Wie wir begehren. Wie wir gebären.

Von Carolin Emcke fühle ich mich in gewissem Maße verfolgt. Sie kann nicht viel dafür, es ist halt dieser Medienmechanismus:...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Einer, der doch eigent­lich nach äußer­li­chem Dafür­hal­ten ein ganz gutes (viel­fäl­tig preis­ge­krön­tes), in die­sem Fall sogar betont lust­vol­les Leben führt, taucht sich selbst kla­ge­ru­fend ins gut gefüll­te Rand­grup­pen- und Dis­kri­mi­nie­rungs­faß und wird, das ist der Zweck der Übung, unter Jubel geret­tet, als hoch­sen­si­bles Phä­no­men gefei­ert und ausgestellt.

Frau Emcke begeg­ne­te mir zunächst akus­tisch. An drei Aben­den durf­te sie vor ein paar Wochen im Deutsch­land­funk in der Lese­zeit aus ihrem da noch unver­öf­fent­lich­ten Groß­essay Wie wir begeh­ren vor­le­sen. Ich höre die Sen­dung sonst gern, hier schal­te­te ich bald aus. Nein, ich hege kei­ne Abnei­gun­gen gegen Les­ben, auch nicht, wenn sie sich wie Frau Emcke als Schwu­le bezeich­nen und schon stimm­lich nach Kli­schee klin­gen; ich wür­de mir schlicht aus Grün­den des Anstands bezie­hungs­wei­se bür­ger­li­cher Ver­klemmt­heit auch kei­ne Begeh­ren­sana­to­mien von Links­hän­de­rin­nen, Vege­ta­ri­ern oder Holz­spiel­zeug­lieb­ha­bern anhö­ren wollen.

Ein paar Tage spä­ter, das Buch ist druck­frisch, lese ich in der FAZ eine höchst wohl­ge­fäl­li­ge Groß­re­zen­si­on unter dem (selbst­ver­ständ­li­chen) Mot­to „Homo­se­xua­li­tät ist kein Schick­sal, son­dern eine Lust“. In der Woche drauf fällt mir im Zug das Zeit-Maga­zin in die Hand. Frau Emcke erklärt hier sei­ten­lang, „war­um das Intims­te manch­mal zu öffent­li­chen Ange­le­gen­hei­ten wer­den muss(!)“.

„Ich lie­be mich gern in eine Frau hin­ein, ich mag es, eine Frau zu erre­gen, sie zu berüh­ren, zu rie­chen, zu schme­cken, zu neh­men, in die Hand, in mei­nen Mund, in und mit mei­nem Körper.“

Und so weiter.

Ja, einer­seits sei ihr Begeh­ren (von Lie­be, die­ser spieß­bür­ger­li­chen Gefüh­lig­keit, lese ich übri­gens nichts) natür­lich pri­vat und intim, ande­rer­seits gel­te sie als Homo­se­xu­el­le halt schon des­halb als Exper­te für Sex, weil sie das Wort Sex im Namen füh­re, sagt und klagt die schwu­le Frau Emcke. Sol­che ver­all­ge­mei­nern­den Eti­ket­tie­run­gen sei­en natür­lich, genau wie “Jude zu sein” (Frau Emcke ver­gleicht ihre Ver­an­la­gung oder Sexu­al­wahl expli­zit damit) „selt­sam unangemessen“.

Ja, wer kennt das Gefühl der unzu­rei­chen­den Titu­lie­rung nicht aus eige­ner Erfah­rung? Was heißt schon „Aka­de­mi­ker“? Was „kon­ser­va­tiv“? „Deutsch“?

Ich bin Mut­ter. Will ich dar­auf redu­ziert wer­den? Hm. Möch­te ich, in mei­ner Rol­le als Haus­frau nun wahr­lich kein Hät­schel­kind des Medi­en­be­triebs und dar­um durch­aus im Recht, ein­mal “aus­zu­pa­cken”, ein Offen­ba­rungs­buch schrei­ben : “Wie wir gebä­ren“? Defin­tiv nein.

