Ich habe Erscheinungen vor dem, was ist. Ich mache aus einer Mücke einen Elefanten. Ist das keine Kunst? Zauberer sind die andern, die das Leben in die Mückenplage verwandelt haben. Und der Mücken werden immer mehr. Oft kann ich sie nicht mehr unterscheiden. Tausend habe ich zu Hause und komme nicht dazu, sie zu überschätzen. Bei Nacht sehen sie wie Zeitungspapier aus und jedes einzelne Stück lacht mich an, ob ich nun endlich auch ihm die Verbindung mit dem Weltgeist gönnen wolle, von dem es stammt. Gegen die Plage dieser Ephemeren gibt es keinen Schutz, als sie unsterblich zu machen. Das ist eine Tortur für sie und für mich. Doch wachsen sie nach und ich werde nicht fertig.
Hundert Jahre später geht es einem politischen Blogger wie mir auch nicht viel anders. Die Phrasenmaschine produziert jeden Tag neue Frevel gegen den common sense, oder besser gesagt, sie wiederholt unbeirrt den Unsinn, den sie schon gestern und vorgestern und vorvorgestern in die Welt gesetzt hat. Jeden Morgen sucht sich der wackere Blogger einen beliebigen leckeren Kopf der Hydra aus, die mal wieder dabei ist, ihm in den Mund und ins Hirn zu kriechen, beißt ihn ab und speit ihn aus, wie in Zarathustras Gleichnis. Genauso eklig ist das manchmal. Tags darauf sind fünf neue Köpfe nachgewachsen und das Spiel geht von vorne los.
Ob die ganzen Schlagwortgeister, die einem im öffentlichen Raum per Plakat und Bildschirm permanent anspringen, nur Mücken sind, sei dahingestellt. Im Schwarm können sie sehr lästig sein, und zweifellos bleibt die offene oder subliminale Dauerbestrahlung nicht gänzlich ohne Wirkung auf die Köpfe und Gemüter. Wenigstens kann dieser sisyphosartige Sport des Schlangenkopfabschlagens und Mückenvertreibens ab und zu auch durchaus unterhaltsam sein. In Österreich, wo ich gerade weile, gibt es hierfür allerhand kabarettreifes Material, ja das ganze Land ist heute wie einziges Live-Kabarett. Die ebenso kindische wie schwachsinnige Energie, mit der beispielsweise das “Gender Mainstreaming” umgesetzt wird, ist geradezu berüchtigt.
Das gegenderte Baustellenschild etwa, auf dem ein eine männliche Figur, – natürlich hautnah an der “Alltagsrealität”, wie es im entsprechenden Jargon heißt- durch eine Schutt schippende schlanke Dame mit Pferdeschwanz im kurzen Rock und mit schicken kniehohen Stiefeln ersetzt oder zumindest ergänzt wurde, ist einer der großen Klassiker des an sabbernden Idiotien nicht gerade armen Genres. Da wird die Selbstparodie gleich mitgeliefert, leider unbemerkt von den Urhebern.
Ein mindestens ebenso großer Klopfer – und hier kommen wir zur Mücke des Tages – sind die seit 2007 gegenderten Wiener Straßenbahnpiktogramme. Ich möchte mir jedesmal von Neuem an den Kopf klatschen, wenn ich in der Hauptstadt bin und die Dinger erblicke. Die Bildchen hatten ursprünglich den Zweck, die Fahrgäste zu ermahnen, gegebenenfalls körperlich bedürftigen Personen die Sitzplätze zu überlassen. In der Originalversion gab es also: einen alten Mann (mit Stock und Rauschebart), einen blinden Mann (mit Dreipunktebinde und Krücke, stellvertretend für alle Behinderten), eine Frau mit Baby auf dem Arm und eine schwangere Frau. So weit so einleuchtend und so trivial. Jedermann und Jedefrau hat es verstanden, niemanden und niefraunden hat es je gestört.
Weil es aber offenbar im glückseligen Wien keine dringenderen Probleme gibt, startete der Magistrat unter erheblichem Aufwand eine Kampagne mit dem Titel “Wien sieht’s anders”, in der die Bildchen wie folgt ausgetauscht wurden: nun sieht man stattdessen eine alte Frau (mit Dutt und Gehstock), eine blinde, behinderte Frau (mit Krücke und Dreipunktebinde), eine schwangere Frau, und einen Mann mit D’Artagnan-Bart, Kurzhaarfrisur und Kind auf dem Arm.
Die von dem damaligen Vizebürgermeister und der Frauentstadträtin vorgetragene Begründung: “Auch Männer mit Kleinkind oder ältere Frauen fahren mit den Öffis.” Eine wahrhaft epische, überraschende Enthüllung. Ohne sie wäre die Menschheit wohl in der finstersten Bewußtseinsverdunkelung verkümmert. “Diese Alltagsrealität wird auf den neuen Klebern abgebildet.” Das ist natürlich eine rundum geheuchelte Begründung, denn um die “Alltagsrealität”, die ohnehin jeder kennt, und die auf den alten Klebern hinreichend symbolisiert wurde, ging es dabei nicht im Geringsten.
