seiner Mäkel liebenswert und menschlich. Sogar die Deutschen sind inzwischen nett und wohlerzogen, und achten artig darauf, daß das Fahnenschwenken nicht mehr aus dem Ufer läuft.
Und natürlich darf der in der Politikerprofession obligate Optimismus nicht fehlen, hier eben in der kernigeren “konservativen” Variante: man darf nie aufgeben, nie aufhören, zu hoffen, man muß immer forsch voran und zupacken, wofür Jörg Schönbohm, der schon in seiner Kindheit und Jugend alles Elend der Nachkriegszeit mitgemacht und überstanden hat, ein leuchtendes Vorbild sein möge. Das ist ja prinzipiell schön und gut, aber erst einmal sollte man realistisch die Lage bestimmen, für die das preußische Durchbeißertum vonnöten ist, ehe große Worte gespuckt werden. Diesbezüglich hat sich Schäuble aber bisher eher unrühmlich hervorgetan.
Und die Gretchenfrage? Die Nation, das Nationale könne man nicht mehr so wie im 19. Jahrhundert auffassen, so Schäuble. Gut, geschenkt. Das Nationale sei heute “die Integration”. Aha. “Integration” wessen, wozu und in was hinein? Und dann fallen im Umkreis dieser Leerformel selbstredend Schlagworte wie “Europa”, “europäisch” und “Westbindung”. “Natürlich ist die Nation Integration! Lichtmesz, da denken Sie nicht richtig! Außerdem glaube ich, haben Sie Schäuble in diesem Punkt falsch verstanden,” rügte mich anschließend Dr. Peter Furth, ein weiterer Autor des Landt-Verlages.
Ich ging in mich, fürchte aber, ich habe ihn leider doch richtig verstanden. Natürlich wirkt die Nation integrativ, aber das Nationale selbst muß doch inhaltlich definiert sein, um eine Richtung der “Integration” aufzuzeigen. “Integration” ist an sich keine Inhaltsbestimmung und auch kein Selbstzweck. Ansonsten ist man bei einer bloßen Leerformel angelangt, die sich wie die symbolische Schlange in den Schwanz beißt. Vergleichbare Floskeln wären: “Das Nationale bedeutet Toleranz! Das Nationale bedeutet Weltoffenheit!”
Und genausogut könnte man sagen: das “Nationale” des Deutschen von heute besteht in der Verpflichtung, sich wie eine Brausetablette im Wasserglas aufzulösen. Wenn man dann auch noch an all die Zuwanderer denkt, die sich Schäuble mehrfach explizit gewünscht hat, um das demographische Loch aufzufüllen, und die ihrerseits integriert werden müssen in den Integrationsprozeß, dann haben wir quasi eine potenzierte Integration vor uns.
Das einzige halbwegs Hoffnungsfrohe an der Veranstaltung war der pseudo-“altersweise”, pseudo-großzügige Gestus sowohl von Schäuble als auch Schönbohm: Wir alten Säcke treten nun allmählich ab, jetzt sollen die Jungen ran, die gewiß voller Dankbarkeit sind für die Welt, die wir ihnen hinterlassen haben. Na, dann ab in den Ruhestand.
Einen Alternativbericht vom anderen Ufer gibt es hier zu lesen.