Anekdote zur umgekehrten Integration

Die Fernseh-Reportage "Kampf in Klassenzimmer" anzusehen, war mir beinahe unerträglich. Er hat mir jedenfalls bestätigt,...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

was ich an die­ser Stel­le schon mehr­fach bemerkt habe: daß der Begriff “Inte­gra­ti­on” inzwi­schen in bei­nah Orwell­scher Manier sei­ne Bedeu­tung ver­kehrt hat.

Das hat in ers­ter Linie damit zu tun, daß der deut­sche Staat kein ver­bind­li­ches Ziel der dau­er­be­schwo­re­nen “Inte­gra­ti­on” mehr ken­nen will (das natür­lich nur die Nati­on sein kann), womit der Begriff zur tau­to­lo­gi­schen Schlei­fe gewor­den ist.  Die (logi­sche) Fol­ge hat Micha­el Paul­witz auf den Punkt gebracht: “Wei­gert sich die Auf­nah­me­ge­sell­schaft aus Schwä­che, eine Leit­kul­tur vor­zu­ge­ben, wird die­ses Macht­va­ku­um von ande­ren gefüllt.”

Einen ers­ten Ein­blick in die­sen Pro­zeß der umge­kehr­ten “Inte­gra­ti­on” bekam ich vor etwa fünf Jah­ren auf einer Kreuz­ber­ger WG-Ein­wei­hungs­fei­er. Ich kam ins Gespräch mit einer etwa 22jährigen Ber­li­ne­rin, die gera­de eine hand­werk­li­che Leh­re absol­vier­te. Es muß im Herbst 2005 gewe­sen, jeden­falls noch vor der epo­cha­len Fuß­ball-WM vom Fol­ge­jahr. “Ich bin hier gebo­ren, aber ich kann hier nicht mehr blei­ben. Ich kann mir aber nicht vor­stel­len, in irgend­ei­ner ande­ren deut­schen Stadt als Ber­lin zu leben.  Ich glau­be, ich wer­de aus Deutsch­land weg­ge­hen, viel­leicht nach Spa­ni­en”, erzähl­te sie. “War­um?” -“Weil Deutsch­land so ein trau­ri­ges Land ist.”

Sie selbst sah in der Tat trau­rig und ver­drückt aus, als sie das sag­te. – “Wie­so denkst du das?” – “Willst du wis­sen, was ich für die Grün­de hal­te?” – “Ja, bit­te.” – “Ers­tens weil es soviel Arbeits­lo­sig­keit gibt. Zwei­tens weil die Kin­der in der Schu­le immer noch mit dem Zwei­ten Welt­krieg belas­tet wer­den. Und drit­tens, weil die Deut­schen sich nicht über sich selbst freu­en dürfen.”

Auf die­se drei Punk­te grei­fe ich seit­her immer wie­der zurück, um mög­lichst ein­fach und grif­fig zu illus­trie­ren, was ich für den Mini­mal­kon­sens einer drin­gend gebo­te­nen, nicht-lin­ken Poli­tik erach­te, die ich an die­ser Stel­le bewußt weder “kon­ser­va­tiv” noch “rechts” noch “natio­nal­kon­ser­va­tiv”, und was es da alles noch so gibt, nen­nen möch­te. Denn es geht nicht um par­ti­ku­lä­re Inter­es­sen, son­dern um das Ganze.

Um den letz­te­ren Punkt zu erläu­tern, erzähl­te sie Anek­do­ten aus ihrem Bekann­ten­kreis, wie sie mehr­fach ange­macht wur­de, weil sie sich eine Jacke mit einem Auf­nä­her gekauft hat­te, der den Ber­li­ner Fern­seh­turm mit schwarz­rot­gol­de­ner Umran­dung zeig­te, womit sie ein Stück Lokal­pa­trio­tis­mus demons­trie­ren woll­te. Der Turm sei ja in Ord­nung, aber das Schwarz-Rot-Gold? Nun kam sie aber zum emo­tio­na­len Kern ihres Pro­blems: eine ihrer Schwes­tern hat­te eben­falls wegen des Auf­nä­hers einen Streit vom Zaun gebro­chen: “Damit habe ich ein Pro­blem, war­um trägst du das?”

Die­se Schwes­ter nun hat­te einen Kur­den gehei­ra­tet und war zum Islam übergetreten.“Du darfst doch auch eine kur­di­sche Flag­ge tra­gen!” – “Das ist etwas ande­res!” Die Schwes­ter leg­te allen Über­ei­fer der Kon­ver­ti­ten an den Tag, trug nur mehr Kopf­tuch, schüt­tel­te ande­ren Män­nern als ihrem Ehe­mann nicht mehr die Hand, schimpf­te gegen die “Ungläu­bi­gen” und ver­such­te, die ver­blie­be­ne deut­sche Fami­lie zu bekeh­ren. Die bei­den Kin­der aus der Ehe mit dem Kur­den wur­den reli­gi­ös erzo­gen, von einem zustän­di­gen Men­schen beschnit­ten und in einen aus­schließ­lich kur­di­schen Kin­der­gar­ten geschickt.  Die Kon­flik­te mit der eige­nen Fami­lie wur­den immer hef­ti­ger – immer­hin waren schon die Groß­el­tern der bei­den Schwes­tern aus einem “gekipp­ten” Vier­tel an die Rän­der Ber­lins gezo­gen. Schließ­lich kapp­te die kon­ver­tier­te Schwes­ter jeg­li­che Ver­bin­dung zu ihrem Familienangehörigen.

