Michail Bulgakow: Hundeherz

 

von Claus Wolfschlag

Letztes Jahr weilte ich im Frühherbst in Lettland. Nachdem ich in einem Club in Riga ein Konzert der rührigen lettischen Reggae-Formation „Hospitalu iela“ erleben durfte, ...

… unter­hielt ich mich back­stage mit einem Band­mit­glied, wor­aus sich in den Fol­ge­mo­na­ten ein klei­ner Schrift­ver­kehr ent­wi­ckel­te. Der Musi­ker mach­te mich auf ein Werk des rus­si­schen Schrift­stel­lers Michail Bul­ga­kow auf­merk­sam: Hun­de­herz.

Das Werk ist eine früh­zei­ti­ge, scho­nungs­lo­se Kri­tik am Sowjet­kom­mu­nis­mus, in eine phan­tas­ti­sche Gro­tes­ke geklei­det. Die Geschich­te spielt in Mos­kau im Win­ter 1924/25, also kurz nach Lenins Tod. Der erfolg­rei­che Schön­heits­chir­urg Filipp Filip­po­vich Preo­braz­hen­sky hat sich auch nach der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on einen bür­ger­li­chen Lebens­stil bewahrt. Er wohnt wei­ter­hin in einem einst ele­gan­ten Apart­ment-Haus mit Por­tier in einer edel ein­ge­rich­te­ten 7‑Zim­mer-Woh­nung mit ange­schlos­se­ner Pra­xis, Köchin und Haus­mäd­chen. Dem Druck des pro­le­ta­ri­schen Haus­ko­mi­tees, die Woh­nung zu ver­klei­nern und Räum­lich­kei­ten an zuge­teil­te Pro­le­ta­ri­er abzu­tre­ten, kann er sich durch sei­ne guten Bezie­hun­gen zu Obe­ren der Par­tei­hier­ar­chie, die zu sei­nen Pati­en­ten gehö­ren, entziehen.

Für sei­ne Expe­ri­men­te gabelt er eines Tages einen halb­ver­hun­ger­ten Stra­ßen­hund auf, den er mit sei­nem Assis­ten­ten wie­der auf­pep­pelt. Dem Hund ver­pflanzt er schließ­lich ope­ra­tiv die Hypo­phy­se und Hoden eines kürz­lich ver­stor­be­nen Men­schen, eines – wie sich her­aus­stellt – eins­ti­gen Kri­mi­nel­len und Alko­ho­li­kers. Die­ses Expe­ri­ment führt zu einem völ­lig uner­war­te­ten Ergeb­nis. Der Hund ver­liert in den Fol­ge­ta­gen sein Fell, beginnt auf den Hin­ter­bei­nen zu gehen, bekommt zuneh­mend mensch­li­che Züge und fängt schließ­lich zu spre­chen an.

Nach eini­ger Wei­le hat Pro­fes­sor Preo­braz­hen­sky einen aus­ge­wach­se­nen Men­schen in sei­ner Woh­nung, aller­dings einen der unan­ge­neh­men Sor­te. Nicht nur daß er kei­ner­lei Tisch­ma­nie­ren hat, daß er sich stän­dig betrinkt, unflä­tig flucht und ran­da­liert, er wächst auch zuneh­mend in das Gesell­schafts­sys­tem hin­ein. Das pro­le­ta­ri­sche Haus­ko­mi­tee sieht in dem Homun­cu­lus einen brauch­ba­ren Genos­sen und beginnt mit der poli­ti­schen Indok­tri­na­ti­on. Bald singt Poli­graf Poli­gra­fo­vich Sha­ri­kov, wie sich der Hund als­bald nennt, Lie­der gegen die Bour­geoi­sie, kri­ti­siert die bür­ger­li­che Lebens­wei­se des Pro­fes­sors, for­dert glei­che Rechte.

Poli­graf Poli­gra­fo­vich Sha­ri­kov macht dann gar noch Kar­rie­re im büro­kra­ti­schen Appa­rat, wird Lei­ter einer Abtei­lung gegen streu­nen­de Tie­re, hält Reden auf Par­tei­ver­samm­lun­gen, zu denen begeis­tert geklatscht wird, läßt sei­ne Macht spie­len, lügt und intri­giert. Als er schlu­ßend­lich Pro­fes­sor Preo­braz­hen­sky der kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Umtrie­be denun­ziert, eska­liert die Lage.

