30 Jahre Laibach (II)

Noch ein paar Anmerkungen zum 30-Jahres-Jubiläum von Laibach, als deren Fan ich mich neulich in diesem Blog bekannt habe.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Seit ihrer Grün­dung im Jahr 1980 hat sich nicht nur die Welt, son­dern auch die Grup­pe stark ver­än­dert (musi­ka­lisch eher zu ihren Unguns­ten), von deren Ori­gi­nal­be­set­zung zur Zeit eigent­lich nur noch Front­mann Milan Fras und Ivan Novak übrig­ge­blie­ben sind.

In einem gewis­sen Sin­ne ist die slo­we­ni­sche For­ma­ti­on seit zwei Jahr­zehn­ten nur mehr ein Recy­cler ihres eige­nen Mythos, des­sen Wir­kungs­macht eben eng ver­knüpft war mit dem Ent­ste­hungs­kon­text des Pro­jekts im post-titois­ti­schen Jugo­sla­wi­en (1980 war auch das Todes­jahr des kul­tisch ver­ehr­ten Staats­prä­si­den­ten, damit auch das Jahr, in dem der durch Blut und Eisen zusam­men­ge­schus­ter­te Viel­völ­ker­staat lang­sam aus­ein­an­der­zu­brö­ckeln begann).

Schon die Wahl des deut­schen Namens für Ljublja­na war eine geziel­te Pro­vo­ka­ti­on der dama­li­gen jugo­sla­wi­schen Auto­ri­tä­ten. Die­se waren nun in den Acht­zi­ger Jah­ren bereits lax und vom libe­ra­len Rücken­mark­schwund befal­len genug (in der DDR wur­de zur glei­chen Zeit jede harm­lo­se Ama­teur-Punk-Com­bo von der Sta­si platt­ge­macht), daß die Band sich mühe­los als “tota­li­tä­rer” als das herr­schen­de Regime insze­nie­ren konn­te, “päpst­li­cher als der Papst” sozu­sa­gen. In der Art und Wei­se, wie es Lai­bach taten, woll­te der Staat zu die­sem Zeit­punkt eigent­lich gar nicht mehr beschwo­ren und glo­ri­fi­ziert werden.

In Slo­we­ni­en und Kroa­ti­en hat­te man es zu einem rela­ti­ven Wohl­stand gebracht, und wenig ahn­te man von dem ver­hee­ren­den Krieg, der nur ein Jahr­zehnt spä­ter aus­bre­chen soll­te. Um 1983 her­um waren Laib­achs mar­tia­li­sche Beschwö­run­gen und Über-Empha­sen der alten kom­mu­nis­ti­schen Kampf‑, Askese‑, Auf­op­fe­rungs- und Hau­ruck-Rhe­to­rik, unter­malt mit auf­peit­schen­der Krach­mu­sik, pein­lich, unheim­lich, irri­tie­rend, angrif­fig. Der ästhe­ti­sche Mix aus kom­mu­nis­tisch-sta­li­nis­ti­schen mit faschis­ti­schen und natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ele­men­ten, der sich in der Mit­te der Deka­de noch ver­stär­ken soll­te, wirk­te natür­lich zusätz­lich sub­ver­siv, und dekon­stru­ier­te durch Annä­he­rung und Amal­ga­mie­rung den “anti­fa­schis­ti­schen” Mythos der kom­mu­nis­ti­schen Ideo­lo­gie. Lai­bach atta­ckier­ten indi­rekt den sozia­lis­ti­schen Staat, indem sie ihn schein­bar von rechts über­hol­ten, und ihn in Bezie­hung setz­ten zum feind­li­chen Bru­der Nationalsozialismus.

In einem berüch­tig­ten frü­hen TV-Auf­tritt setz­te sich die Grup­pe mit sinis­trer Beleuch­tung, blan­ken Stie­feln, unde­fi­nier­ba­ren Uni­for­men und Arm­bin­den mit schwar­zen Kreu­zen in Sze­ne, schwieg mit eiser­nen Mie­nen, wäh­rend der Front­mann die tri­bu­nal­ar­ti­gen Fra­gen des Inter­view­ers beharr­lich igno­rier­te, und statt­des­sen lan­ge, kom­pli­zier­te Mani­fes­te vor­las: “Lai­bach behan­delt die Bezie­hung zwi­schen Kunst und Ideo­lo­gie, die Span­nun­gen, die durch Expres­si­on sub­li­mi­niert wer­den. Dar­um wird jeder direk­te ideo­lo­gi­sche Dis­kurs eli­mi­niert. Unse­re Akti­vi­tät steht über direk­tem Enga­ge­ment… wir sind kom­plett unpo­li­tisch.” Und so wei­ter und so fort.  Zur sel­ben Zeit konn­te man im Jugo-TV Pop-Vide­os (sie­he hier, hier und hier) sehen, die sich in nichts von dem unter­schie­den, was gera­de im Wes­ten “in” war.

