Während die Konservativen – wie stets in der Defensivposition – sich im besten Fall bewußt sind, daß das, was sie konservieren möchten, zutiefst reformbedürftig ist, hat die Linke kaum ein konkretes Bild anzubieten, was denn kommen soll, wenn erst einmal, frei nach Gehlen, »allem, was steht, das Mark aus den Knochen geblasen« ist. Ihren Vorstellungen ist argumentativ kaum beizukommen. Die Frontlinie verläuft nicht im Bereich der bloßen Meinungsverschiedenheiten, sondern viel tiefer: auf der Ebene der Apperzeptionsverweigerung. Einem Gelände, das gegen den Zugriff der Ratio mit psychischen Minenfeldern abgeschirmt ist.
Die »Dummheit« ist nach Heimito von Doderer mit der »Apperzeptionsverweigerung « identisch, diese wiederum geht auf »einen nicht mehr auffindbaren bösen Entschluß des Einzelindividuums« zurück. Sie ist der »kalte Schweiß unserer Lebensschwäche«. Hier liegt der affektive Kern des politischen Infantilismus und Puritanismus: Das Leben muß hier verniedlicht, dort dämonisiert, schließlich gänzlich abgeschafft werden, weil die Spannungen unerträglich sind. Doderer beschrieb die Abwehrreaktion: »Mehrmals gefährdet aber wird man wachsam, am Ende aber haßerfüllt und aggressiv gegen jedes Phänomen und Individuum, das die ursprünglichen und dem Grundplane ungefähr entsprechenden Züge zeigt.«
Das hartnäckige, beinah religiöse Festhalten von Vertretern egalitärer Ideologien am Irrealen und Irreparablen läßt ahnen, daß hier tiefersitzende Identitätskrisen und Unzulänglichkeitsgefühle eine Rolle spielen, als die pseudo-akademische Oberfläche ahnen läßt. Bei allem Vorbehalt gegenüber Psychologisierungen ist es gerade im Bereich der Geschlechterproblematik ratsam, genau hinzusehen, aus welcher Perspektive jemand argumentiert. Es gilt auch heute noch, was Hans Blüher bereits 1919 zum Thema Frauenbewegung schrieb: »Programme sind fast immer die Verkappungen einer Sache.« Volker Zastrow wies in seinem Buch Gender – Politische Geschlechtsumwandlung auf die »verbrämte« Tatsache hin, daß der radikale Feminismus im engen Zusammenhang mit der Lesbenbewegung steht, deren Interessen in den Fragen von Ehe und Familie »mit denen anderer Frauen keineswegs übereinstimmen«.
Die Karriere der Alice Schwarzer ist in dieser Hinsicht ein aufschlußreicher »Fall«. Schwarzers lesbische Orientierung ist ein offenes Geheimnis, das von ihr und ihren Anhängerinnen eben deswegen unter Verschluß gehalten wird, weil damit der universale Anspruch ihrer Thesen gefährdet wäre. In deren Zentrum stand eben nicht die ökonomische oder rechtliche Benachteiligung von Frauen, sondern die »Sexualität« als »Spiegel und Instrument der Unterdrückung in allen Lebensbereichen«, in der »Unterwerfung, Schuldbewußtsein und Männerfixierung von Frauen verankert« lägen. Um das zu demonstrieren, malten ihre Bücher das manichäische Bild eines permanenten Ausbeutungkrieges »patriarchaler« Männer gegen die Frauen, die sich auch dem sexuellen Verkehr nur aus Zwang, Angst oder Pflichtgefühl hingaben. Das ging so weit, daß Schwarzer in den siebziger Jahren zur »Penetrationsverweigerung« aufrief und noch im Jahre 2000 beklagte, daß »Männer und Frauen erotisch auf den Unterschied gepolt« seien – auch das ein verräterisches Bekenntnis. Das Wunschbild des farbenblinden Schwarzerschen Feminismus ist dementsprechend die »Aufhebung der Spaltung von Menschen in Männer und Frauen«, also eine Welt, in der Geschlechtsunterschiede keine Rolle mehr spielen, in der es nur mehr »Menschen« gibt. Das ist auch der Kern der »Gender«-Ideologie, die »in letzter Konsequenz« behauptet, »daß es biologisches Geschlecht nicht gebe.« (Volker Zastrow)
