Friedrich Sieburg: “Die Lust am Untergang” – eine Rezension

pdf der Druckfassung aus Sezession 38 / Oktober 2010

Friedrich Sieburg: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene.
Mit einem Vorwort und einem Nachwort von Thea Dorn
Frankfurt a.M.: Eichborn 2010. 418 S., 32 €

Friedrich Sieburg (1893–1964) war der Edelstein, ja: ein Solitär der nichtlinken Nachkriegspublizistik. Wegen seiner unklaren Rolle in der NS-Zeit war er bis 1948 mit einem Publikationsverbot belegt. Wolf Jobst Siedler titulierte den konservativen Essayisten und Literaturkritiker der Nachkriegszeit einmal als »linksschreibenden Rechten«.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Sieburg war ein bril­lan­ter Sti­list, sei­ne Feder und Gedan­ken von einer gleich­sam elas­ti­schen Gespannt­heit; pol­tern­de Pole­mik war eben­so­we­nig sei­ne Sache wie der lang­wei­lig-dog­ma­ti­sche Duk­tus her­kömm­li­cher Kon­ser­va­ti­ver. Weni­ger aus Stur­heit denn mit wür­di­ger Gelas­sen­heit pfleg­te er sich zwi­schen jene Stüh­le zu set­zen, die die gesell­schaft­li­che Nach­kriegs­ord­nung bereit­hielt. Die gro­ßen Namen sei­ner Zeit zogen teils den Hut vor sei­nem Scharf­sinn (Tho­mas Mann schrieb in sei­nem Tage­buch, Die Lust am Unter­gang erin­ne­re ihn an sei­ne Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen), ande­re zahl­ten ihm harsch zurück, was er aus­teil­te: Kein ande­rer Lite­ra­tur­kri­ti­ker ging so erbar­mungs­los wie Sieburg mit den Ver­tre­tern der Grup­pe 47 ins Gericht.
Man mag nicht glau­ben, daß 56 Jah­re seit der Erst­ver­öf­fent­li­chung des vor­lie­gen­den Ban­des ver­gan­gen sind! Die Fra­gen, denen Sieburg sich hier in neun Kapi­teln (etwa »Die Kunst, Deut­scher zu sein«, »Vom Men­schen zum End­ver­brau­cher«) wid­met, lesen sich nicht als Rück­blick auf Gefech­te von ges­tern. Sie sind noch eben­so­gut unse­re The­men: Iden­ti­täts­su­che, Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, Kon­sum­wahn, die Gren­ze zwi­schen Pri­vat­heit und Öffent­lich­keit. Auch wo sei­ne Ange­le­gen­hei­ten ein­mal der unmit­tel­ba­ren Aktua­li­tät ent­beh­ren – etwa in sei­ner bemer­kens­wer­ten Replik auf Cur­zio Mala­par­te (d.i. K.E. Suckert) oder in sei­nen Ein­las­sun­gen zum Ver­lust der Ost­ge­bie­te – nickt man stau­nend. Ohne Twit­ter oder Ryan Air gekannt zu haben, spot­tet Sieburg über »das Manage­ment des Ver­gnü­gens«, die »Mecha­ni­sie­rung der Frei­zeit«. Er mein­te damit – wie beschei­den aus heu­ti­ger War­te! – »Betriebs­aus­flü­ge an den Comer See« und Klas­sen­fahr­ten in die Alpen. »Der Vor­schlag, die Kin­der soll­ten an der Nid­da Blu­men suchen, wür­de heu­te auf allen Sei­ten gro­ße Hei­ter­keit her­vor­ru­fen.