“Perlensamt” von Barbara Bongartz

Möchte man ein Jude sein, heutzutage, ein Broder etwa, der ausstoßen darf, was er will, weil er weiß, daß ihm niemand...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

kann? Viel­leicht, manch­mal. Aber es gibt auch einen ande­ren Weg: Man könn­te der Erbe einer Nazi­grö­ße sein und sehr öffent­lich zei­gen, daß man alles wie­der­gut­ma­chen will. Dar­um gehts in Per­len­samt, und es gibt – nach eini­gem Nach­den­ken und wie­der­hol­ter Lek­tü­re die­ses Buches – kei­nen Zweifel:

Per­len­samt ist ein Schlüs­sel­ro­man des deut­schen Schuld­stol­zes um die Jahr­tau­send­wen­de, und zwar ein sehr gelungener.

Ganz sicher hat Bar­ba­ra Bon­gartz den skan­da­lö­sen Gehalt sol­cher Sät­ze bedacht, wie sie etwa auf Sei­te 178 zu fin­den sind: »In Ber­lin mag man heu­te noch wis­sen, was mal auf der Wil­helm­stra­ße los war. Wie ich die Deut­schen ken­ne, ist da jeder Pflas­ter­stein nume­riert, und denen, die 68 geflo­gen sind, ist ein Gedenk­stein gewid­met. Man badet dort gern im eige­nen Schlamm, und inzwi­schen lockt die Art Folk­lo­re ja auch Tou­ris­ten­strö­me an. Mit die­ser Selbst­zer­flei­schung kön­nen wir hier in Paris nicht kon­kur­rie­ren. Wir sind Fran­zo­sen, kei­ne boches, die sich an Le Schuld­ge­fühl ergöt­zen.« Oder auf Sei­te 232, ganz knapp: »Betrof­fen­heits­adel, schon mal davon gehört?«

Der Rei­he nach: Mar­tin Saun­ders ist Ame­ri­ka­ner in der ers­ten Gene­ra­ti­on, sei­ne Mut­ter ist Deut­sche, die nach dem Krieg und kurz vor der Nie­der­kunft nach Ame­ri­ka aus­wan­der­te, um ihrem Sohn das Deutsch-Sein zu erspa­ren. Saun­ders arbei­tet als Kunst­his­to­ri­ker bei einem Auk­ti­ons­haus in Ber­lin und stol­pert eines Tages über David Per­len­samt, einen rei­chen Erben, der gera­de sei­ne Mut­ter durch einen Mord ver­lo­ren hat. In der Vor­hal­le zu Davids Vil­la hän­gen wert­vol­le Gemäl­de, und weil eines davon – eine Land­schaft am Meer von Cour­bet – wenig spä­ter dem Auk­ti­ons­haus zum Ver­kauf ange­bo­ten wird, tritt neben das per­sön­li­che, homo­se­xu­el­le Inter­es­se Mar­tins auch ein beruf­li­ches: die Pro­ve­ni­enz­for­schung, die Zuord­nung von Kunst­ge­gen­stän­den in die Kate­go­rie »Beu­te­kunst«.

Bis an die letz­ten Kapi­tel her­an scheint alles ganz offen­sicht­lich zu sein: David Per­len­samt ist der Enkel von Otto Abetz, dem Abge­sand­ten des Drit­ten Rei­ches in Paris, einer besat­zungs­po­li­ti­schen Ide­al­be­set­zung (im dop­pel­ten Wort­sinn): gebil­det, kunst­in­ter­es­siert, elo­quent, gewin­nend; stets bemüht, die Här­ten des Regimes abzu­mil­dern sowie die intel­lek­tu­el­le und kunst­schaf­fen­de Sze­ne Frank­reichs zumin­dest für eine Vor­form der Kol­la­bo­ra­ti­on zu gewin­nen. David Per­len­samt behaup­tet nun, daß Abetz, sein Groß­va­ter, eine wert­vol­le Gemäl­de­samm­lung zusam­men­ge­raubt habe; nun sei es an ihm, dem Enkel, die­ses Unrecht ein­zu­ge­ste­hen und die Kunst­wer­ke ihren recht­mä­ßi­gen Besit­zern zurückzugeben.