»Ich habe einen Traum«, schrieb Schwarzer in Der große Unterschied. »Ich bin ein Mann. Nachts schlendere ich durch den Park und setze mich neben einen fremden Menschen. Es ist eine Frau. Ich beginne, über mich zu reden. Meine Mutter ist eine unabhängige, stolze Frau und mein Vater ein sensibler, fürsorglicher Mann. (…) Ich verachte Gewalt. Nicht Ungleichheit, Gleichheit zieht mich an. Frauen sind mir so vertraut – oder so fremd – wie Männer, je nach Person. Denn ich lebe in einer Zeit, in der Menschen nicht nach Männern und Frauen unterschieden werden, so wenig wie nach Weißen oder Schwarzen oder Dünnen und Dicken. Ich bin ein Mensch.«
Kein Mann würde jemals eine solche asexuelle Domestizierungs-Utopie formulieren, und wenn, dann könnte er sich der unterschwelligen Verachtung der meisten Männer und Frauen sicher sein. Derartige Vorstellungen von Pazifizierung, Neutralisierung und Androgynisierung haben mit den »Träumen« der meisten Menschen beiderlei Geschlechts wenig zu tun, da für sie das »Menschliche« keine abstrakte Angelegenheit, sondern eng verknüpft ist mit dem Sinn ihres Mann- oder Frauseins. Dennoch sind derartige Vorstellungen über metapolitische Schleichwege tief in die Kapillaren der Institutionen, bis hinauf zum Familienministerium, eingedrungen. An den Schlüsselpositionen dieser Entwicklung stehen überwiegend Frauen, die aus radikal linken, lesbischen und feministischen Zusammenhängen kommen. Hier haben es narzißtische Partikularinteressen und Ressentimentgemenge geschafft, sich in Machtpositionen zu setzen, um über das Ganze zu verfügen. Camille Paglia beschrieb bereits 1990, daß eine politisierte, von oben aufgezwungene Androgynie dazu führt, »daß Männer sein müssen wie Frauen, während Frauen sein können, wie sie wollen.«
Während die »Gender Studies« an den Universitäten selbstreferentielle Papierstapel produzieren und die Thesen des »Gender Mainstreaming« bereits fahrlässig in die politische Wirklichkeit umgesetzt werden, fehlt es an einer ernsthaften Philosophie des Sexus, die dem Potential und den soziobiologischen Grundlagen beider Geschlechter gerecht würde. Dabei könnte man sich durchaus eine brauchbare »Gendertheorie« im Anschluß an Otto Weininger vorstellen. Weininger ging von einer prinzipiellen seelischen Bisexualität jedes Menschen aus, die sich in einem Gemisch von männlichen und weiblichen Elementen spiegele. Der wesentliche Unterschied zu den modernen Gender-Theorien besteht in der Anerkennung der tatsächlichen Existenz dieser männlichen und weiblichen Essenz anstelle ihrer Dekonstruktion. Hier hätte man die Wissenschaft gänzlich hinter sich, die unzweifelhaft nachweisen kann, daß Östrogene und Testosteron das soziale Verhalten erheblich beeinflussen und daß die Partnerwahl immer noch stark von evolutionär-biologischen Triebkräften bestimmt wird.
