Schwarzes Erdbeben

von Claus Wolfschlag

Der alte weiße Mann ist ein Übel, weshalb sich die europäische Welt auch in eine „bunte“, eine „farbige“ Welt umzuwandeln habe.

Vor eini­gen Tagen ermög­lich­te es die Frank­fur­ter Rund­schau in einem Inter­view dem Schwei­zer Sozio­lo­gen Jean Zieg­ler, die The­se von der angeb­li­chen Schuld des wei­ßen Man­nes neu in den Ring zu werfen.

Zieg­ler, Sohn eines pro­tes­tan­ti­schen Amts­rich­ters, wur­de 1934 in Thun gebo­ren. Der Sozio­lo­ge war bis 1999 Natio­nal­rat für die Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Par­tei sei­nes Lan­des. Bis 2008 fun­gier­te er als UN-Son­der­be­richt­erstat­ter für das Recht auf Nah­rung, im Auf­trag der Men­schen­rechts­kom­mis­si­on und des Men­schen­rechts­rats. Außer­dem ist er bei der Orga­ni­sa­ti­on “Busi­ness Crime Con­trol” enga­giert. Er selbst bezeich­net sich angeb­lich als Kom­mu­nist, lobt auch schon mal die Poli­tik Kubas. Die The­se vom Bevöl­ke­rungs­wachs­tum als Ursa­che von sozia­lem Elend lehnt er natür­lich ab. Es kom­me schließ­lich nur auf die „gerech­te“ Umver­tei­lung der Güter an. Dann könn­ten 12 Mil­li­ar­den Men­schen – zu wel­chem Zweck auch immer – durch­ge­füt­tert werden.

Zieg­lers Haupt­an­lie­gen ist aber ein ande­res: die schwar­ze Welt­re­vo­lu­ti­on. In der Hoff­nung, die außer­eu­ro­päi­schen Völ­ker könn­ten sich gegen die wei­ßen Euro­pä­er erhe­ben, sieht er ein welt­wei­tes gesell­schafts­ver­än­dern­des und für sei­ne Zie­le attrak­ti­ves Potential.

Um all­ge­mei­ne Empö­rung über die­se kaum ver­steckt vor­ge­tra­ge­ne Absicht klein zu hal­ten, wird – natür­lich – die Schuld­keu­le bedient. Am Elend der Erd­be­ben­op­fer in Hai­ti etwa sind wie­der mal die Wei­ßen schuld:

„Der Wes­ten küm­mert sich viel zu spät um Hai­ti. Das Land war uns ja bis­her prak­tisch egal. Aber genau das rächt sich jetzt, im Moment der Katastrophe.“

Zur huma­ni­tä­ren Hil­fe die­ses Wes­tens erläu­tert Ziegler:

„Wie vie­le Men­schen wur­den denn geret­tet? Unter über 200000 Toten genau 137. Das ist nicht viel. Kuba hat einen Zivil­schutz, genau so wie die Domi­ni­ka­ni­sche Repu­blik und vie­le ande­re. In Hai­ti gab es nichts davon. Hier wur­de der Auf­bau eines Natio­nal­staa­tes verhindert.“

Fragt sich bloß, wer die Hai­tia­ner davon abge­hal­ten hat, funk­tio­nie­ren­de staat­li­che Struk­tu­ren auf­zu­bau­en. Zieg­ler bleibt die Ant­wort schul­dig. Dabei erlang­te Hai­ti schon 1804, also in der napo­leo­ni­schen Zeit, sei­ne Unab­hän­gig­keit. Das ist über 200 Jah­re her! Gejam­mer mit lan­gem Nach­hall also. Nach Zieg­lers Theo­rie aber sind für die Erd­be­ben­op­fer im Port-au-Prin­ce des Jah­res 2010 und die kata­stro­pha­len gesell­schaft­li­chen Zustän­de des Lan­des letzt­lich immer noch die kolo­nia­len Erfah­run­gen der Ver­gan­gen­heit schuld. Merk­wür­dig nur, daß das Nach­bar­land Domi­ni­ka­ni­sche Repu­blik zwar erst Jahr­zehn­te spä­ter (1844 bzw. 1865) unab­hän­gig wur­de, heu­te aber wirt­schaft­lich viel bes­ser dasteht. Merk­wür­dig auch, daß manch asia­ti­sches Land erst Mit­te des 20. Jahr­hun­derts die Kolo­ni­al­herr­schaft abstrei­fen konn­te, heu­te aber zu den wirt­schaft­lich boo­men­den Regio­nen des Erd­balls zu zäh­len ist. Und dies, ohne daß dar­in die Ursa­che in den wei­ßen Ex-Kolo­ni­al­her­ren gesucht wird.