Jedoch: Nach eben­so raf­fi­nier­ten wie plau­si­blen Wen­dun­gen stellt sich her­aus, daß all dies nicht wahr ist. Weder ist David der Enkel von Otto Abetz, noch sind die Gemäl­de echt. Sie sind viel­mehr meis­ter­haf­te Kopien, die David in einer Fäl­scher­werk­statt bei Hal­ber­stadt am Harz­rand anfer­tigt. Die­ser dop­pelt fal­schen Fähr­te sitzt Mar­tin eben­so auf wie das Ber­li­ner Kunst­pu­bli­kum, das sich nicht fragt, wie aus­ge­rech­net die Pri­vat­samm­lung eines der expo­nier­ten NS-Funk­tio­nä­re so lan­ge unent­deckt blei­ben konn­te: Viel­mehr benö­tigt die Öffent­lich­keit den Mut und die Ein­satz­be­reit­schaft David Per­len­s­amts – denn bei­des ver­hilft ihr eben­so wie ihm erst zu dem, was zwi­schen Iden­ti­täts­fin­dung und ‑erfin­dung pen­delt: »Dabei­sein ist alles, und wenn Dabei­sein nur durch Betrof­fen­heit ent­steht. Eigent­lich merk­wür­dig, daß die Men­schen in Deutsch­land immer noch dabei­sein wol­len, egal wobei, egal als was, Haupt­sa­che dabei und nicht allein.«

Je nach Blick­win­kel und Ein­stel­lung zu dem, was Nor­man Fin­kel­stein die »Holo­caust-Indus­trie« nann­te, ist David Per­len­samt eine tra­gi­sche oder eine absto­ßen­de Figur – oder bei­des. So jeden­falls hat Bar­ba­ra Bon­gartz ihre Figur gezeich­net und dar­über in einem Gespräch mit dem Deutsch­land­funk Aus­kunft gege­ben: »Er inthro­ni­siert sich dadurch, daß er sich zum Nazi­en­kel macht. Das berech­tigt ihn, sein per­sön­li­ches Rechts­sys­tem zu erschaf­fen und so rigi­de zu sein, wie sonst kei­ner rigi­de sein darf. Er braucht die­sen Nazi­hin­ter­grund, um über­haupt han­deln zu kön­nen. Daß dahin­ter dann noch­mal ein ganz per­sön­li­cher Grund steht, ist per­fi­de – auch in der Anla­ge der Figur per­fi­de. Aber ich habe sol­che Men­schen ken­nen­ge­lernt, genau wie ich Men­schen ken­nen­ge­lernt habe, die behaup­ten, jüdisch zu sein oder jüdi­sche Vor­fah­ren zu haben und es gar nicht sind oder kei­ne jüdi­schen Vor­fah­ren haben. Men­schen, die die­se gru­se­li­ge deut­sche Geschich­te für ihre eige­ne Selbst­dar­stel­lung und ihre eige­ne Pro­blem­lö­sung benut­zen.« In der Tat: Lea Rosh, Ste­phan Kra­mer – die Rei­he deut­scher Pro­se­ly­ten ist beträcht­lich und den Kult mit der Schuld mit­zu­ma­chen, kann einen je nach Geschick und Unver­fro­ren­heit recht schnell an die prall gefüll­ten Fut­ter­trö­ge bringen.

»Mir scheint, man kann sein gan­zes Leben damit ver­brin­gen, ein deut­scher Enkel zu sein«, sagt der ins Wirr­warr sei­ner Gefüh­le und einer his­to­risch auf­ge­la­de­nen Lügen­ge­schich­te ver­strick­te Mar­tin Saun­ders. Er kehrt zuletzt nach Ame­ri­ka zurück, trägt die Last sei­ner unge­lös­ten Ver­gan­gen­heit aber mit sich. Wer ist er, was ist er? Deut­scher? Ame­ri­ka­ner? Die Mut­ter, nach dem deut­schen Vater befragt, rät nach­drück­lich, sich auf die Sei­te der Unbe­schwer­ten zu schla­gen. Saun­ders sol­le das Stö­ren­de bei­sei­te las­sen in New York, die­sem Ort des guten Gewis­sens und des täg­li­chen Neu­starts: »Nichts wird die­ser Stadt je etwas anha­ben kön­nen«, behaup­tet die Mut­ter. Es ist der 10. Sep­tem­ber 2001.

(Bar­ba­ra Bon­gartz: Per­len­samt, Frank­furt a.M.: Weiss­books 2009. 320 S., 19.80 €)

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