Die Skala der gesellschaftlichen Sanktionierung scheint nach oben offen zu sein, müßig das an dieser Stelle wiederholt darzustellen, genug andere haben das getan. Die Sanktionierer sind keine guten Gesprächspartner.
Wer kein guter Gesprächspartner ist, kann weder überzeugen noch überzeugt werden. Die hochgezogene Augenbraue ist das Symptom für ein durchaus berechtigtes Misstrauen, nämlich das der Gläubigen gegenüber dem Ketzer, so ist dieser doch in der Lage, den Mythos und damit die Welt zu zerstören.
Von welchen Gläubigen schreibe ich? Ernst Jünger bemerkte in seinem Essay über die Totale Mobilmachung, daß er den „Fortschritt für die große Volkskirche des 19. Jahrhunderts“ hielt. Die Volkskirche hielt durch, und spätestens nach dem zweiten Weltkrieg sind fast alle Deutschen bekehrt. Jünger verglich die Verfassung einer Demokratie mit der geweihten Oblate in der katholischen Kirche. Und tatsächlich wird die in der Verfassung postulierte Würde des Menschen wie eine Monstranz vor den Gläubigen hergetragen. Doch, ganz anders als die konsekrierte Hostie, ist der Begriff der Würde hinsichtlich seines Sinns beliebig. Er eignet sich als Argument für alles und nichts, one world, Gleichwertigkeit der Weltanschauungen, Scham für das, worin man überlegen ist. Wissen wir ja alles schon.
Die Zweifel der Fortschrittler
Der Katechismus des Fortschrittlers beinhaltet die Gewißheit, daß schon heute ausreichend Strom über alternative Energiequellen gewonnen werden kann, daß jedes Kind in seiner Zukunft jedes Amt ausführen könnte, daß Mann und Frau wenigstens theoretisch alles gleich gut können, daß die Rassen, sofern es sie denn überhaupt gibt, einander hinnehmen und friedlich koexistieren werden – nicht nur können, sondern werden! Und die Priviligierten tragen die Schuld am Leid der Schwachen, nie sind die Schwachen es selbst.
Allerdings haben sich Zweifel eingeschlichen. Das Ende der Geschichte ist nicht eingetreten, es zeichnet sich nicht einmal ab. Die multikulturelle Romantik eines Films wie Almanya, in dem Türken und Deutsche in einer Großfamilie vereint werden, wird uns in der Realität selten begegnen. Auch eifrige Gläubige können kaum noch ignorieren, daß selbst die missionierten Wilden ihre heidnischen Bräuche nicht ablegen. Sie beherrschen zwar die Formeln, und sie fordern ihre Rechte als Kirchenmitglieder ein. Aber wenn ein Missionar beim Beten heimlich zum Banknachbarn herüber schielt, so überkommt ihn hin und wieder das beklemmende Gefühl, daß der Wilde die Hände gefaltet und die Augen geschlossen haben könnte, ohne dabei den Fortschritt wirklich anzubeten. Ähnlich wie ein Katholik, der sich fragt, ob die Hostie nach der Wandlung nun wirklich zum Leib Christi geworden ist, betet der Fortschrittsgläubige weiter, bekennt sich und verteidigt – vor allem – seinen Mythos. Denn schlimmer noch als das Gebet zu einem Trugbild wäre die Aufgabe des Weltbildes oder die Konversion zum Bekämpften. Quasi die Konversion zu den Anhängern des Leibhaftigen, manchmal kommt’s einem ja wirklich so vor.
Debatten drehen sich um Letztbegründungen
Wer authentisch konservativ (sprich: ungläubig) ist, braucht nicht auf Fairneß zu hoffen, wie Carlo Clemens kürzlich in einem Interview mit der Pickelhaube festgestellt hat. Und gegen die Hydra der pluralistischen „Menschenwürde“ kommen wir ohnehin nicht an. Clemens meint, daß es konsequent wäre, inhaltlich und charakterlich unerbittlich zu bleiben, und unter anderem in Diskussionen mit gezielten, durchdachten Regelverstößen die Harmonie zu stören.
