Das Datum lag kurz vor dessen 110. Todestag, einen Monat nach dessen 200. Geburtstag. Das Gedenken war dürftig gewesen, der neue Zeitgeist duldete keinen Bezug auf jemanden, der im Ruch des Nationalisten und Antisemiten stand.
Diwald wußte das genau und also auch, daß er mit seinem Thema und der Art der Darstellung ein Tabu brach, ein junges Tabu zwar, aber eines, das rasch, geschickt und mit erheblicher Wirkung etabliert worden war: das Tabu, sich anders als negativ über die deutsche Nationalgeschichte zu äußern.
Diwald, der zu dem Zeitpunkt politisch noch ein unbeschriebenes Blatt war, wollte gegen dieses Tabu verstoßen. Sein Vortrag entwickelte das Thema unter dem Gesichtspunkt der Rolle Arndts für das „Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins“. Damit war die Absicht verbunden, ältere wie jüngere Verzeichnungen zu korrigieren. Arndt erschien bei Diwald nicht als Teutomane, sondern als jemand, der um den Anteil am Gemachten jeder Nation wußte, der nicht naiv an das Organische glaubte, sondern von der Notwendigkeit überzeugt war, die Nation zu erziehen und zu mobilisieren, der kaum etwas hielt von der selbstverständlichen Güte des einfachen Mannes, aber Respekt vor dem Volk hatte, und insoweit Demokrat war, aber nicht der Jakobiner, zu dem ihn Metternich im Negativen, die DDR im Positiven machen wollten, keinesfalls ein Reaktionär, obwohl er der monarchischen Idee anhing, eher ein konservativer Revolutionär im präzisen Sinn: „Die Schwächlichen und Elendigen fliehen zu dem Alten zurück, wo ihrer Furcht vor dem Neuen graut.“
Diwald wollte der Persönlichkeit Arndts Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie in den historischen Zusammenhang einordnen, des Spätabsolutismus und der Französischen Revolution, des Idealismus, der Romantik, der „Deutschen Bewegung“, der Befreiungskriege und des Vormärz. Das persönliche – auch das in Teilen schwere – Schicksal Arndts trat dagegen zurück, und Diwald setzte die Akzente so, daß selbst Arndts übel beleumdete Schrift Über den Volkshaß ihren Sitz im Leben erhielt, die ganz abgeblaßte Lage Deutschlands unter dem napoleonischen Joch wieder hervortrat.
Diwald war aber nicht nur als Historiker interessiert. Er schloß seinen Vortrag mit den Worten: „Wir haben später diesen ‘deutschen Lehrer, Schreiber, Sänger und Sprecher´ nicht bei seinen lorbeerbekränzten, adagio handelnden, sich mit der Obrigkeit arrangierenden Zeitgenossen, unseren Olympiern, einziehen lassen. Das wäre ungerecht gewesen, eine Kränkung Ernst Moritz Arndts, denn gerade ihm ist die gleichgültige Reverenz nicht zuzumuten, mit der wir schon so lange die herausragenden Figuren unserer Geschichte sterilisieren und festgerahmt an die Wände der Museen hängen.“
Es lag darin Bewunderung für ein konsequentes Leben, wenn auch wohl keine Prognose für das eigene Schicksal, obwohl man sagen könnte, daß die Erfahrungen, die Diwald in den folgenden Jahren machen mußte, denen Arndts ähnelten. Und ihn erwartete nicht einmal der Trost, den das Alter für Arndt bereitgehalten hatte, nur dasselbe Bewußtsein, dem inneren Gesetz Genüge getan zu haben.