Mit dem Album Opus Dei von 1987 began­nen Lai­bach ihre berüch­tig­te Serie “faschi­sier­ter” oder auf “mar­tia­lisch” getrimm­ter Cover-Ver­sio­nen von popu­lä­ren Songs, für die sie am bes­ten bekannt sind (dar­un­ter Titel von den Beat­les, den Rol­ling Stones, Prin­ce, Sta­tus Quo und, als Meta-Pop-Witz, DAF). Fan­fa­ren und Trom­pe­ten, epi­scher Sound, mili­tä­risch stamp­fen­des Schlag­zeug, ins Deut­sche über­tra­ge­ne Tex­te und der for­ciert mar­ki­ge Gesang an der Gren­ze zur Selbst­par­odie (den spä­ter Ramm­stein kopier­ten) ver­frem­de­ten bekann­te Melo­dien auf eine ver­blüf­fen­de Weise.

Der Klas­si­ker schlecht­hin ist ihre Ver­si­on des Super­hits “Life is live” (“Nanana­na”) der öster­rei­chi­schen Grup­pe Opus, der damals in den Dis­ko­the­ken welt­weit ad nau­seam rauf und run­ter lief.  Zusam­men mit dem Video, in dem Lai­bach durch die Ber­ge stap­fen und vor monu­men­ta­len Was­ser­fäl­len posie­ren, vol­ler zur Schau getra­ge­nem Sen­dungs­be­wußt­sein und mit kul­ti­schem Ges­tus, hat­te das einen ganz beson­de­ren Touch, der die Grup­pe von nun an defi­nie­ren sollte.

Der Reiz ergibt sich aus dem Inein­an­der von ver­schie­de­nen wider­sprüch­li­chen Kom­po­nen­ten: einer­seits han­delt es sich hier­bei natür­lich offen­sicht­lich um einen schrei­end komi­schen Witz und um bewußt auf die Spit­ze getrie­be­nen Camp. Ande­rer­seits hat es auch eine hin- und mit­rei­ßen­de Wir­kung: der cha­ris­ma­ti­sche, kraft­strot­zen­de Sän­ger mit dem Schnauz­bart, der selt­sa­men Wüs­ten­le­gio­närs-Kopf­be­de­ckung und dem schmu­cken Alpen-Trach­ten-Out­fit vor der Kulis­se schnee­be­deck­ter Gip­fel und rück­wärts (!) strö­men­der Was­ser­flu­ten – das geht weit über den blo­ßen “dekon­struk­ti­ven” Gag hin­aus. Die hero­isch-teu­to­ni­sche Ästhe­tik wird eben­so zele­briert wie iro­ni­siert. Es ist komisch und par­odis­tisch, aber eben auch – geil.

Lai­bach demons­trier­ten, wie mit weni­gen Hand­grif­fen ein bana­ler Pop­song einen “faschis­ti­schen” Sound und Sub­text erhal­ten kann. In der Alter­na­tiv-Ver­si­on “Leben heißt Leben” haben sie den eng­li­schen Ori­gi­nal­text ein­ge­deutscht und nur gering­fü­gig verändert:

When we all give the power
We all give the best
Every minu­te of an hour
Don’t think about the rest
Then you all get the power
You all get the best
When ever­yo­ne gives everything…

Wann immer wir Kraft geben,
geben wir das Beste,
All unser Kön­nen, unser Streben
und den­ken nicht an Feste,
Von jedem wird alles gegeben,
und jeder kann auf jeden zählen,
Leben heißt Leben!

Life is life, when we all feel the power
Life is life, come on, stand up and dance
Life is life, when the fee­ling of the people
Life is life, is the fee­ling of the band!

Leben heißt Leben -
Wenn wir alle die Kraft spüren!
Leben heißt Leben -
Wenn wir alle den Schmerz fühlen!
Leben heißt Leben!
Heißt die Men­gen erleben
Leben heißt Leben -
Heißt das Land erleben…

Auf ana­lo­ge Wei­se ver­wan­del­ten Lai­bach  “One Visi­on” von Queen zu “Geburt einer Nati­on”, der einen ähn­li­chen “Klassiker”-Status wie “Life is live” hat. Da muß­te der Text ledig­lich wört­lich über­setzt werden.