Clemens irrt, vermute ich, wenn er Diskussionen für wirksam hält. Gläubigen den „Fortschritt“ zu widerlegen, dürfte ein schwieriges Unterfangen werden. Selbst dann, wenn sie Zweifel an ihrer geweihten Hostie hegen. So sind Diskussionen mit den Fortschrittlern allenfalls ein gutes Training für Schlagfertigkeit und die Anwendung rhetorischer Taschenspielertricks. Doch wenn der andere nicht verstehen will, dann kann man noch so richtig liegen, am Ende dreht sich die Debatte im Kreis. Sie beharren auf ihren Letztbegründungen: Alle Menschen sind gleich, Menschenwürde, etc. Witzigerweise hegen sie manchmal sogar noch Aversionen gegen die anderen Religionen, Christen, Juden, Moslems und so, weil „Religionen gefährlich und der Grund für so viele Kriege sind“. Natürlich ehrlos, aber taktisch doch sehr klug.
Wir haben recht, ihr nicht
Also können wir die Diskussionen beenden. Im Blog der Jungen Freiheit habe ich wenig fein gegen Augsteins Freitag polemisiert. Daraufhin kritisierte mich ein Leserkommentator, weil ich in der Kolumne nicht über ein Schwarz-Weiß-Denken hinausgekommen sei. Das bin ich tatsächlich nicht, prinzipiell hatte dieser Leser recht. Freilich nur prinzipiell und nur gesetzt den Fall, wir würden bei der Verteilung des Diskurs-Kuchens angemessen behandelt. Wenn das nicht der Fall ist (und es ist nicht der Fall), dann muß die Diskussion dem Statement weichen: Wir haben recht, ihr liegt falsch. Right is right and left is wrong. Sollte sich dann trotzdem noch ein Gespräch entwickeln, betreiben wir höflich die Gegenaufklärung: Die eigenen Begriffe werden gebraucht, dem Gegenüber bleiben Ablehnung oder Verständnisfragen.
Ist das ein erfolgversprechendes Modell? Nein. Die Diskussionen aber auch nicht. Und wenn die Fortschrittler irgendwann ahnen, daß ihre Regentänze der Dürre kein Ende bereiten, dann werden sie sich eher an ein Statement erinnern, als an eine Diskussion, die sich im Kreis gedreht hat. Ich schreibe nicht vom Rückzug, nicht vom Ende der Präsenz, nicht vom Ende der Auseinandersetzung, nicht vom Ende sachbezogener Gespräche und erst recht nicht vom Ende der Partizipation. Nur vom Ende der Diskussion mit Andersdenkenden.
mfh
Volle Zustimmung! Die Erkenntnis, mit Diskussionen nichts zu erreichen, außer vielleicht mieser Laune auf Parties zu verbreiten, da es zum Ende immer hitzig wird, hat sich erst nach Jahren bei mir eingestellt. Unwissenheit mit Argumenten beizukommen ist unmöglich, wenn sie auf Verblendung - oder eben unbedingtem Glauben - beruht. Seinen Standpunkt verdeutlichen sollte man immer, sich in Diskussionen mit Schwachköpfen zu verlieren bringt leider gar nichts. Wozu auch? Die Zukunft wird zeigen, ob unsere Überzeugung ihre Berechtigung hat. Falls nicht, gehen wir mit ihr zugrunde, während die anderen ihre Zeit im selbstgewählten Verlarvungszustand verbringen. Für unsere Nachkommen können wir nur das Feuer weitergeben und hoffen, daß irgendwann ein Flächenbrand daraus wird. "Unsere Zeit kommt", sagt Weißmann. Es ist zu hoffen, denn erzwingen kann man es leider nicht.