Über die Biologie hinaus aber ist auch eine Metaphysik des Sexus notwendig, wie sie Julius Evola bereits 1962 verfaßt hat: »Man existiert nur als Mann und Frau. Diesen Gesichtspunkt werden wir gegen alle diejenigen streng verteidigen, die da sagen, daß das Mannsein oder Frausein gegenüber dem generellen Menschsein etwas Zufälliges und Sekundäres sei; daß das Geschlecht eine Verschiedenheit sei, die fast ausschließlich den physischen und biologischen Teil der menschlichen Natur angehe (…). Ein derartiger Gesichtspunkt ist abstrakt und unorganisch; in der Wirklichkeit kann man ihn nur auf ein durch Regression und Degenerierung geschwächtes Menschentum anwenden. Wer ihn vertritt, beweist, daß er nur die gröbsten und oberflächlichsten Seiten des Geschlechts zu sehen vermag.«
Diese Erkenntnis steht auch im Zentrum der immer noch unerreicht brillanten Attacke gegen den »Genderismus«, geschrieben ausgerechnet von einer lesbischen Radikalfeministin. »Was für ein Abgrund zwischen den Geschlechtern!« schrieb Camille Paglia in ihrem Mammutwerk Die Masken der Sexualität, das Anfang der neunziger Jahre das feministische Establishment bis aufs Blut reizte. »Hören wir auf so zu tun, als sei Sexualität für alle das gleiche, und stellen wir uns der Tatsache der ungeheuren geschlechtlichen Dualität.« Paglia sah die Kultur als Ergebnis eines ewig unentschiedenen Krieges gegen die chthonischen Bedingtheiten der Natur. Diesen Krieg, dem »alles Große in der Kultur des Westens« entsprungen sei, zu führen, war aber stets die Sache der Männer gewesen. Der Mann ist zwar das physisch stärkere, psychisch aber um so gefährdetere Wesen. Er befindet sich im ständigen Kampf mit der Urmutter im Inneren, der mörderischen Natur, dem Weiblichen, das ihn zu verschlingen sucht. »Männliche Sexualität« ist darum ein heroischer »Roman von Ausfahrt, Suche, Abenteuer.« Die Individualität entsteht immer im Kampf gegen das Formlose, unter dem Zeichen des Mars. Während die Frau von selbst zur Frau wird, muß der Mann erst zum Mann gemacht werden, muß den Schrecken des Initiatischen passieren, um die kindliche Welt des Knaben und der Mutter hinter sich zu lassen, eine Welt, der die Frau ihr Leben lang in weitaus stärkerem Maß verhaftet bleibt. Auch darum hat er ein anderes Verhältnis zur Gewalt und zur Macht, die der Feminismus rein negativ sehen wollte: »Identität ist Macht. Sex ist Macht. Romantische Liebe ist Sex und Macht.«
Aus der Erkenntnis dieses »Abgrunds zwischen den Geschlechtern« heraus müssen die Männer heute erkennen, daß sie sich einen Diskurs haben aufdrängen lassen, der in dieser Form weder mit den Feministinnen noch mit den aus den traditionellen Bindungen herausgehobenen Durchschnittsfrauen zu führen ist. Die komplizierten Spannungen zwischen den Geschlechtern lassen keinen egalitären »herrschaftsfreien« Austausch noch eine voreilige und heuchlerische Befriedung zu. Der Mann muß die Komplizenschaft mit seiner eigenen Demontage aufkündigen, die Pazifizierungs- und Gleichheitsangebote als verkappte Kriegserklärungen begreifen, annehmen und vor allem handeln.
Nicht nur ausgesprochene Feministinnen spotten gerne über Männerbünde, Initiationsrituale und »sexistische« Attitüden, mit denen sich Männer gegenüber den Frauen abzugrenzen versuchen. Misogyne, Homophobe und Machos, heißt es, kämen mit »ihrer« Weiblichkeit nicht zurecht, wogegen »Softies«, Homo- und Metrosexuelle ihre femininen Seiten »zulassen können«. Aber «Tränen und Hysterie, das sind nun gleichermaßen Affekte, die Männern schlecht zu Gesicht stehen« (Ellen Kositza). Es wird nämlich gewaltig unterschätzt, daß der Mann, besonders der heranwachsende, seine »femininen« Seiten oft als regressive Bedrohung in seinem eigenen Inneren erlebt, als Angriff auf seine Integrität, Wehrhaftigkeit und Lebenstüchtigkeit. Die Kontrolle über die eigene Gefühlswelt und die regressiven Tendenzen im Inneren ist nicht nur essentiell für die Durchsetzungskraft und die Selbstachtung des Mannes, sondern auch für seine Fähigkeit, eine begehrte Frau zu erlangen. Die Feministinnen sind blind für die ungeheure sexuelle Macht, die Frauen über Männer ausüben können, blind für die Angst der Männer vor Zurückweisung und Mißerfolg. Der Mann, der sich im Sinne des Feminismus programmieren läßt, ist zur Existenz als sexuell erfolgloser »Frauenversteher« verurteilt.