One man, one goal
One mission,
One heart, one soul
Just one solution,
One flash of light
One God, one vision
One fle­sh, one bone,
One true religion,
One voice, one hope,
One fle­sh one bone
One true religion
One race, one hope
One real decision
Wowo­wo­wo oh yeah oh yeah oh yeah

Ein Mensch – ein Ziel
und eine Weisung.
Ein Herz – ein Geist,
nur eine Lösung.
Ein Bren­nen der Glut.
Ein Gott – ein Leitbild.

Ein Fleisch – ein Blut,
ein wah­rer Glaube.
Eine Ras­se, ein Traum,
und ein star­ker Wille
Gebt mir ein Leit­bild! Ja, Ja, Jawoll, Jaaa!!

Und nun sehe man sich an, wie Queen 1985 in Rio de Janei­ro ein Sta­di­on mit zig­tau­send Men­schen zum Mit­stamp­fen von “We will rock you” brin­gen, wäh­rend Front­mann Fred­die Mer­cu­ry mit nack­tem, mus­ku­lö­sem Ober­kör­per, in einen Uni­on Jack gehüllt, vor den Mas­sen auf und ab gockelt und sie dabei beherrscht wie ein schril­ler Glamrock-Mussolini:

Lai­bach haben also natür­lich auch die unter­ir­di­schen Bezie­hun­gen zwi­schen Pop als Mas­sen­phä­no­men und tota­li­tä­ren Mas­sen­be­we­gun­gen ange­spro­chen, die schon David Bowie in den Sieb­zi­gern in das berüch­tig­te Bon­mot “Hit­ler war der ers­te Pop­star” faß­te. Man kann auch an Jean Genet den­ken, der ein­mal bemerk­te, der Faschis­mus sei “essen­tiel­ment” Theater.

Im Pop ist es auch kein not­wen­di­ger Wider­spruch, eine Pose aus­gie­big zu genie­ßen und abzu­fei­ern, und gleich­zei­tig ihre Künst­lich­keit und ihren augen­zwin­kern­den Show­cha­rak­ter zu beto­nen. Man den­ke etwa an die prunk­vol­len Phan­ta­sie-Uni­for­men und den Erlö­ser­ges­tus von Micha­el Jack­son. Rock­stars befrie­di­gen in demo­kra­ti­schen Zei­ten tief sit­zen­de mon­ar­chi­sche Bedürf­nis­se, sind in ihren Wel­ten Köni­ge, Abso­lu­tis­ten, Mes­si­ase, Dik­ta­to­ren, Fabel­tie­re, die die Hul­di­gun­gen der Fan­mas­sen ent­ge­gen­neh­men, über die sie Kraft ihrer Kunst herr­schen, und die sich ihrer­seits wil­lig dem regres­siv-won­ni­gen Rausch der Fan-Volks-Gemein­schaft hingeben.

In Umkeh­rung zu Genet läßt sich fra­gen, inwie­fern die Kana­li­sie­rung “tota­li­tä­rer” Ver­satzsstü­cke und Ansprü­che in eine Büh­nen­show und ein Kunst­pro­dukt wie den NSK-“Staat”, das, was Armin Moh­ler die “monu­men­ta­le Unter­näh­rung” nann­te, gleich­sam ent­po­li­ti­sie­ren, ent­schär­fen und auf einer rein ästhe­ti­schen Ebe­ne befrie­di­gen kann. Denn wären Lai­bach auf rei­ne Par­odie und Dekon­struk­ti­on aus gewe­sen, wäre ihr Appeal nicht so stark und dau­er­haft gewesen.

Mir schien es jeden­falls eher immer so, daß Lai­bach, sobald sie von den west­li­chen Intel­lek­tu­el­len nach einer gewis­sen Irri­ta­ti­ons­pha­se als “Kunst” akzep­tiert wur­den, auch ein Ven­til für jene boten, die end­lich ein­mal guten Gewis­sens ihren lang ver­dräng­ten “inne­ren Faschis­ten” aus­le­ben woll­ten. Wenn die Grup­pe Mit­te der Neun­zi­ger in Wien auf­trat, dann waren die Kon­zer­te voll mit Lesern von alter­na­tiv­hip­pen links­li­be­ra­len Blät­tern wie Stan­dard und Fal­ter, die nun die unter­drück­te Fascho-Sau raus­las­sen konn­ten und mit aus­ge­streck­tem rech­ten Arm der Büh­ne ent­ge­gen­sa­lu­tier­ten: “Und dann fei­ern wir Ver­ei­ni­gung, die gan­ze Nacht! Jawollll, Jaaaa!!” Und in der dama­li­gen Gothic-und Wave-Nacht im Wie­ner U4 konn­te man schon mal erle­ben, daß sich zu “Life is Live” spon­tan gan­ze Marsch­for­ma­tio­nen auf der Tanz­flä­che bil­de­ten, die im Gleich­schritt zu tan­zen begannen.