« Für Sieburg waren die Deut­schen »ein Volk ohne Mit­te«: »Im Deut­schen, so glaub­te die Welt ges­tern noch, ist mehr Explo­siv­stoff ange­häuft als in jedem ande­ren Erden­be­woh­ner. Hat sich die­se Ansicht geän­dert, sind beim Anblick des flei­ßi­gen und lamm­from­men Bun­des­deut­schen, der sogar den Kar­ne­val straff orga­ni­siert und wirt­schafts­be­wußt dem Kon­sum dienst­bar macht, der das Wort Euro­pa dau­ernd im Mund führt, (…) den kein Auf­marsch mit Fah­nen mehr aus sei­nem Wochen­end­haus, sei­nem Falt­boot und Volks­wa­gen her­aus­lo­cken kann, der nur noch zu den Ver­tre­tern ver­sun­ke­ner Fürs­ten­häu­ser und zu Film­stars auf­schaut, der einen har­mo­ni­schen Bund zwi­schen Preu­ßen­tum und Nacken­fett ein­ge­gan­gen ist, (…) der vom Golf von Nea­pel bis zum Nord­kap die schnells­ten Wagen fährt, sich in Capri bräu­nen läßt (…), der sich aus Ord­nungs­sinn mit der abs­trak­ten Kunst und dem Nihi­lis­mus beschäf­tigt – sind, so fra­ge ich, beim Anblick die­ses Mus­ter­kna­ben, der sich in der Schu­le der Demo­kra­tie zum Pri­mus auf­ar­bei­tet, alle Ängs­te und miß­traui­sche Befürch­tun­gen ver­schwun­den? Ich ant­wor­te, nein.«
Sieburg, der Fran­ko­phi­le, lieb­te sei­ne Hei­mat und litt an ihr, an die­sem Volk, das sich nun in einer Müdig­keit und Geschichts­lo­sig­keit zei­ge, »die mit einer nie dage­we­se­nen Nüch­tern­heit« gepaart sei. »Nur der Deut­sche schwärzt sei­nen Lands­mann bei Frem­den an, nur der Deut­sche ver­stän­digt sich lie­ber mit einem Exo­ten als mit einem poli­ti­schen Geg­ner eige­nen Stam­mes (…), nur der Deut­sche ver­leug­net Flag­ge, Hym­ne und Staats­form des Mut­ter­lan­des vor Drit­ten.« Als »dümms­tes Schlag­wort« sei­ner Zeit erschien dem Publi­zis­ten der schon damals oppor­tu­ne Vor­wurf, »restau­ra­ti­ve Ten­den­zen« zu beför­dern. Alles Gro­ße, Genia­le, das Hel­den­haf­te ohne­hin, des­sen die Deut­schen einst fähig waren, wer­de nun ver­höhnt und gegei­ßelt unter dem Vor­wand, »daß die alten Zei­ten nicht wie­der­kom­men dür­fen«. Ja, und wie furcht­bar war auch der »deut­sche Spie­ßer!« Aller­dings, so Sieburg, sei zu befürch­ten, daß der Spie­ßer in neu­em Gewand, näm­lich mit »her­aus­hän­gen­dem Hemd« nach US-Vor­bild wie­der­ge­kehrt sei, und daß die »Vor­ur­teils­lo­sig­keit in der Klei­dung, im Umgang mit dem ande­ren Geschlecht und den Ner­ven der Mit­men­schen nicht eine höhe­re sitt­li­che Frei­heit und einen sou­ve­rä­nen Geist« mit sich führe.
Die Kri­mi­phi­lo­so­phin und TVTal­ke­rin Thea Dorn durf­te man bis­lang für eine wohl klu­ge, aber strikt den Kate­go­rien aktu­el­ler Mei­nungs­mo­den hin­ge­ge­be­ne Zeit­ge­nos­sin hal­ten. Nun hat sie uns mit gera­de­zu schwär­me­ri­scher Ges­te – Vor- und Nach­wort, ver­ein­zelt nur gespickt mit zeit­geis­ti­gen Kotaus, stam­men aus ihrer Feder – den nahe­zu radi­ka­len Wider­borst Sieburg wie­der­ent­deckt. Ein Glücksfall!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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