Weil aber Frau Emckes ihre „Art zu lie­ben“ (sie meint: begeh­ren) für „beson­ders intim“ hält, und die „öffent­li­che Miß­ach­tung“ für beson­ders gemein, sieht sie sich „genö­tigt“ (!) „aus dem Pri­va­ten her­aus ins Öffent­li­che zu spre­chen.“ Wenn sie „Wir“ schreibt, meint sie ihre „Gemein­sam­keit mit Schwu­len, Les­ben, Bise­xu­el­len und Trans­gen­der-Men­schen“, die „hier oder anders­wo bespuckt, geschla­gen, gefol­tert oder gehängt werden.“

Hier? Les­bisch­sein als Tabu­bruch? Kar­rie­re­knick? Gibt’s da nicht die­se pro­mi­nen­te Talk­frau und die­se berühm­te “Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wiss­sen­schaft­le­rin“, gel­ten die nicht als Traum­paar wie über­see eine ande­re hoch­be­rühm­te Talk­frau samt ihrer Muse? Und die­se sym­pa­thi­sche Tat­ort-Kom­mi­sa­rin? Die fröh­lich-dicke Komö­di­an­tin? Die omni­prä­sen­te Frau­en­zeit­schrifts­grün­de­rin? Die eins­ti­ge hes­si­sche Minis­te­rin? Gab’s je in den ver­gan­ge­nen zwei, drei Jahr­zehn­ten Häme für deren norm­ab­wei­chen­de sexu­el­le Ori­en­tie­rung im rele­van­ten Medienwesen?

Es wäre mir glatt ent­gan­gen. Emp­find­li­che Näs­chen wit­tern Dis­kri­mi­nie­rung frei­lich über­all, gera­de im Gut­ge­mein­ten. Frau Emcke schreibt so läng­lich wie zor­nig von einer Hoch­zeits­ge­sell­schaft, bei der sie unver­schäm­ter­wei­se aus­ge­rech­net zwi­schen ande­ren homo­se­xu­el­len Indi­vi­du­en pla­ziert wor­den sei. Dis­kri­mi­nie­rung! Frau Emcke ist nicht nur „lust“ig, son­dern auch wütend. Über das „rück­stän­di­ge Fami­li­en­bild der CDU“ (wo noch mal sich nie­der­schla­gend?), über das feh­len­de Adop­ti­ons­recht für schwu­le Paa­run­gen, über ihren schu­li­schen Sexu­al­kun­de­un­ter­richt, in dem “von den repro­duk­ti­ven Mög­lich­kei­ten des Kör­pers die Rede war, aber nicht von Lust.“

Frau Emckes Lust- und Kla­ge­schrift kommt “da oben” wahn­sin­nig gut an; für sie selbst, noch halb im gefühl­ten Jau­che­faß badend, muß es schier unbe­greif­lich sein!

Fast jede Zei­tung, die ich rund um die Buch­mes­se auf­schlug, war des Lobes voll über die indi­vi­du­el­le homo­se­xu­el­le Lust­ge­schich­te die­ser Frau die (Zitat Cice­ro) „die­se sel­te­ne Mischung aus natür­li­cher Cool­ness und Klug­heit“ ausstrahle.

Schon wie­der hör­te ich Deutsch­land­ra­dio. Als in hete­ro­nor­ma­ti­ven Mus­tern leben­de, am Herd wer­keln­de Frau hört man mit­un­ter viel. Schon wie­der eine Elo­ge! Die Rezen­sen­tin fin­det, „über die­ses Buch zu schrei­ben, ist wie über Musik zu schrei­ben. Das hat viel mit Gefühl zu tun“ und bewun­dert, das die Autorin „scho­nungs­los offen“ über „Kör­per­säf­te, Blut, Schleim und Schweiß“ schreibt. Wer weiß, viel­leicht wäre unter sol­chem Gesichts­punkt „Wie wir gebä­ren“ doch kein ganz ver­kehr­ter Buchtitel?

Tags drauf lief ich über die Buch­mes­se, und wen sah ich sofort (sie sah inter­es­san­ter­wei­se aus, wie ich sie mir nach der Zwei­te-Hand-Lek­tü­re ihres Anti-Kli­schee-Buchs vor­ge­stellt habe.): Frau Emcke. Klar, sie war ja für den Leip­zi­ger Buch­preis nomi­niert. Erhal­ten hat sie ihn nicht. Dis­kri­mi­nie­rungs­hal­ber? Sicher.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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