Was bedeutet eigentlich “Jammern”?

"Ein jeder, der Zeit darin investiert, über wirkliches oder subjektiv empfundenes Unrecht zu sprechen oder zu schreiben, wird irgendwann einmal beschuldigt, zu jammern."

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

So Jack Dono­van, einer der inter­es­san­tes­ten Autoren des US-Netz­ma­ga­zins Alter­na­ti­ve Right. Aus sei­ner Glos­se “On Whi­ning” (Über das Jam­mern) für das anti­fe­mi­nis­ti­sche bzw. män­ner­recht­le­ri­sche Blog The Spear­head will ich im fol­gen­den aus­führ­lich zitie­ren – vor allem um hier ein für alle­mal einen Vor­wurf zu klä­ren, der inzwi­schen rou­ti­ne­mä­ßig und in dis­kre­di­tie­ren­der Absicht gegen die poli­ti­sche und kul­tu­rel­le Kri­tik von Rechts (gibt es zur Zeit denn eine ande­re?) erho­ben wird, sogar in die­sem Blog selbst.

Ich selbst kann die­sen Vor­wurf kaum noch ernst neh­men, eher dient er mir inzwi­schen als zuver­läs­si­ger Lack­mus-Test, um die Ahnungs­lo­sen und Ein­falts­pin­sel aus­zu­fil­tern. Kratzt man denn ein biß­chen an der Ober­flä­che die­ser Begriffs­ver­wir­rung, bemerkt man näm­lich schnell den Abwehr­re­flex, den Ver­such zur Ein­schüch­te­rung, und die Angst, der Wirk­lich­keit ins Auge zu sehen, die Angst vor den Fak­ten und den Kon­se­quen­zen der Din­ge und des eige­nen Denkens.

Nicht sel­ten ent­deckt man dann einen fast schon stu­pen­den Unter­wer­fungs­wil­len und eine (ver­mut­lich kaum mehr bewuß­te) inne­re Auf­wei­chung, die sich nach außen hin als Stär­ke und Posi­ti­vi­tät mas­kiert. Ob Speng­ler wohl das gemeint hat­te, als er berühm­ter­wei­se sag­te, “Opti­mis­mus ist Feig­heit”? Ich ant­wor­te dar­auf jeden­falls mit Dode­rer: “Die Lage ist immer legal.” Und nur auf ihrer Grund­la­ge kann man aktiv werden.

Nun aber Dono­van zum The­ma, was “Jam­mern” nun eigent­lich ist und was nicht (sie­he nächs­te Seite).

***

Män­ner sind beson­ders emp­find­lich gegen­über dem Vor­wurf des Jam­merns, denn es ist eine Belei­di­gung ihrer Männ­lich­keit, ein Krat­zen an ihrer Ehre. Ein chro­ni­scher Jam­me­rer ist impo­tent, inkom­pe­tent, abhän­gig, hilf­los, kin­disch, faul und hat kei­ne Kon­trol­le über sein Schick­sal. Er ist ein schwa­ches und lau­ni­sches Wesen, unfä­hig sei­nen eige­nen Wil­len durch­zu­set­zen, stän­dig nach Auf­merk­sam­keit rufend und gibt allen ande­ren die Schuld an sei­ner Lage, außer sich selbst. Aus die­sem Grun­de ver­ach­ten Män­ner die Poli­tik der Opfer – wer das Opfer spielt, gibt die Kon­trol­le ab.

(…)

Der Jam­mer­vor­wurf ist “Beschä­mungs­spra­che”, aber manch­mal soll­ten Män­ner sich tat­säch­lich vor sich selbst schä­men. Ich wür­de mich eher vor mir selbst schä­men, wenn ich ver­sagt habe, eine Tugend, die ich hoch schät­ze, unter Beweis zu stel­len, als für “scham­los” gehal­ten zu wer­den. Ein Mann, der kei­ne Scham kennt, kennt kei­ne Tugend und kein Gewis­sen, oder er ist ein Lügner.