Zieg­ler jeden­falls kommt ange­sichts der Fol­gen der Erd­be­ben­ka­ta­stro­phe ins poli­ti­sche Schwärmen:

„Die wer­den dra­ma­tisch sein. Denn die­ses fürch­ter­li­che Unglück ist auch ein Auf­bruch. Der hai­tia­ni­sche Staat hat sich als unfä­hig erwie­sen. Die Men­schen wol­len jetzt etwas ande­res. Staats­prä­si­dent Pré­val und die gan­zen kor­rup­ten Söld­ner­trup­pen wer­den radi­kal abge­lehnt. (…) Auf­stand des poli­ti­schen Bewußt­seins. Das ver­wun­de­te Gedächt­nis erwacht.“

In sei­ner poli­ti­schen Roman­tik sieht er den Auf­stand der far­bi­gen Völ­ker gegen die kapi­ta­lis­ti­schen „Wei­ßen“ als Garant für die Errich­tung sozia­lis­tisch ori­en­tier­ter Staatsformen:

„Am 1. Janu­ar 2006 trat der ers­te india­ni­sche Prä­si­dent Süd­ame­ri­kas sein Amt an. Vor­her hat­te man nie etwas Mar­gi­nale­res, Ver­schlos­se­ne­res, Ver­stei­ner­te­res gese­hen als die Indi­os, Quet­chua und Aima­ra. Die Men­schen waren mas­sa­kriert in den Berg­wer­ken, die haben gehun­gert, 500 Jah­re lang. In Potos­si sind seit dem 15. Jahr­hun­dert acht Mil­lio­nen Men­schen gestor­ben. Und plötz­lich erle­ben die eine Renais­sance. Es gab Auf­stän­de, einen Was­ser­krieg, dann die Wah­len. Da ist eine Kol­lek­tiv­i­den­ti­tät aus der fer­nen Vor­ge­schich­te auf­er­stan­den. Und zwar mit unglaub­li­cher Dyna­mik, und das hat die­sen Evo Mora­les nach vor­ne katapultiert.

Dort hat er inner­halb von sechs Mona­ten Gas- und Erd­öl­ge­sell­schaf­ten zu Dienst­leis­tungs­be­trie­ben umfunk­tio­niert. 82 Pro­zent der Gewin­ne flie­ßen jetzt an den boli­via­ni­schen Staat. Und die west­li­chen Gesell­schaf­ten haben das alles unter­schrie­ben. Boli­vi­en war ja das drit­t­ärms­te Land hin­ter Hai­ti. Und ist jetzt im Begriff, ein kom­plett ande­res Land zu wer­den. Kein Hun­ger, Spi­tä­ler wer­den gebaut und Stra­ßen, die Unter­ernäh­rung geht zurück. Ich habe hier die Zah­len vom Welt­wäh­rungs­fonds, das ist ja kein Freun­des­kreis von Revo­lu­tio­nä­ren. Unglaub­lich, wie die Fort­schrit­te sind, gestützt auf die­se Wie­der­auf­er­ste­hung, die Ver­wand­lung des ver­wun­de­ten Gedächt­nis­ses. Da wird ech­te Sou­ve­rä­ni­tät geschaf­fen, ein Rechts­staat, eine Nation.“

Rhe­to­risch fragt die Frank­fur­ter Rund­schau, was pas­sie­ren könn­te, wenn Mora­les umge­bracht wür­de. Jean Zieg­ler weiß (und freut sich offen­bar), daß ein sol­cher Mord nur wie­der den „Wei­ßen“ ange­las­tet würde:

„Natür­lich kann man den töten – aber wenn das geschieht, dann wird in den nächs­ten drei­ßig Jah­ren kein Wei­ßer den Fuß nach Boli­vi­en set­zen. Es gäbe Anar­chie oder das tota­le Cha­os. Die Boli­via­ner sind nicht mehr bereit, unter den Wei­ßen zu arbeiten.

Es dau­ert sehr lan­ge, bis das ver­wun­de­te Gedächt­nis his­to­ri­sche Kraft und Bewußt­sein gewor­den ist. Aber dann läßt es sich nicht mehr auf­hal­ten. Und das müs­sen wir begrei­fen. Wenn wir jetzt nicht erwa­chen und mit den demo­kra­ti­schen Kräf­ten des Südens soli­da­risch wer­den, einen neu­en pla­ne­ta­ri­schen Gesell­schafts­ver­trag schlie­ßen, auf­hö­ren zu steh­len, und zu lügen, dann geht die­se Welt zugrunde.“

Zieg­lers The­sen sind eine Art „kom­mu­nis­ti­scher Ras­sis­mus“, bei dem sich das far­bi­ge „Pro­le­ta­ri­at“ gegen sei­ne steh­len­den und lügen­den „wei­ßen Unter­drü­cker“ klas­sen­kämp­fe­risch auf­zu­leh­nen und dann im Diens­te der sozia­lis­ti­schen Sache zur neu­en „Her­ren­ras­se“ auf­zu­schwin­gen habe. Zieg­ler zün­delt damit auch am sozia­len Gefü­ge der euro­päi­schen Staa­ten, die längst nen­nens­wer­te Bevöl­ke­rungs­grup­pen aus Län­dern Afri­kas oder Latein­ame­ri­kas in ihren Gren­zen beher­ber­gen. Aber wenigs­tens spricht er sei­ne The­sen offen aus.

Foto­graf: Die­ter-Schütz, Quel­le: pixelio.de

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.