Auch wenn Pro­fes­sor Preo­braz­hen­sky eine Rol­le als „mad sci­en­tist“ zuge­wie­sen wird, kann er teils als Ver­kör­pe­rung des Autors bewer­tet wer­den. Michail Bul­ga­kow (1891–1940) war diplo­mier­ter Arzt und gilt als gro­ßer Sati­ri­ker der rus­si­schen Lite­ra­tur. In den Wir­ren der rus­si­schen Bür­ger­kriegs­zeit nach dem Ers­ten Welt­krieg geriet er zwi­schen die Fron­ten, war erst medi­zi­nisch bei der Ukrai­ni­schen Repu­bli­ka­ni­schen Armee tätig, deser­tier­te dann und arbei­te­te in glei­cher Funk­ti­on in der Roten Armee. Dann lan­de­te er bei den süd­rus­si­schen Wei­ßen Gar­den und bei tsche­tsche­ni­schen Kosa­ken. 1921 zog er nach Mos­kau, publi­zier­te dort für Zeit­schrif­ten, ver­öf­fent­lich­te Pro­sa­stü­cke für eine in Ber­lin erschei­nen­de Exi­lan­ten­zei­tung und schrieb Thea­ter­stü­cke. Tie­re dien­ten ihm als Figu­ren dazu, ver­schlüs­selt Gesell­schafts­kri­tik zu üben.

Bul­ga­kow, mit einer Aris­to­kra­ten­toch­ter ver­hei­ra­tet, leb­te inmit­ten des Sowjet­sys­tems auf einer der dort vor­han­de­nen bür­ger­li­chen Inseln, da das Sys­tem wei­ter­hin auf Ver­tre­ter der alten Intel­li­genz, auf Ärz­te, Kul­tur­schaf­fen­de, Wis­sen­schaft­ler ange­wie­sen war. Ab 1930 wur­den die Wer­ke Bul­ga­kows nicht mehr ver­öf­fent­licht und kei­ne Thea­ter­stü­cke mehr auf­ge­führt. In miß­li­cher mate­ri­el­ler Lage wand­te er sich an die poli­ti­sche Füh­rung, ihm ent­we­der die Emi­gra­ti­on oder eine Arbeit als Regie-Assis­tent zu ver­schaf­fen. Sta­lin per­sön­lich rief Bul­ga­kow, des­sen Wer­ke er offen­bar mit Amu­se­ment sel­ber gele­sen hat­te, an und ver­sprach Hil­fe. So arbei­te­te Bul­ga­kow bis zu sei­nem Tod 1940 als Regie-Assis­tent und Über­set­zer, unter ande­rem im Bolschoi-Theater.

Hun­de­herz war eben­so wie ein dar­auf basie­ren­des Thea­ter­stück 1926 ver­bo­ten wor­den. Die Geschich­te konn­te des­halb erst­mals 1968 in einer rus­si­schen Exil­zei­tung publi­ziert wer­den. Erst durch Glas­nost und Pere­stroi­ka unter Micha­el Gor­bat­schow war es mög­lich, das Buch 1987 auch in der Sowjet­uni­on bekannt zu machen. 1988 konn­te Vla­di­mir Bort­ko den Stoff für das rus­si­sche Fern­se­hen ver­fil­men, in einem selt­sam anti­quiert wir­ken­den Sepia-Stil.