Dröseln wir den Gedankenkuddelmuddel auf. Die alten Kleber zeigten zwei männliche und zwei weibliche Lebewesen, die beiden Geschlechter waren also 50:50 vertreten. Kein Mensch, der den Sinn der Kleber verstanden hat, wäre nun etwa sitzengeblieben, wenn statt einem alten Mann eine alte Frau die Straßenbahn betreten hätte, oder auch nur ein alter Mann ohne Bart und ohne Gehstock. Jedes Kind versteht, daß die beiden männlichen Figuren alle Gebrechlichen und alle Behinderten meinen, egal, welches Geschlecht sie haben. Alt und behindert können Männer wie Frauen gleichermaßen sein. Die beiden anderen, weiblichen Figuren sprechen dagegen spezifisch weibliche Bedürftigkeiten an: es kann eben nur eine Frau schwanger sein, und Frauen mit Babys und Kinderwägen sind nun mal eine üblichere Erscheinung als Männer mit Babys und Kinderwägen. Man sieht auch gelegentlich Männer, die Babys tragen und Kinderwägen führen, meistens aber in Begleitung einer Frau. Aber auch hier sollte jeder Depp begreifen, daß es hier nicht in erster Linie auf die Frau ankommt, sondern auf das Kind, welches quasi die “Behinderung” ist.
Die Neufassung zeigt nun also drei Frauen und einen Mann, der eine typisch weibliche Tätigkeit ausübt. Damit steht das Verhältnis also (mindestens) 3: 1 zugunsten der Frauen, womit die alten Kleber eindeutig ausgewogener und “geschlechtergerechter” waren. Aber auf “Gerechtigkeit” kommt es denn Genderbendern ja nicht an, sondern um einen Kulturkampf auf der Symbolebene. Dieser wird in jeden noch so unpolitischen Winkel hineingetragen. Die Kampagne verdreht den Sinn des Klebers (wie gesagt: die Ermahnung der Fahrgäste, körperlich Bedürftigen die Sitzplätze zu überlassen) und instrumentalisiert ihn zum Moskito der ideologischen Beeinflussung und Gehirnwäsche.
Die Feminisierung des Mannes gehört, gleichwohl unausgesprochen oder in euphemistische Sprache verpackt, zu den Hauptanliegen und Hauptergebnissen des “Gender Mainstreaming” , das im Endeffekt vor allem den neurotischen Selbsthaß beider Geschlechter schürt und aus diesem wohl auch seine hauptsächliche Antriebskraft bezieht. Die Frau soll dabei weniger “vermännlicht” als “entmütterlicht” werden. Denn sieht man sich die Kleberkampagne genau an, so war es eben offenbar in erster Linie die Darstellung einer Mutter mit Kind, die den Betreibern ein Dorn im Auge war. Die Umwandlung des Seniors und des Blinden in weibliche Gestalten bringt keinerlei Aussage und keinerlei Aha-Effekt mit sich, führt in keiner Weise dazu, irgend etwas “anders zu sehen”, weil Alter und Blindheit bekanntlich nicht geschlechtsspezifisch sind. Die schwangere Frau muß eine Frau bleiben, weil es (zum Leidwesen der Genderfanatiker) eben biologisch nicht anders geht. Bleibt also nur eine Figur übrig: die ganze Kampagne wurde mit anderen Worten lediglich aufgezogen , um das Bild einer um ihr Kind sorgenden Mutter aus dem öffentlichen Raum zu tilgen. Mit dem weiteren Ergebnis, daß das Augenmerk des Klebers nun nicht mehr dem zu schützenden Kleinkind gilt, sondern dem Mann und seiner neu zugedachten Rolle.
Wie wirksam ist diese “schwarze Magie” tatsächlich? Als omnipräsente subliminale Suggestionstaktik habe diese Kleinigkeiten und Ideologiemücken gewiß einen Effekt auf die allgemeine Bewußtseinsbildung. Dadurch wird die Welt freilich nicht wesentlich “anders” und schon gar besser im Sinne der Sozialingenieure, aber ein gutes Stück dümmer, wirrer und mürber. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich finde immer wieder von neuem die Widerstandslosigkeit und Passivität verblüffend, mit der heute der offensichtlichste Unfug akzeptiert und hingenommen wird. Nicht nur in Österreich ist die Gesellschaft von einer Art geistigen Immunschwäche befallen, die inzwischen in eine epidemische Demenz übergeht, so lange, bis bald keiner übrigbleibt, dem der Witz noch auffällt.