Ein Jahr nach Sarrazin – neue Studie des IfS

Der erste Jahrestag „nach Sarrazin“ hat kein Medienecho gefunden, das sich mit der Aufregung messen könnte, die vor einem Jahr herrschte.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Den­noch sind zahl­rei­che Bei­trä­ge erschie­nen, die sich mit dem Ereig­nis beschäf­ti­gen. Was dabei auf­fällt, ist die Ten­denz, daß an kaum einer Stel­le eine poli­ti­sche Bilanz gezo­gen wird.

Die eigent­lich inter­es­san­te Fra­ge nach dem, was Sar­ra­zin bewirkt hat, wird fast scham­haft ver­mie­den. Alle Betei­lig­ten sind froh, daß die gan­ze Debat­te vor­bei ist und sich alle auf der Gewin­ner­sei­te wie­der­ge­fun­den haben. Bei Sar­ra­zin selbst ist das nach­voll­zieh­bar: Irgend­wann ist man froh, daß man nicht mehr per­ma­nent mit Unter­stel­lun­gen und Dif­fa­mie­run­gen kon­fron­tiert wird. Der Erfolg des Buches hat ihm recht gege­ben und ihn damit aus der Schuß­li­nie genommen.

Für Medi­en und Poli­tik stellt sich die Sache etwas anders dar. Hier ist man offen­bar froh, daß das ver­gan­ge­ne Jahr Gras über die Debat­te wach­sen ließ und man wie­der zur Tages­ord­nung über­ge­hen kann. Und man hofft instän­dig, daß nie­mand, vor allem nicht Sar­ra­zin selbst, auf die Idee kommt, das Ver­sa­gen von Poli­tik und Medi­en in der Sar­ra­zin-Debat­te zum The­ma zu machen. Solan­ge kön­nen sie sich auch auf der Gewin­ner­sei­te wäh­nen und in Sar­ra­zins Ruhm sonnen.

Die Zeit sagt es im Jubi­lä­ums­in­ter­view mit Sar­ra­zin ganz deut­lich: „Wir wol­len heu­te nicht über Ihre The­sen strei­ten, son­dern nur erfah­ren, wie Sie das ver­gan­ge­ne Jahr erlebt haben.“ Dabei wäre das Jubi­lä­um eine gute Gele­gen­heit gewe­sen, auf die Ent­wick­lun­gen bei den von Sar­ra­zin benann­ten Miß­stän­den hinzuweisen.

Statt­des­sen führt das Zeit-Inter­view bei­spiel­haft vor, wie man eine kon­tro­ver­se Bemer­kung in einem vor der Öffent­lich­keit geschütz­ten Raum in eine Flos­kel auf­löst. Sar­ra­zin bezieht sich am Ende des Inter­views auf den Bil­dungs­for­scher Jür­gen Bau­mert und sagt: „Die Bil­dungs­leis­tung in Baden-Würt­tem­berg wird wegen des stark anstei­gen­den Migran­ten­an­teils zurück­ge­hen.“ Eine Aus­sa­ge, die noch im Juni 2010, als Sar­ra­zin davor warn­te, daß Deutsch­land durch die Ein­wan­de­rung aus der Tür­kei etc. „auf natür­li­chem Wege durch­schnitt­lich düm­mer“ wer­de, noch für hel­le Empö­rung sorg­te. Die Ant­wort der Zeit lau­tet jetzt lapi­dar: „Wenn das stimmt, so kann das doch nur eine Kon­se­quenz haben: daß wir uns alle zusam­men noch mehr anstren­gen müs­sen.“ Mit ande­ren Wor­ten: Laß ihn reden.

Die­se trau­ri­ge Bilanz war abseh­bar. Der Hys­te­rie um die The­sen Thi­lo Sar­ra­zins zu den Mög­lich­kei­ten der Inte­gra­ti­on von ins­be­son­de­re mus­li­mi­schen Aus­län­dern, den nega­ti­ven Anrei­zen des Sozi­al­staats, dem Zustand des Bil­dungs­sys­tems und den demo­gra­phi­schen Aus­sich­ten Deutsch­lands, sind kei­ne Taten gefolgt. Par­tei­po­li­tisch hat sich kei­ne Alter­na­ti­ve erge­ben und die über­wäl­ti­gen­de Zustim­mung ver­puff­te ungenutzt.

Den­noch hat die Sar­ra­zin-Debat­te den Raum der frei­en Rede erwei­tert, weil Sar­ra­zins Geg­ner ihr Ziel, ihn in den sozia­len Tod zu trei­ben, nicht erreicht haben. Die Hür­den der Mei­nungs­frei­heit wur­den dras­tisch vor Augen geführt. Ent­schei­dend wird sein, daß das dadurch erreich­te Niveau ver­tei­digt wird. Die neue Stu­die des Insti­tuts für Staats­po­li­tik wid­met sich des­halb der Ana­ly­se der Fol­gen der Sar­ra­zin-Debat­te sowie der Fra­ge nach der par­tei­po­li­ti­schen Nutz­bar­keit von Sar­ra­zins Tri­umph. Sie wird durch eine umfang­rei­che Chro­nik der Ereig­nis­se seit der Buch­ver­öf­fent­li­chung sowie eine kom­men­tier­te Biblio­gra­phie der Sekun­där­li­te­ra­tur ergänzt. Die Stu­die erscheint im Sep­tem­ber und kann hier vor­be­stellt werden.

Insti­tut für Staats­po­li­tik (Hrsg.): Ein Jahr nach Sar­ra­zin. Eine Debat­te und ihre Fol­gen, 40 Sei­ten, gehef­tet, 5 Euro (Wis­sen­schaft­li­che Rei­he; Heft 18).

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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