Hun­de­herz ist eine Sati­re auf die uto­pi­schen Ver­su­che, die mensch­li­che Natur hin zu einem „Neu­en Men­schen“ zu ver­än­dern. Ein selbst­herr­li­cher Wis­sen­schaft­ler, der tief­ge­hend in die Natur ein­greift, schafft unfrei­wil­lig das neue Geschöpf. So wie Preo­braz­hen­sky für eine kau­zig-ver­s­nobb­te Bour­geoi­sie steht, so ver­kör­pert der Homun­cu­lus Sha­ri­kov alle nega­ti­ven Ele­men­te des Pro­le­ta­ri­ats. Vor allem die herr­li­chen Tisch­re­den des Pro­fes­sors laden dazu ein, Bort­kos Film anzu­se­hen. Preo­braz­hen­sky beschwert sich erfri­schend offen dar­über, daß die unge­ho­bel­ten Pro­le­ta­ri­er sei­ne Per­ser­tep­pi­che ver­schmut­zen, macht sich über eine Frau des Haus­ko­mi­tees lus­tig, die sich wie ein Mann klei­det. Er ver­laut­bart, daß er das mitt­ler­wei­le ton­an­ge­ben­de Pro­le­ta­ri­at nicht lei­den kön­ne, daß er es für den Ver­fall der guten Sit­ten und zuneh­men­de Dieb­stäh­le ver­ant­wort­lich macht. Er fragt rhe­to­risch, ob Karl Marx geschrie­ben hät­te, daß man die Haupt­ein­gangs­tür sei­nes Hau­ses zu schlie­ßen habe, um statt des­sen nur noch den Hin­ter­ein­gang benut­zen zu dür­fen. Beim Essen erklärt er, daß man vor dem Diner kei­ne bol­sche­wis­ti­sche Zei­tung lesen sol­le, da dies auf den Magen schla­ge. Als sein Assis­tent ihn erin­nert, daß es nur noch bol­sche­wis­ti­sche Zei­tun­gen gäbe, ant­wor­tet er, daß man des­halb über­haupt kei­ne Zei­tung mehr lesen sol­le. In einem Expe­ri­ment hät­te er zudem nach­wei­sen kön­nen, daß Leser der KP-Par­tei­zei­tung Prav­da unter schwin­den­den Knie­refle­xen, Depres­sio­nen und Gewichts­ver­lust gelit­ten hätten.

Unfrei­wil­lig wird Preo­braz­hen­sky aber den­noch zum Voll­stre­cker der kom­mu­nis­ti­schen Ideo­lo­gie. Er schafft den „Neu­en Mensch“ aus einem Hund. War­um sol­le man einen Men­schen erschaf­fen wol­len, wenn dies doch jede Frau auf natür­li­che Wei­se kön­ne, fragt sich der Pro­fes­sor im Lau­fe der Hand­lung schließ­lich selbst­kri­tisch. Der Homun­cu­lus nutzt die sozia­len Ver­hält­nis­se hin­ge­gen rück­sichts­los für sei­ne Inter­es­sen und eine letzt­lich para­si­tä­re Exis­tenz. Appel­len des auto­ri­tär auf­tre­ten­den Pro­fes­sors, sich zu einem Kul­tur­we­sen zu ver­fei­nern, ent­zieht er sich, um sich zum ego­is­ti­schen Macht­men­schen zu ent­wi­ckeln. Er fin­det sich ein in ein Regime, in dem ein Hund rei­bungs­los Kar­rie­re machen kann. Preo­braz­hen­sky und sein Assis­tent ahnen, wel­ches men­schen­feind­li­che Poten­ti­al in die­sem Geschöpf lau­ert und beschlie­ßen, recht­zei­tig die Reiß­lei­ne zu ziehen.

Man­che Bil­der des Films sym­bo­li­sie­ren den begin­nen­den Ver­fall des kom­mu­nis­ti­schen Sys­tems: brö­ckeln­de Fas­sa­den, löch­ri­ge Stra­ßen, die Strom­aus­fäl­le, die es, nach Aus­sa­ge des Pro­fes­sors, zu zaris­ti­scher Zeit nicht gege­ben hät­te. Hin­zu kommt die begin­nen­de Ahnung des noch fol­gen­den Ter­rors: Das aggres­si­ve Haus­ko­mi­tee, das sozia­len Druck gegen Besit­zen­de im Pri­vat­be­reich auf­zu­bau­en ver­sucht, der Kult um die all­um­fas­sen­de Rege­lung durch die Büro­kra­tie, die Kolon­nen der Roten Armee, die Kampf­lie­der sin­gend durch die Stra­ßen marschieren.

Ein außer­ge­wöhn­li­ches Film­werk der spä­ten Sowjet­uni­on, von erns­tem Hin­ter­grund und doch zugleich sehr hei­ter. Bei you­tube ist es in mit eng­li­schen Unter­ti­teln in 14 Tei­len zu sehen.

Los geht es mit Teil 1.

Foto: M. Gross­mann, pixelio.de.

 

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