Diese Position vertritt er auch in einem Interview für das Manager-Magazin, online veröffentlicht am 09.06.2010.
In seiner Argumentation führt von Weizsäcker einen höchst bemerkenswerten Aspekt an, in dem er von einem vorhandenen „Kapitaldruck“ durch private Vermögen spricht, hervorgerufen unter anderem aus dem Wunsch, Geld für die Versorgung im Alter zurückzulegen. Staatsschulden seien zugleich auch privates Vermögen. Denn wenn jemand Geld anlegen wolle, müsse es ja auch jemanden geben, der es annehme, also Schulden aufnehme. In letzter Instanz sei das der Staat. Von Weizsäcker spitzt das in der Pointe zu, daß ein gewisses Maß an Staatsverschuldung sozusagen eine staatliche Dienstleistung für alle privaten Sparer sei.
Welche Dimension hat dieser „Kapitaldruck“ durch private Geldvermögen, von dem von Weizsäcker spricht ? Passend dazu eine Meldung im Finanzteil der FAZ vom 11. 6.2010, die eine Studie der Boston Consulting Group zitiert, wonach die weltweiten privaten Geldvermögen zum Jahresende 2009 in etwa wieder das Rekordniveau des Jahres 2007 erreicht hätten und dabei etwa 111.500 Milliarden (eine Zahl mit 15 Stellen !) Dollar betragen sollen.
Zum Vergleich die deutschen Verhältnisse: Ende 2007 betrug in Deutschland das private Geldvermögen etwa 4.600 Milliarden Euro, das nun in etwa wieder erreicht wurde. Das ist etwa das 2,7‑fache der deutschen Staatsverschuldung von Staat, Ländern und Kommunen von derzeit knapp 1.700 Milliarden Euro, und das 14-fache des voraussichtlichen Bundeshaushalts 2010 von knapp 330 Milliarden Euro.
Um bei Deutschland zu bleiben, ein privates Geldvermögen von 4.600 Milliarden Euro, eingelegt etwa in Geldkonten, Lebensversicherungen und Wertpapieren, sucht über die diese Gelder verwaltenden Unternehmen und Institute nach Anlageformen, die zu (Zins-)Erträgen führen sollen. Bei der Höhe dieser Summe wie von Weizsäcker von „Kapitaldruck“ zu sprechen, erscheint wirklich nicht übertrieben.
Der Staat soll nach von Weizsäcker einen Teil dieses weiter wachsenden Privatvermögens weiter als Darlehen nehmen. Eine nette Idee, sollen mit diesen Schulden doch neue Investitionen und neuer Konsum realer Güter finanziert werden und damit die Konjunktur angekurbelt werden. Alles nicht so schlimm mit der Verschuldung, sagt von Weizsäcker, solange die realen, durch Inflation bereinigten Kapitalzinsen so niedrig wie in den vergangenen 15 Jahren bleiben.
Aber auch in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich das private Geldvermögen dynamisch entwickelt. So lag dieses 1991, im 1. Jahr nach der Deutschen Einheit, bei ungefähr 2.200 Milliarden Euro, es hat sich also in 16 Jahren bis 2007 um das 2,3‑fache auf die bereits genannten 4.600 Milliarden Euro erhöht. Unterstellt man für diesen Zeitraum eine jährlich gleich große Wachstumsrate für dieses private Geldvermögen, so muß diese nach der Zinseszinsrechnung im vorliegenden Fall rund 5,4 % betragen. Das heißt, zusätzliche Sparbeträge und die Verzinsung des bereits vorhanden Vermögens sind nominal, also unbereinigt um den inflationsbedingten Kaufkraftverlust, um jährlich 5,4 % gewachsen.
Um einen Teil dieses wachsenden Geldvermögens aufzunehmen, muß sich irgendwer weiter verschulden, wie wir aus den Überlegungen von Weizsäckers wissen, denn Investitionen in Unternehmensanteile sind auch nur in begrenztem Umfang möglich. Andererseits: Geld birgt das Versprechen, es jederzeit gegen ein reales Gut oder eine Dienstleistung eintauschen zu können. Nun ist es aber so, daß die Mengen realer Güter oder abrufbarer Dienstleistungen in der Wirtschaft weit geringer gewachsen sind und wachsen als die oben errechneten Zuwächse jährlichen Geldvermögens, mit anderen Worten: Das Verhältnis von Geldvermögen zu realen Gütern strebt immer weiter auseinander. Das kann jedoch nicht beliebig so weitergehen.
Beobachten wir derzeit nur eine Finanzkrise oder bereits eine Systemkrise ?
Hendrik Brödenfeld
Auch die DDR verzeichnete einen stetig wachsenden Überhang an Ersparnissen, denen nur eine recht bescheidene Warenfülle gegenüberstand. Den allseits bekannten Kaufkraftüberhang versuchte man verzweifelt abzuschöpfen, indem man überteuerte Konsumprodukte kreierte ( Farbfernseher für 6000 Mark, Autos primitivster Bauart ab ca 13.000 Mark). Das waren damals vollkommen irrsinnige Preise, wo nur Spitzenverdiener über 1000 Mark netto hatten. Ein geflügelter Witz aus der späten DDR: Was ist der Unterschied zwischen dem neuen "Wartburg" und einem Mercedes? Antwort: Der Mercedes kostet 500 Mark mehr.
Das bankrotte System wurde irgendwie noch durch die 80er Jahre geschleppt (dem Westen sei Dank), bis 1989 wirklich gar nichts mehr ging. Auch ohne politische Wende wäre die DDR 1990 gezwungen gewesen, den wirtschaftlichen Offenbarungseid zu leisten.