Ich habe mich oft gefragt, wie sehr die hys­te­ri­sche Kon­ta­mi­na­ti­ons­angst man­cher Zeit­ge­nos­sen vor riefenstahl’scher oder speer’scher Ästhe­tik auf einer unein­ge­stan­de­nen Fas­zi­na­ti­on beruht, die man in streng puri­ta­ni­scher Wei­se nicht ein­mal vor sich sel­ber zuzu­ge­ben wagt. Mit Sicher­heit spü­ren aber sehr vie­le Men­schen immer noch die spe­zi­fi­sche Anzie­hungs- und Sug­ges­ti­ons­kraft die­ser Bil­der, die offen­bar tief­sit­zen­de, unaus­rott­ba­re Gefüh­le anspre­chen. Oder wie ein Sozio­lo­ge in den Sieb­zi­ger Jah­ren, des­sen Namen mir ent­fal­len ist, ein­mal sinn­ge­mäß und in anpran­gern­der Absicht sag­te: Faschis­mus befrie­digt mensch­li­che Grund­be­dürf­nis­se. (Wenn das stimmt, was fol­gern wir dar­aus? Und was ist dann noch “Faschis­mus”?)

Mit dem Zer­fall des Ost­blocks ver­lo­ren Lai­bach den Rei­bungs­kon­text, in dem sie sich ursprüng­lich beweg­ten. Ihr Ansatz geriet zuneh­mend zur Masche, und man merk­te, daß sie nun mit Alben wie “Kapi­tal” (1992) und “Nato” (1994) auf der Suche nach neu­en zu unter­wan­dern­den Angriffs­flä­chen waren. (Der Libe­ra­lis­mus jedoch ist im Gegen­satz zum Natio­nal- und Inter­na­tio­nal­so­zia­lis­mus lei­der ein all­zu elas­ti­scher Geg­ner, der jede Oppo­si­ti­on wie ein Schwamm auf­zu­sau­gen ver­mag.) Das wirk­te dann ein wenig wie eine etwas ver­rä­te­ri­sche, weil dem undurch­sich­ti­gen Image der Band abträg­li­che Ideo­lo­gie-Revue, die aber mit der Metho­de Lai­bach nicht so recht zu kna­cken war.

Am wenigs­ten über­zeu­gend geriet dabei das Album “Jesus Christ Super­stars” (1996),  das sich nun dem “ideo­lo­gi­schen” Rah­men der Reli­gi­on wid­me­te und Milan Fras im Gewand eines Pil­gers oder Pre­di­gers prä­sen­tier­te.  Das war nun doch etwas zu ein­fach. “Tanz mit Lai­bach”, eine Art Remake des DAF-Hits “Tanz den Mus­so­li­ni” ging noch­mal “back to the roots”, aber wie die Nazistie­fel-Dau­er­schlei­fe in dem Video war das kaum mehr als ein alt­ge­wor­de­ner, auf der Stel­le tre­ten­der Witz.

Gelun­ge­ner (und bei wei­tem die inter­es­san­tes­te Ver­öf­fent­li­chung der letz­ten ein­ein­halb Jahr­zehn­te) war da schon das 2006er Album “Volk”, das aus­schließ­lich Inter­pre­ta­tio­nen von Natio­nal­hy­men ent­hielt. Das geschah mit quasi-“ethnopluralistischer” Ver­ve und einem Mini­mum an Iro­nie, trotz der Her­den­schäf­chen auf dem Cover. Hier ist die “dekon­struk­ti­ve” Absicht deut­lich zurück­ge­tre­ten, und hier zeigt sich auch, daß Lai­bach sich doch nicht so ein­fach in einen “lin­ken” Kul­tur­be­trieb ein­ge­mein­den und abha­ken las­sen, wie man­che vor­ei­lig beschwich­ti­gend meinen.

Dar­in schlie­ße ich mich dem Urteil von Domi­nik Tisch­le­der in der JF an:

Ganz ohne inter­pre­ta­to­risch dop­pel­ten Boden wird hier ein “Den­ken in Völ­kern” als pop­mu­si­ka­li­sches Pan­ora­ma ent­fal­tet. Natio­na­le Iden­ti­tät scheint als poli­ti­scher Fak­tor ers­ten Ran­ges identifiziert.Nicht zuletzt des­halb ist “Volk” ein intel­lek­tu­ell sti­mu­lie­ren­des Album gewor­den, bei dem die eigent­li­che Musik fast schon Neben­sa­che ist. Lai­bach selbst drü­cken es so aus: “Pop ist Musik für Scha­fe, und wir sind die als Schä­fer­hun­de ver­klei­de­ten Wölfe.”

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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