Der Feminismus hat auch nicht verstanden, daß die Polarität ebenso Quelle des Leidens wie auch Bedingung für das Glück zwischen den Geschlechtern ist. Der Versuch, die Polarität aufzuheben, macht die Männer schwächlich und die Frauen desorientiert. Es ist zum Standard-Treppenwitz geworden, daß die Unterwerfung der Männer unter feministische Ideale das emotionale und sexuelle Unglück der Frauen, das Alice Schwarzer einst so beklagt hat, noch befördert hat. Die erotische Attraktivität des westlichen Mannes ist gesunken, während Verachtung und Frustration der Frauen gestiegen sind. Gelegentlich werden »richtige« Männer aus exotischen Ländern importiert, was diesen Prozeß auf die Ebene eines genetisch-darwinistischen Kriegs erhebt.
Ein täglicher, unterschwelliger Kampf herrscht in jeder noch so harmonischen Partnerschaft. Frauen »testen« ihre Männer unermüdlich auf ihre Überlebenstauglichkeit, aus kaum bewußten, instinktiven, wohl evolutionär bedingten Impulsen heraus. Insofern wäre das Projekt des Feminismus zum Teil ein riesiger, aus dem Ufer gelaufener Härtetest gewesen, um die Männer zu zwingen, doch noch den unteilbaren Kern selbstsicherer Maskulinität freizulegen, nach dem sich im Grunde jede Frau sehnt, dem manischen Atheisten gleich, der prüfen will, ob Gott nicht doch noch den härtesten Argumenten standhält – wäre er ja sonst nicht Gott. Blüher hielt der Frauenbewegung entgegen: »Ihr wollt ja im Grunde gerade das Gegenteil von dem, was ihr – ›wollt‹.« Der Feminismus wäre dann nichts anderes als die Quittung für ein viel früher ansetzenderes Versagen gewesen, für einen Schwund der souveränen Maskulinität. Dieser Vorgang hat seine Analogie in den Thesen Alain de Benoists oder Timo Vihavainens, daß nicht die Masseneinwanderung an sich die Ursache der Zerstörung des Westens, sondern nur die Folge seiner viel früher erfolgten Aufweichung und Selbstaufgabe durch den Liberalismus sei.
Damit eröffnet sich auch die Synthese der identitätspolitischen Brennpunkte: Die Krise des Westens ist im Grunde eine Krise der Männlichkeit, eines Krise des weißen Mannes im buchstäblichen Sinn. Der Topos der Dekadenz wird klassischerweise mit der Verweiblichung assoziiert. »In Spätzeiten befindet sich die Männlichkeit immer auf dem Rückzug,« schreibt Paglia. Manche verwechseln dieses Fallen mit einem Steigen in eine feminin-weiche, pazifistische, demokratische Welt, während demographische youth bulges testosterongeladener Militanz gegen die mürb gewordene Festung Europa drängen. Die westlichen Männer müssen begreifen, daß auch die Frauen, die sich heute frenetisch an der Schleifung der Festung beteiligen, wie stets als die freiwilligen oder unfreiwilligen Trophäen der Sieger enden werden. Reconquista der Maskulinität, die drängende Aufgabe jedes einzelnen ist, hat eine Dimension und Verantwortung, die über das Individuelle weit hinausführt.