jeweils auch einen Blick auf die Edition Antaios und das Institut für Staatspolitik geworfen – Grund genug für mich, ihn anzuschreiben und um ein Gespräch zu bitten. Wir trafen uns in Berlin.
Es war ein lebhaftes Gespräch über die Lage der Nation und über Wagners Autorschaft. Er ist seit einigen Monaten noch stärker gefragt als früher: Wagner war mit der Nobelpreisträgerin Herta Müller verheiratet, gemeinsam mit ihr verließ er das Rumänien Ceaucescus, wo er im Banat – in der Nähe Temeschwars – geboren worden war.
Wagner ist ein eloquenter Beobachter der Zeit mit Neigung zum Feuilleton-Kommentar. Er lebt diese Ader in Henryk M. Broders Netztagebuch “Achse des Guten” aus. Mir schrieb er in seinem Brief 5. März:
Es ist schwer geworden, ein Anliegen publizistisch öffentlich zu machen. Man muß das Anliegen nicht nur dem Adressaten nahe bringen, man muß es auch am Jargon vorbei schmuggeln. Das gelingt manchmal, und manchmal gelingt es nicht. Für beide Situationen gibt es zahlreiche Gründe. Man muß davon ausgehen, daß fast alle, an die man sich wendet, höchst gelangweilt sind. So, als hätten sie das alles, und noch viel mehr, längst gehört und gewußt. Ihnen sollte man es nicht recht machen wollen. Das tatsächlich Neue an der Situation ist, daß Konformismus und Nonkonformismus nicht mehr voneinander getrennt erscheinen.
Die zwei Stunden des Gesprächs in Berlin reichten nicht aus, wir setzten wir unseren Austausch schriftlich fort. In der Sezession 35 (April) ist nun ein Teil dieses Briefwechsels abgedruckt. Es geht um die Frage der Schreib- und Sprechtabus, um die Bestimmung der Freiheit und um die Bedeutung des geschriebenen Worts an sich. Ich stelle hier meinen Einleitungsbrief frei und verweise auf die Druckausgabe, in der alles nachzulesen ist. Sie kann hier bestellt werden.
Schnellroda, 9. II. 2010
Sehr geehrter Herr Wagner,
nach unserem guten und offenen Gespräch, für das ich mich sehr bedanke, möchte ich einen Punkt aufgreifen, den wir – zu meiner Überraschung – so en passant besprachen, ohne merkliche Differenz, sondern so, wie man sich einmal rasch über die Spielregeln auf dem Bolzplatz verständigt. Ich spreche den Punkt auch unter dem Eindruck der Lektüre eines Beitrags an, den Sie auf der „Achse des Guten“ veröffentlichten: den über „Demokratie, (große) Literatur und Meinungsfreiheit“. Sie schütteln meiner Meinung nach mehr als zurecht den Kopf über die Naivität der Zeit-Schreiberin Julia Schoch, die ich hier nochmals zitieren will, damit wir anknüpfen können:
„Nichts mehr zu delegieren. Das faustschüttelnde Fluchen gilt keinem Staatschef mehr, keiner übermächtigen Vätergeneration oder gar Gott. Wir: unser eigener Feind. Wo die jahrhundertealte Gängelung und Bedrohung verschwunden sind, das Individuum aus den Klauen von Disziplinarmächten befreit wurde und die Verpflichtung zur Eigeninitiative zur Regel erhoben wird, stehen wir – seltsam allein gelassen – nur noch uns selbst und unserem eigenen Unvermögen gegenüber.“
Nach der Lektüre des Beitrags und vor allem dieser Zeilen von Julia Schoch war ich auch sofort überzeugt, daß intellektuelles Glücklichsein bei ihr wohl in einer Mischung aus Beschränktheit des Vorstellungsvermögens und Wirklichkeitsverweigerung besteht. Ich bin mir also sicher, daß Frau Schoch wirklich keinen Begriff über den Zustand unseres Landes im Allgemeinen und über das Ausmaß der Gesinnungskontrolle im Besonderen hat. Wie auch? Sie scheint aber darüber hinaus auch nicht zu begreifen, daß sie mit dieser Ende-der-Dringlichkeit-Philosophie sich selbst und den Schriftsteller an sich zum „Pausenclown“ degradiert (um ein Wort von Ihnen aufzugreifen).
Jedenfalls kann ich das, was Sie dann im folgenden schreiben, Satz für Satz unterschreiben: Auch ich bin der festen Überzeugung, daß unsere Gesellschaft nicht frei ist, jedenfalls nicht so frei wie sie es gerne von sich behauptet; den „meßbaren Unterschied zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung“, den Sie ansprechen, kann ich jederzeit belegen; auch den Vorwurf der Paranoia kenne ich, obwohl mir Ihre Erfahrung der Autorschaft in Ceausescus Rumänien samt Umstellung durch Securitate-Spitzel abgeht – noch nicht einmal ein paar gediegene Jahre DDR kann ich vorweisen, nur westdeutsche Erfahrungen mit der „Schweigespirale“ (Noelle-Neumann) und der „Mauer aus Kautschuk“ (Armin Mohler).
Aber genau damit bin ich bei dem entscheidenden Punkt unseres Gesprächs angelangt: Sie sagten da, daß Sie bei einer Frage von mir nach einem Beitrag für die Sezession oder nach einem Interview ins Abwägen kämen – inwiefern es Ihnen selbst und Ihren anderweitigen Publikationsmöglichkeiten guttäte, wenn Sie sich in der Sezession äußerten. Diesen Vorgang einer – ich nenne es jetzt einmal so – „inneren Zensur“ könnten Sie mir doch einmal beschreiben. In Ihrem oben erwähnten Beitrag für die „Achse des Guten“ schreiben Sie, daß es einen „Wie-sage-ich-es-Kodex“ gebe, in meinen Worten: eine Art Prüfliste des Sagbaren (zum einen) und eine Landkarte geistiger No-Go-Areas (zum anderen).
Dieser Kodex, so schreiben wiederum Sie, ist aber nicht „Ergebnis einer Verschwörung hinter den Kulissen“, sondern „informeller Natur“. Bitte: Beschreiben Sie mir diesen Vorgang der „inneren Zensur“ einmal, und: Was bedeutet das so recht eigentlich für die geistige und die politische Auseinandersetzung in unserem Land. Das, was Sie hier und da andeuten ist ja eine Ungeheuerlichkeit: daß jede Aussage und jeder Publikationsort auf ihre Hygiene untersucht werden – aber nicht von einem benennbaren Gremium, sondern durch einen inneren Zensor, der uns wie ein Krebsgeschwür besiedelt und uns zu Duckmäusern macht.
Mit freundlichem Gruß!
Götz Kubitschek
(Die Antwort Richard Wagners sowie die Fortsetzung des Briefwechsels ist unter dem Titel “Wo ist das Ganze, was ist es wert?” in Sezession 35, April 2010 abgedruckt.)