Aber wenn wir uns einig sind, daß es so etwas gibt wie Gerech­tig­keit, selbst wenn wir sie ver­däch­ti­gen, etwas Sub­jek­ti­ves zu sein, dann glau­ben wir auch, daß es tat­säch­li­che Unge­rech­tig­keit gibt, es sei denn wir glau­ben, daß wir in einer voll­kom­men gerech­ten Welt leben. (…)

Wenn wir vor ernst­zu­neh­men­den Schwie­rig­kei­ten ste­hen und Unge­rech­tig­kei­ten wahr­neh­men, dann muß es einen ehren­vol­len Weg geben, dar­über zu spre­chen. (…) Es lohnt sich, zu defi­nie­ren, was Jam­mern nun wirk­lich ist. Denn wäh­rend jeder Mann manch­mal jam­mert, will kei­ner ein Jam­me­rer sein. Wo also zieht man die Grenze?

* Ech­tes Jam­mern ist kindisch.

Jam­mern ist ein Schrei nach Sym­pa­thie für sich selbst, wie aus dem Mund eines Babys. Es sagt “Ich kann nicht, weil…” und demons­triert Hilf­lo­sig­keit und Macht­lo­sig­keit, weil es kei­ne Ver­ant­wor­tung dafür über­nimmt, sei­ne eige­ne Lage zu ändern.

Es gibt legi­ti­me Sor­gen im Leben, und es gibt legi­ti­me Grün­de, Auf­merk­sam­keit für sei­ne eige­nen Schwie­rig­kei­ten ein­zu­for­dern. Manch­mal steht man tat­säch­lich mäch­ti­gen Kräf­ten und grö­ße­ren Hin­der­nis­sen auf dem eige­nen Weg gegen­über. Der Unter­schied zwi­schen Gejam­mer und der Aner­ken­nung eines Pro­blems ist, daß der Mann, der ein Pro­blem aner­kennt, auch zeigt, daß er alles tut, was in sei­ner eige­nen Kraft liegt, um das Hin­der­nis zu über­win­den oder das Bes­te dar­aus zu machen. (…)

* Die sach­li­che Beschrei­bung eines Pro­blems ist kein Jammern.

Außer, wenn dabei man um etwas bit­tet. Sym­pa­thie ist etwas. Und Bit­ten ist Betteln.

* Ein Ruf zu den Waf­fen ist kein Jammern.

Wenn man ein Hin­der­nis iden­ti­fi­ziert und man ver­sucht, ande­re, die vor dem­sel­ben Hin­der­nis ste­hen, dazu zu bewe­gen, gemein­sam dage­gen zu kämp­fen, dann über­nimmt man Ver­ant­wor­tung dafür, die Umstän­de zu ver­än­dern. Die­je­ni­gen, die das Hin­der­nis geschaf­fen haben oder davon pro­fi­tie­ren, mögen das als Jam­mern bezeich­nen, aber sie ver­tei­di­gen bloß ihre eige­nen Inter­es­sen, indem sie dei­ne Ein­wän­de zurückweisen.

* Ech­tes Jam­mern ist selbstbezogen.

Ech­te Jam­me­rer sche­ren sich nicht dar­um, daß ande­re Men­schen auch Pro­ble­me haben. Jam­me­rer sind über­trie­ben auf ihre eige­nen Pro­ble­me fixiert. Dazu fällt mir fol­gen­der Abschnitt über das Nach­kriegs­ja­pan aus dem Buch “Geständ­nis­se eines Yaku­za” ein:

In die­ser Welt gab es eini­ge Din­ge, über die man ein­fach nicht sprach. Eines davon war “Ich habe Hun­ger”; ande­re “Mir ist kalt” oder “Mir ist heiß”.  Was den Hun­ger betraf, so saßen sie alle in dem­sel­ben Boot, und es gab eine Art Wett­be­werb, wer es am längs­ten aus­hielt. Wenn einer der Män­ner, die dort her­um­stan­den, sich beschwer­te, daß er hung­rig sei, dann wur­de er als Außen­sei­ter behan­delt, als Wasch­lap­pen, der nicht den Mut hat­te, es aus­zu­hal­ten. Sie kamen sel­ber kaum durch, und wenn nun noch einer ange­fan­gen hät­te,  übers Essen zu spre­chen, das hät­te das Maß voll gemacht.

