Hinrichtung Konrad Löws versuchen. Löw hat dieser Tage im Olzog-Verlag München sein Buch Deutsche Schuld 1933–1945 veröffentlicht und darin Die ignorierten Antworten der Zeitzeugen (so der Untertitel) zusammengetragen. Diese Sammlung stößt Gross auf, er möchte sie vom Tisch wischen.
Löw ( auch schon Autor der Sezession gewesen) ist ein ausgesprochen redlicher Wissenschaftler, kein Mann der lauten Worte, sondern ein fleißiger Sammler von Belegen gegen die These, daß die Deutschen kollektiv Schuld an der Ermordung der Juden während des III. Reiches seien. Er trat Daniel Goldhagen entgegen, der in den Deutschen die aus christlichem Geist motivierten “willigen Vollstrecker” Hitlers sah (und sieht).
Raphael Gross zieht in seiner geschickt-denunziatorischen Collage den alten Hut von der deutschen Kollektivschuld, vom deutschen Tätervolk wieder aus der Mülltonne der Geschichtsschreibung. Dadurch wird deutlich, daß es sich nicht um einen historisch brauchbaren Begriff, sondern um eine politisch-polemisches Wort handelt:
Thesen wie die von Löw sind so alt wie das Wissen um den Holocaust. Immer gab es genügend Menschen, die nicht wahrhaben wollten, was da passiert ist. Immer wurde über den Grad der Beteiligung der deutschen Bevölkerung am Holocaust gestritten. Vielleicht ist es – worauf schon Adorno hingewiesen hat – einfach eine große narzisstische Kränkung für Nationalisten, dass in der einen oder anderen Weise immer wieder ein Sog der Relativierung Aufrechnung, Leugnung entsteht.
Was soll das? Warum sagt Gross nicht einfach, daß er gerne einen Glaubenssatz formulieren würde, ein zivilreligiöses Gebot, das infrage zu stellen Gotteslästerung wäre. Gross geht mit keiner Silbe auf die Dokumente und Quellen ein, die Löw zu hunderten zu zitieren vermag. Er kommt stattdessen mit der Bemerkung daher, Sigmund Freud sei vor seiner Ausreise gezwungen worden, auf einem Formular zu bescheinigen, daß er von der Gestapo nicht mißhandelt worden wäre. Meint Gross im Ernst, Löw sei so dumm und so unredlich, solche “Bescheinigungen” als Beleg für den warmherzigen Umgang vieler Deutschen mit den Juden anzuführen?
Löw hat ganz andere Stimmen ausgegraben und zusammengetragen, über 400 Seiten stark ist sein Buch, über 1350 Fußnoten belegen jede Behauptung, jede vorsichtige Schlußfolgerung. Löw hat sein Manuskript Klaus von Dohnanyi und Alfred Grosser zur Lektüre gegeben und den einen um ein Vor‑, den anderen um ein Nachwort gebeten. Beide haben zugesagt, und vor allem über diesen Flankenschutz Grossers kann sich Raphael Gross nicht beruhigen:
Warum hat er diesem Buch seinen Namen geliehen? Ich kann es nicht verstehen.
Ich schon. Grosser ist ein anständiger Intellektueller: In seiner Ermordnung der Menschheit hat er Völkermorde parallel gesetzt wie kaum ein zweiter. Er hält Moral nicht für das Privileg der Sieger. Er hat geprüft, wie Löw arbeitete, und er nennt das Buch “mutig” und “nützlich”, weil es den unbekannten nichtjüdischen Helfern eine Stimme gebe.
Gross reibt sich genau daran: Was soll schon mutig sein an Löws Buch? Über diejenigen, die sich nicht schuldig gemacht hätten, wäre doch schon immer publiziert worden.
Dazu hat es in Deutschland noch nie Mut gebraucht.
Doch, Raphael Gross, Texte wie Ihrer lassen nicht nur ein paar, sondern seit Jahrzehnten ganze Heerscharen von Historikern davor zurückschrecken
1. entweder überhaupt Fragen zu stellen, wie Löw sie stellt, oder
2. die Ergebnisse der Fragestellung zu veröffentlichen. Wäre Löw jung, hätte er keine Chance mehr auf einen Lehrstuhl.
Daß die FAZ einem politischen Sturmgeschütz wie Gross Platz für seine Salven einräumt, paßt ins Bild. Werden sehen, wie sich Alfred Grosser in der Sache verhält und ob er in der FAZ Raum für eine Verteidigung Löws und seiner selbst erhält.
Löws Auseinandersetzung mit der Bundeszentrale für politische Bildung war vor Jahren Thema in der Sezession.
Löw hat in diesem Fall kürzlich einen juristischen Sieg errungen.