All dies hat­te auf mei­ne Gesprächs­part­ne­rin offen­bar einen tief­grei­fen­den, ja trau­ma­ti­schen Ein­druck gemacht. Sie begann, sich mit islam­kri­ti­scher Lite­ra­tur ein­zu­de­cken, vor allem Aya­an Hir­si Alis berühm­tes “Plä­doy­er für die Befrei­ung der mus­li­mi­schen Frau­en”, “Ich kla­ge an” hat­te es ihr ange­tan. An ihrer Aus­bil­dungs­stel­le wur­de sie prompt wegen ihrer Lek­tü­re ange­fein­det und schief ange­se­hen. Was sie nicht begrei­fen konn­te: Wie­so hat sich ihre Schwes­ter die­ser Welt frei­wil­lig unter­wor­fen? Sie hat­te dazu eine Theo­rie: Sie war immer schon ein unsta­bi­ler Cha­rak­ter und ein Pro­blem­kind gewe­sen, zum Teil eine patho­lo­gi­sche Lüg­ne­rin.  Der Islam mit sei­nen stren­gen, unum­stöß­li­chen Regeln gäbe ihr nun end­lich Halt und eine Identität.

Was auch immer an per­sön­lich über­stei­ger­ter Patho­lo­gie hin­ein­ge­spielt haben mag: Der Zusam­men­hang zwi­schen Iden­ti­täts­schwä­che, natio­na­lem Selbst­haß, Wer­te- und Struk­tur­ver­fall und der Assi­mi­la­ti­on in die ande­re Rich­tung, die mehr Fes­tig­keit ver­spricht, liegt auf der Hand.  Ohne jemals die JF oder ähn­li­ches in der Hand gehabt zu haben, war mei­ne Gesprächs­part­ne­rin ganz von selbst auf die­se Zusam­men­hän­ge gesto­ßen. Ein Jahr spä­ter tauch­ten die­se vier Punk­te in ver­blüf­fen­der Offen­heit in dem TV-Film “Wut” wie­der auf, auch die­ser bezeich­nen­der­wei­se von einem Tür­ken insze­niert, aller­dings von einem Deut­schen Jahr­gang 1955 geschrieben.

Wenn auch sol­che Fäl­le wie der­je­ni­ge der kon­ver­tier­ten Schwes­ter noch nicht all­zu häu­fig sind, sind sie beun­ru­hi­gen­de Sym­pto­me, die man früh genug ernst neh­men muß. Das löst natür­lich Angst aus und führt zu gro­tes­ken Abwehr­ma­nö­vern, in denen mal wie­der der Ele­fant im Zim­mer geleug­net wird. Über eine frü­he­re Repor­ta­ge der “Kampf im Klas­sen­zim­mer”-Mache­rin Güner Bal­ci aus Neu­kölln berich­te­te Chris­ti­an Dorn:

Bezeich­nend war denn auch die ver­drucks­te Anmo­de­ra­ti­on, in der aus­drück­lich davor gewarnt wur­de, „die­sen Bei­trag unter deutsch­na­tio­na­lem Blick­win­kel“ anzu­schau­en. „Dann“, droh­te Mode­ra­to­rin Anja Resch­ke, „wären Sie in guter Gesell­schaft mit der NPD.“ Es gehe hier nicht um Natio­na­li­tä­ten, son­dern um eine geschei­ter­te Integration.

Frei nach dem Mot­to “Den­ke jetzt nicht an einen rosa Ele­fan­ten”, mit­samt dem wohl­fei­len, zu “Cri­me­stop”-Zwe­cken auf­ge­fah­re­nem NPD-Vogel­scheu­chen-Warn­schild. Das belei­digt nicht nur die Intel­li­genz. Wie lan­ge soll das noch gut­ge­hen? Ala­dags “Wut” oder Peckin­pahs Klas­si­ker “Straw Dogs” haben es fil­misch vor­ge­führt, Ernst Jün­ger in sei­nem Essay “Über den Schmerz” beschrie­ben: Wer die Kon­fron­ta­ti­on aus Feig­heit hin­aus­schleppt, wird sie nicht los, son­dern um ein Viel­fa­ches mul­ti­pli­ziert und mit gestei­ger­ter Här­te zurück­be­zahlt bekom­men. Das gol­de­ne Zeit­al­ter von Ras­sen­haß, Völ­ker­haß und Into­le­ranz liegt noch vor uns, nicht hin­ter uns, und die Ver­ant­wor­tung dafür wer­den die Beschwich­ti­ger, die Heuch­ler, die “Bunt­re­pu­bli­ka­ner”,  die Mul­ti­kul­tu­ra­lis­ten und die Unent­schlos­se­nen tragen.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.