Nie­mand will von dei­nen Pro­ble­men hören, beson­ders, wenn sie alle in dem­sel­ben Boot ste­cken. Sich gegen­sei­tig zu bemit­lei­den ist ein unwür­di­ger, aber ver­ständ­li­cher Zug der mensch­li­chen Natur. Ein­sei­ti­ges Jam­mern in der Gegen­wart ande­rer, die das­sel­be (oder schlim­me­re) Pro­blem haben, ist auf­dring­lich.

* Auf die Pro­ble­me ande­rer hin­zu­wei­sen, ist defi­ni­tiv kein Jammern.

Es ist unmög­lich, für jemand anders zu jam­mern. Sei­ne Stim­me zu erhe­ben, um ech­te oder wahr­ge­nom­me­ne Unge­rech­tig­kei­ten zu kor­ri­gie­ren, ist eine noble Ges­te – oder zumin­dest der Ver­such dazu. Die ande­ren mögen dei­nen Zie­len, dei­nen Mei­nun­gen, dei­ner Logik oder dei­ner Ein­schät­zung der Situa­ti­on nicht zustim­men – aber wenn sie dich beschul­di­gen, wegen eines ande­ren zu jam­mern, dann ver­die­nen sie es nicht, daß man sie ernst nimmt.

Wenn man in der Ver­gan­gen­heit Unge­rech­tig­kei­ten zu ertra­gen hat­te und sie über­wun­den hat, und sei­ne Geschich­te öffent­lich erzählt, um ande­ren zu hel­fen, die vor den­sel­ben Schwie­rig­kei­ten ste­hen, dann ist auch das kein Jammern.

Manch­mal frei­lich die­nen altru­is­ti­sche Absichts­er­klä­run­gen als Fas­sa­de für die­je­ni­gen, die “Opfer-Pro­mi­nen­te” wer­den wol­len. Man­che Men­schen beu­ten Pro­ble­me aus oder erfin­den gar sie erst, um Auf­merk­sam­keit zu bekom­men. Wenn das der Fall ist, dann ist das weni­ger Jam­mern als zynisch, oppor­tu­nis­tisch und unehrenhaft.

* Sozi­al­kri­tik ist kein Jammern.

Sozi­al­kri­tik ist Sozialkritik.

Auf den Punkt gebracht, ist Sozi­al­kri­tik, zu sagen: “Das hier ist ein Mist, und aus die­sem und jenem Grund ist es ein Mist, und dar­um möch­te ich, daß sich das ändert, damit sich unse­re Gesell­schaft ver­bes­sern kann.”

Jam­mern dage­gen wäre: “Das hier ist Mist, der mich betrifft, und dar­um möch­te ich, daß ihr Mit­leid emp­fin­det und euch um mich kümmert.” 

Es ist wich­tig, daß man lernt, legi­ti­me Jam­mer-Vor­wür­fe zu unter­schei­den von einer gene­rel­len Zickig­keit in eige­ner Sache, von knie­wei­chen Reak­tio­nen und Ver­su­chen, eine Debat­te zu ersti­cken oder zu mani­pu­lie­ren.  Nicht alle Jam­mer-Vor­wür­fe sind gleich­viel wert, und zu begrei­fen, wann man den Mist ande­rer Leu­te von sich abper­len las­sen muß, erlaubt einem, sei­ne Ener­gie in pro­duk­ti­ve­re Wege zu leiten.

Quel­le: On Whi­ning.

Wei­te­re Tex­te: Jack Dono­van auf Alter­na­ti­ve Right und The Spear­head.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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