… “Frau, komm!” Massenvergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen aus dem Ares-Verlag. Der letzte Satz aus Haselhorsts Besprechung lautete: „Die grauenhaften Tatschilderungen müssen jeden Leser zutiefst erschüttert zurücklassen.“
Ich selbst habe das Buch immer noch nicht gelesen, obwohl wir es in unserem Versand haben und es, nebenbei, guten Absatz findet. Warum nicht? Weil ich das Thema kaum mehr ertragen kann. Sozusagen: mein Maß ist voll. Ich kenne die „Geschichten“ aus dem oberschlesischen Heimatort meiner Mutter (die nur auf insistierendes Nachfragen erzählt wurden), ich kenne die Geschichte des Ursulinenklosters in Ratibor (die von dort unter entsetzlichen Umständen geflüchteten Nonnen waren meine Lehrerinnen), und ich habe während meines Geschichtsstudiums Tonbänder mit Zeitzeuginnenbefragungen aufgenommen.
Zuletzt hatte ich mich vor anderthalb Jahren noch mal ausführlich mit Film und Buch Anonyma und dem bestürzenden Buch Freiwild von Ingeborg Jacobs auseinandergesetzt. Mittlerweile quält mich das Thema, denn was tut man mit dem Wissen? Außerhalb des engeren Kreises mag’s keiner hören, keiner wissen, Schnee von gestern, und falls nicht, dann wird „aufgerechnet“ mit von Deutschen verursachten Opfern.
Nun wurde in der Literaturbeilage der FAZ das Buch Ingo von Münchs besprochen, ziemlich unredlich, wie mir scheint. „Es ist eigentlich alles Notwendige gesagt“, schreibt Christoph Kleßmann. Über die Vergewaltigungen gäbe es ohnehin nur vage Schätzungen (zwischen 1,4 und zwei Millionen allerdings). Außerdem, so Kleßmann, gibt es schon mindestens vier (!) Bücher zu diesem Thema, zudem ein weiteres Buch, das sich in einem „ausführlichen Kapitel“ den Massenvergewaltigungen widmet. „Warum also noch dieses Buch?“ fragt Kleßmann und antwortet sich selbst, daß diese Frage berechtigt sei.
Er fragt skeptisch weiter, ob das ausgiebige Zitieren von Zeitzeugenerinnerungen eine „angemessene Darstellungsform“ sei, als sei oral history nicht seit Jahrzehnten ein von seiten anderer Opfergruppen und von Wissenschaftlern geschätztes Verfahren; eines übrigens, das Aberhunderte Bücher zu anderen Vergehen während des Zweiten Weltkriegs hervorgebracht hat. Kleßmann beklagt, daß die „Kontextualisierung“ der Verbrechen von Sowjetsoldaten bei von Münch „blaß“ bleibe, er sich also nicht ausreichend den Gründen widme, die zu den Vergewaltigungsexzessen geführt hatten.
Den letzten Seitenhieb teilt er an den Ares-Verlag aus, an dessen „Renommee Zweifel erlaubt“ seien, weshalb ein „Beigeschmack“ bleibe. Das darf man angesichts des Themas tatsächlich „geschmäcklerisch“ nennen, und es sagt einiges über den konservativen Ruch aus, in dem die FAZ noch immer steht.
Nun ist heute die aktuelle Ausgabe der Emma erschienen, die selten im Verdacht stand, konservative Ansichten zu bedienen. Unter der Überschrift Deutsches Tabu – Verdiente Strafe für die Frauen der Täter? finden wir (noch nicht online freigestellt) einen sage und schreibe vierseitigen Abdruck aus Ingo von Münchs Buch. Was lobenswert ist und verdeutlicht, wie sehr sich die Fronten – auch im Hinblick auf unsere Vergangenheit als Deutsche – manchmal verschieben können.